Bate Borisov – TSV 1860 München

Borisov (auch Baryssau) liegt irgendwo mitten in Weißrussland, kurz hinter Minsk. Das war das erste, was wir nach der Auslosung zur 2. UI-Cup-Runde im Jahre 2002 herausfanden. Der TSV 1860 München stieg in diesem Jahr übrigens erst – wie auch der VfB Stuttgart als zweiter deutscher Vertreter – in der zweiten Runde in den Wettbewerb „UI-Cup“ ein. Bate Borisov aus Weißrussland sollte der Gegner sein. Na Mahlzeit!

Glücklicherweise sollte das das Hinspiel zuerst in München stattfinden. So hatten wir nach der Auslosung wenigstens ein paar Tage mehr Zeit, um uns um Reisemöglichkeiten und vor allem die benötigten Visa zu kümmern. Wäre das Hinspiel zuerst in Borisov gewesen, wäre das mit dem Visum für Weißrussland extrem schwierig, wenn nicht sogar unmöglich geworden.

Die meisten Löwenfans fuhren mit dem Zug nach Borisov

Viel Löwenfans waren es damals nicht, die die Reise mit nach Weißrussland antreten sollten. Gespielt werden sollte am Sonntag. Rund drei Dutzend, die meisten davon machten sich mit dem ICE am Samstag früh morgens erst einmal auf den Weg nach Berlin. Dort wartete bereits Lothar Langer vom Fanprojekt München, der bereits einen Tag vorher in die Hauptstadt gefahren war, um dort die Visa für alle Löwenfans in der weißrussischen Botschaft abzuholen.

Im ICE nach Berlin nicht nur die Löwenfans, sondern auch jede Menge Paradiesvögel, die bunt gekleidet auf dem Weg zur Loveparade nach Berlin waren. Wenn man die so sah, kam man sich als Fußballfan, der sich gerade auf die rund 1860 Kilometer lange Reise (einfach natürlich) nach Weißrussland macht, um ein Spiel im UI-Cup zu sehen, herrlich normal vor…

Über Berlin und Warschau und eine Umspurung nach Minsk

Nach rund 6 Stunden Zugfahrt mit wechselweise Löwen- und Techno-Klängen waren wir in Berlin gelandet und von dort ging es weiter nach Warschau, was weitere 8 Stunden dauerte. Dort ging es dann im Nachtzug in Richtung Minsk, doch hierfür war erst einmal eine Umspurung nötig. Die Gleise der ehemaligen Sowjetunion haben eine andere Spurbreite als die in Europa. Den Vorgang der Umspurung fand ein Löwenfan so spannend, dass er nach außen ging, um ihn zu fotografieren.

Das Gesicht des jungen Löwen, als er in Boxershort und Unterhemd und nur mit einem Fotoapparat in der Hand draußen stand, während der Zug losfuhr, werden wir nie vergessen. Zum Glück fuhr der Zug wieder zurück – er hatte nur das Gleis gewechselt, um die Umspurung vollziehen zu können.

In Minsk bereits von der Polizei erwartet

Sonntag früh kam der Zug dann in Minsk an und da wartete bereits eine stattliche Anzahl Polizei. Diese machte den Löwenfans klar, dass es von dort direkt weiter nach Borisov gehen würde und es keinen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung geben sollte. Mit Polizeigeleit ging es direkt in den nächsten Zug.

Der Zug verließ Minsk Hauptbahnhof, um wenige Minuten später wieder zu halten, von uns scherzhaft Minsk-Pasing genannt. Diesen Moment nutzten ein Löwenfan – der, der beim Spurwechsel fast verloren gegangen wäre – und ich, um aus dem Zug zu flitzen. Wir wollten uns die Hauptstadt Minsk genauer anzuschauen. Natürlich ausgerüstet mit einem Zwillingstragerl Münchner Bier.

Clever war das nicht wirklich. Wir hatten kein einheimisches Geld, kaum jemand sprach Englisch, die einzige Wechselstube am Bahnhof machte erst sehr spät auf und den richtigen Zug nach Borisov hätten wir später auch fast nicht mehr erwischt. Wenn wir nicht zufällig Stunden später am Bahnhof einen Löwenfan getroffen hätten, der alleine (!) in voller Montur (!) mit einem anderen Zug als unsere Reisegruppe und zumindest rudimentären Sprachkenntnissen angereist war, wäre das vermutlich schief gegangen.

Reisegruppe TSV 1860 in Borisov

Die anderen Löwenfans waren inzwischen in Borisov in einen Bus verfrachtet und zum Stadion gebracht worden. Im Bus gab es eine herzliche Ansprache vom Polizeichef: „Nicht ausbüchsen, nicht randalieren, nicht betrunken sein – und Wichtigste: Nicht bumsen in Weißrussland!“. Die Löwenfans durften sich noch genau zwischen dem Stadion und einer Wirtschaft in Stadionnähe bewegen, immer beäugt von der Staatsmacht.

Löwenbomber Bate Borisov TSV 1860 München
Löwenbomber in Borisov, mit dem TSV 1860 München
Bate Borisov TSV 1860 München
Bus für TSV 1860 München Fans in Borisov

Das Spiel Bate Borisov – TSV 1860 München

Über Bate Borisov wusste man zu diesem Zeitpunkt in Deutschland noch nicht allzu viel. Gegründet 1973 steht das BATE für „Baryssau Automobil und Traktor-Elektrik“. Es ist der erfolgreichste Verein im weißrussischen Fußball. Bevor der Verein 2002 auf die Löwen treffen sollte, scheiterte er in den Vorjahren in der Qualifikation zur Champions-League bzw. im UEFA-Cup am AC Mailand.

Das Spiel gegen den TSV 1860 München war das erste Spiel gegen einen deutschen Verein. Für die Löwenfans war es leider der negative Höhepunkt einer spannenden Reise.

Die Löwen hatten ja das Hinspiel im Sechzgerstadion mit 1:0 verloren und kamen auch in Borisov ordentlich unter die Räder. Vor etwas weniger als 5000 Zuschauern im Haradski-Stadion Baryssau – inzwischen hat der Club eine moderne Arena an anderer Stelle – verloren die Löwen deutlich mit 4:0.

Bate Borisov - TSV 1860 München 4:0
Bate Borisov – TSV 1860 München 4:0

Rund 10 Jahre später sollte übrigens ein anderer Münchner Verein gegen Bate Borisov mit 3:1 unter die Räder von Automobil und Traktor kommen…

Nach dem Spiel kamen die Spieler immerhin noch in die Kurve, entschuldigten sich für das Ausscheiden und machten ein Foto mit den Löwenfans.

Lothar Langer, TSV 1860 München Fanprojekt
Spieler und Fans des TSV 1860 in Borisov
Spieler und Fans, TSV 1860 München, Borisov 2002
Spieler und Fans, TSV 1860 München, Borisov 2002

Rückfahrt mit Hindernissen

Die Fans des TSV 1860 sollten noch eine richtig spannende Heimfahrt haben. In Minsk fehlten die Reservierungen für den Schlafwagen. Eine Gruppe Löwenfans schaffte es trotzdem in den Zug, die andere stand auf dem Bahnsteig, als der Zug gen Westen fuhr. Als ein weiblicher Löwenfan die Notbremse zog, weil ihr Freund noch draußen stand, wurde sie von der resoluten Schaffnerin kurzerhand in hohem Bogen und schmerzhaft auf den Bahnsteig befördert.

So warteten die einen noch in Minsk auf den nächsten Zug, der Rest trank sich im Zug in Richtung polnischer Grenze das Ganze irgendwie schön. Auch an der weißrussisch-polnischen Grenze hatten die Grenzer einen schlechten Tag oder wir sie nicht hinreichend – weil gar nicht – bestochen. So wurden wir ein paarmal ohne ersichtlichen Grund nicht über die Grenze zum nächsten Zug gelassen. Ein triftiger Grund, um in der Früh meine Klausur auf dem Weg Richtung Verwaltungsfachwirt abzusagen…

Wir erlebten noch allerlei Lustiges: Weißrussen, die Vodka und Tabak an ihrem Körper über die Grenze schmuggelten, um ihn dann in Polen mit Gewinn zu verkaufen. Deutsche Grenzer, die irgendwann entnervt aufgaben und uns freundlicherweise einen deutschen Einreisestempel in den deutschen Reisepass stempelten…

Nach der Rückkehr nach München: direkt ins Löwenstüberl

Als unsere Gruppe dann Montag am späten Vormittag endlich in München ankam, ging es  direkt ins Löwenstüberl. Die Klausur war ohnehin gelaufen – und die Mannschaft gab den Löwenfans, die sich diesen Trip angetan hatten, als kleines Trostpflaster eine Brotzeit aus.

Das war – bislang – der Schlusspunkt auf meine Auswärtsfahrten im Europacup mit dem TSV 1860 München und zugleich die letzte Serie, die bei mir noch hält.

Alle Pflichtspiel im Europacup seit meiner Geburt gesehen – von Varna bis Borisov. Hoffen wir mal, dass noch ein paar dazukommen. Schwer vorstellbar, aber nach dem Abstieg in die Bayernliga 1992 hätte auch niemand gedacht, dass wir vier Jahre später schon wieder Europacup und acht Jahre später die Qualifikation zur Champions League spielen würden…

Dieser Artikel erschien erstmals am 14.07.2021 auf sechzger.de!

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Stefan Kranzberg

Das war eine sensationelle Auswärtsfahrt. Mit dabei: Drei heutige Redakteure von sechzger.de, ein jetziger Verwaltungsrat und der aktuelle Pressesprecher des TSV 1860.

Nicht dabei: irgendein Journalist aus München.

Thomas Enn

Das war wirklich der Wahnsinn, auch wenn ich damals ja etwas anders gereist bin und sogar noch Urlaub in Weißrussland gemacht habe. Heute vollkommen undenkbar…

Kraiburger

Die Visumsvergabe in Weissrussland war über Jahrzehnte die strengste in Europa. Im Sommer 2017 wurden die Regeln dann endlich gelockert und man durfte für bis zu 5 Tage visumsfrei einreisen. Zumindest sofern man eine örtliche Krankenversicherung abschließt, mit dem Flugzeug einreist und den Großraum Minsk nicht verlässt.

Im Juni 2017 habe ich das Angebot dann auch sofort angenommen und bin zum Pfingstwochenende nach Minsk. Ärgerlicherweise handelte es sich beim Anreisetag um den schwarzen Freitag: Beim Abflug in München stand der Abstieg zwar fest, aber wir bastelten am Kader für die dritte Liga. Bei der Zwischenlandung in Wien traten erste Probleme auf und als ich in Minks ankam waren wir dann schon in der Regionalliga.

Am Folgetag habe ich ein Heimspiel von Bate Borisov besucht, die mittlerweile ein UEFA-taugliches neues Stadion am Stadtrand gebaut haben, das aussieht wie eine Flunder. In deren eigenem Museum ist ein Europacup-Abteilung aufgebaut und oh Wunder: Das Spiel gegen uns war deren erstes Europacupspiel – seitdem waren sie jedes Jahr vertreten und hatten auch schon Bayern und Real zu Gast. Für uns war es das letzte Europacupspiel. Unsere Gastgeschenke hielten sich – womöglich aus Arroganz? – damals wohl auch in Grenzen, denn von 1860 war nirgends die Rede.

Ich kaufte mir für 20 Euro ein VIP-Ticket und hab mich dann dort vollgefressen und viel getrunken, was mich auf die aberwitzige Idee brachte, im VIP-Bereich alle Belarussen auf 1860 anzusprechen und um ein Benefizspiel für unseren klammen Verein zu bitten.

Wie wir alle wissen kam das Spiel nie zustande.