Aus einer Zeit tiefer Depression – die Löwen waren nach dem umjubelten Aufstieg in die 2. Liga im Juni 1991 ein Jahr darauf umgehend wieder und diesmal wirklich sportlich in die Bayernliga zurückgefallen – datiert ein Auftritt des TSV 1860, der nach großem internationalem Fußball klingt: Das Hallenturnier in Prag am 27. und 28. Dezember 1992.

1860 Deutscher Meister 1996

Hallenturniere waren – für die jüngeren Leser, die das vielleicht nicht auf dem Schirm haben – das große Ding der Winterpause in den 1980ern und frühen 1990ern. Gegen Ende dieses Zeitalters durfte sich unser Lieblingsverein ja sogar einmal als Deutscher Hallenmeister feiern lassen. 1996 in Dortmund.

Eintrittskarte: Zwei Turniertage für 25 tschechische Kronen
Löwenfans im Oberrang der Prager Halle

In der Halle: Enttäuschende Auftritte der Löwen…

Von derlei Erfolgen wagte anno 1992 noch keiner der rund 200 Unentwegten, die sich nach den Weihnachtsfeiertagen auf den Weg in die tschechische Hauptstadt machten, zu träumen. Und auch manch anderes Erlebnis dieses Ausflugs in die Goldene Stadt hatte vorab niemand vor Augen. Dazu weiter unten mehr. Die sportlichen Erwartungen waren bei den Fans auf alle Fälle gering. Die Löwen gaben bei Hallenturnieren zu jener Zeit meist einen sehr braven Gast: Die Anhänger füllten die Kassen der Veranstalter und unterhielten das übrige Publikum mit beeindruckendem Support. Die Darbietungen der Akteure auf Parkett oder Kunstrasen waren hingegen zumeist eher enttäuschend. So hatte man zehn Tage vor dem Prag-Ausflug beim Turnier in Linz alle vier Vorrundenspiele verloren und am Ende den neunten und vorletzten Platz belegt – hinter fußballerischen Schwergewichten, wie einem SV Haka Traun und SC Galati aus Rumänien.

Gästevorstellung im Programmheft

…auch in Prag

In Prag lief es nicht anders. Der erste Turniertag bescherte den mitgereisten Löwenfans, die für beide Turniertage 25 Kronen Eintritt (umgerechnet etwa eine Deutsche Mark) entrichtet hatten, zwei 1:3-Niederlagen gegen den offiziellen Veranstalter Slavia und den Zweitligisten Chmel Blsany. Am zweiten Tag folgte noch ein kleiner, ein wenig versöhnender Achtungserfolg mit einem 2:2 gegen die Nationalmannschaft der CSSR. Als Letzter der Gruppe B war man damit ausgeschieden. Das dritte Spiel hat dafür durchaus eine historische Dimension: Der Auftritt der Nationalmannschaft beim Turnier war der letzte in dieser Zusammensetzung – nur drei Tage später wurde die Tschecheslowakische Republik aufgelöst und die beiden eigenständigen Staaten Tschechien und Slowakei entstanden. Und damit auch zwei verschieden Nationalteams.

Konflikte in der Halle

Der Geist dieser bevorstehenden eigentlich friedlichen Trennung zweier osteuropäischer Staaten umwehte auch das Hallenturnier. Die in Gruppe A antretende Mannschaft aus der (zukünftigen) slowakischen Hauptstadt wurde von den immerhin 8.000 Zuschauern in der Halle bei jedem Ballkontakt mit einem gellenden Pfeifkonzert eingedeckt. Ein schier unglaublicher Hass schlug den Akteuren von Slovan Bratislava entgegen, sowohl von Familienvätern auf den Sitzplätzen, als auch aus dem zahlenmäßig mit Abstand größten Fanblock von Sparta Prag. Und auch die Löwenfans sollten im Laufe des Turniers Bekanntschaft mit jenen Gestalten machen, die sich hinter einer riesigen Fahne mit der Aufschrift „Ultras Prague“ versammelt hatten: Gegen Ende des ersten Turniertages – der Anhang in weiß-blau hatte gerade den Ehrentreffer zum 1:3 gegen Blsany durch Thomas Ziemer bejubelt – wurde im gegenüberliegenden Fanblock der besagten Sparta-Ultras die große „GP LIONS“-Fahne des Fanclubs Göppinger Löwen, präsentiert. Die offensichtlich an Krawall interessierten Einheimischen hatten eine Gelegenheit genutzt und das Banner, das zuvor am Rand des Löwenblocks gehangen hatte, entwendet. Für einen Teil des Münchner Anhangs stand außer Frage, dass man dies nicht so im Raum stehen lassen könne und man machte sich mit vereinzelt durchaus weichen Knien auf den Weg zum Fanblock auf der gegenüberliegenden Seite, um die Fahne der Göppinger zurückzuholen… Die zu jener Zeit recht aktive Münchner Hooliganszene, die insbesondere in der Vorsaison bei den Duellen mit dem VfB Leipzig, Waldhof Mannheim oder dem 1. FC Saarbrücken aktiv für Aufmerksamkeit gesorgt hatte, war – man darf aus Gründen der Vernunft heute wohl sagen: zum Glück – nicht mit nach Prag zum Hallenturnier gereist. So kam es hinter dem Sparta-Sektor und vor der Halle zwar zu einigen massiven Handgreiflichkeiten, bei denen die Gäste aus der bayerischen Landeshauptstadt in Unterzahl deutlich den Kürzeren zogen, eine komplette Eskalation, die womöglich einen Abbruch des Turniers zur Folge gehabt hätte, geschah aber nicht – Polizei war zu diesem Zeitpunkt in der Halle übrigens nicht anwesend. Einige Glastüren gingen noch zu Bruch und für den damals 17jährigen Verfasser dieser Zeilen waren die Eindrücke zumindest so nachhaltig, dass schon auf der Rückreise aus der tschechischen Hauptstadt ein Gastbeitrag für den FAN TREFF verfasst wurde. Das sogenannte „Fußballszene-Magazin“ war damals das bundesweite Printforum für Fans rund um alle Themen zum Geschehen neben den Fußballplätzen. Der Artikel erschien dann in Ausgabe 72 im März 1993. Aktualität im Offline-Zeitalter.

Im FAN TREFF schildert der damals 17jährige Augenzeuge die Ereignisse in der Halle

Der Auftritt in Prag heute und morgen vor drei Jahrzehnten war das letzte Hallenturnier des „Budenzaubers 1992/93“. Danach verabschiedeten sich die Spieler des TSV 1860 bis zum 18. Januar in den Urlaub. Für den Verein blieben 15.000 DM Antrittsgage hängen und für Coach Werner Lorant die Erkenntnis, dass „wir halt keine Hallenkünstler haben.Dafür werden wir Bayernligameister und steigen auf,“ schob er aber gleich mit einem Zwinkern nach. Gesagt – getan. Und was in den folgenden Jahren sportlich dann noch so passierte, sollte ja bekannt sein.

Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form bereits im Dezember 2020 hier auf sechzger.de.

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Kraiburger

Noch immer stelle ich mir die Frage: Welchen Länderpunkt hat man, wenn man dieses Turnier besucht hat?