Mit dem Gegner, der heute Abend um 18.60 Uhr zum ersten (!) Freitagabend- und gleichzeitig letzten Sechzgerspiel des Jahres in Giesing aufläuft, verbinden Löwenfans deutlich weniger Historisches, als beispielsweise mit dem vorherigen Kontrahenten aus der Pfalz. Der SV Wehen Wiesbaden gehört definitiv nicht in die Riege jener Clubs, bei denen allein schon durch die Ausformulierung des Vereinsnamens der Herzschlag von Fußballfans einen Zahn zulegt. Und doch verbinden gerade die Anhänger des TSV 1860 zwei – für unseren Verein und seine Geschichte – nicht ganz unwichtige Spiele mit den Taunussteinern aus dem Stadtteil Wehen. Dazu gleich mehr.

In nackten Zahlen ausgedrückt, empfangen wir heute den SV Wehen Wiesbaden zum vierten Mal in München, zum zweiten Mal auf Giesings Höhen und ortsunabhängig zum insgesamt siebten Duell. In vier Zweitligapartien zwischen 2007 und 2009 endete das Treffen dreimal Remis (zweimal 0:0, einmal 3:3). Beim ersten Profiauftritt dieses Gastes in München im April 2008 siegte Sechzig mit 2:1. Daniel Bierofka erlöste am damals 29. Spieltag am Gründonnerstagabend mit seinem 2:0 sechs Minuten vor dem Abpfiff den TSV 1860 von allen Abstiegssorgen. Zuvor hatte die von Marco Kurz trainierte Mannschaft neun Spiele in Folge nicht gewinnen können und Existenzangst hatte sich spürbar breit gemacht. Auch in der dritten Spielzeit in der neuen Arena vor den Toren der Stadt waren die Löwen weit hinter den Erwartungen der Fans und der Hoffnung auf eine Rückkehr in die Bundesliga zurückgeblieben. Der faktische Klassenerhalt fünf Runden vor dem Saisonende sorgte immerhin für große Erleichterung. Die Begeisterung für das neue Stadion hatte allerdings schon spürbar nachgelassen: Gegen Wiesbaden verzeichnete man die Minuskulisse der Saison.

In der 3. Liga blicken wir erst auf eine gemeinsame Spielzeit mit dem heutigen Gast zurück: Nach dem Aufstieg 2018 unterlagen wir im Wiesn-Heimspiel – mit toller Choreo auf Giesings Höhen (siehe oben) –  mit 1:2, konnten aber kurioserweise beim späteren Aufsteiger – der sich aufgrund der Auswärtstorregel in der Relegation gegen Ingolstadt durchsetze – Anfang März Dank Sascha Mölders‘ Treffer drei wichtige Punkte entführen.

Der SV Wehen 1926, wie der Verein ursprünglich hieß, wurde am 1. Januar besagten Jahres gegründet. Um sportlichen Gegnern die Anreise zu erleichtern und deren Ziel besser lokalisieren zu können, wurde der Vereinsname bald mit dem Zusatz „Taunusstein“ ergänzt (dies hatte man wohl am Neujahrstag nach durchzechter Silvesternacht schlichtweg vergessen). In der Region sollten wesentlich mehr Sportler die Stadt Taunusstein, als das Schloss und den Stadtteil Wehen kennen – und finden. Damals noch ohne Navi. Über sechzig Jahre lang bewegte man sich mit den Fußballern zwischen Kreis- und Bezirksebene – der große Kick fand in diesen Jahrzehnten gut 35 Kilometer weiter östlich in Frankfurt oder auch in Offenbach statt. 1989 erreichte der SVW erstmals die Oberliga Hessen, nach der Jahrtausendwende dann die Regionalliga Süd und nachdem 2005 der Aufstieg in die 2. Liga noch ganz knapp verpasst wurde, gelang er 2007. Zunächst für zwei Spielzeiten verblieb man in der Zweitklassigkeit.

In Wehens letzter Regionalliga-Saison (nach dem Abstieg 2009 ging es dann ja in die ein Jahr zuvor gegründete bundesweite 3. Liga) fand das zweite, vielleicht noch bedeutendere Treffen der Taunussteiner mit einer Mannschaft des TSV 1860 statt, das zahlreiche Löwenfans noch sehr präsent haben dürften, gleichwohl das Endergebnis (2:2 nach 0:2-Rückstand) wahrscheinlich nur wenige erinnern. Um das sportliche Geschehen auf dem Rasen ging es an diesem Abend auch nur am Rande: Am Freitag, den 18. Mai 2007 empfingen die Löwen-Amateure den bereits aufgestiegenen SV Wehen im Sechzgerstadion. Über 7.000 Zuschauer bevölkerten unter Flutlicht die Ränge und machten dieses Spiel – wie geplant – zu einer (kommunalpolitisch wichtigen) Demonstration für den Erhalt der  Traditionsspielstätte. Unter großem Einsatz hatten engagierte Löwenfans eine Kampagne ins Leben gerufen, die unter dem Namen „Aktion x-tausend“ sogar bundesweite Bekanntheit erlangte. „Die Botschaft richtet sich aber nicht nur an die Politik. Sie sagte auch viel über das Innenleben des Vereins aus, dessen Identität so sehr unter den Umzügen in das Olympiastadion und schließlich in die Arena gelitten hat. Dieser Abend zeigte, dass das Herz, das 1860 einmal zu einem besonderen Verein gemacht hat, nur im Grünwalder schlägt,“ brachte es die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe am nächsten Morgen auf den Punkt. Das alles im Mai 2007, zehn Jahre vor der endgültigen Rückkehr nach Giesing

Doch zurück zum heutigen Gegner: Vor der ersten Zweitligasaison in der Geschichte des SV Wehen erfolgten im Sommer 2007 einige durchaus kuriose Anpassungen: Da das Stadion am Halberg in Taunusstein den Anforderungen der DFL nicht genügte, entschied man sich kurzerhand für einen Umzug in die nahe gelegene Stadt Wiesbaden. Innerhalb von nur vier Monaten wurde die “Brita-Arena” (benannt nach dem bekannten Wasserfilterhersteller, Hauptsponsor und -eigentümer der Fußball-GmbH) aus Stahlrohrtribünen errichtet. Im Zuge des Umzugs benannte sich auch gleich die ganze Fußballabteilung des „SV Wehen 1926 Taunusstein“ in „SV Wehen Wiesbaden“ um. Außerordentlich praktisch, dass bei der Umgestaltung des Logos weiterhin mit dem Buchstaben W operiert werden konnte. Zwei Jahre nach diesen – den Fußballtraditionalisten sicher ein wenig befremdenden – Vorgängen stieg der Verein wieder aus der 2. Bundesliga ab und gehörte dann zehn Jahre in Folge der 3. Liga an. Zusammen mit den Münchner Vorstädtern sind die Hessen – mit ingsesamt elf Spielzeiten – der Verein mit den meisten Drittligajahren überhaupt.

In die aktuelle Saison startete der SVWW mit einigen Vorschusslorbeeren: Immerhin fünf Trainer der Konkurrenz sahen im Spätsommer den Zweitligaabsteiger des Corona-Sommers als Kandidat für einen direkten Wiederaufstieg. Bei den Buchmachern räumte man ihm – hinter Mitabsteiger Dresden – sogar die zweithöchsten Chancen auf einen erneuten Abschied aus der 3. Liga ein. Der tatsächliche Wiedereinstieg in die Drittklassigkeit gestaltete sich dann aber etwas schwieriger, als von den Experten prognostiziert. Michael Köllner schätzt den heutigen Gegner so ein: “Sie sind in der Lage, jede Mannschaft in der Liga zu schlagen, auch Mannschaften, die einen Riesenlauf haben; sie sind aber am nächsten Spieltag dann auch in der Lage, gegen eine Mannschaft, die keinen Lauf hat, zu verlieren.” Anders gesagt: Die größte Konstante der bisherigen Wiesbadener Saison ist die fehlende Konstanz. In den letzten acht Runden wiederholte das Team von Trainer Rüdiger Rehm niemals die Punktausbeute aus dem vorherigen Spiel. Und einer kleinen Serie von zwei Auswärtssiegen in der Englischen Woche Ende Oktober folgten prompt zwei Pleiten zum Start in den November. Nachdem der SV Wehen am Dienstag den Aufsteiger VfB Lübeck in der hessischen Landehauptstadt mit 4:2 besiegt hat, dürfen die Löwenfans heute Abend – entsprechend dem Gesetz der Serie – also auf mindestens einen, vielleicht sogar drei Punkte hoffen. Und Ihr wegen Corona Ausgesperrten könnt das Ganze wieder im Liveticker auf sechzger.de verfolgen. Wir freuen uns, Euch mit Bildern und Eindrücken aus der Heimat versorgen zu dürfen!

 

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