Ein herzliches Grüß Gott zur Taktiktafel vor dem Spiel unseres TSV 1860 München gegen den SSV Jahn Regensburg. Der Tabellenführer ist im Grünwalder Stadion zu Gast. Was erwartet die Löwen im Spiel gegen die Oberpfälzer?

TSV 1860 – SSV Jahn Regensburg, das letzte Aufeinandertreffen der beiden Teams endete mit dem Abstieg der Sechzger aus Liga 2 in der Relegation der Saison 16/17. Auch diesmal sind die Vorzeichen für die Heimmannschaft eher negativ. Aber nichts ist unmöglich, darum blicken wir darauf, was Regensburg in der Regel auf den Platz bringt.

Joe Enochs, seit Mitte Mai Übungsleiter des Jahn, setzt immer auf ein 4-2-3-1. Dieses generell sehr beliebte System und die taktischen Möglichkeiten, die es bietet, ist den regelmäßigen Lesern dieser Rubrik gut bekannt.

Mit der Qualität im Kader, die Regensburg vor allem – aber nicht ausschließlich – in der Offensive besitzt, hat Joe Enochs nun die Möglichkeiten, die ihm im Spiel nach vorne fehlten, als er noch Zwickau trainierte. Was Regensburg da an Variabilität aufs Feld bringt, ist beachtlich, wenn man deren Spiele neutral betrachtet.

Im Pressing richtet sich dass Verhalten der Regensburger stark daran aus, wie spielstark man den Gegner erwartet. Je stärker der Gegner hier eingeschätzt wird, desto weniger hoch wird gegen das Positionsspiel gepresst. Die Defensivlinie verhält sich dabei ähnlich. Jedoch konnte ich in keinem Spiel, das ich beobachtet habe, sehen, dass sich Regensburg in Erwartung gegnerischer Positionsangriffe weiter als bis zur Grenze zwischen zweitem und letzten Drittel des Spielfelds zurückgezogen hätte.

Die Rolle des Box to Box Spielers in der Zentrale obliegt dem erfahrenen Kapitän und Ex-Löwen Andreas Geipl, der in der Regel auch die Spielsteuerung übernimmt.

Kommen wir aber zunächst zu den statistischen Werten der Regensburger bisher.

Statistische Werte des SSV Jahn Regensburg

  • Ballbesitz: 44%
  • Passgenauigkeit: 75%
  • Defensive Zweikampfquote: 61%
  • Flankengenauigkeit: 37%
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion): 11,15

Wie spielt der Jahn?

Die Regensburger legen ihr Hauptaugenmerk auf eine stabile Defensive, bei der die Abwehrarbeit auf breiter Linie im Sturm beginnt. So steuert der Jahn gegnerische Angriffe in seine variable Pressingfalle, um dann nach Ballgewinn überfallartig, hochpräzise und mit gewaltigem Tempo über Umschalt- und Konterspiel den Gegner regelrecht zu überrennen. Ob Jahn Regensburg das gegen die gegen den Ball gut stehende Mannschaft vom TSV 1860 auch auf den Platz bringen kann, werden wir sehen. Kommen wir zur generellen Spielweise des SSV.

Offensive

In der Offensive regiert die vertikale Achse Geipl – Viet – Ganaus im Zentrum. Grundsätzlich ist das Regensburger Spiel aber darauf ausgerichtet, einen Flügel im letzten Drittel stark zu überladen und dort dann entweder über kluge Kombinationen im letzten Drittel oder mithilfe der präzisen Flanken oder aber kluge Seitenwechsel an der Zonengrenze, das Zentrum entweder direkt oder in Folgeaktionen zu bedienen.

Für diese Art Fußball zu spielen, ist eine hohe Ballbesitzquote nicht notwendig, sondern eher hinderlich. Spiele der Regensburger gegen Teams, die selbst auf massive Defensive setzten, wirken auf den Betrachter oft zäh und manchmal ideenlos, weil im Verhältnis zum Ballbesitz nur wenige Abschlüsse aus der Box erfolgen.

Nichts desto trotz hat der Jahn in den letzten Wochen bei seinen Abschlüssen eine hohe Präzision entwickelt. Gegnerische Torhüter hatten gegen Regensburg in der jüngeren Vergangenheit mehr Arbeit als ihnen lieb sein konnte.

Durch das Gardemaß einiger Spieler sind die Oberpfälzer zusätzlich bei Standardsituationen nicht zu unterschätzen. Auch wenn die Ausbeute hier klar besser sein könnte, sind sowohl Ecken als auch Freistöße in Strafraumnähe größtenteils präzise.

Trotz deutlich weniger eigenem Ballbesitz bringen die Regensburger in der Mehrzahl der bisherigen Spiele häufiger ihre Angriffe ins letzte Drittel des Gegners.

Defensive

Die Pressinglinie agiert selten direkt auf Ballgewinn, sondern in der Regel so, dass der Gegner gezwungen wird, die Pressingfallen zu bespielen. Dort holt sich der Jahn aufgrund des überragenden Stellungsspiels dann meist problemlos den Ball ab und startet die Gegenattacke. Jahn Regensburg ist eine Mannschaft, die im Verhältnis zum gegnerischen Ballbesitz sehr viele Pässe abfängt.

Aber auch vor direkten Zweikämpfen wird nicht zurückgeschreckt und diese werden, vor allem im eigenen letzten Drittel, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch erfolgreich bestritten oder führen in der Folgeaktion zu einem abgefangen Ball durch den absichernden Spieler.

Das Vertrauen auf die funktionierenden Pressingfallen ist sehr hoch und berechtigt. Die Gegner kommen nur selten selbst zum Schuss und noch seltener zum Torerfolg. Nur Dresden, das ein Spiel weniger zu Buche stehen hat, kassierte mit zehn Treffern einen weniger als Regensburg.

Stärken und Schwächen des 4-2-3-1

Die Stärken

Gegen den Ball ist das 4-2-3-1 in der Zentrale und Richtung eigener Box sehr kompakt. Es gibt den Gegnern kaum Raum, um dort vernünftiges Passkombinationsspiel aufzuziehen. Auch gegen zwei oder drei Stürmer ist man durch die beiden defensiven Mittelfeldspieler gut abgesichert.

Nach Balleroberung kann das Spiel über die beiden Sechser relativ variabel gestaltet werden. Sowohl über die Flügel als auch über das Zentrum sind schnelle Angriffe möglich, wenn man die Lücken im Raum schnell erfasst und alle Offensivspieler ihre Laufwege situationsbedingt richtig anlegen. Oft schaltet sich einer der beiden Sechser auch aktiv und nicht nur als Ballverteiler in das Offensivspiel mit ein. Dadurch wird die Offensive als Ganzes schwerer auszurechnen.

Die Schwächen

Gegen den Ball ist ein Gegner, der gern über die Flügel angreift, schwer zu kontrollieren, da die Wege, um einen Spieler zu doppeln, relativ weit sind und die Doppelung vom Angreifer oft schon erkannt wird, wenn sich der doppelnde Gegner aus seiner taktischen Grundposition löst. Das führt bei guter Spielübersicht und genauem Passspiel zu viel Raum für die angreifende Mannschaft.

Die Mittelfeldspieler auf den Außenpositionen müssen außerdem ein extrem hohes Laufpensum bewältigen, wenn sie die gegnerischen Flügel unter Kontrolle halten wollen. Im Spiel nach vorn ist vor allem das Fehlen eines zweiten Stürmers ein großes Manko, da sich durch dessen Fehlen für den Spieler in der Sturmzentrale nur wenig Raum zur Entfaltung seiner Fähigkeiten bietet. Deshalb sind torgefährliche Mittelfeldspieler, die mit aufrücken, zwingend erforderlich, um im 4-2-3-1 erfolgreich zu sein.

Wie kann man Regensburg knacken?

Kann der TSV 1860 den Jahn Regensburg knacken? Das ist für Samstag die Kardinalsfrage. Fakt ist, dass, wenn man es nicht schafft, bzw. sich nicht traut, die Offensive zu überladen, gegen die Defensivkünstler aus der Domstadt nur wenig Aussicht hat, überhaupt vielversprechende Strafraumsituationen zu generieren.

Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Absicherung der eigenen Angriffe wegen den immer möglichen und wie oben beschrieben meist überfallartig vorgetragenen Gegenangriffen, taktisch sehr bedacht handeln muss und immer im Fluss auf der horizontalen Ebene mit dem Ball verschieben muss.

Schafft man es, Regensburg ins Positionsspiel zu zwingen, werden deren Aktionen statisch und man bekommt selbst Kontergelegenheiten. Das muss, wenn die Verbindung zwischen Defensive und Sturm im Positionsspiel wieder fehlt, der Ansatz sein, der verfolgt wird.

Allerdings ist es auch so, dass die Oberpfälzer immer mutig agieren, genau wissen, wann sie wo in ihrer eigenen Defensive den Mut zur Lücke zeigen können, um dann vorne mehr Personal aufbieten zu können. Steht man stabil und stimmt das Stellungsspiel, tut sich Regensburg im Positionsspiel häufig schwer, die Box erfolgreich zu penetrieren.

Schlüsselspieler

Tor

Der 21-jährige Felix Gebhardt (#1) kam im Sommer aus Basel zum SSV. Warum er der Spieler mit dem höchsten Marktwert beim Jahn ist, beweist er Woche für Woche zwischen den Pfosten der Regensburger. Topreflexe, bisher nahezu perfekte Strafraumbeherrschung, und – ob der guten Regensburger Defensive zwar nur selten vonnöten – auch noch keine verlorene eins gegen eins Situation sprechen eine deutliche Sprache, was da für eine Granate im Tor des Jahn steht. Viermal konnte er bisher die Null halten. Mehr als einen Treffer musste er lediglich gegen Sandhausen und in der Offensive mutig auftretende Ingolstädter hinnehmen. Es ist wenig verwunderlich, dass er die Rangliste der besten Torhüter der Liga souverän anführt.

Abwehr

Beide Innenverteidiger, sowohl Florian Ballas (#4) als auch der erst 19 Jahre alte Louis Breunig (#16), Leihgabe aus Nürnberg, sind hier als Schlüsselspieler zu nennen. Und auch Flankengott Konrad Faber (#11), Verteidiger auf der rechten Außenbahn, ist ein wichtiges Rädchen im Uhrwerk SSV Jahn Regensburg. Breunig gewinnt die meisten defensiven Zweikämpfe in der Liga. Sein Stellungsspiel ist grundsätzlich zwar etwas ausbaufähig, allerdings wird er von seinem Nebenmann, Abwehrchef Ballas, gut geführt. Mit 1,96 m Größe ist Ballas neben seinen Qualitäten auf dem Boden obendrein ein Kopfballungeheuer. Im Positionsspiel der Oberpfälzer eröffnet er den Großteil der Angriffe. Der Rechtsverteidiger Faber ist der Spieler mit den meisten Ballkontakten beim Jahn. Unermüdlich beackert er die rechte Seite über die komplette Spielfeldlänge und schlägt obendrein die meisten Flanken in der Liga.

Mittelfeld

Kapitän Andreas Geipl (#8), aus Heidenheim an die Donau gewechselt, ist der kreative Kopf im Mittelfeld, der die Angriffe steuert. In der Rolle des Box to Box Spielers agiert er oft als Antreiber und Spielmacher aus der Tiefe des Raumes. Unter anderem beim TSV 1860 München ausgebildet, hat er in der 2. Liga 131 Einsätze für Heidenheim und den Jahn absolviert. Nach einer Saison mit nur wenigen Einsätzen im dritten Jahr beim letztjährigen Bundesligaaufsteiger aus Baden Württemberg kehrte er wieder zum Jahn zurück und spielt dort die tragende Rolle im Zentrum des Spielfelds. Offensiv wie defensiv ist er als offensivere Sechs und Spielführer Herz und Kopf der Mannschaft.

Der linke Außenbahnspieler Dominik Kother (#27), eigentlich gelernter Stürmer, ist der beste Torschütze der Regensburger. Er kam im Sommer vom KSC zum Jahn. Offensiv in direkten Duellen kaum zu stoppen, hat der schnelle 23-Jährige einen unheimlichen Drang von außen ins Zentrum. Dort besticht er mit offensivem Durchsetzungsvermögen und genialer Zusammenarbeit mit Viet und Ganaus.

Sturm

Noah Ganaus (#20) kam vom VfB Stuttgart und wird im Sturmzentrum als Ziel- oder Wandspieler eingesetzt. Seine Torerfolge sind überschaubar. Aber wie er Bälle festmacht und wieder in den Rückraum auf seine Mannschaftskollegen abgibt, ist für einen Spieler seines Alters (22) sensationell. Wenn dieser Spieler irgendwann auch noch anfängt zu treffen, bleibt er nicht lange in der 3. Liga.

Fazit

Die Geschwindigkeit, in der Trainer Enochs es geschafft hat, dass aus 23 Neuzugängen und lediglich vier aus der Vorsaison verbliebenen Spielern beim SSV eine Mannschaft wird, die mit Ball ein echtes Feuerwerk abbrennen kann, ist bemerkenswert. Andere Trainer brauchen bei weniger Fluktuation länger. Leichtes Stottern im Motor zu Beginn der Saison hat der sympathische US-Amerikaner Enochs auf der Trainerbank mittlerweile abstellen können. Seit sechs Spielen stehen nur noch Siege für Regensburg zu Buche.

Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass man gegen die Oberpfälzer drei Punkte holen kann. Möglich ist in dieser verrückten Liga jedoch sehr viel. Der durch die Schiedsrichterleistung des vergangenen Wochenendes stark dezimierte Kader des TSV 1860 München wird aber wie immer auf Grundlage der taktischen Vorgaben des Übungsleiters auch im Spiel gegen Jahn Regensburg alles in seiner Macht stehende tun, um drei Zähler zuhause möglich zu machen. Ob das gegen Regensburg gelingen kann? Ich hoffe es sehr, denn wie immer wünsche ich mir einen Sieg meiner Löwen – egal wie.

So könnte Regensburg beginnen

Datenquelle: Wyscout

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Vorstopper

Wie immer hochinteressant die Taktiktafel. Eigentlich das Highlight in diesem Portal, und sehr schön auch, dass wir User hier unterscheiden zwischen Vereinspolitik und Sport. Ob der Jahn wirklich so gut ist, wie beschrieben werden wir ja morgen erfahren. Hoffentlich nicht! Ich tippe auf ein Unentschieden. Schönes Spiel morgen.
Auf die Löwen 🦁

Bluemuckel

Die werden uns schön einseifen. Ich rechne mit einer saftigen Niederlage und vielen Ausreden. Schiedsrichter, Wetter, die Mannschaft muss sich erst noch finden etc. Der Wunsch nach einem Sieg den der Winninger da ausspricht ist natürlich bei allen vorhanden. Aber realistisch betrachtet: Kantersieg für Regensburg und am Ende Jacobacci raus Spechchöre im Stadion.

Stefan Kranzberg

Das wäre mal was Neues, den Posten eines Trainers infrage zu stellen, der bei dem betreffenden Spiel gar nicht auf der Bank saß.

Aber bei 1860 ist ja bekanntlich alles möglich.

Bluemuckel

Der wird sie ja nicht, nur weil er am Spieltag auf die Tribüne muss, schon unter der Woche nicht trainiert haben.