Ein herzliches Grüß Gott zur Taktiktafel vor dem Spiel Türkgücü – TSV 1860 München.

Andreas Heraf ist der dritte Trainer bei den Neuperlachern in dieser Saison und sollte ursprünglich gegen den TSV 1860 sein Debüt feiern. Wenn man den als Interimscoach tätigen Co-Trainer mitzählt, ist er sogar der vierte. Er war bis Ende September noch als Trainer des österreichischen Bundesligisten SV Ried beschäftigt.

Wir haben also nur wenige Anhaltspunkte dafür welches System oder welche Taktik der seit 2003 als Trainer arbeitende Österreicher, der als Trainer im Profibereich zuletzt die SV Ried betreut hat und als Spieler unter anderem bei Hannover 96 tätig war, für seine Mannschaft im Spiel gegen die Sechzger vorgesehen haben könnte. Bisher hat er in fünf Spielen fünf verschiedene Systeme spielen lassen.

Der letzte von ihm betreute Verein, die SV Ried, war noch im Sommer Gegner in einem Vorbereitungsspiel des TSV 1860 München in Windischgarsten. Ried spielte damals im 4-4-2 gegen das 5-3-2 der Löwen. Bis zu seiner Demission bei den Oberösterreichern Ende September spielten die Rieder unter ihm allerdings in der Liga ein System mit Dreier- respektive Fünferkette. 3-5-2, 3-4-1-2 oder 5-3-2.

Ob allerdings Heraf seine neue Mannschaft in dem für Ried gegen den TSV im Sommer erfolgreichen System mit Viererkette ins Rennen schickt oder eine der Systemvarianten mit Dreierkette wählt, ist für mich unter anderem aus dem Grund, dass er systematisch bisher ein munteres Bäumchen wechsel Dich bei den Perlachern an den Tag gelegt hat, schwer vorherzusagen.

Deshalb wird diese TAKTIKTAFEL diesmal davon geprägt sein, wie ich den kommenden Gegner des TSV 1860 spielen lassen würde, wäre ich an Herafs Stelle.

​Die wichtigsten statistischen Werte

  • Ballbesitz 47%
  • Passgenauigkeit 78%
  • Defensive Zweikampfquote 62%
  • Flankengenauigkeit 30%
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion) 11,94

​Das mögliche System gegen den TSV 1860

Die wichtigste Frage, die sich bezüglich des Systems stellt, lautet: Dreier- oder Viererkette? Wenn ich mir den Kader des Vereins aus der Trabantenstadt im Südosten der Landeshauptstadt ansehe, kommt für mich persönlich eher die Viererkette infrage als eine der Varianten der Dreierkette. Personell hat Heraf durchaus die Möglichkeiten mit beiden Varianten ein Team aufs Feld zu schicken, dass konkurrenzfähig sein kann.

Ich persönlich würde eine Zwischenlösung wählen. Ich würde gegen den Ball ein 4-4-2 System mit Doppelsechs wählen, bei Ballbesitz aber auf die sogenannte dynamische Dreierkette setzen. Dabei lässt sich der tiefe Sechser nach Ballgewinn in die Abwehrkette zurückfallen während beide Außenverteidiger nach vorn ins Mittelfeld aufrücken. Mit Tim Rieder hätte der Trainer den idealen Spieler für dieses Pendeln zwischen defensivem Mittelfeld und Abwehrkette.

​Die taktische Herangehensweise

Ob 3-5-2, 3-4-1-2, 4-4-2, 4-2-3-1 oder 5-3-2 ist für den Gegner, der auf die Löwen zukommt, vielleicht weniger wichtig als die taktische Einstellung und die Spielphilosophie, mit der die Mannschaft von der Bezirkssportanlage Perlach Nord ins Rennen geschickt wird.

Aufgrund der tabellarischen Situation wäre es mein oberstes Anliegen als Trainer, dass hinten die Null steht, also eine defensive Grundausrichtung mit bei eigenem Ballbesitz schnellem vertikal angelegtem Umschaltspiel.

Von dieser taktischen Grundausrichtung ausgehend und mit dem Wissen, dass die Sechzger vermutlich im 3-4-1-2 antreten, wären das 4-4-2 mit Doppelsechs oder eine Variante des 3-5-2 für mich die Systeme, zwischen denen ich wählen würde.

Nun kommt es ein wenig auf die konditionelle Verfassung der Mannschaft als ganzes und der Defensivabteilung im Detail an, ob ich mir für das für die Außenspieler laufintensivere 3-5-2 oder das ökonomischere 4-4-2 entscheiden würde.

Um hinten kompakt zu stehen und wenig zuzulassen ist gegen den Ball das 4-4-2 mit Doppelsechs in der Betonvariante eine gute Wahl. Mit den schnellen Spielern, über die der Verein verfügt, kann das auch im Umschaltspiel gut funktionieren.

Im Positionsspiel ist die Variabilität im Spiel bei beiden Systemen gleich hoch. Durch die taktische Variante der dynamischen Kette besitzt das 4-4-2 offensiv die Durchschlagskraft eines Systems mit sieben offensiven Spielern bei eigenem Ballbesitz. So stellt man mit weniger Laufintensität für die Außenverteidiger die gleiche offensive Gefahr her, als würde man von Haus aus im 3-5-2 antreten.

​Vor- und Nachteile dieser Varianten

Bei den Vor- und Nachteilen dieses Mischsystems muss man nun klar abgrenzen, wann welches System wann zum Tragen kommt, also wann finden die Verschiebungen von Vierer- zu Dreierkette statt.

Im Positionsspiel bei eigenem Ballbesitz ist klar, wann das passiert. Nach Ballbesitzwechsel kippt ein Sechser ab und die Außenverteidiger werden zu Mittelfeldaußenspielern.

Gegen den Ball ist das schon schwerer zu ergründen. Verschiebt man sofort bei Balleroberung durch den Kontrahenten oder wenn der Gegner über die Mittellinie kommt? Oder gar der erst bei Eindringen des Gegners ins eigene letzte Drittel zurück auf die Viererkette?

Das hängt stark davon ab, wo ich die Pressing- und die Defensivlinie setze. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, je tiefer diese Linien in Erwartung des gegnerischen Angriffs stehen, desto früher wird zurückverschoben. Dabei verlässt der tiefe Sechser seine Position in der Abwehrkette erst, wenn beide Außenverteidiger aus dem Mittelfeld auf ihre angestammten Positionen zurückgekehrt sind.

​Vorteile und Nachteile

​Offensiv

Das durch die dynamische Kette entstehende 3-5-2 ist vor allem im Zentrum sehr stark. Mit einem echten Zehner, einem halbzentralen Box-to-Box Spieler und einem zentralen Mittelfeldspieler, der sich bei Ballbesitz neben den Zehner auf die andere Halbposition schiebt, sowie den aufrückenden Flügelverteidigern vernachlässigt man zwar quantitativ ein wenig die Flügel, die bei Einhaltung des 4-4-2 doppelt besetzt wären, hat aber eine bessere Staffelung in Breite und Tiefe. So lassen sich sich mehr Passdreiecke bilden. Hat man ein spielfreudiges zentrales Mittelfeld, kann dieses System viel offensive Energie mit den fünf zentralen Spielern (drei zentrale Mittelfeldspieler und zwei Stürmer) kreieren.

Sind die Außenverteidiger dribbelstark und schnell, hat man ein wirklich riesiges Arsenal an Varianten im Angriff. Kurzpassspiel durch die Mitte, vertikales Spiel mit langen Bällen auf die Spitzen, Laufduelle der Außenspieler mit schnellen Verlagerungen, wenn der Raum zu eng wird, die dann die Breite des Spielfeldes ausnutzen und so Überzahl schaffen können.

​Defensiv

Nun ist die Frage wie Heraf das Pressing angehen möchte. Wann sollen die Verschiebungen zurück aufs 4-4-2 gegen den Ball erfolgen? Das 3-5-2 System eignet sich wunderbar, wenn man den Gegner früh durch direktes Anlaufen der Verteidiger durch die Außenspieler unter Druck setzen will. Das 4-4-2 mit Doppelsechs begünstigt unterdessen eher die Variante Mittelfeldpressing.

So wie sich der TSV 1860 momentan in der Liga präsentiert, tippe ich im Falle des Nachbarn von der Bezirkssportanlage auf frühe Verschiebung in die Defensivformation 4-4-2 und tiefe Linien an beiden Enden der Formation. Das macht das Mittelfeld eng für den Gegner. Die Zonen, in der sich jeder verteidigende Spieler bewegt, sind klar definiert und auch wenn das Spiel etwas unübersichtlich werden sollte leicht einzuhalten.

Das 4-4-2 funktioniert defensiv prima, wenn einfache Pressingvarianten gespielt werden. Jeder Spieler muss allerdings seine Aufgabe mit größter Disziplin angehen. Wenn sich an der ein oder anderen Stelle Lücken auftun, kann der Vorteil einer taktischen Ausgewogenheit zu einem Nachteil werden. Für “Stars”, die sich nicht einfügen und die Defensive vernachlässigen bietet das 4-4-2 wenig bis keinen Platz.

Die Viererkette im Mittelfeld sorgt für kurze Laufwege, die Doppelungen erleichtern.

Die beiden Sechser unterstützen je nach Bedarf entweder auf den Flügeln oder im Zentrum.

Mit der Einhaltung der Disziplin in der Defensive und der Fähigkeit den möglicherweise entstehenden Überzahlvorteil im Mittelfeld auszunutzen steht und fällt dieses Mischsystem.

​Schlüsselspieler

​Tor

Franco Flückinger (#26), seit drei Spielen die Nummer eins im Kasten der Perlacher, war seit er zwischen 2012 und 2014 bei Halle unter Vertrag war nicht mehr oberhalb der vierten Liga im Einsatz. Seine Leistungen in den drei Spielen (seit Heraf ihn zur Nummer eins befördert hatte) sind allerdings absolut nicht schlecht. Mit Reaktionsschnelligkeit und guter Strafraumbeherrschung hat er dem Perlacher Projekt zwei Punkte gerettet und so bewiesen, dass Herafs Entscheidung ihn Vollath vorzuziehen nicht unbedingt die Verkehrteste war.

​Defensive

Tim Rieder (#17), der sowohl als Innenverteidiger, als auch als defensiver Mittelfeldspieler einsetzbar ist, sollte jedem ein Begriff sein. Welche Rolle ihm Heraf zuteilt werden wir sehen. Der Defensivallrounder zeigt bisher im defensiven Mittelfeld bessere Leistungen als auf der Position des Innenverteidigers.

​Offensive

Ob Sercan Sararer (#10), der – warum auch immer – gegen Osnabrück und Halle nicht im Kader war und gegen Mannheim fünf Minuten vor Schluss eingewechselt wurde, von Anfang an spielt oder nicht ist fraglich. Heraf hat auf der Pressekonferenz einen Einsatz von Beginn an ausgeschlossen. Er ist einer der besten Techniker der Liga. Torgefährlich, schnell, dribbelstark und mit einem guten Auge für die Mitspieler ist er der Dreh- und Angelpunkt im Offensivspiel des Projekts. Seine defensive Mitarbeit ist allerdings verbesserungswürdig. Falls er für mehr als einen Kurzeinsatz eingeplant ist, wird ihn unter Kontrolle zu bringen und auch zu halten, die schwerste Aufgabe für die Defensivspieler der Sechzger werden.

Sollte Sararer tatsächlich fehlen wird wahrscheinlich Andy Irving (#6) die Rolle des Regisseurs übernehmen. Er kam im Sommer aus der schottischen Premier League von den Hearts of Midlothian aus Edinburgh an die Heinrich-Wieland-Straße. Er ist zwar dribbelstark aber nicht der schnellste, was in Offensivzweikämpfen manchmal ein Problem darstellt. Seine Passgenauigkeit ist mit 82% allerdings für einen offensiven Mittelfeldspieler äußerst gut.

Nach Sliskovic’s Abgang nach Wiesbaden wird nun Albion Vrenezi (#9) der neue Schlüsselspieler im Sturm. Vrenezi hat 10 Scorerpunkte auf dem Kerbholz. Dribbelstark, passsicher und präzise bei den Flanken ist der schnelle Außenstürmer, der nach Sliskovic’s Abgang auch im Sturmzentrum zum Einsatz kommt. Damit wird er neben Irving bzw. Sararer der wichtigste Angreifer in den Reihen des Nachbarn aus Perlach sein.

​Fazit

Im Olympiastadion vor Geisterkulisse hat man letztes Jahr die Perlacher besiegt und sollte auch genau darauf den Fokus legen. Zumindest die Kulisse wird diese Saison besser aussehen, wenn auch nicht viel. Maximal 10.000 statt möglicher 15.000 Fans dürfen dabei sein.

Offensiv muss die Mannschaft des TSV 1860 die eigenen Stärken in die Waagschale werfen. Defensiv gilt es diszipliniert und vor allem konzentriert gegen den Ball arbeiten. Dass Abwehrchef Stephan Salger wieder mit von der Partie ist, wird dabei eine gewichtige Rolle spielen.

Der TSV 1860 München ist nach wie vor in der Lage jeden Gegner in dieser Liga zu schlagen. Wenn Konzentration und Einstellung passen, wird Michael Köllners Truppe den Perlachern im Olympiastadion einmal mehr deren Grenzen aufzeigen und drei Punkte nach Giesing holen.

So könnte der Gegner beginnen

Bei Ballbesitz

Gegen den Ball

Datenquelle: Wyscout

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Steffen Lobmeier

Richtig stark mal wieder. Und Gratulation, dass dich der Trainer schon zweimal in der Pressekonferenz erwähnt hat.

Kassenwart

👏🏻

Joerg

Bei Sechzig würde ich zwengs Stabilität zur Viererkette zurückkehren, da in der Innenverteidigung erhebliche Defizite in punkto Schnellig- und vor allem Spritzigkeit nicht zu übersehen sind, defensiv ausgelegt 4 – 2 – 3 – 1 oder offensiv 4 – 1 – 3 – 2, hängt natürlich auch von der Personalauswahl ab

Kassenwart

Mit 4-1-3-2 könnte ich mich grundsätzlich durchaus anfreunden, da Deichmann auf der RV-Position verschenkt ist. Allerdings könnten wir dann während des Spiels m.M.n. nicht adäquat wechseln (zumindest keinen Spieler aus dem dreier offensiven Mittelfeld nicht). . Wir müssten also unter dem Spiel das System wechseln. Eher unwahrscheinlich für mich.

Derzeit sind wir vom Spielermaterial womöglich eher für 3-5-2 bzw. für ein 3-1-4-2 System mit hoch stehenden, sehr offensiven Außenverteidigern ausgelegt. Und mit Belkahia und Lang hätte man großgewachsene Innenverteidiger, sie auch schnell genug sind in der Rückwärtsbewegung. Denn bei Ballverlust braucht es da eine extrem schnelle IV, um nicht überlaufen zu werden. Aber es ist ein zuschauerfreundlicher Spektakel-Spielstil.

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Mit Greilinger(Steinhart) und mit Goden (Willsch) haben wir eigentlich genau die für dieses Spielsystem notwendigen aggressivem “Flügelverteidiger”: Bei eigenem Ballbesitz wie Flügelstürmer agierten, sogar hinter die Abwehrkette gehend und situativ in Richtung Mitte einrückend. Die beiden Flügelläufer und die zwei Stürmer besetzen somit zu viert eine gesamte gegnerische Viererkette.

Wie gesagt, schön anzusehen obwohl extrem gefährlich bei mangelndem Gegenpressing nach Ballverlust. Aber der alte Spruch: Angriff ist die beste Verteidigung.

Wenn Du dann zentral noch Richy und Deichmann als pass- und zweikampfstarke Mittelfeldspieler aufbietest, hat das schon eine extreme Wucht.

Last edited 2 Jahre zuvor by Kassenwart
Siggi

Bis inkl. Magdeburgspiel hatten wir mit 4er-Kette gespielt. Das war auch nicht besser.