Gastbeitrag von Andi Bär
(Beitragsbild freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Anne Wild

Nach Wunsch des DFB soll am 26.Mai der Spielbetrieb in der Dritten Liga unter Ausrichtung von Geisterspielen fortgesetzt werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch eine Freigabe durch die Landesregierungen, womit in Thüringen und Sachsen-Anhalt derzeit nicht zu rechnen ist. Die Diskussion um die Fortführung entwickelt sich zunehmend zur Zerreißprobe. Im Hinblick auf den ordentlichen DFB-Bundestag am 25.Mai haben nun 25 Regionalligisten den Antrag auf eine zweigleisige Dritte Liga als Lösung des Dilemmas eingereicht. Aus der Regionalliga Bayern – die bis 1. September den Spielbetrieb aussetzt – haben den Antrag die Clubs SpVgg Bayreuth, FC Schweinfurt 05und Viktoria Aschaffenburg unterzeichnet.

Andi Bär berichtet als Journalist seit nunmehr 25 Jahren über die SpVgg Bayreuth und arbeitet mit einigen anderen Journalisten gerade an einem Buch zum 100jährigen Vereinsbestehen unseres alten Rivalen aus der Wagnerstadt. Zudem ist er redaktionell für mehrere Tageszeitungen und den Kicker tätig, sein Steckenpferd ist seit jeher der Amateurfußball, vor allem der auf bayerischer Ebene. Er hat sich bereit erklärt, uns in einem Gastbeitrag das Konzept der zweitgleisigen dritten Liga zu erläutern – und dabei die Vor- und die Nachteile näher zu beleuchten.

Der Gastbeitrag gibt nicht die Meinung von sechzger.de wieder.

Sind wir doch mal ehrlich. Über kaum ein Thema wird aktuell im deutschen Fußball mehr diskutiert als über die dritte Liga im Fußball. Sieh an, sieh an. Jahrelang führte der DFL-Unterbau ein Schattendasein, das von Insolvenzen überschattet wurde. Beachtung fand die Liga trotz ihrer zahlreichen Traditionsvereine zumeist nur im regionalen Bereich. Wie es über Jahre vorher schon der Fall war. Mit dem Einstieg von Magenta Sport und den Übertragungen der traditionsreichen Sportschau in der ARD wuchs das Interesse sprunghaft. Selbst mehr oder minder üppige Fernsehgelder fanden den Weg in diese dritte Liga. Sie ist plötzlich hipp.

Sind wir doch mal ehrlich. Nicht ganz zu unrecht. Alte Traditionsvereine, die sich mehr oder minder selbstverschuldet aus dem Bundesligabereich verabschiedet haben, tummeln sich in einer mehr oder minder attraktiven Liga. Die zwar an Flair gewonnen hat. Aber weit entfernt davon ist, für Vereine wirklich reizvoll zu sein. Warum sonst sollten Clubs wie die Sechzger, wie Unterhaching, wie Duisburg, wie Waldhof und viele andere auf Teufel komm raus in die zweite Bundesliga aufsteigen wollen? Genau: Aus finanziellen Aspekten heraus. Trotz aller Fernsehgelder. Die dritte Liga ist ein finanziell für die Clubs immer noch völlig uninteressantes Projekt, die Schere zwischen DFL-Vereinen und dem Unterbau schlichtweg immens.

Sind wir doch mal ehrlich. Wann, wenn nicht jetzt, wäre der optimale Zeitpunkt, Reformen anzupacken. Zielstrebig, mit Verstand und im Optimalfall mit Weitblick. Noch will der Deutsche Fußballbund die Saison auf Teufel komm raus beenden. Warum? Sind wir doch mal ehrlich: Es geht einzig allein um den schnöden Mammon. Eine zweigleisige dritte Liga wäre weder faktisch, noch rechtlich noch wirtschaftlich umsetzbar. So die Mitteilung des Verbandes nach einer Konferenz zwischen den Präsidenten der Regional- und Landesverbände in der Vorwoche. So weit, so gut. Weshalb? Diese Begründung bleibt die Konferenz schuldig. Auf der anderen Seite fordert der Verband in aller Deutlichkeit von den Befürwortern des Abbruchs die Vorlage von Konzepten. Na Hut ab! Derjenige, der für seine Vereine da sein sollte, fordert von eben diesen Konzepte. Was man davon halten soll: Darüber möge sich jeder einzelne ein Bild machen (ich für mich habe eines).

Sind wir doch mal ehrlich. Diejenigen Vereine, die für einen Abbruch der Drittligasaison sind. Die haben ihre Argumente – neben der sportlichen Situation zumeist arbeitsrechtlicher- und kostentechnischer Natur, Stichwort: auslaufende Verträge und saisonbezogene Sponsorenverträge. . Aber auch die Vereine, die einen Abbruch der Saison verneinen, haben stichhaltige Argumente. Ebenfalls finanzieller Natur. Zumindest zumeist. Das liegt in der Natur der Sache. Warum also nicht – auch in Hinblick auf die in der Luft hängenden Regionalligisten – eine Reform anschieben?

Sind wir doch mal ehrlich. „Es geht aus faktischen (Ja, welche???), rechtlichen (welche?) und wirtschaftlichen (darüber kann man streiten) Gründen nicht. Sagt der Verband. Welche, diese Antwort bleibt er schuldig. Vielmehr fordert er Konzepte der Clubs. Wie es Jena bereits getan hat und dafür auch Applaus seitens von Dr. Koch erhalten hat.

Sind wir doch mal ehrlich. Jeder einzelne Drittligist, ob für oder gegen einen Abbruch der Liga 2019/2020 ist gegen eine zweigleisige dritte Liga ab der nächsten Saison. Der Grund: Der schnöde Mammon. Und ich sage: Genau das kann nicht der Grund sein, eine Reform, die dem Fußball wieder zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen würde, mit einem Federstrich vom Tisch zu wischen.

Was für die zweigleisige dritte Liga spricht? In meinen Augen sehr viel. Auch wenn es den ein oder anderen Nachteil mit sich bringt. Logisch: Die – eh schon nicht üppigen – Fernsehgelder in Höhe von derzeit 16 Millionen Euro müssten statt durch 19 (eine Zweitvertretung partizipiert nicht) durch 35 (oder entsprechend weniger bei mehr zweiten Mannschaften) geteilt werden. Was die aktuellen Vereine wenig erfreuen dürfte. Aber sind wir ehrlich: Durchschnittlich 1,5 Millionen Euro Verlust sollen die Drittligisten laut eines September-Berichtes des Mitteldeutschen Rundfunks schreiben (https://www.mdr.de/sport/fussball_3l/dritte-liga-bleibt-verlustgeschaeft-rekordverlust-trotz-rekordumsatz-100.html). Ein schierer Wahnsinn. Auf der anderen Seite: Sie alle dürfen weiter mitmischen im Konzert der Geldverbrennung. Ohne Repressalien zu befürchten. Ganz ehrlich: Mir wäre es als Vereinspräsident dabei unwohl. Und dass die gekürzten Fernsehgelder das stichhaltigste Argument der Vereine gegen eine zweigleisige Liga sind, das mutet fast ein bisschen obskur an. Und damit können wir getrost zu den Vorteilen einer nicht mehr eingleisigen dritten Liga switchen.

36 (bei zwei 18er-Ligen!) statt nur 20 „Fleischtöpfe“, sprich Vereine, die Spieler verpflichten. Die logische Konsequenz: Die Gehälter auf dem Niveau müssen und werden sinken. Vielleicht auch die Qualität der Akteure. In einem Maß, das der normale Fußballfan nicht wirklich bemerken wird. Schließlich werden die neu in die Liga „gespülten“ Akteure nicht diejenigen sein, die kolpotierte 80.000 Euro durchschnittliches Jahresgehalt verdienen. Im Gegenteil. Ergo bietet sich die Clubs die Möglichkeit, ihre Gehaltsstrukturen zu modifizieren. Auch die Reisestrapazen (und Kosten) werden sinken. Da muss 1860 München nicht mehr nach Rostock, Kiel oder Magdeburg fahren – zugegebenermaßen attraktive Gegner – sondern „darf“ gegen Wacker Burghausen, die SpVgg Bayreuth oder den FC Schweinfurt 05 antreten. Denen, die die hohen Zuschauerzahlen in der dritten Liga als Argument gegen eine Zweiteilung anführen, dürfte damit klar sein, dass das ein Scheinargument ist. Ich gehe jede Wette ein, dass in einer dritten Liga in den genannten Orten gegen 1860, gegen die Würzburger Kickers, gegen die SpVgg Unterhaching, gegen die zweite Mannschaft des in diesem Blog besser nicht namentlich erwähnten Vereins oder gegen den FC Ingolstadt nicht weniger Zuschauer kommen als es bei der Partie zwischen Viktoria Köln und der SpVgg Unterhaching (1401) oder dem FSV Zwickau gegen Preußen Münster (4404) – und diese Partien sind nicht erfunden, sondern genauso passiert.

Sind wir doch mal ehrlich. Sicherlich wird es auch in einer zweigleisigen dritten Liga noch Spiele geben, die keine absoluten Zuschauermagneten sind. Vor allem wenn vermeintlich unattraktive Klubs vertreten sind. Aber sieht man sich die potenzielle Ligazusammensetzung an: Sie verspricht Spannung. Nehmen wir die „Südliga“. Dort würden sich neben den fünf bayerischen Clubs mit dem 1. FC Kaiserslautern, Waldhof Mannheim und der SG Sonnenhof/Großaspach und den drei Ostvereinen Jena, Zwickau und Chemnitz elf aktuell Drittligisten einfinden. Aus der Regionalliga Bayern kämen Türkgücü München, der FC Schweinfurt 05, die SpVgg Bayreuth und die zweite Mannschaft aus hinzu, aus der Regionaliga Südwest der FC Saarbrücken, der SV Elversberg und der TSV Steinbach/Haiger. Eine Liga, die durchaus ihren Reiz hat. Sollten Unterhaching und Mannheim den Weg in die zweite Liga antreten (dürfen), würden an deren Stelle mit Dynamo Dresden und dem Karlsruher SC (Stand 13. Mai) zwei nicht minder attraktive Clubs rücken.

Bleibt noch die Frage der Finanzierbarkeit und der Möglichkeit für ambitionierte Clubs, nach oben zu blicken. Eines muss klar sein: In der Zeit nach Corona wird das Spardiktat oberste Priorität haben. Und die (finanzielle) Schere zwischen der zweiten und der dritten Liga wird sich so oder so erneut massiv verändern. Und doch wird es immer Clubs geben, die nach oben streben und die nötigen finanziellen Mittel dazu aufbringen können. Ob das die Sechzger sind, ob es Dresden ist oder auch einer, der heute noch keiner auf der Rechnung hat. In einem bin ich mir schon heute sicher: Eine eingleisige dritte Liga ist in der Zeit nach Corona finanziell ein absolutes Abenteuer. Für einen Großteil der Vereine. Eine zweigleisige dritte Liga könnte das abfedern. Vielleicht mit Qualitätsverlusten im spielerischen Bereich. Dafür aber auf finanziell solideren Füßen. Und wenn es der Verband will, sogar mit zusätzlichen Anreizen. Stichwort: Jugendförderung. Mehr Vereine in Liga drei bedeuten mehr Spieler. Mehr Spieler bedeuten meist auch mehr junge Spieler. Nicht zwangsweise, wie aktuell in der Regionalliga – wo vier U23-Spieler auf dem Spielberichtsbogen stehen müssen, sondern auf Freiwilligkeit basierend. Und eine Verteilung von Fernsehgeldern nach einem Trichterprinzip: Je mehr junge Spieler (mit Spielzeit!) desto mehr Euronen aus dem Topf der Medien. Unter dem Motto, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist.

Und sind wir doch mal ehrlich. Scheinbar steht der Verband dem offen gegenüber. Nicht zuletzt DFB-Vizepräsident Dr. Rainer Koch, gleichzeitig Präsident des Bayerischen Fußballverbandes, hat die Möglichkeit einer zweigleisigen dritten Liga im Jahr 2018 ins Kalkül gezogen. Der DFB-Bundestag lehnte die mögliche Zweiteilung des Bundesligaunterbaus ab. Das leidige Thema, wonach die fünf Meister der Regionalligen nicht direkt aufsteigen dürfen, besteht daher weiterhin. Was nicht nur die betreffenden Vereine, sondern (vereinsübergreifend) auch die Anhänger regelmäßig kritisieren. Jetzt, in einer Zeit, in der Pandemiepläne begehrtere Objekte als Spielpläne sind, hätte sich dem Fußball die große Chance geboten, mit allerbesten Argumenten dieses Dilemma auf Verbandsebene zu klären. Die Macht dazu hätte der Deutsche Fußballbund als für die dritte Liga zuständiges Organ allemal. Interessanterweise wagen sich die Funktionäre heute nur sehr verhalten an das Thema einer zweigleisigen dritten Liga heran. Interessant daher, dass – wie geschrieben – Dr. Koch vor zwei Jahren höchstselbst dieses Thema auf die Agenda bracht. Und auch DFB-Teammanager Oliver Bierhoff äußerste sich offen und medial zu dieser Thematik – positiv einer solchen Lösung gegenüberstehend.

Sind wir doch mal ehrlich. Jetzt böte sich die Möglichkeit. Auch wenn sich die Vereine aus der dritten Liga scheinbar mit Händen und Füßen dagegen wehren. Kurios: Nicht wenige der heutigen Lautsprecher für die Beibehaltung der Eingleisigkeit kickten vor mehr oder minder kurzer Zeit selbst noch in der Regionalliga. Und waren die größten Befürworter einer zweigleisigen Liga. Da zeigt sich auch das größte Problem der ganzen Diskussion: Unter dem Motto „wessen Brot ich ess“ ist sich jeder Klub selbst am nächsten – nachvollziehbar, aber über den Tellerrand blickend ist es nicht. Eine Anekdote am Rande aus den späten 80er-Jahren, die Fernsehgelder waren das große Thema. Auch auf einem DFB-Treffen, damals mit Präsident Hermann Neuberger. Alle Vertreter der Erst- und Zweitligisten waren geladen. Günter Siebert, Präsident des gerade wieder in die ersten Bundesliga aufgestiegenen FC Schalke 04 hielt ein flammendes Plädoyer darüber, weshalb Erstligavereine deutlich mehr von dem Kuchen erhalten sollten als die Vereine aus dem Unterbau. Den Applaus seiner Kollegen erstickte Bayreuths Kultpräsident und Schlachthofbetreiber Hans Wölfel im Keim. Er erhob sich und entgegnete Siebert gewohnt energisch und im breitesten fränkischen Dialekt (hier den Lesern zuliebe in hochdeutsch verfasst): „Eine gute Rede, Siebert. Aber denk dran. Nächstes Jahr sitzt du wieder bei uns!“. Die Lacher waren Wölfel sicher. Und sein Ausspruch zeigt auch heute, über 30 Jahre später, das Grundproblem: Eine gewaltige Portion Egoismus führt am Ende zu keinen rationalen und vernünftigen Lösungen. Und genau derer bedarf es jetzt.

Daher mein dringender Appell an alle Beteiligten: Spielt von mir aus die diesjährige Saison mit Geisterspielen bis zum Ende aus. Aber in Gottes Namen. Denkt an die Zukunft. Einigt euch auf ein tragfähiges und zukunftsträchtiges System. Und das kann in meinen Augen nur lauten: Wir splitten die dritte Liga in zwei Staffeln, reduzieren die Vereine auf 14 Klubs pro Staffel – und damit die „Verluste“ aus den Fernsehgeldern für die aktuellen Drittligisten.

Und sind wir doch mal ehrlich. Warum nicht noch einen Schritt weitergehen? Was spricht dagegen, die zweiten Mannschaften auszugliedern und zugunsten der jungen Spieler „Doppellizenzen“ zuzulassen? Spieler A hat einen Profivertrag bei einem Bundesligisten und spielt mit Doppellizenz für einen Dritt- oder Regionalligisten. Er trainiert vormittags mit den Profis, abends je nachdem bei Profis oder dem Verein, bei dem er am Wochenende Spielpraxis sammeln kann. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Was übrigens im Eishockey und im Basketball schon immer perfekt funktioniert.

Und warum nicht bei zwei 14er-Staffeln nach Abschluss der Serie über Playoffs nachdenken? Das sind – vergleichbar der Relegation im unterklassigen Fußball – die Spiele, die Kohle in die Kassen der Vereine (und auch der Verbände) spielen. Es ist an der Zeit, über die Aufweichung verkrusteter Strukturen und Denkweisen nachzudenken. Sind wir ehrlich. Wenn nicht jetzt, wann dann? Lieber höherklassiger Amateurfußball: Es geht um deine Zukunft. Um nicht mehr, aber auch um nicht weniger. Sind wir doch mal ehrlich.

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