Ein herzliches Grüß Gott zur Taktiktafel vor dem Auswärtsspiel des TSV 1860 München in der Lausitz beim FC Energie Cottbus. Die Aufsteiger sind erstaunlich gut in die Saison gestartet, es wartet ein schweres Spiel gegen einen extrem motivierten Gegner.
Energie Cottbus – TSV 1860 München, zum letzten mal fand diese Paarung im Februar 2019 statt. Unsere Löwen gewannen mit 2:1 und am Ende der Saison stieg Cottbus in die Regionalliga ab. Trainer damals wie heute beim FC Energie, Claus-Dieter „Pele“ Wollitz.
Wollitz schickt sein Team bisher meist im 4-3-3 offensiv aufs Feld. Im Pressing mit variabler Intensität agierend, eher mittig bis tief stehend gegen das Positionsspiel und selbst bei hoher Positionierung der Pressinglinie, diese meist erst im Mittelfeld stellend, erwartet Cottbus die Angriffe mit einer systemgetreuen offensiven Formation, die nach Überspielen der Pressinglinie meist schnell und präzise auf ein 4-5-1 bzw. 5-4-1 gegen den Ball verschiebt.
So zieht Cottbus die Räume im letzten Drittel extrem eng und macht es allen Gegnern bisher sehr schwer, im Positionsspiel produktiv in den Strafraum einzudringen. Bei Umschaltmomenten oder Konterangriffen sieht das ein wenig anders aus. Dazu weiter unten mehr.
Bei eigenem Ballbesitz setzen die Cottbuser vor allem darauf, mit hohem Tempo die Ordnung des Gegners auseinander zu reißen. Lässt man sich von dieser Spielweise unter Druck setzen, kommt man leicht ins schwimmen. Es geht also darum, den Cottbuser Angriff erst gar nicht in Schwung kommen zu lassen.
Bevor wir dazu kommen, wie das möglich werden kann, wie immer die bisherigen statistischen Werte des kommenden Gegners.
Statistische Werte des FC Energie Cottbus
- Ballbesitz: 47%
- Passgenauigkeit: 80%
- Defensive Zweikampfquote: 62%
- Flankengenauigkeit: 32%
- PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion): 10,02
Wie spielt Cottbus?
Offensiv
Einfach gesagt, spielt Cottbus im Positionsspiel dort, wo der Ball ist. Das heißt, der Aufbau aus dem eigenen letzten Drittel heraus folgt keinem grundsätzlichen Muster, das zunächst eine horizontale Ballverteilung vorsehen würde, sondern wird über die Seite, auf der der Ball erobert wird, zunächst vertikal gestaltet. Cottbus versucht also zunächst zügig nach Balleroberung das Spiel über wenige Stationen wieder nach vorne zu treiben.
Das wirkt relativ dynamisch, erfordert aber bei geordneter Defensive des Gegners meistens eine kurze Orientierungsphase während des laufenden Angriffs.
Nach Überqueren der Mittellinie brauchen die Cottbuser folglich häufig eine kurze Orientierungsphase, um ihre Offensivaktion effektiv weiterführen zu können.
Die eigene offensive Variabilität auf dem Feld ausnutzend, geht Cottbus nun nicht mehr so wie beim Auslösen der Angriffe unbedingt den direktesten Weg nach vorn. Während dieser kurzen Phasen, in denen aus Aufbauspiel Angriffsspiel wird, läuft der Ball variabel auch über mehrere Stationen, um die bestmögliche Option zu finden, möglichst schnell wieder Dynamik aufzubauen. Dies ist einer der wichtigsten Knackpunkte im Spiel, doch dazu später mehr.
Die optimale Anspielstation für den von Cottbus dann bevorzugt in die Tiefe hinter die Kette gespielten Steilpass, ist dabei ein Offensivspieler, der sich mit hohem Tempo zwischen den Linien kreuzend auf die Schnittstelle der letzten Kette zubewegt. Ein weiteres Angriffsmuster, um das Spiel schnell zu machen, sind Diagonalbälle von den Halbpositionen auf ballfern in die Box einlaufende Spieler.
Die oberste Maxime im Spiel der Cottbuser ist, jeweils mit Tempo hinter die Linie zu kommen und dort nur kurze Orientierungsphasen zu haben, bevor es im besten Fall dynamisch weiter geht.
Gegen den Ball
Mit durchschnittlicher Intensität und ähnlicher Erfolgsquote im defensiven Zweikampf am Boden und in der Luft, hat Cottbus gegen den Ball im Stellungsspiel und somit durch abgefangene Pässe den größten Erfolg.
Genau das begünstigt die zunächst schnelle direkte Spielweise nach vorne extrem. Muss sich Cottbus nach einer Balleroberung im Zweikampf erst räumlich sortieren, offenbart sich eine Schwäche, auf die ich weiter unten eingehen werde.
Je tiefer im Mannschaftsgefüge die Aktionen stattfinden, desto weniger Dynamik kann Cottbus entwickeln. Auch das kann man intelligent ausnutzen.
Trotz gelegentlich hoch anlaufender Pressinglinie, setzt Cottbus auf mittlere und tiefe Pressingfallen und das Umschaltspiel aus diesen heraus.
Die Lausitzer lassen es, wenn es dem Zweck dient, also durchaus zu, dass der Gegner die Mittellinie mehr oder weniger ungestört überqueren kann, allerdings nur, um dort dann so geschickt die Passwege zuzustellen oder dort im richtigen Moment einzulaufen, dass sofort mit Schwung das Spiel in die andere Richtung läuft und schnell die eigenen Spitzen bedient werden.
Wie kann man Cottbus knacken?
Gegen den Ball
Das Hauptaugenmerk für die Spieler des TSV 1860 München muss es sein, den extrem gefährlichen dynamischen Spielzügen des FC Energie Cottbus, die vornehmlich aus Umschaltmomenten kreiert werden, früh das Tempo zu nehmen. Eine gut organisierte defensive Zentrale und gut abgedeckte Flügel sorgen – den Erkenntnissen aus den letzten fünf Spielen des FCE folgend – meist für einen längeren Aufenthalt des Cottbuser Offensivzugs in der Nähe der Mittellinie.
Zwingt man Cottbus so aus dem Umschaltmoment ins Positionsspiel, wäre eine konservative Herangehensweise mit zwei Ketten und einem freien Sechser, der situativ zur Stabilisierung abkippt, ein gutes Mittel, um Cottbus einzubremsen.
Eine spezielle Wichtigkeit diesmal hat das Gegenpressing nach Ballverlusten vor allem zentral in der Tiefe. Die zentrale Zone vor dem eigenen Kasten ist die Zone, in der Cottbus in den vergangenen Spielen die meisten Bälle verlor. Hier hohen Druck aufzubauen, kann für den Erfolg an der Spree essentiell sein.
Bei Ballbesitz
Aus dem eben beschriebenen folgt, dass vor allem die zentralen Umschaltmomente, also Umschaltmomente nach Balleroberung in den defensiven Achter- oder Zehnerräumen, eine tragende Rolle für den TSV 1860 München im Spiel beim FC Energie Cottbus spielen werden.
Was aber ist mit dem Positionsspiel? Aufgrund der Herangehensweise der Cottbuser im Pressing und generell im Stellungsspiel gegen den Ball, wobei die Lausitzer immer durch ihre Staffelung versuchen, die auslösenden Pässe auf die Zentrale im Mittelfeld zu steuern, um dort dann schnell zentral umschalten zu können, wird es essentiell sein, für den Aufbau eine Variante parat zu haben, die einen vierten Spieler ins Mittelfeldzentrum beordert oder über eine räumliche Verdichtung und gleichzeitiges Isolieren eines Flügelspielers ballfern Möglichkeiten schafft, entweder Dynamik oder Überzahl zu erzeugen. Beides gleichzeitig könnte aufgrund des Stellungsspiels der Cottbuser schwer werden, aber ist sicherlich punktuell vor allem bei Ballgewinnen in der Tiefe möglich und muss dann konsequent bis zum Abschluss ausgenutzt werden.
Stärken und Schwächen des 4-3-3 offensiv
Stärken
- Variabel in der Offensive
- Gute Anpassung an das System des Gegners möglich
- Durch die 3 Stürmer ist hohe Kontergefahr nach Balleroberung gegeben. Schnelles Umschaltspiel wird durch die immer mit mindestens einem Spieler besetzte erste Linie begünstigt
- Die drei Stürmer können die Abwehrkette des Gegners unter Dauerdruck setzen. Durch Überlagerung der Schnittstellen können die Stürmer Spieler binden und so Räume für Durchbrüche aus dem Mittelfeld schaffen.
- Das 4-3-3 bietet bei Ballbesiz sehr viel Tiefe, somit entstehen gute Passdreiecke überall auf dem Feld
- Ein hohes, aggressives Pressing gegen den gegnerischen Spielaufbau ist möglich
Schwächen
- Im Spiel gegen den Ball ist das 4-3-3 auf den Flügeln anfällig
- Gegen den Ball können auch die Halbräume ein Schwachpunkt des Systems sein, da diese, wenn die Außenstürmer nicht konsequent mit nach hinten arbeiten, nie zur Gänze zugestellt werden können
- Bei Seitenwechseln ist das System aus dem gleichen Grund ebenso anfällig; Defensivarbeit der Außenstürmer ist gegen den Ball also überlebenswichtig für Mannschaften im 4-3-3
Schlüsselspieler
Tor
Der 21-jährige Elias Behtke (#12) konnte bisher dreimal die weiße Weste bewahren. Er ist ein reflexstarker Torhüter, dem aufgrund der fehlenden Erfahrung noch kleine Fehler in gewissen Bereichen unterlaufen. Im Gegensatz zu vielen seiner etwa gleichaltrigen Kollegen zeigt er sich vor allem in Eins gegen Eins-Situationen stabil. Seinen Strafraum beherrscht er in der Regel ebenfalls gut, zur absoluten Souveränität in der Box fehlt ihm jedoch noch ein wenig mehr Aggressivität und Entschlossenheit beim Verlassen der Linie.
Abwehr
Mit dem Großteil an auslösenden Aktionen im Aufbau und dem größeren Anteil an geführten Defensivzweikämpfen, ist Filip Kusic (#19), vielen vielleicht noch bekannt aus seiner Zeit bei Türkgücü München, tatsächlich nicht der Schlüsselspieler in der Innenverteidigung – zumindest was die Defensive angeht. Sein Nebenmann Dennis Salmar (#27) löst die Defensivaufgaben häufiger über Stellungsspiel als über den direkten Zweikampf, was zwar gewisse Risiken in sich birgt, aber seinen Wert dadurch, dass es im taktischen Konzept des schnellen Umschaltens das Spiel nach vorne begünstigt, wenn man den Ball mit Blickrichtung nach vorn erobert, für die Offensive der Lausitzer erhöht. Immer vorausgesetzt, der auslösende Pass erfolgt sowohl schnell als auch präzise genug.
Mittelfeld
Tolcay Cirgerci (#10) spielte während der Saison 21/22 bereits mit Viktoria Berlin in der 3. Liga und erzielte in elf Spielen sieben Tore, bevor er in der Winterpause Berlin in Richtung des türkischen Erstligisten Samsunspor verließ. Nun ist die türkische Liga qualitativ sicher nicht mit der deutschen Bundesliga zu vergleichen, aber zweitklassig würde ich sie in ihrer Gesamtheit vor allem wegen der herausragenden Spitzenclubs nicht bezeichnen. Im offensiven Mittelfeld der Cottbuser müssen wir uns also auf einen technisch hervorragenden, torgefährlichen, passsicheren und intelligenten Spielmacher einstellen, der auch im Pressing und Gegenpressing durchaus seine Marken setzt. Sowohl seine Zweikampffrequenz als auch die Erfolgsquote bei den Duellen gegen den Ball sind für einen Spieler auf seiner Position als ordentlich zu bezeichnen.
Sturm
Auch Timmy Thiele (#7) der in der Saison 21/22 noch für Viktoria Köln auf Torejagd gegangen war, heuerte mittlerweile bei den Lausitzern an. Mit bisher acht Treffern ist er der erfolgreichste Schütze in der Cottbuser Torfabrik. Schussgenauigkeit, gutes Passspiel und Mannschaftsdienlichkeit sind seine wichtigsten Attribute.
Der Mittelstürmer mit momentan eingebauter Treffergarantie netzt nicht nur wie am Fließband ins gegnerische Tor ein, nein, er konnte auch schon vier Treffer seiner Kollegen direkt vorbereiten.
Thiele ist ein extrem viel Unruhe in die gegnerische Abwehr bringendes Element im Cottbuser Spiel.
Kann man seine und Cigercis Kreise einengen, verliert Cottbus viel von seiner Effektivität.
Fazit
Verhindert der TSV 1860 München das Umschalt- und Konterspiel des FC Energie Cottbus, ist schon viel gewonnen. Aus dem Positionsspiel heraus gelingt Cottbus zwar durchaus die Penetration des letzten Drittels des Gegners, die größte Tugend dieser Mannschaft – hohe Geschwindigkeit im Zentrum – kommt dabei in der Tiefe jedoch selten zur Geltung. Somit entsteht in Positionsspielphasen selten große Gefahr für das Tor des Gegners der Cottbuser.
Lässt man zuviel Umschaltspiel des FC Energie zu, wird sich das Tempo, die Tiefe im Spiel und vor allem die Torgefahr der Mannschaft von Pele Wollitz deutlich zeigen.
Mit der richtigen Taktik gegen den Ball zu arbeiten, ist am Sonntag das A und O für unsere Löwen. Elastisch das Umschaltspiel abfedern, um dann selbst präzise mit viel Laufarbeit und Tempo im Zentrum die Cottbuser zügig und zielgerichtet überspielen und vor allem die eigenen Umschaltmomente zentral halten, könnte eine Marschroute sein.
Auf Pressingaktionen im Positionsspiel würde ich nicht unbedingt setzen, um erfolgreich zu sein. Das ließe die Tiefe im Spiel zu, die Cottbus gerne hätte. Im Gegenpressing jedoch würde ich unseren Sechzgern empfehlen, überall auf dem Platz extreme Intensität zu zeigen und in Ballnähe im Notfall auch ein Foul zu wagen, um einen Umschaltmoment zu verhindern.
Der TSV 1860 München wird, wenn die Dynamik von Energie Cottbus in den oben besprochenen Situationen aufgelöst werden kann, dort am Sonntag punkten.
So könnte Cottbus beginnen
Datenquelle: Wyscout