Herzlich willkommen zur Taktiktafelanalyse des Auswärtsspiels unseres TSV 1860 München beim FC Erzgebirge Aue. Am Ende steht ein etwas glückliches, aber doch verdientes 0:0 Unentschieden für die Sechzger.

Erzgebirge Aue – TSV 1860 München, eine Partie, die am Ende mit der Punkteteilung ein gerechtes Ergebnis vorweist, war eine für den Zuschauer möglicherweise etwas zähe Partie, da sich sehr viel im Mittelfeld bzw. hoch in den jeweiligen letzten Dritteln der Kontrahenten abspielte. Zwei Drittel der Ballverluste beider Teams ereigneten sich in den angesprochenen Zonen. So gab es am Ende lediglich 25 Ballkontakte insgesamt in den beiden Strafräumen, mit einem vernachlässigbaren leichten Vorteil für Aue in diesem Punkt.

Die Löwen spielten zum ersten Mal in dieser Saison von Beginn an mit zwei Sturmspitzen in einem 4-4-2 System. Aue setzte wie vermutet auf ein 4-2-3-1, das allerdings, wie erwartet, sehr variabel bei den offensiven Verschiebungen im letzten Drittel des Gegners breit aufgestellt mit bis zu vier Mann auf der vordersten Linie in den Momenten, in denen es die Auer schafften die Box der Löwen zu penetrieren, half, sehr gefährliche Situationen zu generieren.

Die Sechzger verschoben über den Box to Box Spieler und die beiden Mittelfeldaußen ebenfalls auf ein System mit vier Spielern in der vordersten Reihe. Leichte Ungenauigkeiten im gegnerischen letzten Drittel sorgten jedoch dafür, dass in der gegnerischen Box für die Sechzger wenig Produktives heraussprang.

Gegen den Ball setzten beide Teams auf eine Zweimannpressinglinie, die bei Pässen auf die jeweiligen Außenspieler durch einen Mittelfeldflügelspieler asymmetrisch verstärkt wurde. Da es allerdings wenige Situationen auf beiden Seiten gab, die Positionsspiel beinhalteten, und darum viel über Umschaltmomente nach Ballverlusten und daraus resultierenden Gegenpressingaktionen passierte, hat das Pressing auf das Positionsspiel diesmal in der abschließenden Analyse kein großes Gewicht.

Kommen wir aber zunächst zu den statistischen Werten der beiden Teams.

Statistische Werte FC Erzgebirge Aue – TSV 1860 München

  • Ballbesitz: Aue 58% – 1860 42%
  • Passgenauigkeit: Aue 81% – 1860 76%
  • Defensive Zweikampfquote: Aue 64% – 1860 56%
  • Schüsse/aufs Tor: Aue 12/3 – 1860 8/2
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion): Aue 7,64 – 1860 8,64

Analyse der statistischen Werte

Ballbesitz (58%:42%)

Es ist hier, wie generell in dieser Analyse, zwingend wichtig, das Spiel in Phasen einzuteilen. Blicken wir also auf den Ballbesitz in diesen Phasen.

Phase 1

Phase eins ist die komplette erste Halbzeit. Hier sehen wir einen nahezu ausgeglichenen Ballbesitz für beide Mannschaften mit leichten Vorteilen in der mittleren Viertelstunde dieser Halbzeit für Aue. Das Spiel wogte in der ersten Halbzeit hin und her, beide Teams konnten sich auch in einigen Situationen ins letzte Drittel des Gegners hineinspielen. Dort wurde aber das Spiel dann auf beiden Seiten häufig ungenau. Es gab wie – oben schon gesagt – Ballverluste in der vorderen Zone des letzten Drittels und im Mittelfeld, was zu wenig Positionsspiel und Umschaltmomenten mit Gegenpressingsituationen führte. Dadurch wirke die Partie sehr zerfahren. Ungenauigkeiten im Passspiel nach vorne prägten diese Halbzeit auf beiden Seiten dazu weiter unten mehr.

Phase 2

Die zweite Phase war dann die Viertelstunde nach der Halbzeitpause, als sich Aue einen deutlichen Vorteil beim Ballbesitz erarbeitete, allerdings mit dem Übergewicht an Ballbesitz keinerlei Aktionen zu Stande brachte, die für echte Gefahr hätten sorgen können. 66% Ballbesitz der Auer führte in dieser Phase zu null Schüssen der Schachter.

Die Sechzger hingegen konnten trotz der Feldunterlegenheit zu diesem Zeitpunkt einige Angriffe lancieren, die auch wirklich tief im letzten Drittel der Auer endeten. Leider fehlte es in diesen Momenten entweder an der richtigen Idee oder an der Präzision beim Abschluss.

Phase 3

Die letzte halbe Stunde, Phase drei, war dann wieder etwas ausgeglichener was den Ballbesitz betraf, allerdings weiterhin mit leichten Vorteilen für Aue und daraus resultierend drei hochkarätigen Möglichkeiten für Aue durch Seitz und insgesamt acht Schüsse. Seitz allerdings hatte an diesem Tag offensichtlich zum Frühstück das Zielwasser nicht auf dem Menüplan stehen.

In dieser Phase waren die Löwen durch den Einsatz der Hausherren und auch wegen der Umstellung, die in der Defensivreihe aufgrund Steinharts roter Karte getätigt werden musste, stark unter Druck und spielten darum nach vorne extrem hastig und viel zu ungenau, um längere Ballbesitzphasen zu kreieren.

Passgenauigkeit (81%:76%)

Viel zur Passgenauigkeit steht schon im Abschnitt zum Ballbesitz zu lesen, auch die Phasen, um die es geht, sind die gleichen. Generell muss man sagen, dass über die gesamte Spieldauer die Passgenauigkeit beider Teams was das Spiel nach vorne betrifft, auf nahezu gleichem Niveau liegen. Die Passgenauigkeit hat allerdings, wie immer, auch diesmal einen hohen Einfluss auf den Ballbesitz an sich. Mit einem deutlichen Unterschied: Im Normalfall sehen wir bei Mannschaften mit erheblich mehr Ballbesitz Probleme im Positionsspielaufbau. Am Samstage war das Spie jedoch hauptsächlich von Umschaltspiel und Gegenpressing geprägt. Darum waren die Rückpässe, die immer einen der wichtigsten Gründe für die Passgenauigkeit in einer Partie darstellen, diesmal nicht in der Defensivabteilung zu finden, sondern es waren häufig Pässe aus der gegnerischen Hälfte zurück auf die Restverteidigung, die dann für einen kontrollierten Aufbau sorgen sollte.

Ich gehe in dieser Rubrik nicht einzeln auf die Phasen ein, denn die Muster sind die gleichen wie immer, nur eben im Fall des Spiels vom Samstag in anderen Zonen, als man es in dieser Rubrik gewohnt ist.

Defensive Zweikampfquote (64%:56%)

Auf den ersten Blick sieht die defensive Zweikampfquote übel aus, wenn man es mit unseren Löwen hält. Die Abwehrarbeit besteht allerdings, wie wir alle wissen, nicht nur aus defensiven Zweikämpfen. Abgefangene Pässe, Kopfballduelle und einige andere Faktoren müssen hier ebenfalls berücksichtigt werden. Sieht man sich die gesamt Bilanz der Balleroberungen auf beiden Seiten an, liegt Aue mit zwei Balleroberungen insgesamt mehr knapp vorne.

Gehen wir ein wenig mehr in Detail und sehen uns die defensiven Zweikämpfe dort an, wo es tatsächlich wichtig ist, nämlich im eigenen letzten Drittel bzw. in den letzten zwanzig Metern vor der Torauslinie, haben wir in diesen Zonen jeweils eine Quote von 66% und keinen einzigen verlorenen Defensivzweikampf in der eigenen Box. Kopfballduelle gewannen die Sechzger deutlich mehr als die Gastgeber. Hier finden wir ein relatives Gefälle von knapp unter 20 Prozent und reelles Gefälle von einem Drittel zwischen dem FC Erzgebirge und dem TSV 1860. Ebenso können die Löwen in der Kategorie abgefangene Pässe ein deutliches Plus für sich verbuchen.

Wirklich in den Keller ging die Quote der defensiven Zweikämpfe beim TSV 1860 im Spiel gegen Erzgebirge Aue erst, nachdem wegen der Verletzung von Reinthaler eine horizontale Verschiebung innerhalb der Kette notwendig wurde. In der letzten Viertelstunde plus Nachspielzeit haben wir da leider nicht sehr gut ausgesehen.

Der Wert sieht in Summe aller Faktoren, die ausschlaggebend sind, also schlechter aus als er zu sein scheint. Wenn wir die letzte Viertelstunde aus der Rechnung nehmen, haben wir hier – alle Faktoren berücksichtigend – sogar besser performt als der Gegner.

Schüsse/aufs Tor (12/3:8/2)

Hier hat Aue die Nase vorne. Da muss man allerdings die Perspektive ein wenig anpassen. Aue schaffte es häufiger, Schüsse, die eigentlich auf den Kasten gegangen wären, zu blocken als die Spieler des TSV 1860 auf der anderen Seite. Somit haben wir drei Schüsse auf Seiten der Löwen, die Männel in Bedrängnis gebracht hätten, zusätzlich zu den beiden Schüssen, die er halten musste.

Des Weiteren schlossen sie Sechzger lediglich dreimal außerhalb der gegnerischen Box ab. Bei den Schachtern stehen mit sechs Schüssen von außerhalb doppelt so viele Schüsse, die grundsätzlich eher leichte Beute für Torhüter sind, zu Buche.

Am Ende haben beide Teams eine Schussgenauigkeit von 25% und lediglich eine Diskrepanz von 0,08 Punkten beim xG Wert. Runden wir hier bei der ersten Stelle nach dem Komma, finden beide Mannschaften hier die Zahl eins in ihrer Statistik.

PPDA (7,64:8,64)

Da das Spiel sehr vom Umschaltspiel und wenig von echtem Positionsspiel geprägt war, haben beide Mannschaften im Vergleich zum Saisonschnitt deutlich weniger Positionsangriffe zustande gebracht. Insgesamt sahen wir am Samstag um 43% weniger Positionsangriffe als in den anderen Spielen bisher im Schnitt. Daher ist der Wert beider Mannschaften diesmal klar ein Indikator für gut funktionierendes Gegenpressing und Mittelfeldpressing bei Umschaltangriffen.

Weder der TSV 1860 noch die Gastgeber ließen hier viel Raum oder Zeit, um nach Ballgewinnen ins Umschaltspiel zu gehen. Dadurch war, wie schon eingangs beschrieben, das Spiel sicherlich nicht das, was man eine spielerische Augenweide nennen kann.

Defensivtaktisch allerdings war das eine Topleistung. Dass beide Mannschaften zu Chancen kamen, ist der Natur des Spiels Fußball geschuldet. Fußball ist und bleibt ein Fehlerspiel und wer diese besser ausnutzt, hat am Ende meist die Nase vorn. Im Fall von Erzgebirge Aue – TSV 1860 am Samstag konnte niemand diese Fehler des anderen nutzen.

Das fiel auf

Reinthaler

Reinthaler fügte sich, bis auf ein paar kleinere Abstimmungsfehler, die nicht ins Gewicht fielen, sofort perfekt ins Mannschaftsgefüge ein. Er verlor kein Defensivduell, blieb bei allen Kopfballduellen siegreich. Von insgesamt 48 Aktionen im Spiel war er bei 37 erfolgreich.

Die anderen Neuzugänge

Sowohl Güler als auch Nankishi ließen aufblitzen, was man von ihnen erwarten kann, wenn sie früher oder später komplett den Anschluss ans Team gefunden haben werden. Güler spielte lediglich einen einzigen Fehlpass während er auf dem Feld war, Nankishi gar keinen. Nankishi gelang zudem zweimal eine Balleroberung und er holte sich bei einer Defensivaktion den gelben Karton ab. Das zeigt, dass er sich nicht zu schade ist, auch nach hinten seine Arbeit mannschaftsdienlich zu erledigen.

Das Spiel

Für den Fußballästheten war das vermutlich ein Spiel, wie man es sich wohl eher nicht wünscht. Sehr viel Ballbesitz beider Mannschaften zwischen den Strafräumen, kaum Szenen in der Box und kein Tor. Das ist nichts, wo man als jemand, der Fußballkunst sehen will, in Jubelarien verfallen wird. Mir hingegen hat vor allem die Defensivleistung bis zum Knackpunkt Auswechslung Reinthaler exzellent gefallen. Wenn sich zu diesen Aktionen und dem guten Stellungsspiel noch etwas mehr Präzision und Konzentration im Angriffsspiel gesellt, werden wir uns bald auch über mehr Ästhetik im Spiel freuen können.

Lakenmacher

Mich regen nach wie vor die Kommentatoren in den sozialen Medien auf, die Fehler sehen, wo es keine gibt, und einfach aus Gewohnheit auf einen Spieler eindreschen. Für Euch gibt jetzt erstmal ein paar Binsenweisheiten und dann Zahlen. Im Angriff zu spielen und dort gut auszusehen, ist nicht leicht. Wer Stürmer spielt, bekommt dauernd auf die Socken. Bälle festzumachen, die nicht 100%ig präzise dahin kommen, wo man sie gerne hätte, wird, je länger diese Bälle unterwegs sind, immer schwerer sein, als diese Bälle gegen den Spieler, der sie festmachen muss, zu verteidigen.

Lakenmacher hat am Samstag eine Passquote von 75% aufs Feld gebracht – das ist für einen Stürmer außerordentlich gut. Er hat in den 66 Minuten Spielzeit lediglich ein einziges Kopfballduell verloren und gab zwei Schussvorlagen.

Ich möchte die Kritiker dieses jungen Spielers, dem vielleicht hin und wieder noch etwas die Schlitzohrigkeit fehlt, um sich in knappen Situationen gegen seinen Gegner als Zielspieler durchzusetzen, gerne fragen: Was reitet Euch, so auf einen Spieler einzudreschen, der eindeutig sein Bestes gibt? Hat Euch der Junge etwas getan? Glaubt Ihr, er macht das absichtlich, wenn ihm mal ein Fehler unterläuft? Der Bub ist bei manchen so dermaßen unter dem Mikroskop und wird, sofern er sich auch nur einen Fehler erlaubt, sofort in den Kommentarbereichen in der Luft zerrissen, dass ich mich manchmal fremdschäme für diese Personen.

Lakenmacher hatte die beste Chance der Löwen mit dem mannschaftsübergreifend höchsten xG Wert im Spiel und wenn Männel da nicht wie ein Handballkeeper hext, gewinnen die Sechzger das Spiel 1:0. Hört bitte auf, wenn Ihr Euch schon nicht wirklich mit dem Sport auskennt, auf die Ffalschen einzudreschen.

Fazit

Ein glücklicher, aber absolut verdienter Punkt in einem zerfahrenen Spiel. Gegen Essen zuhause mit mehr Präzision nach vorne genauso weitermachen, dann holen wir endlich wieder einen Dreier.

Ein Punkt noch in eigener Sache, weil danach gefragt wurde: Die Analyse des Sandhausen-Spiels musste leider ausfallen. Krankheitsbedingt war ich nicht in der Lage, mich darum zu kümmern. Sorry, falls es mehr Leute vermisst haben sollten. Ich gebe immer mein Bestes, um zu jedem Spiel alles Nötige zu liefern, aber leider hat mir ein Virus einen Strich durch die Rechnung gemacht, was das Spiel letzte Woche betrifft.

Datenquelle: Wyscout

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_Flin_

Der Kicker bewertete die Leistung der beiden Stürmer jeweils mit einer 4,5. Inwieweit die sich “nicht wirklich mit dem Sport auskennen”, sei jetzt mal dahingestellt.

Aber ja, man muss keine Ahnung haben, um eine Meinung zu haben.

Wenzroedel

Lieber Bernd Winninger, danke für Deine immer präzisen, prägnanten und sehr akribischen Analysen. Dass Du krankheitsbedingt letzte Woche nicht liefern konntest, ist bedauerlich. Hoffe inzwischen geht’s wieder gut! Auch beim sechzger.de Talk höre ich Deinen humorvollen Beiträgen stes sehr gerne zu. Super auch die Stellungnahme zu Fynn Lakenmacher und die Rote Linie den Wutbürgern in diversen Foren! Viele weiß-blaue Grüße.