Herzlich Willkommen zur Taktiktafelanalyse des Spiels FC Ingolstadt 04 – TSV 1860 München (1:3). Die wie aus einem Guss spielenden Löwen verspeisten den FCI und revanchierten sich eindrucksvoll für die Heimniederlage im Herbst.

FC Ingolstadt – TSV 1860 hieß also das oberbayrische Duell am Montag Abend. Maurizio Jacobacci veräderte die Startelf des vergangenen Wochenendes durch die Hereinnahme von Morgalla auf zwei Positionen. Morgalla kam als rechter Verteidiger zum Einsatz und Deichmann, der am vergangnen Samstag diese Rolle gespielt hatte, rückte für Moll auf die Position des tiefen Sechsers. Systematisch also wieder das 4-2-3-1.

Guerino Capretti musste sein Team wegen Sperren, Verletzungen und aus Performance-Gründen auf sage und schreibe sechs Positionen verändern. Weil er kurz vor dem Spiel sein System den anwesenden Reportern nicht verraten wollte, musste man bis zum Anpfiff warten, damit man sieht, wie Ingolstadt sich auf dem Spielfeld aufstellt und agiert, um das System herauszulesen. Und die gewählte Variante 5-3-2 (3-5-2) kristallisierte sich dann als das Mittel der Wahl heraus.

Verschiebungen

Bei den Sechzgern spielte Marius Wörl wieder in der Rolle des Box to Box Spielers. Das 4-2-3-1 verschob sich mit extrem offensiv aufgestellten Außenverteidigern bei eigenem Ballbesitz zunächst auf 4-4-2. Lex schob sich als hängende Spitze über die Halbposition nach vorn neben Bär. Im letzten Drittel spielten die Sechzger mit drei Spielern auf der vordersten Linie. Boyamba war der Dritte im Bunde, der über die Außenposition immer wieder für Unruhe sorgen konnte. Es entstand also im letzten Drittel ein 4-3-3.

Bei Ingolstadt schoben bei eigenem Ballbesitz beide Außenverteidiger auf die Flügel im Mittelfeld. Der zentrale Innenverteidiger Schröck agierte wie eine Art Libero vor der Abwehr, wenn Ingolstadt sich in Ballbesitz befand. Als nominell defensiver Mittelfeldspieler sollte es ihm grundsätzlich auch nicht schwerfallen, in diese Rolle hineinzufinden. Geplant war von Capretti somit bei den eigenen Angriffen das 5-3-2 durch diese Verschiebungen auf ein 3-4-1-2 im gegnerischen letzten Drittel zu bekommen. Funktioniert hat das grundsätzlich schon, die Spieler der Audistädter verschoben richtig und fanden ihre offensiven Positionen, allerdings fand der Ball über weite Strecken des Spiels nicht zu den Ingolstädter Spielern.

Linien

Die Löwen begannen mit hoher Pressinglinie, die der Höhe der Defensivlinie angepasst war. Damit wurden die Räume für den FCI sehr eng. Aus Sicht der Hausherren nahezu unbespielbar.

Der FC Ingolstadt konnte – obwohl es den Aussagen des Trainers und der Spieler nach dem Spiel wohl eigentlich genauso geplant war – das nicht aufs Feld bringen. So hatte Ingolstadt in der ersten Viertelstunde nichts auf dem Feld, was man Pressinglinie nennen könnte. Die Defensivlinie der Ingolstädter war bis zum vorentscheidenden 3:0 meistens auf tiefem Niveau, was dem Druck der Löwen geschuldet war.

Vor der genaueren Analyse wie immer die wichtigsten statistischen Werte der Partie.

Statistische Werte des Spiels FC Ingostadt – TSV 1860

  • Ballbesitz: TSV 1860 49% – FCI 51%
  • Passgenauigkeit: TSV 1860 77% – FCI 74%
  • Defensive Zweikampfquote: TSV 1860 61% – FCI 60%
  • Schüsse/aufs Tor: TSV 1860 16/7 – FCI 9/2
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion): TSV 1860 7,35 – FCI 8,34

Analyse der statistischen Werte

Ballbesitz

Ein auf den ersten Blick ausgeglichen wirkender Ballbesitz ist spielphasenmäßig durchaus anders zu bewerten als es auf den ersten Blick wirkt. Bis zum vorentscheidenen dritten Treffer durch Marcel Bär in der 49. Minute glänzte der TSV 1860 mit Ballbesitzvorteilen 20% am Gesamtspielanteil und von 50% in Abhängigkeit des Ballbesitzes des FC Ingolstadt. Das klingt zunächst seltsam, wenn man aber die Rechnung dazu aufmacht erklärt sich das: (60:40 = 3:2; 3=2+50%).

Nach dem dritten Treffer nahmen die Löwen etwas den Fuß vom Gas, versuchten aber dennoch weiterhin, bei eigenem Ballbesitz druckvoll nach vorne zu agieren. Weitere Treffer, für die es durchaus die ein oder andere Gelegenheit gab, blieben den Sechzgern jedoch verwehrt.

Der TSV war war also bis zur Vorentscheidung klar die dominierende Mannschaft auf dem Platz. Ingolstadt konnte bis dahin im Prinzip nur reagieren und in kaum einem Moment wirklich spielerische Akzente setzen.

Passgenauigkeit

Die Passgenauigkeit ist, ähnlich wie der Ballbesitz, oft ein statistischer Wert, der leicht missinterpretiert werden kann. Sicherheitspässe erhöhen diese in dem Fall, dass sie überproportional gespielt werden, oft signifikant. Sehen wir uns also diese sogenannten Sicherheitspässe einmal an: Da stehen beim TSV 1860 München innerhalb der eigenen Defensivreihe gerade einmal 20 Rückpässe zu Buche. Die in der Defensivreihe gespielten Querpässe waren zwar durchaus zahlreich, dienten aber weniger dazu, um Sicherheit zu gewinnen. Sie verschafften den Spielern im Mittelfeld meistens die nötige Zeit, sich freie Räume zu suchen, um dann angespielt zu werden. In puncto Sicherheitspässe sind diese also größtenteils vernachlässigbar.

Sieht man auf die Passgenauigkeit bei den Vorwärtspässen und den sogenannten progressiven Pässen, wird die Dominanz des TSV 1860 München sehr deutlich und man erkennt, dass im Fall der Partie FC Ingolstadt 04 – TSV 1860 München die erreichten 77% als sehr gut einzustufen sind. Progressive Pässe sind Pässe für großen Raumgewinn in Abhängigkeit zur Spielfeldzone. Das heißt: Je weiter man in der Nähe zur eigenen Torauslinie steht, desto länger muss der Pass sein, um als progressiver Pass zu gelten.

Mit der Erwähnung der Passgenauigkeit von 80% bei diesen Pässen und 63% bei Pässen ins letzte Drittel des Gegners, ist alles Erwähnenswerte diesbezüglich gesagt. Es war von Beginn an eine spielerische Topleistung der Mannschaft in weiß-blau.

Defensive Zweikampfquote

Auch hier ist die Interpretation dessen, wo die Zweikämpfe geführt wurden und ob sie im Nachgang, selbst wenn sie verloren wurden, trotzdem zu einem Ballbesitzwechsel zu Gunsten des TSV 1860 München führten, entscheidend. Schauen wir zunächst aufs eigene letzte Drittel des Spielfelds. Dort wurden lediglich elf Zweikämpfe am Boden verloren. Im eigenen Strafraum sogar nur ein einziger über die gesamte Spielzeit hinweg (geblockte Schüsse zählen nicht als Zweikampf).

Schauen wir auf die Defensivaktionen in den pressingrelevanten Zonen, haben wir hier eine Erfolgsquote von etwa 5,8:4,2 zugunsten der Löwen. Das ist überragend im Vergleich zu dem, was da letzte Woche abgeliefert wurde.

Die kämpferische Leistung der gesamten Mannschaft gegen den Ball ist lobenswert. Alle Feldspieler dürfen sich da selbst auf die Schulter klopfen. Nur zwei Spieler haben hier einen Wert von unter 50% und fast alle geführten Zweikämpfe dieser beiden endeten trotzdem im Nachgang mit einem Ballbesitzwechsel zugunsten der Sechzger.

Schüsse/aufs Tor

Von den 16 Schüssen des TSV 1860 München konnten die Spieler des FC Ingolstadt vier blocken. Von zwölf Schüssen, die durchkamen, gingen also sieben so auf den Kasten, dass dabei etwas Zählbares hätte herausspringen können. Lediglich vier dieser zwölf Schüsse wurden von außerhalb der gegnerischen Box abgefeuert.

Am Ende sehen die Löwen mit drei Treffern aus sechs sogenannten hundertprozentigen Chancen auf einen liegengelassenen Kantersieg zurück. Das ist aber Jammern auf hohem Niveau und damit wollen wir uns nicht unnötig aufhalten.

Unterm Strich steht eine sehr hohe Schußgenauigkeit, denn die geblockten Schüsse wären alle so aufs Tor gekommen, dass sie dem Torwart zumindest Arbeit verschafft hätten. Mindestens zwei dieser Schüsse hätten aufgrund der Position, aus der sie abgefeuert wurden, sogar für weitere Treffer sorgen können, wenn nicht ein Ingolstädter Feldspieler noch ein Körperteil dazwischen gebracht hätte.

PPDA

Bis zum vorentscheidenden 3:0 für den TSV 1860 lag die Pressingintensität so hoch wie selten über so eine lange Phase eines Spiels in dieser Saison. In der Spitze ließen die Sechzger während der mittleren fünfzehn Minuten der ersten Spielhälfte lediglich drei Pässe der Ingolstädter zu, bevor eine Aktion gegen den Ball gesetzt werden konnte. Das ist herausragend! Nehmen wir einen beliebigen Aufbau im Positionsspiel als Grundlage für eine theoretische Analyse dieses Wertes, spielt also der Torhüter den eröffnenden Pass, worauf noch zwei weitere folgen, bevor Ingolstadt unter Druck gerät und eher hektisch als kontrolliert das Spielgerät weitergeben muss.

Diesem hohen Druck zu entgehen, waren die Gastgeber nicht in der Lage. Weder spielerisch noch kämpferisch hatte der FC Ingolstadt dem Pressing des TSV 1860 München vor der Vorentscheidung durch Bär etwas entgegenzusetzen.

Dass es nicht geht, solch einen Druck über die komplette Spielzeit aufrecht zu erhalten, ist verständlich und auch akzeptabel, da man ab dem 3:0 – unter anderem auch deshalb, um Kräfte für Samstag zu sparen – in einen Verwaltungsmodus gehen konnte.

Die Tore

Hier könnt ihr euch die Treffer und weitere Highlights noch einmal ansehen.

Näher eingehen möchte ich auf den dem Endergebnis nach entscheidenden Treffer. Das 2:0 durch Kapitän Stefan Lex in der 34. Minute.

Aus einem Einwurf von links auf Höhe der Mittellinie kommt der Ball auf die halbrechte Position zu Morgalla, der vor sich viel Platz vorfindet und nach einigen Metern mit Ball am Fuß zu Boyamba abgibt, der die Seite gewechselt hatte. Morgalla läuft dann weiter in und bindet so einen Gegenspieler auf dieser Seite. Boyamba kann dadurch unbedrängt ins Zentrum ziehen.

Bevor ein Ingolstädter Boyamba stellen kann, dreht dieser sich um 180° und spielt das Leder dem aus dem hintegrund einlaufenden Deichmann in den Lauf. Der checkt kurz die Lage und erkennt freien Raum in der Tiefe der Box. Deichmann spielt das Leder auf den rechten Flügel zu Morgalla und läuft postwendend in diesen zuvor erkannten freien Raum hinein. Morgalla, der Boyambas Bewegung ins Zentrum dafür genutzt hat, um den rechten Flügel wieder zu besetzen, erkennt Deichmanns Idee und spielt das Leder an drei Ingolstädtern vorbei zu Deichmann. Es wird also ein vierter Ingolstädter, der eigentlich Lex bewachen müsste, aus seiner Position gezogen.

Deichmann sieht seinen, nun mutterseelenallein im Strafraum halbrechts befindlichen, Kapitän und spielt ihm das Leder mustergültig aus der Tiefe in den Lauf. Der Erdinger zieht flach aufs lange Eck ab und trifft zum 2:0 für die Sechzger.

Ingolstadt hat in dieser Szene keinerlei Zugriff auf einen der beteiligten Löwenspieler. Stellungsfehler zweier Spieler der Schanzer beim Pass von Morgalla auf Deichmann begünstigen diese Torchance. Die Kunst, den Gegner durch Druck zu Fehlern zu zwingen, ist das, was man sehen möchte.

Pressingdruck als entscheidender Grund

Ausgangspunkt all dessen war ein Abstoß des Ingolstädter Torhüters, den seine Mannschaftskameraden nicht zu eigenem Ballbesitz ummünzen konnten. Der PPDA Wert, also die zugelassenen Pässe der Ingolstädter vor dem Einwurf der Löwen, liegt hier bei eins. Dieser eine Pass wurde zwar gespielt, kam aber nicht beim Mitspieler an. Man sieht also, was Druck in den pressingrelevanten Zonen ausrichten kann, wenn er effizient ist und auch zu einem Ballgewinn führt.

Das fiel auf

Eine grandios agierende Doppelsechs im 4-2-3-1. Die beiden Spieler Wörl und Deichmann harmonierten als Paar unfassbar gut und sicherten sich gegenseitig ab, wenn einer den Weg nach vorne suchte.

Lex wieder mit zwei Treffern, der Knoten ist wohl tatsächlich endlich geplatzt.

Gegen den Ball kämpferisch eingestellte Offensivspieler sind Gold wert. Es macht einfach Spaß, ein Spiel anzusehen, bei dem sich der Zehner nicht zu schade ist, am eigenen Strafraum Bälle zu klären oder zu erobern.

Morgalla ist als Rechtsverteidiger möglicherweise noch wertvoller als im Abwehrzentrum. Mit seiner Dynamik bringt er Bewegung auf die rechte Seite, die wohl den Gegner überrascht hat. Nachdem ich die Aufstellung gesehen habe, vermutete ich die Sechzger würden systematisch mit einer Dreierkette agieren. Verlaat, Lang und Morgalla zusammen in der Startaufstellung ließ diese Vermutung zu. Vielleicht hat auch das den Gegner überrascht.

Fazit

Wieder ein Auswärtsspiel, auf dem man aufbauen kann. Hoffentlich gelingt es der Mannschaft des TSV 1860 München, die Leistung aus dem Spiel gegen den FC Ingolstadt 04 zu konservieren und im Heimspiel gegen Osnabrück zu bestätigen. Kampfbereitschaft, Einsatzwille, Lauffreudigkeit und Mannschaftsdienlichkeit waren bei allen eingesetzten Spielern zu sehen. Weiter so.

Eine rundum gelungene Auswärtspartie mit einem kleinen Schönheitsfehler in der 74. Minute wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Speziell dann, wenn Ingolstadt es vielleicht tatsächlich noch schafft abzusteigen.

Datenquelle: Wyscout

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Aymen1860

Immer wieder ein Highlight deine Taktikanalyse.

Aschlegel

Wieder einmal sehr gut analysiert, Bernd. Da die beiden letzten Auswärtsspiele ähnlich gut abliefen, frägt man sich inzwischen, ob wir einen Heimkomplex entwickelt haben? Denn der Unterschied der weitgehend souveränen Auswärtsspiele in Aue und Ingolstadt sind schon krass gegenüber den oft trostlosem Auftritten daheim in letzter Zeit.