Ob Madagaskar, Nordkorea oder Saudi-Arabien – Michael Stoffl ist in den vergangenen Jahren ganz schön rumgekommen. Auch wenn er den Begriff “Groundhopping” für seine Leidenschaft ablehnt, so stellt der Fußball doch oft das zentrale Thema seiner Reisen dar. So war er vor einigen Jahren der einzige Fan aus Deutschland, der die Amateure des TSV 1860 zu einem Turnier nach Indien begleitete. Eine Kurzversion seiner Eindrücke gibt es auf sechzger.de zu lesen, ausführlicher in seinem Buch In 90 Minuten um die Welt. Heute erinnert sich der Wahl-Berliner daran, wie er den legendären Derbysieg vor 25 Jahren erlebte.
Michael Stoffl: Derbysieg im Fieberwahn
Ich habe viele Derbys live im Olympiastadion miterlebt, aber ausgerechnet zu unseren beiden Siegen in der Saison 1999/2000 war ich nicht persönlich anwesend. Ob ich also dafür verantwortlich bin, lassen wir mal dahingestellt. Erst am Vortag des 27. November 1999 war ich von einer Rucksack-Rundreise durch die Philippinen nach München zurückgekehrt: ziemlich geschlaucht, mit leichtem Fieber und Kopfschmerzen. Anstatt also ins kalte Oly zu tingeln, zog ich es vor, das Spiel in einem Wirtshaus nahe des Rotkreuzplatzes in Neuhausen zu verfolgen – fußläufig von meiner damaligen Wohnung.
Mir ging es echt nicht gut, was sich alleine dadurch schon manifestierte, dass ich mit nur drei Hoibe während der gesamten Partie einen persönlichen Saison-Minusrekord aufstellte. Es war alles einfach nur anstrengend. Als ob die Anspannung hinsichtlich des Spiels nicht schon ausgereicht hätte, quälte ich mich gleichzeitig selbst, um bei Bewusstsein zu bleiben. Dann fiel kurz vor Ende das erlösende 1:0 und wie alle anderen sprang ich auf und versank ein paar Minuten im Jubeltaumel.
Schlusspfiff als Erlösung – und Beginn der Leidensgeschichte
Der Schlusspfiff war eine Erlösung. Endlich Schluss. Ab nach Hause, ab ins Bett. Kein Halli-Galli, kein Durchfeiern die ganze Nacht. Die Freude war zwar da, ich konnte sie aber nicht Ausleben. Und es wurde nicht besser. Das Fieber stieg und so auch die pochenden Kopfschmerzen. Und bei Schlafmangel setzen dann auch bald leichte Halluzinationen ein. Sechzig hat das Derby gewonnen! Oder bilde ich mir das jetzt nur ein? Kurzer Blick in den Teletext: Es war tatsächlich so. Bis Montagmorgen war an Schlaf nicht zu denken.
Telefonisch erreichte ich dann meinen Hausarzt, der mir nach Schilderung meiner Symptome und Reise-Vorgeschichte riet, mich gleich direkt zu den Spezialisten zu begeben: Schwabinger Krankenhaus, tropenmedizinische Abteilung. Ich kam direkt auf die Isolierstation. Dort, wo es Einzelzimmer und doppelte Sicherheitstüren gibt, und die Pflegekräfte nur in Ganzkörper-Schutzanzügen zur Visite kommen. Gruselig. Malaria, Dengue-Fieber, Bilharziose, Enzephalitis, Tollwut – an alles war zu denken. Nach drei Tagen und zahlreichen Tests und Untersuchungen war dann klar: Es handelte sich zum Glück “nur” um das Pfeiffersche Drüsenfieber. Nicht unbedingt tödlich, aber trotzdem schlimm genug. Das könne nach ein paar Monaten überwunden sein oder mich ein Leben lang begleiten. Das könne man jetzt noch nicht sagen. Ich hatte letztendlich Glück. Nach sechs Monaten Schongang war ich wieder einigermaßen auf den Beinen. Allerdings verpasste ich dadurch auch den zweiten Derbysieg der Saison im darauffolgenden April. Sehr schade. Und falls es jetzt doch an mir gelegen haben sollte: Dieses Opfer habe ich gerne gebracht.