Der 1. April 1995 – ein in vielerlei Hinsicht erinnerungswürdiger Tag für jene Generation Löwenfans, die die durchaus bewegten und bewegenden rund fünfzehn zehn Jahre vor der Jahrtausendwende aktiv mitgemacht haben. Nicht nur wegen des nachmittäglichen aufregenden Geschehens auf dem Rasen des Sechzgerstadions. Sondern vor allem wegen eines Demonstrationszugs der sich mehrere Stunden vor dem Anpfiff des Bundesligaspiels gegen Dynamo Dresden aus der Münchner Innenstadt in Richtung Giesing bewegte.
Wildmoser will den kompletten Umzug
Löwenpräsident Karl-Heinz Wildmoser war fest entschlossen: Unter der Voraussetzung, dass der Sensationsaufsteiger der Vorsaison den Klassenerhalt in dieser ersten Bundesligasaison nach zwölf Jahren Abstinenz vom Oberhaus schaffen würde, wollte KHW zur neuen Spielzeit 1995/96 den kompletten Umzug ins Olympiastadion. Schon in der laufenen Saison war man für vier Heimspiele in die Betonschüssel am Oberwiesenfeld ausgewichen. Und natürlich hatte man dort am Spieltag mehr Besucher, als auf Giesings Höhen begrüßen können (wobei außer dem Derby kein Spiel auch nur annähernd ausverkauft war). Die sportliche Bilanz war allerdings verheerend. Nicht einen einzigen Punkt und eine Torausbeute von 2:11 hatten man gegen Stuttgart, Schalke, Dortmund und die Roten geholt. Die Heimsiege für den Klassenerhalt waren im Sechzgerstadion gelungen. Auch Dank des frenetischen Publikums, das die Mannschaft immer nach vorne gepeitscht hatte.
Demo für’s Sechzgerstadion
Viele Löwenfans machten sich große Sorgen um einen drohenden Identitätsverlust durch den kompletten Umzug von Giesing in den Olympiapark. Und sie sollten Recht behalten, gleichwohl der vorrübergehende sportliche Erfolg in den späten 1990ern unter Trainer Werner Lorant dies natürlich zunächst übertünchen konnte. Eine von vielen Reaktionen auf die Pläne des allmächtigen Präsidenten war im Frühjahr 1995 die Organisation eines Demonstrationszugs vom Sendlinger Tor zum Sechzgerstadion unter dem Motto “Baut unser Sechz’ger-Stadion aus.” Im hier dokumentierten Flugblatt der Faninitiative Sechz’ger Stadion wurde an die Versprechen erinnert, die Wildmoser in den Jahren zuvor im Hinblick auf die Heimat der Löwen immer wieder ausgesprochen hatte und an die er sich nun nicht mehr erinnern konnte oder wollte.
Vermeintliche Absage der Demo
Eine nie wirklich aufgeklärte Posse gab es rund um die Demo noch vorab, am Freitag Nachmittag: Bei den Münchner Zeitungsredaktionen traf per Fax eine auf offiziellem Briefpapier der Fan-Initiative gedruckte kurzfristige Absage der Demonstration ein. Der Verdacht, Karl-Heinz Wildmoser habe dieses Fax in Auftrag gegeben, um die Demo zu sabottieren, konnte allerdings nie bestätigt werden. Über 1.000 Fans machten sich trotz vermeintlicher Absage und widrigen äußeren Bedingungen am nächsten Tag, drei Stunden vor dem Anpfiff auf Giesings Höhen, bei echtem Aprilwetter auf den Marsch, der lautstark, aber absolut friedlich verlief.
Ab 15.30 Uhr die Schlammschlacht gegen Dresden
Nachmittags um halb vier ging es dann um wichtige Bundesligapunkte. Die Löwen waren im Laufe des soeben zu Ende gegangenen März’ wieder auf einen Abstiegsplatz abgerutscht und die Gäste aus Dresden kamen mit der Roten Laterne in Händen nach München. Ein klassischer Abstiegskracher auf vom Dauerregen aufgeweichten und schlammigen Geläuf erwartete die 23.000 Zuschauer. Die erste Viertelstunde gehörte den Gästen. In der 12. Minute verursachte Löwen-Kapitän Manni Schwabl einen Foulelfmeter gegen Dresdens Johnny Ekström – doch der bewährte Elferkiller Bernd Meier parierte! Vielleicht ein Knackpunkt in der Partie. Denn nun wurde 1860 gefährlicher. Eine Viertelstunde nach dem gehaltenen Elfmeter verlängerte Guido Erhard im Fünfmeterraum einen Kutschera-Schuss zum umjubelten 1:0 ins Tor vor der Ostkurve. Die Löwen waren nun in der Partie, verpassten es aber, noch vor der Pause auf 2:0 zu erhöhen.
Nach der Pause nochmal zittern – dann die Erlösung
Dies erledigten sie direkt nach dem Wiederanpfiff, als Bernhard Winkler den zweiten Löwentreffer des Nachmittags markierte. Im Gegenzug besorgte allerdings der beim Elfer noch unglückliche Dresdner Michael Spies den Anschlusstreffer, was die Zuschauer auf Giesings Höhen wieder unnötig zittern ließ. Allerdings nicht lange. In der 69. Minute sorgte erneut Bernhard Winkler für das erlösende 3:1. Jens Dowe hatte den Ball aus der Distanz ans Lattenkreuz gezimmert, das Spielgerät sprang dem Franken vor die Füße und der setzte ihn, rechts vor dem Tor positioniert, entschlossen in die Maschen. Bei diesem Spielstand blieb es. Große Erleichterung und riesiger Jubel auf Giesings Höhen! Der Regen störte nun niemanden mehr.
Premiere für Jeremies
Noch einen interessanten Fakt hat dieses Spiel gegen Dynamo Dresden vom 1. April 1995 aufzuweisen: Ein gewisser Jens Jeremies, im Vormonat 21 Jahre alt geworden, absolvierte an diesem Tag sein erstes Bundesligaspiel. Er stand im Sechzgerstadion die vollen neunzig Minuten für die Gäste im defensiven Mittelfeld auf dem Platz. Nach weiteren neun Erstligaeinsätzen für Dynamo wechselte er zur neuen Saison dann vom Bundesligaabsteiger, der wegen einer Lizenzverweigerung durch den DFB gar in die drittklassige Regionalliga Nordost durchgereicht wurde, zum TSV 1860 München.
Für Münchens Große Liebe bestritt Jeremies insgesamt 78 Bundesliga-, fünf DFB-Pokal- und drei UEFA-Cupspiele, bevor er drei Jahre später – zum Ärgerniss der Löwenfans – innerhalb der Stadtgrenzen Münchens den Verein wechselte. Knapp zwei Jahre später ließ der gebürtige Görlitzer die Herzen der Löwenfans – unfreiwillig – dann aber nochmal höher schlagen: Mit dem Kopf überwand er in der 40. Minute des Bundesligaderbys am 15. April 2000 per Eigentor seinen Torhüter Olli Kahn, was den 2:1-Siegtreffer für seinen Ex-Verein bedeutete.
Die Aufstellung des TSV 1860 gegen Dynamo Dresden
Werner Lorant schickte heute vor 30 Jahren folgende Mannschaft auf den Rasen des Grünwalder Stadions:
Meier – Trares, Kutschera, Miller, Dowe – Rydlewicz (60. Yanyali), Schwabl, Nowak, Stevic (84. Störzenhofecker) – Erhard, Winkler
Tore:
1:0 Erhard (26.), 2:0 Winkler (47.), 2:1 Spies (49.), 3:1 Winkler (69.)
Damals mussten wir ohnmächtig zusehen, wie man uns zuerst die Heimat und dann den Verein weggenommen hat. In so eine Situation dürfen wir nie wieder geraten!
Deswegen ist die nächste Wahl immer die wichtigste, nie vergessen!