Heute Morgen gewährte uns Ernst Tanner interessante Einblicke in seine aktuelle Tätigkeit bei Philadelphia Union und blickte zurück auf seine Zeit als NLZ-Leiter beim TSV 1860 München. Im zweiten Teil des Interviews analysiert er das heutige Fußball-Business und wagt einen Blick in die Zukunft. Viel Spaß beim Lesen!

 

sechzger.de:

Wie stehst Du persönlich denn zu 50+1? Du hast ja in Hoffenheim und bei RB bei zwei Clubs gearbeitet, bei denen diese Regelung geschickt umschifft wurde und wird. Ist 50+1 noch zeitgemäß? Oder erkennst Du bei Wegfall der Regel auch Gefahren? Gerade wir Löwen sind durch die Saison 2016/17 da ja durchaus auch ein gebranntes Kind…

Ernst Tanner:

Es kommt immer darauf an, wer dahinter steht und welche Interessen er verfolgt. In Hoffenheim steht ein regionaler Entwicklungsansatz dahinter, der zudem auch philanthropischer Natur ist. Red Bull ist ein Weltkonzern und verfolgt ein Sportmarketingkonzept auch in anderen Sportarten. Zudem wird auch hier gerade in einer Akademie wie in Salzburg viel Entwicklung betrieben. Das ist grundsätzlich schon mal nicht zu verurteilen und ich glaube auch nicht, dass hier jemandem was weggenommen wird, sondern diese Vereine mit ihren innovativen Konzepten die Klublandschaft bereichern. Was gerade in den letzten Jahren im Klubsektor mit vielen Vereinen im Ausland passiert ist, die an Investoren und sogar Berater verkauft wurden, spottet eigentlich jeder Beschreibung und das ist eben dort leichter machbar, wo 50+1 nicht besteht. So gesehen sehe ich die Regel durchaus als wichtiges  Regulierungsinstrument an, nachdem wir ja auch gelernt haben, dass die FIFA mit ihrem Financial Fair Play durchaus Schwierigkeiten in der Umsetzung hat. Ich denke auch nicht, dass 50+1 ein allzu großer Wettbewerbsnachteil im Vergleich zu anderen Ligen ist und es gibt auch Vereine hierzulande, die diese Aussage untermauern. Der solideste Wettbewerbsvorteil ist nach wie vor organisches Wachstum und das ist halt nicht kurzfristig zu generieren.

 

sechzger.de:

Kannst Du mal kurz skizzieren, welche Unterschiede Du bei Deinen Tätigkeiten zwischen 1860, Hoffenheim und RB kennenlernen durftest? Warum läufts woanders so viel besser und reibungsloser? Ist es wirklich nur eine Frage des Geldes, das bei uns nicht zuletzt aufgrund der hohen Ausgaben für die Arena nicht vorhanden ist?

Ernst Tanner:

Geld ist natürlich ein Faktor, ohne den man bei der heutigen Professionalisierung im Sport nicht mehr auskommt. Das fängt beim Einsatz von Technologien an und geht bei den Personalkosten für die Spieler – aber vielmehr auch gute Mitarbeiter – weiter. Der große Unterschied zwischen meiner Tätigkeit bei den Löwen und den anderen Klubs war, dass ich in München versuchen musste, mit ständigen Einsparungen zurecht zu kommen und den Betrieb bestmöglich aufrecht zu erhalten, während ich bei den anderen Klubs in Projekte und innovative Ideen und auch Spieler investieren durfte. Bildlich gesprochen war das in etwa so wie auf der einen Seite im Hamsterrad und andererseits im „think tank“, wenn man das so auf den Sport projizieren kann.

Allerdings war bei den Löwen schon vor dem Arenabau kein Geld mehr da und wir mussten eigentlich damals schon unsere besten Spieler verkaufen, um die finanziellen Löcher zu stopfen.

 

sechzger.de:

Auch das (mediale) Umfeld ist bei den Löwen vermutlich deutlich anders, oder? Ich habe ja selber einige Jahre in Heidelberg, also in der Nähe von Hoffenheim gelebt, und quasi nie etwas Kritisches hinsichtlich der TSG gelesen. In München hingegen scheint man ja nur auf schlechte Neuigkeiten zu warten…

Ernst Tanner:

Kritisches gab es über die TSG zu der Zeit von allen anderen Seiten in Deutschland schon genug zu lesen. Da musste die Rhein-Neckar-Zeitung nicht auch noch einstimmen…

„Bad news sells“ heißt es ja so schön und das Mediengeschäft lässt dadurch seriösem und vor allem investigativem Journalismus heute fast keine Chance mehr. Mir hat mal ein Reporter einer großbuchstabigen Zeitung (und davon gibt es ja mehrere in München) auf die Frage, warum er denn so einen Mist in Form der Unwahrheit schreibe, geantwortet: „Sie wissen doch, Herr Tanner, wir müssen lügen!“ Damals hab ich mich mit der Aussage schwer getan, aber mittlerweile kann ich das gut verstehen. Die Löwen sind über die Jahre hinweg auch durch ihr eigenes Handeln zu einem Synonym für „bad news“ geworden und aus dieser Schublade kommen sie leider auch schwer raus.

 

sechzger.de:

Ein Großteil der Löwenfans ist sehr froh, dass 1860 wieder in Giesing spielt. Stadion, Drumherum, Heimatgefühl, Stimmung – das Gesamtpaket aus Fansicht stimmt also! Du siehst Du den Standort Giesing jedoch eher kritisch, oder? Wie könnte eine Alternative aussehen?

Ernst Tanner:

Ich mag das Grünwalder und hab dort tolle Spiele miterleben dürfen wie zum Beispiel mein erstes Spiel gegen Fürth in der Bayernliga. Allerdings hat sich der Fußball und vor allem seine wirtschaftliche Seite weiterentwickelt und mit den Einnahmen aus Giesing wird es auch eine Etage höher schwer zu überleben. Ich weiß nicht, ob die Fans sich in Giesing auf Dauer wohlfühlen und mit einem Dasein in der 3. oder 2. Liga zufrieden sind. Ich glaube nicht, dass in der Fanlandschaft Einigkeit darüber besteht, wo man hin will und wie zukunftsfähig dieses Konzept überhaupt ist. Die Stadt hatte sich ja klar positioniert und einen weitgehenden Ausbau des Grünwalder Stadions abgelehnt. Mein Vorschlag war, mal Verhandlungen mit der Stadt über einen Verzicht auf das Erbpachtrecht an der Hochleite und einen Neuanfang in Riem anzustreben. Aber das ist lange her, wäre auch nur mit einem potenten Investor gegangen und wird heute nicht mehr realisierbar sein.

 

sechzger.de:

Hast Du denn noch viele Kontakte zu 1860 und wenn ja, zu wem? Dein Abschied liegt ja nun doch schon einige Jahre zurück.

Ernst Tanner:

Der Fußball ist schnelllebig und meine Kontakte zu den Löwen haben sich auch entsprechend reduziert. Natürlich kenne ich noch die meisten Verantwortlichen in leitenden Positionen persönlich, aber durch mein Wirken in den USA hat sich das auf wenige Telefonate oder SMS reduziert.

 

sechzger.de:

Du bist jetzt 53, hast also noch einige Berufsjahre vor Dir. Siehst Du Deine berufliche Zukunft in den USA oder doch eher in Europa? Welche Aufgaben könnten Dich noch reizen?

Ernst Tanner:

Ich bin hierher gekommen, um nochmal ein komplett anderes Projekt umzusetzen, das ich so bisher nicht gekannt habe. Da gibt es schon noch gut Arbeit für ein paar Jahre. Was ich danach machen werde, ist relativ offen. Ob USA oder Europa, ich habe mir mal geschworen, dass ich nichts mehr mache, was mir keinen Spaß macht. Daran halte ich mich und Gott sei Dank kann ich es mir auch leisten.

 

sechzger.de:

Das Kapitel 1860 dürfte für Dich aber – zumindest beruflich gesehen – jedoch beendet sein, oder?

Ernst Tanner:

Ja klar, ich hatte eine tolle Zeit bei den Löwen und möchte sie keinesfalls missen, aber den Fußball in Deutschland und Österreich habe ich in allen Facetten erlebt und das reizt mich nicht mehr sonderlich.

 

sechzger.de:

Beim Blick auf die diesjährige 3. Liga: Was traust der jungen Mannschaft von Michael Köllner zu?

Ernst Tanner:

Zunächst mal finde ich es gut, dass der Michael junge und entwicklungsfähige Spieler einbaut. Das ist meines Erachtens der einzige – wenn auch manchmal steinige – Weg, das Ganze einigermaßen zukunftsfähig zu gestalten. Die meisten Klubs, die nachhaltig gearbeitet haben und geduldig geblieben sind, haben es am Ende aus der Dritten Liga rausgeschafft. Angesichts der Absteiger und sonstigen „Schwergewichte“ in der Liga wäre es vermessen, an einen Aufstieg zu glauben, aber die Löwen haben das Potential, im vorderen Mittelfeld mitzumischen und man muss dem Trainer auch die Zeit geben, eine Mannschaft zu entwickeln, um dann angreifen zu können. Das dauert halt mal zwei oder drei Jahre, aber dafür ist es dann umso stabiler.

 

sechzger.de:

Lieber Ernst, vielen Dank für die interessanten Einblicke und das tolle Interview. Ich wünsche Dir alles Gute in Philadelphia und hoffe, dass wir uns trotz allem bald mal wieder auf Giesings Höhen sehen.

Ernst Tanner:

Gerne und viel Grüße an die Löwenfamilie!

 

Das Interview führte Stefan Kranzberg.

 

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