Ein herzliches Grüß Gott zur Taktiktafel vor dem Spiel unseres TSV 1860 München beim SSV Ulm 1846. Was erwartet die Löwen im Donaustadion?

SSV Ulm 1846 – TSV 1860 München, dem ein oder anderen mag es angesichts dieser Paarung etwas nostalgisch zumute werden. Aber lassen wir das hier mal außen vor. Wir erinnern uns zwar alle gern an den 2:0-Sieg in der Aufstiegsrunde vor der Durchmarschsaison 93/94, aber dieser Sieg ist 30 Jahre her.

Thomas Wörle, Trainer des SSV Ulm, wird seine Spatzen gegen die Löwen des TSV 1860 vermutlich wie bisher fast immer im 3-4-3 aufs Feld schicken. Bei Umstellung auf 3-4-1-2 setzte es jeweils Niederlagen für die Donaustädter.

Im Pressing spielt Ulm variabel. Es fällt auf, dass bei unentschiedenem Spielstand oder wenn der Gegner einen Torevorsprung hat, eher hoher Druck auf den gegnerischen Spielaufbau ausgeübt wird und bei eigener Führung dieser Druck nachlässt. Die Pressinglinie, die meistens aus drei Spielern besteht, ist dann auf mittlerem Niveau angesiedelt.

In der Defensivlinie steht Ulm bei hohem Druck auf den Gegner selbst eher hoch bis sehr hoch und bei auf mittlerer Linie agierender Pressingline hoch bis mittel. Immer etwas abhängig davon, wie das Mittelfeld und die Angriffslinie des Gegners organisiert sind.

Sollten die Löwen wieder im 4-2-3-1 ins Rennen gehen, dürfen wir damit rechnen, dass jeweils die höhere Positionierung gewählt wird, um speziell im Mittelfeld wenig bespielbare Räume zuzulassen.

Bevor ich gleich die Spielweise der Ulmer erkläre, wie immer die statistischen Werte des kommenden Gegners.

Statistische Werte des SSV Ulm 1846

  • Ballbesitz: 52%
  • Passgenauigkeit: 80%
  • Defensive Zweikampfquote: 59%
  • Flankengenauigkeit: 38%
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion): 9,02

Spielweise der Spatzen

Bei Ballbesitz

Ulm liebt das Spiel über die Flügel oder Halbpositionen ins letzte Drittel, der Aufbau dorthin kann allerdings sehr variabel daherkommen. Die ganze Palette dessen, was man tun kann, um den Ball dorthin zu bringen, von wo aus die Penetration der Box eingeleitet werden soll, ist bei Ulm im Repertoire und wird intelligent und situativ eingesetzt.

Arbeitet der Gegner mit tiefen Pressingfallen, geschieht der Aufbau eher über kurze Wege, auch wenn in diesen Situationen oft gegen die Pressinglinie und die dahinter befindlichen Mittelfeldspieler, die kurze Passwege versuchen zuzustellen, viel Laufarbeit verrichtet werden muss. Spielt der Gegner auf direkten Ballgewinn mit hohem Druck gegen die aufbauenden Spieler und stellt gleichzeitig die kurzen Passwege zu, sehen wir oft öffnende Diagonalbälle auf einen der Flügel. Dort herrscht in diesen Situationen häufig zunächst ein Geplänkel um den zweiten Ball. Durch laufintensives Spiel und Verdichtung, die dann Überzahl schafft, gehen die Ulmer aus diesen Situationen allerdings häufig als Sieger hervor und können den Angriff fortsetzen.

Varianten

Je nachdem, wie der Gegner verschoben hat, um der Verdichtung am Flügel zu entgegnen, spielt Ulm dann bei eigener Überzahl entweder dort weiter oder, wenn der Gegner gleichviele Spieler in diese Zone geschickt haben sollte wie die Ulmer, befreit man sich aus der engmaschigen Situation, indem man das Zentrum oder die andere Flanke bedient. Dies geschieht im Optimalfall wieder durch einen progressiven Diagonalpass.

Bleibt das Geschehen auf dem Flügel, sieht man von Ulm in der Vorwärtsbewegung auf der Außenbahn Kurzpassspiel und nach dem Eindringen ins letzte Drittel variabel gespielte Flanken ins Zentrum der Box oder für aus dem Hintergrund einlaufende Mannschaftskameraden zum Schuss gedachte Pässe an die Strafraumkante.

Wird das Spiel ins Zentrum oder auf den anderen Flügel geöffnet, gibt es für beide Varianten wiederum zwei verschiedene Lösungen, derer sich die Ulmer bedienen. All das ist jeweils logischerweise wieder situationsabhängig.

Ist im Zentrum schnell wieder Gegenverkehr vorhanden, kommt die Kugel oft gegenläufig zurück auf den Ausgangsflügel. Herrscht mehr Platz vor, können die Ulmer auch im Zentrum steil gehen und mit gefährlichen Pässen die Schnittstelle in der Kette penetrieren.

Folgt aus der Verdichtungssituation der Seitenwechsel auf den gegenüberliegenden Flügel, kommt der Außenspieler von dort gern invers über die Halbräume ins letzte Drittel. Ist das nicht möglich, ist der tiefe Lauf mit anschließender Flanke ins Zentrum meist das Mittel der Wahl bei den Spatzen.

Gegen den Ball

Wie oben beschrieben, hängt das Pressingverhalten der Ulmer stark davon ab, wie der Spielstand ist. Sowohl offensiv als auch defensiv ist das Spiel der Ulmer sehr laufintensiv. Von daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass Ulm, wenn es die Situation erlaubt, gegen den Ball im Pressing auch mal einen Gang runterschaltet.

Im 3-4-3, so wie Ulm es gegen den Ball spielt, kippt der ballnahe Mittelfeldaußenspieler weiter ab als der ballferne. Es entsteht ein leicht asymmetrisches 5-3-2, das im eigenen letzten Drittel situationsabhängig aussehen kann wie ein 4-4-1-1 oder ein 5-4-1.

Das Umschalten zwischen verschiedenen Herangehensweisen in der vorderen Linie beim Pressing bringt auch Änderungen in der defensiven Taktik der letzten Reihe mit sich. Als Faustregel kann man sagen: Je enger das Mittelfeld für den Gegner gemacht wir,d desto mehr versucht Ulm auf direkten Ballgewinn und nicht auf tiefe Pressingfallen zu setzen.

Stärken und Schwächen des Systems 3-4-3

Stärken

Das 3-4-3 bietet mit seiner exzellenten Tiefenstaffelung im Zusammenspiel mit taktischer Disziplin im Positionsspiel sehr variantenreiche Spielzüge im Aufbau. Gerade für spielstarke Teams ist dieses System daher eine wahnsinnig effektive Waffe. Angriffspressing und Gegenpressing können mit der Überzahl an Offensivspielern gut umgesetzt werden. Diese Überzahl verhilft der Mannschaft im 3-4-3 auch im letzten Drittel zu hoher Variabilität.

Schwächen

Die Dreierabwehrkette muss situativ immer wieder aus dem Mittelfeld heraus verstärkt werden, wenn der Gegner sich aus dem Pressing befreien kann. Das 3-4-3 stellt hohe Anforderungen an die individuelle Stärke der Spieler sowohl mit als auch gegen den Ball. Wenn die Spieler ihre Rollen im taktischen Konzept nicht einhalten, kann das Spiel im 3-4-3 leicht zum Debakel werden. Außerdem ist es sehr konteranfällig.

Wie kann man Ulm knacken?

Bei Ballbesitz

Variables, schnelles, präzises Spiel. Das klingt wie eine Binsenweisheit, ist aber hier absolut zutreffend. Ulm spielt gegen den Ball äußerst intelligent, das bedeutet hohe Laufbereitschaft im Mittelfeld, Zweikampfstärke und Einsatzbereitschaft in Gegenpressingmomenten, kluges Antizipieren der Laufwege und keine statischen Manöver im Spielaufbau sind der Schlüssel, um offensiv gegen Ulm erfolgreich zu sein und gut ins letzte Drittel zu kommen.

Gegen den Ball

Auf gut Deutsch gesagt: Man muss den Ulmern auf den Sack gehen, dann machen sie Fehler. Auch wenn Ulm momentan grundsätzlich als gefährlicher Gegner einstuft werden muss, sieht man, dass die Spatzen, wenn sie mit gesunder Härte angegangen und penetrantem Anlaufen beschäftigt werden, zu groben Fehlern im Aufbau neigen können.

Im eigenen letzten Drittel gilt es vor allem, die tiefen Zuspiele aus dem Zentrum zu antizipieren bevor sie stattfinden. Bei Läufen über die Flügel muss man auf die überaus genau gespielten Flanken der Spatzen aufpassen. Ziehen die Außenspieler über die Halbpositionen nach innen, ist gutes Stellungsspiel und Zweikampfverhalten wichtig, um Gefahr von der Box fernzuhalten.

Die Ulmer Offensive zieht viele Register in ihren Angriffsbemühungen. Immer hellwach und konzentriert zu sein, ist deshalb für jeden Spieler in Reihen des TSV 1860 gegen den SSV Ulm 1846 unabdingbar.

Ulm ist, was die Schussgenauigkeit anbelangt, das drittbeste Team der Liga. Deshalb ist es essentiell, erst gar keine Schusssituationen entstehen zu lassen. Das dürfte allerdings angesichts dessen, dass Ulm eine der Mannschaften mit den meisten Ballkontakten in der gegnerischen Box ist, durchaus schwer werden.

Schlüsselspieler

Tor

Im Kasten der Spatzen steht mit Christian Ortag (#39) ein Keeper, der mit einer Größe von 1,97 m klar den Luftraum seiner Box beherrscht. Trotz seiner Größe ist er ein beweglicher, reflexstarker Schlussmann. Auch im eins gegen eins scheint er keine allzu schlechte Figur zu machen, nimmt man hier seine Werte aus den vergangenen Regionalligasaisons zum Maßstab. In dieser Saison ergab sich bisher noch keine solche Situation für den Hünen im Ulmer Kasten. Der statistische Wert kassierter Tore und erwarteter Gegentore ist nahezu gleich. Nur 0,03 Punkte trennen hier den Soll- vom Istwert über 90 Minuten zu seinen Gunsten.

Abwehr

Kapitän und Abwehrchef ist Johannes Reichert (#5). Der meist als zentraler Innenverteidiger agierende Spieler ist vor allem Dirigent der Kette in der Defensive. Seine Fähigkeit, Situationen zu antizipieren, sorgt für viele Ballgewinne. Er ist durchschnittlich Zweikampfstark im Vergleich mit Kollegen auf der gleichen Position. Auch was gewonnene Kopfballduelle anbelangt, ist er nicht ganz oben anzusiedeln. Das Gesamtpaket allerdings spült ihn auf Platz 16 der Ligarangliste auf seiner Position.

Mittelfeld

Max Brandt (#23) in der rechten Halbzentrale ist der Mittelfeldspieler, von dem offensiv die meisten Ideen kommen. Er ist ein sehr passsicherer Spieler, extrem dribbelstark, wenn er in den direkten Zweikampf geht, und mit starkem Drang nach vorne ausgestattet. Aber auch gegen den Ball macht er eine starke Figur, wenn er sich mit seinem Nebenmann Ahrendt im Zentrum des defensiven Mittelfelds befindet.

Sturm

Die bisher größte Gefahr geht von Dennis Chessa (#11) aus. Der Rechtsaußen ist nicht auf seiner Position festgenagelt. Oft weicht er ins Zentrum aus und spielt im Halbraum hinter dem Mittelstürmer. Er vereint filigrane Technik, gutes Passspiel und hohe Schussgenauigkeit. Kann man Chessa kaltstellen, fehlt Ulm ein wichtiges Puzzleteil seiner Angriffsbemühungen.

Fazit

Drei Punkte sind gegen die nach der 0:4 Niederlage vom Samstag sicherlich angeschlagene Mannschaft des SSV Ulm 1846 für den TSV 1860 sicherlich möglich. Grundvoraussetzung ist in diesem Spiel – wie schon am Samstag gegen Verl – absolute defensive Disziplin. Klappt das und können die Sechzger Ulm auch in der eigenen Hintermannschaft überraschen, sehe ich keinen Grund, warum Ulm nicht schlagbar sein sollte. Die Spielweise der Ulmer ist grundsätzlich sehr kräfteraubend. Man muss es also schaffen, so zu spielen, dass die Spieler des SSV sich so früh wie möglich verausgaben. Dann hat man einen guten Hebel.

Lassen die Löwen irgendwann den Schlendrian Einzug halten, wird es schwer. Ulm ist keine Übermannschaft, wenn man die Einzelspieler betrachtet, aber das Kollektiv der Spatzen weiß, wie man auch stärkere Gegner bezwingen kann.

So könnte Ulm beginnen

Datenquelle: Wyscout

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