Am morgigen Samstag trifft der TSV 1860 München auf den Aufsteiger aus der Regionalliga Nord, den VfB Lübeck. Der Österreicher auf dem Trainerstuhl der Gäste, Rolf Martin Landerl, ist dort seit 2016 Trainer und schickt seine Mannschaft seit der Regionalligasaison 2018/19 bevorzugt in einer 3-5-2 offensiv-Formation auf den Platz. Dass diese Formation den Beinamen „offensiv“ trägt, muss aber noch lange nicht heißen, dass das Lübecker Team auch tatsächlich offensiv auftritt. Es ist lediglich die Beschreibung für ein System mit Dreierkette, in dem bei eigenem Ballbesitz die Mittelfeldflügel weit vorrücken – und mit einer Doppelzentrale vor dem defensiven Mittelfeldspieler.

Dieses System soll generell ein direktes Konterspiel begünstigen. Gegen den Ball müssen die Außen meist weite Wege gehen, um sich in die Dreierkette einzuklinken, die dann – wie auch schon bei unserem letzten Gegner Zwickau – zur Fünferkette wird.

Von der Spielanlage dürfen wir den VfB Lübeck (trotz gleicher Grundaufstellung wie Zwickau) in einer komplett anderen Variante erwarten als die Sachsen am vergangenen Samstag – nämlich absolut defensiv. Die Spieler von der alt-ehrwürdigen Lohmühle beginnen das Gegenpressing eher tief. Im Heimspiel gegen den MSV Duisburg wurde von den Gastgebern erst kurz vor der Mittellinie gepresst, lediglich die Stürmer versuchten ab dem Mitteldrittel der gegnerischen Spielfeldhälfte die Passwege zuzustellen. Auch die Abwehrreihe steht meist tief am eigenen Strafraum.

Der Rest der Mannschaft verteilt sich gegen den Ball zunächst sehr gut und versucht – sobald die gegnerische Mannschaft in die Hälfte der Lübecker eindringt – weniger über aktive Zweikämpfe gegen den ballführenden Spieler, als über gutes Positionsspiel bei starker Raumverdichtung in Ballbesitz zu gelangen.

Die gezählten Ballbesitzwechsel während der Partie Lübeck gegen Duisburg zeigen dies sehr deutlich: Durch Positionsspiel: 39, nach Zweikampf: 21, durch abgefangene Bälle: 8, nach einem Kopfballduell: 1. Jene Ballbesitzwechsel, die entstehen, wenn die Kugel eine der Spielfeldbegrenzungen überschreitet, werden in diese Statistik übrigens nicht eingerechnet.

Lübeck versucht in Ballnähe stark verdichteten Raum zu erzeugen, der dem Gegner in der Offensive schnelles, präzises Passspiel, laufintensives, intelligentes Stellungsspiel und hohe Präzision bei Bällen ins letzte Drittel oder Flanken in den Strafraum abverlangt, um überhaupt zum Abschluss eines Spielzugs zu kommen.

Aber auch mit geschickten, schnellen Verlagerungen auf die sogenannte „schwache Seite“ kann man diese komprimierte Art gegen den Ball zu spielen, knacken. Sollten die Löwen ihr spielübergreifend gutes Passspiel weiterhin aufs Feld bringen und wenn auch die Lauffreudigkeit ähnlich wie gegen Meppen oder Zwickau aussieht, kann man behaupten, dass der TSV 1860 reelle Chancen hat, sich mehr Torgelegenheiten zu erspielen als im letzten Heimspiel. Denn mauern wie der 1. FCM wird der VfB voraussichtlich nicht.

Bei Balleroberung spekulieren die Nordlichter eher auf schnelle, überfallartige direkte Konter als auf den von hinten heraus aufgebauten Positionsangriff. Gegen eine Mannschaft wie die von Michael Köllner, die bei eigenem Ballbesitz gerne weit aufrückt und generell sehr hoch presst, kann das – wenn die Passpräzision und die Anspielstationen nach Ballgewinn vorhanden sind und somit das Tempo im Gegenstoß hoch gehalten wird – durchaus erfolgsversprechend sein.

Da sich aber nicht aus jedem Ballgewinn ein Konter ergibt, muss man natürlich auch beleuchten, wie der VfB Lübeck seine Positionsangriffe steuert. Die wichtigsten Figuren im Aufbauspiel der Hansestädter sind Sven Mende (#8), Mirco Boland (#31), Yanick Deichmann (#10) und Marvin Thiel (#13). Diese vier Mittelfeldspieler hatten über die letzten drei Spieltage hinweg pro Spiel annähernd gleich viele Ballkontakte. Die höchste Passgenauigkeit und die meisten gewonnenen Offensivzweikämpfe weist Boland auf.

Sogenannte entscheidende Pässe kamen jedoch von anderen Spielern. Daraus folgt: Boland soll die Positionsangriffe starten, situative Schwächen des Gegners erkennen und den Angriff mit einem Pass auf den Spieler, dessen Position und verfügbarer Bewegungsspielraum am erfolgversprechendsten erscheint, einleiten.

Was ist zum Angriffsspiel der Lübecker noch wissenswert? Auf Ballbesitzspiel legt die Landerl-Elf offensichtlich kaum Wert. Im Durchschnitt der bisherigen drei Auftritte liegt der Wert bei 43%, wobei auffällt, dass er beim Auswärtsspiel in Unterhaching höher war als in den beiden Heimspielen. Die beiden Tore für Lübeck fielen bisher beide über Konterangriffe. Generell wird der VfB dann gefährlich, wenn er das Spiel schnell machen kann und die Hintermannschaft des Gegners in der Rückwärtsbewegung etwas unsortiert daherkommt.

Die Stärken und Schwächen des 3-5-2-Systems habe ich schon letzte Woche in der TAKTIKTAFEL zum Auswärtsspiel in Zwickau behandelt. Wer möchte, kann sich gerne im betreffenden Artikel nochmal darüber informieren.

Wer wird für die Hanseaten am Samstag im Grünwalderstadion wohl auflaufen? Mit Sicherheit nicht mit von der Partie sind zwei für den Aufsteiger wichtige Neuzugänge: Stürmer Elsamed Ramaj (#6), der im Sommer auf dem kurzem Weg aus Rostock gewechselt hat, brach sich gegen Duisburg das Schlüsselbein. Der linke Mittelfeldspieler Sebastian Hertner (#3), der von Darmstadt 98 kam, laboriert an einem Außenbandriss im Sprunggelenk. Für ihn wäre ein Auftritt in München ein Wiedersehen geworden, schnürte er zwischen Juli 2013 und Januar 2015 doch bei den Löwen seine Fußballstiefel. Hinzu kommen noch drei weitere Langzeitverletzte.

In Abwehr und Mittelfeld schickte Rolf Landerl in den bisherigen Spielen zu Beginn jeweils die identischen acht Spieler aufs Feld. Über die mögliche Aufstellung im Sturm darf getrost spekuliert werden. Ob beispielsweise der Sohn des ehemaligen Löwenbombers Bernd Hobsch (39 Spiele/18 Tore für den TSV 1860), Patrick Hobsch (#34), der in den ersten beiden Spielen noch zur Stammelf zählte, gegen Duisburg aber nicht einmal im Kader stand, obwohl er zur Saisoneröffnung gegen Saarbrücken getroffen hatte, am Samstag zum Startpersonal gehören wird? Die neben Hobsch wahrscheinlichsten Optionen für den Doppelsturm sind die in den bisherigen Spielen bereits als Einwechselspieler zum Zug gekommenen Martin Röser (#9) und Soufian Benyamina (#33).

Aufgrund der Kaderbreite und der Verletztenmisere und auch, weil der TSV 1860 gegen den FSV Zwickau, der in einer anderen Variante der gleichen Grundformation wie Lübeck spielt, über weite Strecken gut unterwegs war, besteht natürlich die Möglichkeit, dass Lübeck in einem 5-3-2 oder 4-1-4-1 den Platz betritt. Ersteres System wurde in den vergangenen zwei Spielzeiten z.B. gegen Wolfsburg II auf das Grün gebracht. Mit Viererkette spielten die Hansestädter in der Vergangenheit vor allem dann, wenn während des Spiels eine Systemänderung vonnöten war.

Das 5-3-2 ist wäre nur bedingt eine mögliche Alternative für den VfB Lübeck, der keine nominellen Außenverteidiger im Kader hat. Man verfügt lediglich über Spieler, die dort als „Notnagel“ eingesetzt werden könnten. Florian Riedel (#39), Stammspieler im rechten Mittelfeld, und Tim Weißmann (#2), eigentlich Innenverteidiger, für den dann Thiel oder Deichmann weichen müssten, wären die wahrscheinlichen Außenverteidiger in so einem Szenario. Da man aber so gute Fußballer wie Thiel oder Deichmann eigentlich nicht auf der Bank sitzen lässt und weil ansonsten keine etatmäßigen Außenverteidiger zur Verfügung stehen, halte ich ein 5-3-2  für unwahrscheinlich.

Datenquelle: http://www.wyscout.com/

So wird der VfB Lübeck also vermutlich morgen Nachmittag auflaufen:

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Schuizi

Starke Analyse! Ist sehr interessant für alle Taktik-Tüftler. Da steckt n Haufen Arbeit, Videoanalyse des Gegeners und viel Fachwissen dahinter…
Alles selbst angelesen oder doch schon A-Lizenz Inhaber? 🙂

TaktikTafel

Servus Schuizi,

Danke für Dein Lob, und nein A-Lizenz hab ich keine, auch sonst besitze ich keinen Trainerschein.
Die Arbeit ist halb so wild, ich mach das ja gerne, sonst würd ich’s nicht machen. 😉
Es freut mich sehr, wenn das was ich in der Taktiktafel schreibe, den Menschen gefällt, und es hier Reaktionen darauf gibt.