Am gestrigen Montag verkündete das Bundeskartellamt die Ergebnisse zur Prüfung der 50+1 Regel im deutschen Profifußball. Grundsätzlich ist die Regel rechtskonform – ein gutes Signal findet Löwenfan Benedikt Niedergünzl.
Ein Kommentar von Benedikt Niedergünzl
Bundeskartellamt fordert Nachbesserungen bei 50+1 – Ein überfälliger Schritt für die Integrität des deutschen Fußballs
Mit seiner gestrigen Pressemitteilung hat das Bundeskartellamt ein starkes Signal für die Zukunft des deutschen Profifußballs gesendet. Die vorläufige Einschätzung zur 50+1-Regel fällt eindeutig aus: Grundsätzlich ist die Regel mit dem Kartellrecht vereinbar – sofern sie einheitlich, konsistent und diskriminierungsfrei angewendet wird. Die DFL wird jedoch unmissverständlich aufgefordert, an ihrer Umsetzungs- und Kontrollpraxis nachzubessern.
Diese Position des Bundeskartellamts ist nicht nur juristisch relevant, sondern auch sportpolitisch bedeutsam. Die 50+1-Regel stellt ein zentrales Element des deutschen Fußballs dar, das ihn im internationalen Vergleich einzigartig macht: Die Partizipation der Mitglieder und die Vereinsprägung stehen im Mittelpunkt. Anders als in vielen anderen europäischen Ligen, in denen Investoren häufig die vollständige Kontrolle über Profiklubs übernehmen, garantiert 50+1 in Deutschland bislang eine demokratische Mitgestaltung durch die Vereinsmitglieder.
Positives Signal für Fan-Mitbestimmung und Gemeinwohl
Das Bundeskartellamt erkennt ausdrücklich an, dass das Ziel der Mitgliederpartizipation und Vereinsprägung geeignet ist, eine Ausnahme vom Kartellverbot zu rechtfertigen. Dies ist ein bedeutendes juristisches Bekenntnis zum Modell des deutschen Fußballs – und zugleich eine Mahnung, es nicht durch uneinheitliche Praxis zu unterwandern.
Die Behörde macht deutlich: Die Regel kann nur dann als kartellrechtskonform angesehen werden, wenn sie auch konsequent und für alle gleich umgesetzt wird. Besonders positiv ist zu bewerten, dass das Kartellamt nicht die Regel selbst infrage stellt, sondern die DFL auffordert, endlich ihre Durchsetzung ernst zu nehmen – sowohl im Lizenzierungsverfahren als auch in der internen Gremienarbeit.
Unfaire Ausnahmen: Leverkusen, Wolfsburg und Leipzig im Fokus
Die Kritik an der bisherigen Praxis ist klar: Die Ungleichbehandlung der sogenannten „Förderklubs“ wie Bayer 04 Leverkusen und VfL Wolfsburg ist mit den aktuellen Maßstäben des Europäischen Gerichtshofs nicht länger vereinbar. Beide Clubs firmieren als einfache GmbHs, vollständig in der Hand ihrer jeweiligen Konzerne (Bayer AG und Volkswagen AG). Von echter Mitgliederkontrolle kann keine Rede sein.
Naheliegend wäre es, bei diesen Klubs auf ein Konstrukt wie beim TSV 1860 München umzusteigen: Eine ausgegliederte Kommanditgesellschaft, an der der Konzern 100 % der Anteile hält, während der eingetragene Mutterverein als Komplementär fungiert. Dies würde formal sicherstellen, dass die Vereinsseite weiterhin die Kontrolle über die Profiabteilung behält – wie es die 50+1-Regel verlangt.
Auch RB Leipzig, dessen Konstruktion schon lange als besonders problematisch gilt, könnte formal auf das Modell des FC Bayern umgestellt werden: Dort liegt die operative Kontrolle bei der AG, während der e.V. als Mehrheitsaktionär dient. Zwar ist die reale Mitbestimmung der Mitglieder auch hier begrenzt, doch das rechtliche Konstrukt wahrt zumindest die Voraussetzungen für eine 50+1-konforme Struktur.
Die DFL steht in der Pflicht
Besonders bemerkenswert ist, dass das Kartellamt die DFL in die Verantwortung nimmt, für die Einhaltung der Regel selbst zu sorgen – etwa bei Abstimmungen über Investorenbeteiligungen. Die Kritik am Verhalten im Fall Hannover 96 und Martin Kind zeigt exemplarisch, wie institutionelles Wegsehen die Regel entwertet. Wenn die DFL selbst die 50+1-Regel in ihren eigenen Gremien nicht beachtet, gefährdet sie deren kartellrechtliche Legitimität.
Diese Aufforderung zur Selbstverantwortung ist überfällig. Die DFL muss nun rechtssichere Strukturen schaffen, die eine einheitliche Umsetzung garantieren. Dazu gehört zwingend auch ein offener Zugang zur Mitgliedschaft in allen Vereinen der 1. und 2. Bundesliga.
Fazit: Reformen jetzt – zur Rettung eines Fußballmodells mit Zukunft
Die Stellungnahme des Bundeskartellamts ist ein Weckruf – aber auch eine Chance. Der deutsche Fußball hat mit der 50+1-Regel ein Alleinstellungsmerkmal, das weltweit geschätzt wird. Sie bewahrt nicht nur ein Stück Fußballkultur, sondern schützt den Sport auch vor den radikalen Auswüchsen der Kommerzialisierung, wie sie in anderen Ligen längst Alltag sind.
Um dieses Modell zu retten, muss es reformiert und vereinheitlicht werden. Ein Übergangszeitraum für die Umsetzung, wie vom Kartellamt angedeutet, ist vernünftig – aber die Richtung ist klar: Einheitliche Regeln, rechtskonforme Strukturen und konsequente Kontrolle.
Das Ziel muss sein: Gleiche Regeln für alle – für einen Fußball, der den Menschen gehört.
Titelbild: Anne Wild
Welche Konsequenzen hat die Entscheidung des Bundeskartellamtes für 1860?
Wenn ich die Berichte vom Herbst letzten Jahres richtig verstanden habe, hat das Präsidium auf Entscheidungsrechte in Personalangelegenheiten zugunsten HAM verkauft. Verfügt nach diesem Verzicht der e.V. überhaupt noch über die Entscheidungsmacht, die nach der 50+1-Regel dem Verein eingeräumt sein muss?
Könnten die Vorschläge des Bundeskartellsamts eine Möglichkeit sein, die Entscheidungsrechte von Ismaik bzw. HAM einzugrenzen, beispielsweise durch das Doppelstimmrecht des Aufsichtsrats-Vorsitzenden, welches wohl Ismaik ermöglicht, das Finanzbudget nach eigenem Gutdünken festzulegen.
Nein, wir haben durch den Kreditvertrag eine Entscheidungsgewalt ohne Not verkauft, die uns per 50+1 gar nicht zugestanden hätte. Kein Vertrag darf 50+1 verletzen.
Der e.V, hat keine Entscheidungsgewalt verkauft. Der e.V kann jederzeit in der GF Entscheidung 50+1 ziehen, und ohne den Kreditgeber entscheiden. Der Investor hat halt daraufhin das Recht den Kreditvertrag zu kündigen. Das mag im Prinzig schon die 50+1 Regel aushebeln, wenn man als e.V. die Konsequenzen nicht aushalten kann. Gleichzeitig verhindert es aber 50+1 nicht per se.
Daraufhin könnte das Präsidium allerdings dafür haftbar gemacht werden, weshalb kein Präsident allen ernstes 50+1 ziehen wird. Also doch Entscheidungsgewalt verkauft, oder nicht?
Dazu fragen wir am besten unseren Rechtsbeistand. Rein theoretisch müsste eine Kündigung des Kreditvertrages ja keine Insolvenz nach sich ziehen. Dann gäbe es auch nichts wofür das Präsidium haftbar gemacht werden könnte. Das ist ja nicht zwingend.
In Echt und beim TSV hast du natürlich recht.
Eine Kündigung des Darlehensvertrages würde zwangsläufig auch die Fälligstellung des Darlehensbetrages nach sich ziehen. Und dann müsste die TSV KGaA binnen weniger Tage die Insolvenz anmelden.
…und der “Investor” würde bei einer Insolvenz nahezu sein gesamtes Geld verlieren. Zumal es sich in seinem Fall wohl überwiegend um nachrangige Darlehen handelt. Menschen schaden sich durch ihr Verhalten oft auf verblüffende Weise selbst. Die Kündigung des Darlehensbertrags würde die Redensart “sich selbst ins Knie schießen” allerdings auf ein neues Level bringen.
Dass der e.V. bis vor kurzem Geschäftsführer bestellen bzw. abberufen konnte, hatte nichts mit der eigentlichen 50+1 Regel zu tun. Das war eine Besonderheit beim TSV 1860 München. Entsprechend kann auch 50+1 nicht ausgehebelt werden.
Wird im aktuellen Talk auch angesprochen.
Hat das VR- und Beirats-Mitglied Walch nicht sinngemäß ausgeführt: Sollten die Gesellschafter sich im Beirat über eine Personalentscheidung nicht einigen können oder wegen einer Dringlichkeit, dann kann der Gesellschafter des Geschäftsführungs-GmbH (e.V.) den Vorgang an sich ziehen. Dann also kann das Vereinspräsidium ohne HAM die Entscheidung treffen.
Wenn dieser Ablauf so nicht getroffen worden wäre, läge dann nicht ein Verstoß gegen die 50+1-Regel vor, weil der Verein nicht die erforderlichen Weisungsrechte hat?
Hier ging es explizit um die Berufung oder Abbestellung von Geschäftsführern und das ist kein Teil von 50+1. Bestätigt sowohl Nicolai als auch Robin Krakau im Talk.
Wollen wir mal kurz darüber reden, dass laut HAM-naher Berichterstattung die HAM heute wiedere den selben miesen Trick in Form einer Aufsichtsrats-Budgeterhöhung vor hat, wie letztes Jahr? Und Hasan lässt sich diese Budgeterhöhung dann wieder teuer bezahlen!
In ein paar Monaten sind alle dann wieder total überrascht, warum jetzt neues Geld benötigt wird.
Das dürfte diese Saison schon auf ein sehr solides Minus hinauslaufen und im Jahr darauf könnten wir es dann bald schaffen einen Fehlbetrag auszuweisen, der mindestens 50% des Umsatzes ausmacht, das macht uns so schnell keiner nach. Das das nicht nur auf diese sondern auch auf kommende Spielzeiten wirkt überreißt das Sackerl ganz sicher nicht und der Mann mit den vom Spetzi verklebten Synapsen wird dann wieder was von der gescheiterten Konsolidierung schwafeln. @Jan: Wäre einen Artikel Wert, oder? Evtl. auch ein Thema für den Talk?
Theoretisch schon, praktisch sind die Zahlen immer mit Vorsicht zu genießen und total undurchsichtig… Schwierig daraus einen Artikel zu basteln geschweige denn einen ganzen Talk damit zu füllen.
Zitat: “Dass der e.V. bis vor kurzem Geschäftsführer bestellen bzw. abberufen konnte, hatte nichts mit der eigentlichen 50+1 Regel zu tun. Das war eine Besonderheit beim TSV 1860 München. Entsprechend kann auch 50+1 nicht ausgehebelt werden.
Wird im aktuellen Talk auch angesprochen.”
Sorry, aber diese Spitzfindigkeiten machen die Sache nicht unbedingt leichter. Einfach ausgedrückt besagt die 50+1 Regel, dass der Mutterverein das letzte Wort haben muss. Das ist weiterhin gegeben. Aber wie Nicolai auch ausführt, ist durch den entsprechenden Passus im letzten Darlehensvertrag, durch die mögliche Vertragsverletzung und der drohenden Haftung, im echten Leben dieser Durchgriff nahezu ausgeschlossen. Daher kann man im übertragenen Sinn schon von aushebeln der 50+1 Regel sprechen.
ps
Nicolai hat erwähnt, dass die Bestellung und Abberufung der GF seit kurzen nicht zwingend Bestandteil der 50+1 sein muss. Das ist neu, oder?
Verstehe ich, dass Spitzfindigkeiten schwierig sind. Aber das sind schon gefährliche Aussagen, weil mit einer Aushebelung von 50+1 die Lizenz in Gefahr wäre. Insofern: nein, kann man nicht sagen, aber eine Schwächung des eVs ist die neue Situation schon. Und ja, im echten Leben ist ausgeschlossen, dass der eV im Alleingang einen Geschäftsführer rausschmeißt oder neu einstellt.
Zum PS: neu ist das nicht, es war nur nicht bekannt, dass die 50+1 Regel das nicht beinhaltet.
Man fragt sich dann halt manchmal schon, was die 50+1 Regel überhaupt beinhaltet. Wir hatten zumindest in der Vergangenheit GF mittels der 50+1 Regel berufen.
Genau diese Spitzfindigkeiten meine ich, die letztendlich alle Leute verrückt machen,weil sich keiner mehr auskennt.
Ja, 50+1 müsste mal verständlich u. konkreter erklärt werden, d.h., wie sich das Recht genau definiert. Mit allgemeinen Aussagen kommen wir hier nicht richtig schlüssig weiter. Ob da Konkreteres definiert ist? Ich weiß es leider auch nicht. Würde mich u. viele Fußballfans sehr interessieren, was da konkret u. detailliert wie festgelegt ist. Ich vermute, das 50+1 zwar grundsätzlich die Entscheidungshoheit des e.V. festschreibt, aber dieses Garantierecht nur sehr allgemein formuliert ist u. darin nicht sehr konkret u. detailliert beschrieben wird, was da alles dazugehört.
Jedenfalls finde ich wie Viele die positive Entscheidung zu 50+1 erstmal sehr wichtig u. gut u. sehr erfreulich, dass die e.Vereine weiterhin die Entscheidungshoheit in Fußballunternehmen haben u. behalten müssen.
Einwandfreie Rechtsauffassung des Kartellamts und ein ebenso treffsicherer Kommentar vom Bene.
Die DFL wird sich bewegen müssen und das ist gut so.
Zitat: “Die DFL wird sich bewegen müssen und das ist gut so.”
Das wollen wir natürlich alle hoffen. Tatsächlich muss die DFL aber gar nichts. Die Mitglieder/Vereine der DFL entscheiden eigenständig, ob Ihnen die Bewahrung von 50+1 soviel wert ist, dass sich die 3 Vereine zumindest pro forma bewegen, oder eben nicht. Die DFL bzw. Ihre Mitglieder könnten sich auch dazu entscheiden, einfach alles schleifen zu lassen, und den Mitgliedern selbst die Entscheidung zu überlassen.
Sie muss sich trotzdem bewegen bzw diese Bewegung anstoßen. Ausnahmen abschaffen oder das ganze Konstrukt 50+1. Ich kann mir nur schwerlich vorstellen, dass die Mehrheit der Vereine wegen dieser paar Fußball-Firmen den gesamten deutschen Profi-Fußball auf den Kopf stellen wollen.
Auf jeden Fall ist demnächst Schluss mit dem bisherigen Wischiwaschi der DFL.
Eindrücklicher Kommentar. Stark! Während den einschlägigen Münchner Boulevard-Zeitungen, so weit ich eben sehen konnte, das Ergebnis der Prüfung durch das Bundeskartellamt nicht einmal eine Meldung wert ist. Auch nicht beim BR. Die gleichen Redaktionen, die jeden Furz des “Investors” völlig unkritisch zu einer Sensation hochjazzen.
Dem gibt’s nichts hinzuzufügen! Sehr guter Beitrag @Bene
Die Frage stellt sich, wie man den Prozess der Vereinheitlichung von Seiten der DFL anschiebt und wie sich von Seiten der Betroffenen verhalten wird. Besonders interessant wird es zu sehen, welche Konsequenzen sich daraus ableiten werden, vor allem bei Nichtbeachtung.
Insgesamt ein sehr gutes Ergebnis für den Fußball in Deutschland!
Als Gegenargument wird oft angeführt, dass der deutsche Fußball abgehängt wird, wenn die 50+1-Regel beibehalten wird. Das sehe ich nicht so. Ein Fußballer, egal ob Topstar oder Ergänzungsspieler, kann nicht schneller laufen wenn mehr Geld im Fußballgeschäft ist. Die Masse der absoluten Topstars ist überschaubar. Mehr Geld in den Zirkus zu buttern erhöht nicht die spielerische Qualität, sondern dass auch für mittelmäßige Drittligaspiele Mondpreise aufgerufen werden. In einem System wie dem deutschen Fußball, in dem die Schere zwischen DFL und DFB immer weiter auseinander geht, kann sich das für Clubs mit begrenzten Mitteln tödlich auswirken. Es sei denn man spielt das Spiel mit, verkauft sich und setzt alles auf eine Karte.
Dass am Ende des Tages aber mehr Geld bei den Vereinen hängen bleibt oder die Qualität der Mannschaft steigt, ist mehr als zweifelhaft. Mehr Geld im System heißt: mehr Geld für dubiose Spielerberater, Wettanbieter oder sonstige Drittverwerter.
Das deutsche System, dass die Kunden als Mitglieder aktiv am Vereinswesen mitwirken können, wird weltweit beachtet: Die Stadien sind voll, die Stimmung beachtenswert. Das Interesse an Vereinspolitik steigt bei jedem Verein und “Fan-Präsidenten” wie Bernstein und Reisinger werden in Zukunft eher die Regel wie die Ausnahme sein. Die Fans als zwölfter Mann werden an immer mehr Standorten mitgenommen und abgeholt, anstatt dirigiert.
Selbst der für “kreative Anlageformen” bekannte Marktführer aus der Seitenstraße zeigt auf, wie man trotz 50+1 ordentlich Arbeiten kann: die Investoren (Audi, Telekom, adidas) werden als strategische Partner ins Boot geholt und mit ihnen eine gemeinsame Ausrichtung abgestimmt.
50+1 besagt, dass der Hund mit dem Schwanz wedelt und nicht umgekehrt. Mitgliederbeteiligung ist wichtig und richtig, denn Fußball ist mehr als nur eine pure Unterhaltungsindustrie. Es ist für viele Menschen soziale wie emotionale Heimat, Zugehörigkeit, Ort für Vielfalt und Toleranz und vielerorts ein Beispiel, dass man selbst etwas für seinen Verein tun kann. Und nicht darauf zu warten, dass jemand mit zu viel Geld kommt und etwas für mich tut.