Ein herzliches Grüß Gott zur Taktiktafel vor dem Spiel TSV 1860 – SV Wehen Wiesbaden. Markus Kauczinski lässt sein Team bisher ausnahmslos im 3-4-3 (3-4-1-2) auflaufen. Mit 24 Punkten und dem bislang dritten Tabellenplatz schlägt sich der SVWW diese Saison sehr gut. Wiesbaden ist, wie auch der TSV 1860, mit 26 Treffern, eine der torgefährlichsten Mannschaften der Liga.

TSV 1860 – SV Wehen Wiesbaden, das Duell Zweiter gegen Dritter steht an. Wiesbaden befinden sich momentan mit deutlich steigender Tendenz in der Tabelle auf Platz drei, die Sechzger trotz verhaltener Leistungen immer noch auf dem direkten Aufstiegsplatz.

Abgesehen davon, wie man mit der schussstarken Offensive des SVWW klarkommt, gilt es für die Sechzger vor allem das eigene Positionsspiel wieder in den Griff zu bekommen.

Die Wiesbadener spielen bei eigenem Ballbesitz das 3-4-3 (3-4-1-2) mit klarer Struktur, viel Bewegung im Mittelfeldzentrum und variablen Verschiebungen auf den Außenpositionen.

Gegen den Ball formiert sich im Pressing in der vordersten Linie eine Dreierkette. Die Mittelfeldaußenspieler kippen zunächst nur situationsbedingt ab. Erst nachdem der Gegner ins letzte Drittel eindringt, formiert sich die Fünferkette. Diese ist meist auf der ballfernen Seite asymmetrisch aufgestellt. Der zentrale Innenverteidiger agiert oft frei im Raum und hat vor allem die Aufgabe Passwege zuzustellen und im Fall des Falles eine Doppelung herzustellen.

Bevor wir genauer auf die Spielweise der Wiesbadener eingehen, die bisherigen statistischen Werte des SVWW:

Die wichtigsten statistischen Werte

  • Ballbesitz: 51 %
  • Passgenauigkeit: 79 %
  • Defensive Zweikampfquote: 63 %
  • Flankengenauigkeit: 38 %
  • PPDA (Zugelassene Pässe pro Defensivaktion): 8,91

Wie spielt Wiesbaden?

Gegen den Ball

Gegen den Ball pressen die Wiesbadener mit der offensiven Dreierkette mittel bis hoch und sehr konsequent, wobei sie die Balleroberung oft erst in der zweiten Reihe anstreben. Dadurch entwickelt das Team von Markus Kauczinski im Umschaltspiel eine gefährliche Dynamik, die bei genauem Passspiel für viel Gefahr sorgt.

Die Verteidigung des Positionsspiels bei Wiesbaden fußt auf Laufarbeit und Stellungsspiel. Die gute Staffelung, die die Hessen gegen den Ball herstellen, verwickelt die Spieler des SVWW nicht so häufig in defensive Zweikämpfe wie andere Mannschaften. Das Stellungsspiel und die Staffelung der hessischen Landeshauptstädter sorgen für viele Ballgewinne.

Im letzten Drittel verschiebt sich das 3-4-3 auf 5-4-1. Dabei ist zu beachten, dass bei Angriffen über die Flügel oder die Halbpositionen der ballferne Mittelfeldaußenspieler nicht bis ganz in die letzte Reiche abkippt, sondern asymmetrisch darauf lauert, entweder einen Seitenwechsel zu verteidigen, oder bei Ballbesitzwechsel als erster anspielbarer Spieler einen schnellen Umschaltmoment einzuleiten.

Der “freie” zentrale Innenverteidiger, der sowohl vor der Kette, als auch in ihr agieren kann, ist die interessante taktische Variante im Spiel der Wiesbadener gegen den Ball. Ohne feste Zuordnung beim Positionsspiel des Gegners, ist es seine Aufgabe, aus der Abwehrkette im letzten Drittel nach vorne zu verteidigen und so durch abgelaufene Pässe in Ballbesitz zu kommen oder einen der beiden anderen Innenverteidiger zu unterstützen bzw. abzusichern. Der Spieler ist in kein taktisches Defensivkorsett eingezwängt, sondern entscheidet selbst situationsabhängig, welche Aktion gefordert ist.

Mit dieser Spielweise gegen den Ball sind die Wiesbadener das Team, das die wenigsten gegnerischen Schüsse überhaupt zulässt. Der Ligadurchschnitt liegt hier um mehr als 52 % über dem, was der SVWW den Gegnern gestattet.

Bei Ballbesitz

Wiesbaden ist in der Lage, das Spiel über die komplette Breite des Feldes aufzuziehen. Sie finden gute Lösungen, sich mit Hilfe des technisch starken und gut besetzten Mittelfeldes über jede Pressinglinie hinweg freizuspielen. Enges Spiel im Mittelfeldzentrum mit viel Rotation auf den drei zentralen Positionen oder Flügelläufe über die flinken Außenspieler sind dabei die Mittel der Wahl beim SVWW. Dabei sehen wir Wiesbaden weit häufiger über rechts und das Zentrum aufbauen als über links. Aber diese Seite wird oft im Verlauf eines Angriffs über einen Seitenwechsel gesucht, um einer verzwickten oder verfahrenen Aufbausituation einen neuen Impuls zu verleihen.

Durch die strukturierte Art des Positionsspiels und das durch die defensive Staffelung begünstigte kraftvolle und schnelle Umschaltspiel schafft es Wiesbaden, Spielzüge zu kreieren, die es erlauben, 41 % häufiger im gegnerischen Strafraum in Ballbesitz zu kommen und 30 % häufiger Schüsse abzufeuern als der Rest der Liga im Durchschnitt. Der einzige Konkurrent, der Wiesbaden in diesen Kategorien das Wasser reicht, ist Tabellenführer Elversberg.

Wie kann man Wiesbaden knacken?

Den SV Wehen Wiesbaden aus seinem defensiv starken taktischen Konzept zu bringen, wird für den TSV 1860 München nur über schnelle präzise Spielzüge oder mit Hilfe von Standardsituationen gehen können. Wer gegen Wiesbaden beim Spiel nach vorne trödelt, ist den Ball schneller wieder los, als ihm lieb ist.

Das bedeutet für die Sechzger, sie sollten möglichst früh in der gegnerischen Hälfte versuchen, in Ballbesitz zu kommen. Dazu bedarf es konsequentem Pressing auf hoher bis mittlerer Linie. Ob die Aktionen im Pressing dann gegen den Ball gesetzt werden oder das Anlaufen dazu dient, den Ball in den Presssingfallen aufzugabeln, ist zweitrangig. Im Endeffekt kann man es darauf herunterbrechen: Je höher die Sechzger anlaufen, desto tiefer sollte der Ballgewinn erfolgen. Hohes Anlaufen soll also zum Spiel in die Pressingfallen führen, mittleres bzw. tieferes Anlaufen zu direkten Ballgewinnen.

Das hat den Sinn, dass man nach Ballgewinn immer noch genügend Spielfeld vor sich hat, um einen Spielzug aufs Feld zu bringen. Man sollte zwar schon versuchen, nach Ballgewinn schnell zu agieren, aber ohne Hektik. Je mehr Spielfeld ich vor mir habe, desto ruhiger kann ich – auch wenn es zügig abläuft – nach vorne agieren.

Klar ist: Alle müssen in jeder Spielsituation den gleichen Plan verfolgen. Die unübersehbaren Abstimmungsprobleme müssen in der vergangenen Woche abgestellt worden sein.

Sowohl bei Ballbesitz als auch gegen den Ball muss Einigkeit herrschen, was man macht. Im Spiel gegen Osnabrück war diese Einigkeit über weite Strecken nur im eigenen letzten Drittel und nur gegen den Ball zu sehen. Ein Spiel mit ähnlichen Differenzen bezüglich des offensiven Plans und bezüglich dessen, wie man presst oder eben nicht, endet mit noch mehr Chancen für den Gegner als das Auswärtsspiel vergangene Woche.

Stärken und Schwächen des 3-4-3

Stärken

Das 3-4-3 bietet mit seiner exzellenten Tiefenstaffelung im Zusammenspiel mit taktischer Disziplin im Positionsspiel sehr variantenreiche Spielzüge im Aufbau. Gerade für spielstarke Teams ist dieses System daher eine wahnsinnig effektive Waffe. Angriffspressing und Gegenpressing können mit der Überzahl an Offensivspielern gut umgesetzt werden. Diese Überzahl verhilft der Mannschaft im 3-4-3 auch im letzten Drittel zu hoher Variabilität.

Schwächen

Die Dreierabwehrkette muss situativ immer wieder aus dem Mittelfeld heraus verstärkt werden, wenn der Gegner sich aus dem Pressing befreien kann. Das 3-4-3 stellt hohe Anforderungen an die individuelle Stärke der Spieler – sowohl mit als auch gegen den Ball. Wenn die Spieler ihre Rollen im taktischen Konzept nicht einhalten, kann das Spiel im 3-4-3 leicht zum Debakel werden. Außerdem ist es sehr konteranfällig.

Die Schlüsselspieler

Abwehr

Arthur Lyska (#31) ist ein junger reflexstarker Torhüter, der den an einer Schultereckgelenksprengung laborierenden Stammkeeper Stritzel ersetzen muss. Als relativ unbeschriebenes Blatt mit erst elf Spielen im Profizirkus fehlt ihm noch etwas der Feinschliff. Er könnte eine kleine Schwachstelle in der Wiesbadener Mannschaft sein.

In der Innenverteidigung erhält das Prädikat Schlüsselspieler Sascha Mockenhaupt (#4). Er gewinnt mit 85% die zweitmeisten defensiven Zweikämpfe in der Liga und ist auch im Spielaufbau ein wichtiges Puzzleteil des SVWW. Dabei teilt er sich die Arbeit mit dem aus dem defensiven Mittelfeld in die Dreierkette nach hinten gerutschten Ex-Kapitän Sebastian Mrowca.

Mittelfeld

Bjarke Jacobsen (#19), der robuste Sechser, ist Organisator der Defensive vor der Kette. Wie ein Staubsauger räumt er im defensiven Mittelfeld meistens schon auf, bevor überhaupt Gefahr vor dem eigenen Tor aufkeimen könne.

In der Offensivabteilung ist Johannes Wurtz (#8) der wichtigste Spieler des SVWW. Als Schattenstürmer aus der Tiefe des Raums agierend, rückt er hinter die Spitzen und stellt die gegnerische Defensive sowohl mit kreativen Momenten, als auch mit Abschlüssen vor Aufgaben, die es zu lösen gilt.

Sturm

Mit sechs Toren in sieben Spielen ist Neuzugang Ivan Prtajin (#18) ganz klar der Topstürmer der Hessen. Ein typischer Knipser, der vor dem Tor nicht lange fackelt und mit seiner Ankunft in Wiesbaden den Sturm des SVWW auf ein besseres Level brachte. Sein guter Riecher für Torgelegenheiten und Abschlusschancen sorgt für viele gefährliche Momente. Er ist nicht nur ein Torjäger, sondern auch ein mit viel Übersicht ausgestatteter Vorbereiter. Ihn zu verteidigen wird schwer werden, ihn komplett auszuschalten fast unmöglich.

Fazit

Wenn beide Teams das konservieren, was sie an den letzten Spieltagen gezeigt haben, hat der TSV 1860 München am Samstag gegen den SV Wehen Wiesbaden nichts zu melden und bekommt eine Lehrstunde.

Verbesserung in allen Bereichen ist gefragt. Ich bin mir sicher, dass der Trainer einen klaren Plan hat, wie er gegen Wiesbaden agieren möchte. Ob die Mannschaft diesen auch umsetzt, steht auf einem anderen Blatt Papier.

Sieg, Unentschieden, Niederlage? All das ist möglich, all das ist vorstellbar. Nicht vorstellbar ist es, dass das spielerische und taktische Defizit ähnlich durch Einsatz und Glück ausgeglichen wird wie vergangene Woche. Deshalb hoffe ich, dass sich die Spieler nicht nur reinhängen, sondern auch wieder so intelligenten, taktisch hochwertigen Fußball spielen, wie man ihn diese Saison schon eindrucksvoll gezeigt hat.

Wie Lösungen im Positionsspiel aussehen können, weiß der Trainer und es wissen die Spieler. Ob die Spieler es wieder auf den Platz bringen können, werden wir sehen.

Ich hoffe – wie schon letzte Woche – auf einen Sieg. Erwartet habe ich letzte Woche nichts. Nach der Leistung in Osnabrück ist es diesmal ähnlich, wobei ich denke, dass es für den TSV 1860 München nicht zu mehr als einem Punkt reichen wird, falls am Samstag gegen den SV Wehen Wiesbaden nicht der ganz große Hebel umgelegt werden kann.

So könnte der SV Wehen Wiesbaden gegen den TSV 1860 München beginnen

Datenquelle: Wyscout

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Chemieloewe

Wird gegen Wiesbaden auf jeden Fall ein Härtetest, eine Nagelprobe u. irgendwie auch eine spielerische Standortbestimmung, wo wir gegen die besten Teams der Liga mit unserem gegenwärtigen Leistungsvermögen stehen.

Chemieloewe

Bernd, wieder ein sehr starker Beitrag! Deine Einschätzung u. Voranalyse, wie 60 gegen Wiesbaden bestehen kann u. wie höchstwahrscheinlich nicht, wenn wir weiterhin spielerisch-taktisch so mäßig bis schlecht auftreten wie in den vorangegangenen Spielen, ist einfach dem Nagel auf den Kopf getroffen u. die knallharte, unverblümte Wahrheit wie ich meine.

Bin auch sehr gespannt, ob wir gegen Wiesbaden ein ganz anderes u. viel besseres Spiel unserer Löwen erleben dürfen als in den vorangegangenen Spielen u. wir spielerisch einen großen Schritt nach vorn schaffen. Ich wünsche es mir wie alle Löwen sehr, dass wir gegen Wiesbaden ein sehr gutes u. starkes Spiel auf den Sechzger Rasen bekommen u. mit einem überzeugenden Sieg krönen, was sich in den darauffolgenden Spielen dann bitte gern wiederholen darf u. sollte.

Auf gehts Löwen, kämpfen u. siegen!!!
Auf die L̦wen Рauf Sechzig!!!

_Flin_

Danke für die wie immer tolle Analyse. In Anbetracht unserer Form und der gezeigten Leistungen bin ich pessimistisch. Dann kann ich immerhin positiv überrascht werden.

Klingt wie genau das, was uns die letzten Wochen vor erhebliche Probleme gestellt hat.

Aschlegel

Ich kann natürlich jetzt nicht den ganzen Saisonverlauf von Wiesbaden heranziehen, aber in den zwei Spielen, die ich gesehen habe (oder besser jeweils eine Halbzeit) ist mir der Hollerbach als quirliger, schwer ausrechenbarer Stürmer aufgefallen. Den sollte man auch auf dem Zettel haben.

Last edited 1 Jahr zuvor by Aschlegel
Müller Wolfgang

Insgesamt eine ganze schön pessimistische Einschätzung unserer Chancen morgen für uns was zu holen. Hoffen wir das es anders läuft.

michA

ich denke es wurde intensiv gearbeitet, die vielen geheimtrainings müssen was bringen, ansonsten siehts mau aus.

Aschlegel

Den Spruch “Die Hoffnung stirbt zuletzt” nimmt ja jeder Löwe mit der Muttermilch auf. Von daher: Lassen wir uns überraschen. Viel schlechter können sie ja offensiv morgen auch gar nicht mehr spielen. Die können doch jetzt nicht alle das Fußballspielen verlernt haben. Ich bin allerdings morgen wirklich auf die Aufstellung gespannt.