Herzlich willkommen bei der TAKTIKTAFEL Analyse des Spiels 1. FC Magdeburg gegen den TSV 1860 München.

Thomas Hoßmang ließ den 1.FC Magdeburg tatsächlich im 3-4-3 in die Partie starten, beim TSV 1860 war es in der taktischen Aufstellung diesmal theoretisch ein 4-4-2. Bei genauerer Betrachtung war dies aber vielleicht doch eher ein 4-1-5-0 (vgl. Spanien EM 2012) ohne echten Stürmer, dafür mit einer grandiosen taktischen Finesse für die Offensive, um das Fehlen von Torjäger Sascha Mölders zu kaschieren. Aber der Reihe nach.

Schauen wir zunächst einmal die Statistik zum Spiel an.

Die statistischen Zahlen

  • Ballbesitz 61%:39% zugunsten des 1.FCM
  • Schüsse 10:12 (davon aufs Tor 4:4), ebenfalls zugunsten der Hausherren
  • Passgenauigkeit TSV 1860 75%; 1.FCM 87%
  • Defensive Zweikampfquote TSV 1860 67%; 1.FCM 74%
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion) TSV 1860 19; 1.FCM 5,92

Diese Zahlen sehen ohne Kontext aus, als wäre der 1. FCM absolut dominant gewesen und die Sechzger hätten durch drei Zufallstreffer das Spiel gewonnen.

Wieso hatte Magdeburg im Vergleich mit dem TSV 1860 mehr Ballbesitz?

Gehen wir zunächst einmal auf den Ballbesitz ein. Dazu brauchen wir den Blick auf die Passwege bzw. die Art der gespielten Pässe und die Anzahl der Ballbesitzphasen. Für die Löwen gab es 106 Ballbesitzphasen. 103 davon endeten mit einem Ballverlust oder einer Spielunterbrechung. Drei mit einem Tor. Der Gastgeber hingegen hatte 94 Ballbesitzphasen, die alle entweder mit Ballverlust oder Spielunterbrechung endeten. Das für diese Rubrik entscheidende Puzzleteil sind die Rück- und Querpässe außerhalb des letzten Drittels.

Magdeburg wurde durch das Stellungsspiel des TSV 1860 zu 161 Querpässen und 69 Rückpässen außerhalb des letzten Drittels gezwungen. Das bedeutet mit rund 58% aller Pässe außerhalb des letzten Drittels konnte Magdeburg keinen Raumgewinn erzielen. Wer viel hintenrum spielt oder wem die Ideen fehlen, hat logischerweise viel Ballbesitz, aber nicht zwingend mehr vom Spiel.

Das etwas andere Pressing

Dadurch erklärt sich auch die im Vergleich zu sonst hohe PPDA bei den Löwen, die ja eigentlich mit ein Indikator für Pressingintensität ist. Defensivaktionen gegen den Ball setzt man beim Pressen in der Regel gegen den ballführenden Mann oder gegen den gespielten Vorwärtspass. Im Fall des gestrigen Spiels sah das Pressing aber komplett anders als sonst aus. Die Spieler von Michael Köllner stellten dem 1. FCM die Passwege ins Zentrum zu und versuchten das Spiel der Hausherren so auf die Flügel zu zwingen. Durch Druck auf den ballführenden Spieler wollte man dort Fehlpässe erzwingen oder mit direkten Aktionen gegen den Ball das Leder erobern. Deshalb konnten sich die Magdeburger in der eigenen Hälfte relativ ungestört den Ball zuschieben. Sie fanden aber aufgrund des hervorragenden Stellungsspiels der Löwen keine Anspielstationen, um das Spielgerät so nach vorne zu bringen, dass dauerhaft die für ein erfolgreiches 3-4-3 erforderliche Dynamik entstehen kann.

Sechzig spielte gegen den Ball ein wenig anders als wir es vom Zusehen gewohnt sind und wohl auch anders als Magdeburg das erwartet hatte. Gegen das in der Offensive auf schnelles und direktes Passspiel ausgerichtete 3-4-3 System der Magdeburger war diese Art des Gegenpressings eine sehr effektive Waffe. Es verhindert nämlich schnelles Passpiel.
Natürlich konnten die Löwen nicht jeden Angriffsversuch der Festungsstädter so unterbinden, aber in Summe war die Effektivität dieser Herangehensweise ein gutes Mittel, um Magdeburg unter Kontrolle zu halten.

Wie lief das Spiel?

Von Beginn an und das ganze Spiel hindurch hatten die Magdeburger aus oben beschriebenen Gründen mehr Ballbesitz. Die entscheidenden Aktionen aber setzte der TSV 1860 München. Wirklich gefährlich kam der FCM in der ersten halben Stunde nicht vor das Tor der in türkis spielenden Löwen. Das einzig erwähnenswerte auf Magdeburger Seite war ein Schuss von Jakubiak in der 3. Minute, den Hiller aber problemlos abfing.

Bei den Löwen spielten Stefan Lex, Richy Neudecker, Merveille Biankadi und Erik Tallig mehr oder weniger aus einem 4-1-5-0 (defensiv 4-2-3-1) heraus als abwechselnde Spitzen in vorderster Front. Das System wechselte dadurch in der Offensive zwischen 4-1-4-1, 4-1-2-3 oder 4-1-3-2 (HS). Von Michael Köllner wieder sehr flexibel angelegt, schob sich mal dieser, mal jener Spieler in die Sturmspitze und die anderen vier wechselten dahinter munter die Positionen durch. So tauchte Biankadi mal links als Vorbereiter auf, mal halbrechts im Fünfer als Vollstrecker. Ebenso waren Tallig, Lex und Neudecker mal hier und mal da zu finden. Dahinter spielte ein sehr offensiv ausgerichteter Daniel Wein in der Rolle des zurückgezogenen Spielmachers mit vielen Freiheiten. Bei dessen Ausflügen über die Mittellinie sicherte Box-to-Box Spieler Dennis Dressel für ihn nach hinten im Falle eines Ballverlusts ab.

Nicht nur die Offensive sticht heraus

Es ist eine Augenweide die Löwen so flexibel nach vorn und doch stabil und mit genauem Plan in der Rückwärtsbewegung zu sehen. Ein wiedereinmal überragender Marco Hiller rundete die gute Mannschaftsleistung mit seinem 7. Spiel ohne Gegentor ab. Das bedeutet: In einem Drittel der bisher absolvierten Spiele haben Hiller und seine Abwehrleute ein “clean Sheet” zu Buche stehen. Das als Information aber nur am Rande.

Diese Herangehensweise, die Michael Köllner für dieses Spiel in der Offensive wählte, ist nicht wirklich neu. In früheren Zeiten hätte man bei diesen geplanten Positionswechseln von einem Schalker Kreisel gesprochen. Heutzutage hat das in ganz anderen Sphären des Profifußballs den Namen “Tiki Taka” bekommen. Diese Spielsysteme beruhen auf einer Rotation der Spieler in der Sturmspitze bei gleichzeitigem Ballbesitzspiel. Das mit dem Ballbesitzspiel hat Sechzig im Spiel gegen Magdeburg nicht gezeigt. Für einen Drittligisten hat aber der Plan mit Rotation im Sturm mit erstaunlicher Effektivität funktioniert. Wenn man die Schusschancen und nicht die daraus entstandenen Tore als Maßstab nimmt, ist das unter dem Strich eine gute Ausbeute. Sieben verschiedene Schützen bei zehn Versuchen.

Die Rotation in der Offensive

Wie sah dieses Durchtauschen nun genau aus? Biankadi vorn, Lex links, Tallig rechts. Tallig in der Spitze, Lex rechts und Biankadi links. Lex vorne, Dressel rechts, Biankadi links, Tallig Box-to-Box. Auch Richy Neudecker versuchte sich an Vorstößen ins Sturmzentrum, kam allerdings in diesen Situationen nur einmal zum Torabschluss. Bei einem Vorstoß ins Zentrum von Neudecker war übrigens keine seitliche Verschiebung aus der Grundaufstellung heraus für die Spieler dahinter notwendig. Lex rückte in dem Fall als hängende Spitze hinter Neudecker. Neudecker selbst war, wenn er nicht ganz vorn war, immer als hängende Spitze oder vielleicht eher Schattenstürmer auf der Lauer leicht versetzt hinter der jeweiligen Spitze.

Bei der hohen Flexibilität, die diese taktische Spielweise im Spiel nach vorn bringt, ist es zwingend notwendig, dass jeder Spieler seine Aufgaben akribisch löst und sich keine Konzentrationsfehler einschleichen. Das hat in den meisten Situationen gut geklappt. Mir ist tatsächlich nur eine Situation in Erinnerung, wo sich zwei offensive Sechzger im gleichen Bereich im Strafraum im Weg stehen. Das waren Tallig und Biankadi nach einer Flanke von der rechten Seite. Wenn ich die gestellten Aufgaben beim Zusehen richtig verstanden habe, ist in dieser Situation Tallig derjenige gewesen, der ein wenig zu weit aus der ihm angedachten Rolle herausgeschlüpft war.

Das 0:1

Relativ schnell fiel gegen den 1.FC Magdeburg nach einem grandiosen Spielzug, den Stefan Salger einleitete, das 1:0 für den TSV 1860 München.

Nach einer Ecke für den 1.FCM, die einen Abstoß für die Sechzger zur Folge hatte, spielte Hiller zu Salger. Dieser sieht den in den freien Raum vor der Mittellinie einlaufenden Dressel und spielt ihn über etwa 30 Meter genial an, sodass Dennis Dressel mit nur einem Kontakt die Kugel weiter zu Lex spielen kann. Lex bekommt den Ball in halbrechter Position 40 Meter vor dem Tor und kann, weil die Abwehr sich nach dem vergeigten Eckball der Magdeburger noch nicht richtig sortiert hatte, allein auf den aus seinem Tor herausstürzenden Behrens zulaufen. Lex spielt das Leder links am Torhüter vorbei, umkurvt ihn selbst auf der rechten Seite und schiebt dann den Ball ins leere Tor, bevor ein Abwehrspieler eingreifen kann.

Von 3-4-3 auf 4-4-2

Thomas Hoßmang brauchte etwa eine halbe Stunde bis er merkte, dass mit der von ihm angedachten Spielweise gegen das System vom TSV 1860 wenig auszurichten war. In der Folge stellte er gegen den Ball auf 4-4-2 um.

Mit dieser Umstellung kam Magdeburg in der Schlussviertelstunde des ersten Durchgangs etwas besser ins Spiel. Eine Anspielstation mehr in der hintersten Linie kann beim Spielaufbau einen gewaltigen Unterschied machen. So gelang es Magdeburg in dieser Phase etwas mehr Druck als zuvor auf den TSV 1860 auszuüben, konnte aber bis auf eine Situation nie wirklich gefährlich werden. Marco Hiller rettete in der 37. Minute gegen Steininger, der von Sané schön in der Schnittstelle der Viererkette der Sechzger angespielt wurde und nur noch das Tor und Hiller vor sich hatte. Ohne Hillers Glanztat, der mutig seinen Körper in den Schuss warf, hätte die Nummer 13 des 1. FCM für das 1:1 gesorgt. Dass die Magdeburger vor der Pause ein wenig aufdrehten, kam den Löwen auch zugute. Biankadi und Tallig hätten durchaus für Vorentscheidungen sorgen können. Tallig scheiterte nach einer Ecke per Kopf nur am Aluminium.

Die zweite Hälfte

In der zweiten Halbzeit bot sich am Anfang ein Bild, dass mich stark an den Beginn der Hinrunde erinnerte. Sechzig kam in den ersten zehn Minuten nach Wiederanpfiff nicht wirklich ins Spiel. Magdeburg hingegen kam, was die eigene Offensive anbelangt, hellwach aus der Kabine. Vier Schüsse feuerten Sané und Granatkowski innerhalb von 180 Sekunden zwischen Minute 52 und 55 auf den Kasten der Löwen.

In diese Drangphase der Magdeburger hinein kam dann ein herrlicher Freistoßdoppelpack, bei dem sich die Hintermannschaft der Gastgeber innerhalb von fünf Minuten zweimal vom selben Spielzug übertölpeln ließ. “Fool me once shame on thee, fool me twice shame on me.” sagen die Engländer in solchen Fällen.

Der einzige tatsächlich gefährliche Angriff der restlichen zweiten Halbzeit der Gastgeber fand zwischen den beiden Freistoßtoren in Minute 60 statt. Ernst schloss, nach Zuspiel von Obermair, halbrechts im Strafraum etwa sieben Meter vor dem Tor ab, aber scheiterte am herausstürzenden Hiller.

Im weiteren Verlauf der zweiten Hälfte spielte unser TSV 1860 München die Partie souverän zu Ende und ließ keinen gefährlichen Schuss der weiterhin mit mehr Ballbesitz agierenden Hausherren mehr zu. Die Löwen selbst kamen weitere drei Mal zum Abschluss, jedoch ohne jegliche Torgefahr bei diesen Abschlüssen.

Mit der Harmlosigkeit, die Magdeburg an den Tag legte, wird auch weiterhin für die Festungsstädter nicht viel in dieser Liga zu holen sein. Ein derart unmotiviertes Herangehen an den Abstiegskampf ist indiskutabel. Ich würde für den Rest der Rückrunde gerne einen stärkeren 1.FC Magdeburg sehen. Die Punkte gegen uns haben sie abgegeben, ab jetzt dürfen sie gerne wieder mehr reißen.

Fazit

Ein verdienter Sieg, der mit der Souveränität einer Spitzenmannschaft herausgespielt wurde. Dem Gegner wurden deutlich die Grenzen aufgezeigt. Mit dem Blick auf Sonntag gerichtet, darf man sich aber keineswegs auf den Lorbeeren ausruhen. Der FSV Zwickau kommt nach Giesing und wird ein ganz anderes Kaliber sein als der 1. FCM. Dazu aber mehr in der Taktiktafel vor dem Spiel am Sonntag.

Datenquelle: http://www.wyscout.com/

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