Viele Presseorgane geben nach absolvierten Spielen den Akteuren auf dem Platz Noten. Oft werden die Leistungen der Akteure dabei falsch eingeschätzt und es ergeben sich Noten, die man nicht nachvollziehen kann. Ein Kollege fragte am Montag: Würfeln die beim Kicker die Noten?

Die Benotung von Spielern in Zeitungen und Fachmagazinen wirkt oft willkürlich und ist meistens nur bei absoluten Topleistungen zu 100% zutreffend. Das hat verschiedene Gründe:

  1. Kein Reporter – und auch sonst niemand – kann jeden einzelnen Spieler auf dem Platz über das gesamte Spiel hinweg beobachten. Das betrifft vor allem die Bewertung von Laufwegen und Stellungsspiel in ballfernen Momenten.
  2. Es kennt kein Reporter – und auch sonst niemand – die genaue Aufgabenstellung und Rolle des Spielers im System. Diese könnte man aber, wenn man sich mit der Materie etwas mehr beschäftigen würde, durchaus im Spiel sehen.
  3. Aus 2. ergibt sich der dritte Faktor, nämlich, dass rein aufgrund der systematischen Grundformation Sachen von dem Spieler erwartet werden, die er möglicherweise aufgrund seiner Rolle im System gar nicht erfüllen soll bzw. nur situativ und nicht im grundsätzlichen taktischen Korsett des Matchplans.

Nehmen wir als Beispiel die vom Kicker vorgenommene Benotung für Fynn Lakenmacher am vergangenen Freitag. Lakenmacher war im 4-2-3-1 als Mittelstürmer auf dem Platz. In der Benotung des Kicker erhielt er dafür die Note 4,0. Woran liegt das, obwohl der Spieler in dieser Partie in seiner Rolle gut performt hat?

Der Zielspieler

Sehen wir uns zunächst an, welche Rolle Fynn Lakenmacher vermutlich vom Trainer verordnet worden war. Aufgestellt als einziger Spieler im Sturmzentrum im 4-2-3-1 und mit den Informationen, die wir durch sein Verhalten bei Angriffen und seine Positionierung im Spiel mitnehmen können, müssen wir davon ausgehen, dass seine primäre Rolle die des unterstützenden Zielspielers war.

Den Begriff Zielspieler hat sicherlich jeder, der sich für Fußball interessiert, schon einmal gehört. Aber wie definiert sich ein Zielspieler eigentlich? Der Zielspieler im 4-2-3-1 ist normalerweise die einzige Sturmspitze. Als Zielspieler muss man a) Zuspiele verarbeiten, b) Pässe halten, c) sich auch tiefer im Mittelfeld bewegen, um die Vorbereitung der Strafraumpenetration zu unterstützen, d) Vorlagen geben und e) gegebenenfalls natürlich, wenn sich eine Chance ergibt, auch Tore schießen. Letzteres ist allerdings nicht die Hauptaufgabe, wenn der Stürmer als Zielspieler fungieren soll.

Seine wichtigste Funktion ist, auf der gesamten Breite des Platzes Bälle zu behaupten und dann seine nachrückenden Mannschaftskameraden in den Angriff einzubeziehen. Damit kommt dem Zielspieler in diesem System bei vertikaler Spielweise seines Teams eher eine unterstützende als eine attackierende und auf eigene Abschlüsse ausgelegte Funktion zu.

Im Zusammenspiel mit den hinter ihm agierenden Offensivspielern soll der Zielspieler also vor allem seine Mannschaftskameraden in Szene setzen oder Verteidiger binden, um seinen Mitspielern Räume zu verschaffen.

Die Benotung

So weit so gut. Was hat das nun mit der 4,0 für Fynn Lakenmacher zu tun? Nun ja, bei richtigem Verständnis für die Rolle des Spielers seitens des Notengebers beim Kicker wäre im Fall Fynn Lakenmacher vermutlich eher eine 2 herausgekommen als eine 4.

Aktionen

Sehen wir uns die statistischen Werte von Lakenmacher, die für das Erfüllen dieser Rolle ausschlaggebend sind, zu diesem Zweck einmal genauer an. Der Angreifer hat 21 von 27 Passversuchen sicher an den Mann gebracht. Selbst hatder 23-Jährige allerdings nur 17 Zuspiele bekommen. Daraus schlussfolgern wir, dass er die anderen zehn Pässe nur deshalb spielen konnte, weil er die Kugel selbst auf die ein oder andere Weise erobert hatte.

Positionierung

Seine Positionierung hatte eine starke Tendenz zum linken Flügel, also fernab von seiner eigentlichen Position im System, das ihn ja in der Mitte sieht. War das eine Entscheidung seinerseits? Nach dem Motto: “Heute hab ich mal Lust, links zu spielen und im Zentrum soll rumlaufen, wer gerade Zeit und Bock hat.”? Sicherlich nicht. Das war eine Anweisung des Trainers, der auf dieser Seite vermutlich zwei ball- und passsichere Spieler (Lakenmacher und Nankishi) haben wollte, um eine Verdichtung seitens der Dresdener Defensive dort zu erzwingen und somit durch einrückende Spieler vom anderen Flügel ins Zentrum und auf die gegenüberliegende Halbposition ballfern Überzahl und Anspielstationen für Seitenwechsel zu schaffen.

Erfüllung der Rolle

Dass das, was die Rolle verlangt, gut funktioniert hat, konnte derjenige, der aufgepasst hat und Verständnis für Lakenmachers Rolle im taktischen Konzept hat, sehen. Sieben Pässe spielte Lakenmacher auf Nankishi, sechs auf Guttau, einen auf Schröter. Weitere Passempfänger waren Rieder und Starke. Die Zuspiele auf Lakenmacher kamen größtenteils von Greilinger. Damit zeigt sich deutlich, worin Lakenmachers Priorität im Offensivkonzept lag. Das war nicht die Rolle des Stoßstürmers, der möglichst viel schießen und Tore erzielen soll. Trotzdem brachte Lakenmacher es auch zu einem Schuss und einer Schussvorlage.

Eine Benotung mit der Note 4 ist nicht nachvollziehbar.

Fazit

Mit dem, was uns die statistischen Werte sagen, seine Positionsverteilung auf dem Feld berücksichtigend, von wo er die meisten Zuspiele erhielt, wo in der Box er positioniert war, wenn er angespielt wurde, und auch wie er gegen den Ball gearbeitet hat, sollte klar sein, dass seine Hauptaufgabe in diesem Spiel nicht das Verwerten oder das direkte Vorbereiten von Torchancen war. Wenn man Lakenmachers Leistung nur an diesen und weiteren für andere Stürmerrollen ausschlaggebenden Werten misst, macht man in der Benotung Fehler.

Unter der Prämisse, dass es sich – Gott sei dank – nur in der Öffentlichkeit, aber nicht intern auswirkt, nicht. Aber wenn man dann als Fan aufgrund der Note, die der Journalist vergibt, eine Meinung bildet, ist das gefährlich. Auf dem Vertrauen fußend, der Fachjournalist wüsste, was er da macht, wenn er Noten verteilt, weil man entweder nicht in Dresden im Stadion war, oder weil man kein Abo für die Liveübertragung besitzt, in welcher der Magenta-Reporter Fynn Lakenmacher z.B. sehr gelobt hat, die Meinung zum Spieler zu bilden, ist kein guter Rat, wie man sieht.

Will man einen Stürmer rein an Chancen und Chancenverwertung messen, ist eine andere Rolle, z.B. die des Stoßstürmers oder des angreifenden Zielspielers, der sich mehr im Zentrum bewegt, wie einst Sascha Mölders, der in Köllners 4-1-4-1 ebenfalls meist als Zielspieler eingesetzt wurde, aber eben mit anderer Aufgabenverteilung.

Die Aufgabenverteilung obliegt aber nicht den Spielern. Spieler setzen lediglich das um, was aufgrund der Rolle im taktischen Konzept von ihnen gefordert wird. Es würde mich freuen, wenn die Herren Notenverteiler in den Redaktionen der Fachblätter und des Boulevards öfter ihre Hausaufgaben machten. Es ist kein Hexenwerk, sich darüber zu informieren, was von einem Spieler in der ihm zugewiesenen Rolle taktik- und systembedingt verlangt wird. Und auch diese Rolle zu erkennen ist, wenn man etwas Fußballverständnis hat, im Normalfall relativ leicht.

Datenquelle: Wyscout

Foto: Oliver Rabuser

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moosham_michA

eine wohltat, so einen text zu lesen. nicht nur inhaltlich sondern auch, weil es allerbestes deutsch ist. qualität!!! das hebt diesen beitrag auf ein hohes niveau, welches ich zunehmend bei (fach)zeitungen vermisse. traurig, was die “K.i.” durch ihren einsatz da alles verbricht. man könnte zuweilen auch bei der spielerbenotung meinen, das irgend eine “K.i.” bewertet.

Epse

Lieber Bernd Winninger, wir kennen uns zwar nicht persönlich, aber es liegt mir am Herzen, hier mal ein dickes Lob zu hinterlassen. Es tut gut, solch fundierte Beiträge zu lesen. Das hebt sich angenehm ab von so manchem Kommentar…

Joerg

Habe Lakenmacher auch besser als eine “vier” gesehen, allein auf Grund seines Einsatzes und seiner Laufleistung, aber für eine “zwei” hätte er auch mal erfolgreich aufs Tor schießen können, so “Drei+”

Last edited 7 Monate zuvor by Joerg
Thomas Enn

Wie ich ich auch schon im Talk gesagt habe, wäre das Tor ohne Lakenmacher gar nicht gefallen. Wenn ich das zu diesem Zeitpunkt schon gewust hätte, hätte ich das im Talk bereits thematisiert. Die Laufleistung war auch überragend.

Bluemuckel

Wenn ich die Erklärung der Rolle richtig verstanden habe ist ja genau das was Du forderst nicht die Priorität sondern eher a Zugabe zur Hauptaufgabe. Ich glaub bei Torerfolg wärs dann eine Eins.