96 Tage – oder anders ausgedrückt: Eine halbe Ewigkeit musste ich warten, bis ich nach der coronabedingten Pause endlich wieder ein Fußballspiel besuchen durfte. Anfang März stand das neue Stadion der Spurs in Nord-London auf dem Programm (Aus im FA-Cup gegen Norwich City nach Elfmeterschießen), danach folgten noch TuS Immenstaad am Bodensee und die SG Niedersonthofen-Martinszell im Allgäu – dann war Schluss. Bis auf Weiteres. Wochenlang tat sich gar nichts, die Szenarien wurden immer düsterer, Spielzeiten wurden abgebrochen, annulliert. Doch ein schwarz-rot-goldenes Land im Herzen Europas setzte sich über jegliche Vernunft hinweg, ließ der Marktwirtschaft ihren Lauf und setzte zumindest in den obersten drei Spielklassen den Spielbetrieb wieder fort. Ob das sinnvoll war, muss jeder für sich entscheiden, die Art und Weise wirft zumindest Fragen auf. Und die Frage, wie es weitergehen soll, sowieso…

Andere Länder folgten dem deutschen Beispiel, dem Profisport wurde in vielen europäischen Ländern ein Sonderrecht eingeräumt, das sich – wenn man ehrlich ist – so gar nicht mit der gängigen Praxis im öffentlichen Leben vereinbaren ließ. Aber wie dem auch sei: Der Fußball ist zurück! Während in Bayern nachwievor im Amateurbereich Stillstand herrscht, wagten andere Bundesländer einen kleinen Schritt in Richtung Normalität schon früher. In Sachsen wird auf Amateurebene bereits seit Wochen wieder freundschaftlich gekickt, andere Landesverbände zogen nach.

Und auch im benachbarten Ausland rollt die Kugel bereits seit Wochen wieder – sei es in Tschechien, wo ganze Horden deutscher Groundhopper Wochenende für Wochenende einfallen, um ihrem Lieblingshobby bei Bier und Klobasa zu frönen, oder auch in Österreich (seit 01.07.) und der Schweiz (seit Mitte Juni). Ich selber habe meine Fußballsaison am 15.06. beim SC Brühl in St. Gallen (siehe Bild) fortgesetzt – und tatsächlich war das bisher auch das einzige Match, bei dem so etwas wie Corona-Kontrollen stattfanden und bei dem ich mich in eine Anwesenheitsliste eintragen sollte.

Schon seltsam: Während bei uns noch immer akuter Ausnahmezustand herrscht, was das runde Leder betrifft, merkt man andernorts kaum noch etwas davon. Ich habe seit dem Re-Start acht Spiele in Vorarlberg und der Ostschweiz besucht, außer ein paar unmotiviert angebrachten Hinweistafeln (“Abstand halten” oder “Bitte nur eine Person gleichzeitig an der Bar bestellen”) und überflüssigen Zuschauerbeschränkungen (“überflüssig” deshalb, weil ohnehin nicht mehr Leute zu den bedeutungslosen Testspielen kommen würden) gab es keinerlei Restriktionen. Sei es nun in Altstätten, Montlingen, Gaißau, Mäder, Rorschach oder sonstwo – im Großen und Ganzen war alles beim Alten. Auf den ersten Blick beruhigend, tatsächlich aber auch ein wenig erschreckend. Da darf man sich dann auch nicht wundern, wenn der “kleine” Fußball als Letztes wieder geöffnet, aber als erstes wieder gestoppt wird…

Vielleicht hatte ich aber auch nur Glück (?), denn ein befreundeter Groundhopper aus Liechtenstein musste sich bereits des Öfteren in Anwesenheitslisten eintragen, um im Fall der Fälle kontaktiert werden zu können. Scheinbar sind die Vorschriften in der Ostschweiz nicht bindend, denn die Vereine in Würenlos, Uster, Wetzikon und Schwerzenbach bestanden darauf, dass er seine persönlichen Daten hinterließ. Interessant auch die Handhabe im Profibereich: Dort sind Auswärtsfans zwar eigentlich verboten, aber es gibt halt doch immer Wege und Mittel, dabei zu sein. Der Schweizer Fußballverband hat allen Profivereinen einen Fragebogen zur Verfügung gestellt, den sämtliche Besucher eines Profispiels (also Super League und Challenge League) auszufüllen haben; dieser beschränkt sich aber im Großen und Ganzen auch auf Name und Telefonnummer.

Auch im benachbarten Vorarlberg sieht es nicht recht viel anders aus: Bis zu 500 Personen dürfen aktuell bei den Amateurvereinen ins Stadion bzw. auf den Sportplatz – abhängig von der Beschaffenheit der Kapazitäten. Schwarz Weiss Bregenz bietet mit dem Bodenseestadion (den aktuellen, sponsorenbedingten Namen unterschlage ich bewusst) per se 12.000 Zuschauern Platz, recht viel mehr als 7-800 kommen jedoch auch zu den Spitzenspielen der Eliteliga Vorarlberg eher selten. Bereits bei den Vorbereitungsspielen werden hier Anwesenheitslisten ausgelegt, das Eintragen erfolgt bislang jedoch auf freiwilliger Basis. Erst zum Saisonstart am 01.08. sind die Listen und das Erfassen der Zuschauerdaten verpflichtend. Beim morgigen Testspiel (gegen Hittisau, 19.00 Uhr) werden zudem erstmals zugewiesene Sitzplätze verteilt, der Auf- und Abgang wird strikt geregelt. Zudem wird im Gastrobereich in Erwägung gezogen, ein Bonkassa-Vorbestellsystem mit Uhrzeit einzuführen, damit keine langen Schlangen in der Pause entstehen. Eine sehr vorbildliche und lobenswerte Vorgehensweise also, zumal dies ja auch mit einem erheblichen organisatorischen, personellen und finanziellen Aufwand verbunden ist.

Kleine Anekdote am Rande: SW Bregenz ist für die 1. Hauptrunde des ÖFB-Cups qualifiziert und hofft natürlich auf ein attraktives Los à la Rapid oder Austria. Das Problem: Die Zuschauerbeschränkung gilt bis zum 01.09. und die erste Pokalrunde wurde kürzlich just aufs letzte Augustwochenende terminiert. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

Deutlich entspannter (oder sorgloser?) geht es hingegen in Tschechien zu: dort wird gar nicht kontrolliert und den kleinen (und vor allem grenznahen) Vereinen wird von deutschen Groundhoppern die Bude eingerannt. Keine Listen, das volle kulinarische Angebot, keinerlei Maskenpflicht, keine Kontrollen – man wird sehen, was für Folgen das hat. Im fernen Estland ist die Zuschauerzahl auf 1000 beschränkt, Kontrollen finden ebenfalls nicht statt – auch hier gehen westeuropäische Hopper derzeit bevorzugt ein und aus, zumal das Preisniveau sehr attraktiv ist, wenn man erst mal angereist ist.

Einen geradezu unerwarteten Zuspruch erlebte in Württemberg kürzlich der TV Eybach. Beim Testspiel gegen den SC Geislingen kreuzten über 150 Zuschauer auf, was prompt zu Problemen führte, da vom WFV (Württembergischer Fußballverband) nur 100 Zuschauer zugelassen werden. Ergo: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst und so mussten gut 50 Enttäuschte draußen bleiben. Die Glücklichen, die rein durften, mussten ihre Daten hinterlassen.

Ihr seht: Alles nicht so einfach und vor allem extrem uneinheitlich! Aber ganz ehrlich: Ich möchte auch nicht darüber entscheiden (müssen), welche Maßnahmen nun korrekt und durchzuführen sind.

Wie ist Eure Meinung zu dem Thema? Kann man langsam wieder zur Normalität zurückkehren? Oder sind die Restriktionen gerechtfertigt und unbedingt notwendig?

 

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