Durch den Aufstieg des FC Venedig, der nach den erfolgreichen Relegationsspielen gegen den AS Cittadella nach 19 langen Jahren wieder in die Serie A zurückkehrte, geriet der Club endlich mal wieder Schlagzeilen. Zur Abwechslung sind diese ausnahmsweise mal durchgehend positiv. Auffallend sind zudem die Parallelen zum TSV 1860 hinsichtlich der Stadionfrage.
Parallelen zwischen Venedig und dem TSV 1860
Dank verwandtschaftlicher Beziehungen in die Lagunenstadt erhielten wir bei unserem letzten Besuch in Venedig einen recht guten Eindruck über den aktuellen Stand des geplanten Stadionneubaus. Die Planung war bislang geprägt von vielen leeren Ankündigungen und Versprechungen. Somit verwundert es kaum, dass ein beträchtlicher Teil der Anhängerschaft des FC Venedig den Stadionneubau aufgrund enttäuschter Hoffnungen komplett ablehnt. Parallelen zu einem Verein in München-Giesing sind definitiv nicht von der Hand zu weisen.
Das Stadio Pierluigi Penzo ganz im Süden der historischen Altstadt Venedigs hat seine besten Tage zweifellos schon lange hinter sich. Zu erreichen ist der wirklich geile Ground eigentlich nur übers Wasser. Der Fußweg vom Bahnhof Venezia Santa Lucia ist zwar geradezu übersät mit touristischen Sehenswürdigkeiten, dauert aber einfach knapp eine Stunde. Eine Anfahrt mit dem Auto ist gänzlich unmöglich. Den wenigen Fußballfans ohne Privatyacht und ohne Anlegeplatz am direkt benachbarten Yachthafen bleibt eigentlich nur das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs in Venedig. Dieser besteht hauptsächlich aus auch in Corona-Zeiten ständig überfüllten, kleinen Fähren, um in die Nähe des Stadions zu gelangen.
26.000 Zuschauer gegen Milan
Zugegeben: Diese exklusive Lage zwischen Kanal, Meer und Yachthafen hat das Grünwalder Stadion nicht zu bieten. Dennoch bestechen beide Stadion durch ihren – unbestritten morbiden – Charme.
Das 1913 gebaute und eröffnete Stadion hat aktuell eine Zuschauerkapazität von knapp 7.500 Plätzen. Wie auf Giesings Höhen war das Fassungsvermögen früher deutlich höher, der Zuschauerrekord stammt aus dem Jahre 1966, als gegen den AC Mailand 26.000 Fans in das kleine Stadion strömten.
Historie des FC Venedig
Die gesamte Geschichte zu erzählen würde hier den Rahmen sprengen, daher nur in Kurzform die wichtigsten Daten.
Bereits im Jahre 2002 verkaufte der damalige Präsident nach dem Erstliga-Abstieg – und weil es mit dem geplanten Stadionneubau in der Nähe des Flughafens einfach nicht klappen wollte – kurzerhand “seinen” Verein. Es folgten sehr turbulente Jahre, die bis zur Viertklassigkeit, Insolvenz und Umbenennung führten. Als 2011 eine russische Unternehmergruppe aus dem Gazprom-Umfeld die Geschicke des Vereins übernahm, sollte alles besser werden. Wie auch bei den Löwen zu dieser Zeit war recht schnell von einem neuen Stadion die Rede.
Negative Schlagzeilen in Venedig
Nur vier Jahre später war von den großen Worten nicht mehr viel übrig. Vielmehr bestimmten Schlagzeilen von ausstehenden Spielergehältern und einem seit Wochen abgetauchten Investor, der für die Vereinsverantwortlichen nicht mehr zu erreichen war, die Berichterstattung über den Club. Ähnlich wie bei 1860 war also auch in Venedig nicht gerade Eitel Sonnenschein angesagt…
In der Saison 2015/16 muss der inzwischen von amerikanischen Investoren übernommene und in Venezia Football Club umbenannte Verein abermals in der vierten Liga antreten. In einer ersten Pressekonferenz nahe der Rialto-Brücke gab der neue Investor wenig überraschend die altbekannten und für einen Viertligisten überaus utopischen Sprüche vom Bau eines neuen Stadions zum Besten. Auf die Frage der Journalisten, wer das für 25.000 Zuschauer ausgelegte neue Stadion füllen soll, wusste der gewiefte Geschäftsmann natürlich auch eine Antwort und verwies auf die ca. 30 Millionen Touristen jährlich, die Venedig in Zeiten ohne Corona besuchten. Zudem sollte die Attraktivität der neuen Arena in Venedig mit einem im Stadion integrierten Einkaufszentrum, mehrerer Gastronomiebetriebe und einem Vier-Sterne-Hotel erreicht werden.
Baubeginn verzögert sich
Die Fertigstellung dieses Stadion-Neubaus in Venedig, in früheren Zeiten bereits für den Jahresanfang 2020 angekündigt, wird sich aber erneut deutlich nach hinten verschieben. Die inzwischen veranschlagten 185 Millionen Euro Baukosten sollen komplett privat finanziert werden und der neue Baubeginn wurde zwischenzeitlich mit Januar 2021 angegeben. Ein Zeitpunkt, der bekanntlich schon wieder verstrichen ist….
Viele Fans wollen – im Gegensatz zur Vereinsführung – allerdings gar keinen Neubau auf dem Festland. Sie sehen im Stadio Pierluigi Penzo die Seele und Heimat ihres FC Venedig. Bei einem Umzug in ein neues Stadion sehen sie die Identität ihres Vereins als stark gefährdet an. Wer die Löwen in der Allianz Arena hat fremdeln sehen, kann diese Angst nur allzu gut verstehen. Selbst die Anhänger des FC Venedig, die einem möglichen Umzug offen gegenüberstehen, sind äußerst skeptisch geworden. Zu oft und von zu vielen Dampfplauderern haben Sie die Geschichte vom neuen Stadion schon gehört.
Fragwürdige Anforderungen
Zudem interessant: In Deutschland muss ein Drittligist ein Stadion-Fassungsvermögen von mindestens 10.000 Zuschauern aufweisen können. In der 2. Bundesliga wird sogar eine Kapazität von 15.000 Zuschauern inklusive Komplettüberdachung vorgeschrieben.
Wie überzogen und weltfremd diese Forderungen der Verbände sind, zeigt der FC Venedig. Im knapp 7.500 Zuschauer fassenden Stadio Pierluigi Penzo, das auf drei Seiten nicht überdacht ist, gastieren in der nächsten Saison u.a. Juventus Turin, der SSC Neapel sowie die Mailänder und Römer Spitzenklubs. Wenn Venedig das stemmen kann, dann kann 1860 in der Saison 2022/23 auch den HSV, Schalke 04 und ähnliche Clubs in Giesing empfangen…
Bilder: Groundhoppers 1860