Der Kassenwart lässt Euch hier bei sechzger.de regelmäßig an seinen Gedanken teilhaben. Zuletzt ging es dabei um die angebliche Wettbewerbsverzerrung durch das Türkgücü-Aus oder um die möglichen Schwierigkeiten von Günther Gorenzel, Spieler vom teuren Pflaster München zu überzeugen. Heute beschäftigt er sich mit Druck im Saisonfinale. Aus sportpsychologischer Perspektive. Prädikat: lesenswert!

Einstieg in die entscheidende Saisonphase

Mit dem gestrigen Spiel gegen den 1. FC Saarbrücken (1:1) sind wir in die absolut entscheidende Saisonphase eingetreten. Nur noch sechs Spiele haben die Teams der 3. Liga, um ihre gesteckten Saisonziele zu erreichen. Gerade im Aufstiegskampf geht es heiß her. Der Endspurt entscheidet darüber, ob der eigene Klub im kommenden Jahr in der 2. Bundesliga mitmischen darf.

Immer, wenn es um die Bigpoints geht, versagt 1860. Das liegt so in unseren Genen, das gehört zu unserer DNA.

So oder so ähnlich lautet wohl die einhellige Meinung (fast) aller Löwenfans. Aber wie sieht das Thema eigentlich aus sportpsychologischer Sicht aus?

Was sagt ein Sportpsychologe zur typischen “Löwen-Krankheit”?

Jeder weiß, “Leistungsdruck” ist Teil des Profifussballs. Entweder ich lerne, als Spieler im Laufe meiner Karriere damit umzugehen oder ich werde über kurz oder lang scheitern. Es ist im Leistungssport eben wichtig, dass man Leistungshandeln nicht als Bedrohung versteht, sondern als Herausforderung. Vieles von dem, was in den Medien immer als “Druck” bezeichnet wird, ist es für den Spieler gar nicht. In der Psychologie kennt man den Begriff “Stress”, der eher das ausdrückt, worum es geht. Kennzeichnend ist hier immer die Angst vor Misserfolg, die man mit dem Einsatz persönlicher Fähigkeiten nicht eliminieren kann.

Kommt Misserfolg dann automatisch?

Der Sportpsychologe René Paasch, der im Profifussball unter anderem für den VfL Bochum und Schalke 04 arbeitete, weiß, wie Spieler mit Erfolg und Misserfolg umgehen: Bei anhaltendem Misserfolg konzentriere sich laut Paasch der Spieler mehr auf die eigenen Fehler und die der Mitspieler. Das begünstige allerdings noch mehr Fehler und es entstehe ein Kreislauf, aus dem es sehr schwer sei, auszubrechen. Daher ist es für jeden Aktiven wichtig, gut ins Spiel zu kommen und möglichst direkt zu Spielbeginn ein, zwei gute Aktionen zu haben. Ansonsten droht eine negative Leistungsspirale und der Spieler bleibt mental bei den drei Fehlern, die er im Spiel gemacht habt, gefangen und sieht nicht die 85 Prozent, die er gut gemacht hat, so der Sportpsychologe. Insofer darf man hier einmal Leandro Morgalla lobend erwähnen, der vor zwei Wochen beim Spiel in Mannheim abgeklärt seinen Fehler aus der 3. Minute wegsteckte – wie ein alter Hase. Ganz großer Respekt dafür! Von der gestrigen Leistung unseres “Team-Kükens” wollen wir an dieser Stelle gar nicht reden. Junge Spieler suchen üblicherweise eher die Schuld woanders. Sie geben dann z.B. ganz einfach den Mitspielern für einen unmittelbar zuvor verlorenen Zweikampf die Schuld.

Die zwei verschiedenen Spielertypen

In der Psychologie unterscheidet man zwischen lage- und handlungsorientierten Spielern. Die Gedanken der lageorientierten Spieler drehen sich meist um die äußeren Einflüsse: Wie ist die wirtschaftliche Lage des Vereins? Wird mein Vertrag verlängert? Wie werden die Fans bei Spielende reagieren? Um ein paar typische Beispiele zu nennen. Diese Spieler können den Kopf nicht “ausschalten” und rufen dadurch häufig auch verminderte Leistungen ab. Lageorientierte Spieler haben gleich eine doppelte Belastungssituation: Einerseits durch den Druck, den sie sich selbst machen. Aber natürlich auch durch den Druck, den sie von außen wahrnehmen. Dazu zählen Medienberichte oder auch Reaktionen der Fans, von denen sich die Fußballer ablenken lassen.

Im Gegensatz dazu fokussieren sich handlungsorientierte Spieler auf den Augenblick, auf die Momente, die sie selbst aktiv beeinflussen können: Die eigene Leistung. Es sind die Typen, welche einfach auf den Platz gehen und 90 Minuten Vollgas geben. Die Typen, die sieben Mal im 1 gegen 1 scheitern und von der Kurve verflucht werden, um dann beim achten Mal doch durchzukommen und das Tor zu erzielen. Und sich dann auf dem Zaun feiern zu lassen…

Mix im Team wichtig für ein goldenes Finale

Ob auch das Alter eine Rolle spielt, kann man laut Sportpsychologie pauschal nicht beantworten. Immer wieder gibt es Spieler, die aus dem typischen Raster rausfallen. Allerdings zeigt sich tendenziell schon, dass sich jüngere Spieler viel mehr Gedanken machen, weil sie noch nicht die Erfahrung haben, wie ältere Akteure und mental oft noch nicht so gefestigt sind. Erfahrene Profis wissen in der Regel, wie sie im Saisonschlussspurt handeln müssen. Sie verhalten sich lösungsorientiert. Insofern könnten die Schlussspurt-Erfahrungen aus den letzten zwei Jahren Saison bei 1860 positiv von den Spielern interpretiert werden.

Die “Löwen-Krankheit” und der Medizinmann Köllner

Wer kann dem einzelnen Spieler in der oben beschriebenen Situation helfen? Erster und engster Vertrauter ist natürlich der Trainer und das Training selbst. Wichtig sind dabei Konzentrationsübungen. Außerdem sollte es den Spielern ermöglicht werden, im Training viele Erfolgserlebnisse zu sammeln. Man muss den Spielern bewusst machen, auf welchen Bereich sie Einfluss haben, so der Sportpsychologe Paasch. Das geht vor allem, indem der Trainer auch Kleinigkeiten hervorhebt, ein gutes Zweikampf- oder Pressingverhalten lobt. Oder aber auch, wie bei uns im Training gesehen, durch das Team selbst, welches sich bei einem erfolgreich abgeschlossenen Spielzug gegenseitig applaudiert und lobt.

Und schließlich: Wie beeinflusst das Saisonziel ein Team?

Vor dem Saisonstart hat 1860 den Aufstieg bzw. mindestens die Teilnahme an der Relegation zur 2. Liga („besser als letzte Saison“) ausgerufen. Für Sportpsychologe Paasch ist es problematisch, wenn ein Verein vor Beginn der Saison das Ziel “Abstieg vermeiden” oder “Klassenerhalt” ausgibt.  Durch diese Zielsetzung signalisiert man den Spielern, dass man sowieso nur mit einer Platzierung am Tabellenende rechne. Das ist nicht besonders motivierend. Gleiches gilt dann wohl für das berühmte „gesicherte Mittelfeld“. Aus sportpsychologischer Sicht ist das Leistungsziel “Aufstieg” nicht zu beanstanden. Paasch weiß sowieso, dass oft innerhalb der Mannschaft andere, höhere Ziele formuliert werden, als gegenüber den Medien. So sicherlich auch jetzt – bei den Löwen – in der Schlussphase der Meisterschaft. Macht das Druck? Nein, denn wir wissen jetzt: Leistungshandeln als Herausforderung angesehen setzt Adrenalin und damit zusätzliche Energien im Spiel frei. Wenn es doch nicht langen sollte, lag es nicht am vielfach kolportierten Druck sondern eher an den Fähigkeiten der Spieler.

In wenigen Wochen werden wir sehen, ob die alte Löwenkrankheit wieder ausgebrochen ist oder wir dank letztjährigem Finalspiel-Infekt gegen Schlussspurtschwäche immun geworden sind. Der gestrige starke Auftritt gegen Saarbrücken war eher ein Beleg für Immunisierung.

*Die Aussagen des Sportpsychologen sind dem Artikel Bundesliga: Was Fußballspieler im Abstiegskampf laut einem Psychologen beachten sollten entnommen.

 

 

 

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Aschlegel

Ich habe das auch schon immer für mythischen Blödsinn angesehen, dass ein “Verein” immer im entscheidenden Moment versagt und deren Spieler bei entscheidenden Spielen mit zitternden Knien auf den Platz kommen. Ich bin kein Profi geworden, habe aber in meiner Jugend auch ein paar Mal das Vergnügen gehabt vor größeren Kulissen zu spielen. Das motiviert einen doch ungemein, wer da nicht geil darauf ist, der hat schlicht seinen Beruf verfehlt. Und wer Profi wird, kann eben damit im Normalfall auch umgehen, der hat sein Reifezeugnis schon in der Jugend abgegeben. Sonst wäre er gar nicht so weit gekommen. Bitte das jetzt aber nicht falsch verstehen: Das bedeutet natürlich nicht, dass in Einzelfällen der Leistungsdruck zu psychischen Krankheiten bei Fußballern führen kann. Aber im Grunde genommen ist der Druck bei Fußballern doch gar nichts im Vergleich zu anderen Sportarten, wie den Leichtathleten, die in ihrer Karriere nur ganz wenige Chancen haben wirklich im Rampenlicht zu stehen und dann auch noch ihre Top-Leistung punktgenau abliefern müssen. Da ist man richtig unter Druck, weil hier eine schlechte Leistung nicht so schnell wieder revidiert werden kann.

Ein weiterer Märchen ist für mich auch, dass das Ausrufen von hohen Saisonzielen sich hemmend auf die Leistung auswirke. Als ob ein Bär in der 89. Minute den Ball neben den Kasten zimmert, weil der Verein den 3. Platz erreichen will. Das sind alles Dinge, die ich eher im Umfeld von Vereinen verorte und da auch ein Eigenleben mit unglaublichen Erhitzungen führen können: bei Fanclubs, Blogs, Boulevard-Zeitungen und anderen Diskussionsforen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses “Rauschen”, das teilweise hysterische Züge annehmen kann, in der Kabine von Fußballprofis für großen Einfluss sorgt.

Wovon ich allerdings schon überzeugt bin, dass bestimmte Spielertypen wie die typischen introvertierten Grübler (hier wohl als lageorientierter Spieler bezeichnet) gerne mal Phasen haben, wo sie sich selber im Weg stehen. Bei uns ist der Lex zum Beispiel so ein Typ. Wobei ich bei ihm auch das Gefühl habe, dass die Phasen des Leistungsabfalls bei ihm bei weitem nicht mehr so ausgeprägt sind, seit Trainer und Spieler zusammen gefunden haben.

Und natürlich gibt es, wie in jedem Mannschaftssport gruppendynamische Prozesse, die wie ein Pendel mal in die eine oder andere Richtung stark ausschlagen können. Da gibt es nur ganz wenige Spieler, die so ein gefestigtes Selbstbewusstsein haben, dass sie sich von der Unsicherheit der Nebenleute nicht anstecken lassen. In der heutigen Generation würde ich den Kimmich dazu zählen, früher waren es auch so Typen wie Matthäus oder ein Jens Jeremies. Die konntest Du mitten in der Nacht wecken und auf den Platz schicken, die spielten einfach ihren Stiefel herunter. Und hier greift die große Kunst der Kaderplanung und der Trainingsatmosphäre. Wer hier die richtige Mischung zwischen Draufgängern oder Introvertierten bzw. zwischen Jung und Alt findet, kann im Idealfall sogar damit fußballerische Defizite durch mannschaftliche Geschlossenheit so weit kompensieren, wie es die Einzelnamen eigentlich gar nicht hergeben. Das ist ja oft auch der Trugschluss gerade von investorengeführten Vereinen, wo sich schnell Enttäuschung breit macht, weil die aberwitzigen Summen, die in den Verein gepustet werden sich nicht amortisieren und dann ein wankender Riese wie Hertha BSC voller Neid nach Freiburg schaut, die eine wesentlich intelligentere Kaderplanung zu weitaus geringeren Kosten und mehr Erfolg haben.

Kassenwart

Super Beitrag von Dir, danke!

Kleine Anmerkung: Es gibt leider auch im Profisport diese Typen wie z.B. Deisler oder der letztlich im Suizit geendete Torwart Robert Enke. Diverse kommen mit dem „Druck“ (=Stress) nicht klar.

Dennis M.

Stimmt, Kassenwart.. Ich habe das Buch “Robert Enke ein allzu kurzes Leben” gelesen, das gab wirklich einen sehr guten Blick in das Innenleben Enkes. Das wäre so ein Paradebeispiel, welches deine These stützt. Man muss das im Fall Enke aber dennoch vielschichtig und kontrovers sehen. Da kamen dann noch paar Dinge dazu, welche ihn aus der Bahn werfen, wie der Tod seiner Tochter zB. Nicht klarkommen mit “Druck” gepaart mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Burn Out sind oft toxisch.

Last edited 2 Jahre zuvor by Dennis M.
Aschlegel

Danke für das Lob …
Zur Anmerkung. Habe ich doch geschrieben:

Bitte das jetzt aber nicht falsch verstehen: Das bedeutet natürlich nicht, dass in Einzelfällen der Leistungsdruck zu psychischen Krankheiten bei Fußballern führen kann. 

Darock

Top, Danke! 🙂

Kassenwart

Es war gestern an den Äußerungen von MK in der Pressekonferenz sehr schön zu sehen: Anstatt auf den Schiri zu schimpfen und den zwei geklauten Punkten nachzutrauern (welche man selbst mit großer Anstrengung nicht mehr gutgeschrieben bekommt) geht der Mindset auf Leistungsorientierung: Wir müssen stark sein, gut arbeiten, mit uns ist zu rechnen. Das ist ganz klar handlungsorientierte Herangehensweise. Und das kann dann zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden: Weil sie sich einreden, mit ihnen ist zu rechnen, ist dann am Ende auch mit ihnen zu rechnen.

Kassenwart

Das ist eben der Unterschied zwischen der selbsterfüllende Prophezeiung „“mit uns ist zu rechnen“ vs. „krachend gescheitert“.

Deshalb war MK seinerzeit sicherlich auch da so allergisch auf die unqualifizierte Äußerung des ‚selbsternannten Fussballexperten‘ vom Boulevard-Blog.

KaiKiste1860

Danke @kassenwart, ja mal wieder richtig gut mit Aussagekraft geschrieben, regt zum Nachdenken an, und versetzt einen in die Gedanken unsrer Spieler und in das Trainerteam, wie jetzt mit so einer Situation umzugehen. Da macht Sechzig ein richtig gutes Spiel (Greillinger und Morgalla, nur mal hervorzuheben) und das Sechzig am Ende nicht dafür belohnt wird, da kommen doch in einem Gedanken auf. Das der Schiri dem Spiel in der Qualität in keiner Hinsicht gewachsen war, darf in der Aufarbeitung des Spiels auch nicht vergessen werden. Ich denke mal, Köllner weiss das und tut gut daran, nur auf die eigenen Stärken hin zuweisen. Und an Aufarbeitung wird es auch nicht mangeln, da gab es gestern so einige Aktionen, wenn schneller in die Spitze gespielt wurden wäre, nicht noch ein Querpass, wäre 1860 mit 3:1 vom Feld gegangen. Aber das ist halt 3.Liga, und nicht 1.Buli, wie es der clickbasierende Blog gern seinen Usern vormacht – immer den zweiten Schritt vor dem ersten machen..