Dass es mit dem TSV 1860 München nicht immer leicht ist, wissen wir alle bestens. Ich habe allerdings seit Wochen eine Krise ungeahnten Ausmaßes mit unserem Lieblingsverein, dass ich freiwillig die Flucht vor 1860 angetreten habe. Ich hatte die Möglichkeit ein Projekt meiner Firma in Colorado zu betreuen und dafür die Spiele gegen Unterhaching und Dortmund II sausen zu lassen. Früher wäre das nicht mal im Ansatz denkbar gewesen, aktuell habe ich mich recht schnell entschieden, das zu machen und freiwillig auf zwei Löwenspiele zu verzichten. Die Chance mal von 1860 und seinen aktuell ziemlich schlechten Vibes wegzukommen, war zu verlockend.

American Football als Ersatzprogramm

Nachdem Ihr Euch gegen Haching Eure Allerwertesten abgefroren habt, war ich einen Tag später dran. Aus dem Rocky Mountains fuhr ich nach Denver ins Mile High Stadion, um mir das NFL-Spiel Denver Broncos gegen Cleveland Browns bei Temperaturen knapp um den Gefrierpunkt anzusehen. Ich schicke es voraus: Ich habe von American Football wenig bis keine Ahnung, aber ich wollte immer schon mal ein NFL-Spiel im Stadion sehen. Das “Empower Field at Mile High” wie es offiziell heißt fasst 76.000 Zuschauer. Aber bereits in der S-Bahn werde ich von einem Fan darauf hingewiesen, dass “Empower Field just advertising” ist. “We all say Mile High Stadium!” Der nette Broncos Fan besorgt beim imposanten “Tailgating”, das ist diese Party die auf dem Parkplatz vor dem Stadion stattfindet, mehrere kostenlose Biere für uns beide, bevor wir das durchaus imposante Stadion betreten. Am Eingang treffen wir erstmals auf Fans der Cleveland Broncos, bei den möglicherweise ein Verwandter eines Ex-Löwen spielt…

Handelt es sich bei diesem Spieler um einen Verwandten unseres ehemaligen Stürmers?

Die Nationalhymne wird “überbellt”

Sehr bemerkenswert an den Browns-Fans ist, dass sie sich, sobald sich gegenseitig erspähen, mit imitiertem Hundegebell begrüßen. Da tatsächlich auch einige Browns-Fans anwesend sind, wird mein Weg in den fünften Rang des Stadion von kontinuierlichem menschlichen Hundegebell begleitet. Das hab ich auch noch nicht erlebt. Später erfahre ich, dass es daran liegt, dass die Browns einen Hund als Maskottchen haben und das deswegen so zelebriert wird. Durch den Defekt einer Rolltreppe zu meinem Billigplatz verpasse ich die Nationalhymne, die von Hundegebell von Browns-Fans auf der Rolltreppe fast übertönt wird. Kurz nach dem Kick-Off bin ich dann aber auf meinem Platz und der Anblick des Stadions ist prächtig (siehe Titelbild).

Weniger “amerikanische Atmosphäre” als erwartet

Die zahlreichen Spielunterbrechungen fallen gar nicht so auf, weil es im Stadion einen Moderator gibt, der jede Spielszene in den Pausen erklärt und so verstehe sogar ich einigermaßen, was auf dem Spielfeld passiert. Das Ganze ist von ziemlich rockiger Musik untermalt und die Denver Broncos punkten bei mir für die Ewigkeit, als auch mein Black-Sabbath-All-Time Favorite “Children of the Grave” im Hintergrund läuft. Leider wird “Rock’n’Roll” von Motörhead nicht gespielt, was wegen der Textzeile “I got rock ‘n’ roll to save me from the cold” durchaus berechtigt gewesen wäre.

Klares 29:12 für Denver

Ich bin wie gesagt kein großer Football-Kenner, aber die Broncos sind aus meiner Sicht ziemlich überlegen und gewinnen das Spiel problemlos 29:12. Ehrlichgesagt hatte ich sogar ziemliche Langweile erwartet bei einem Spiel mit 48 Minuten Netto-Spielzeit, das brutto 3 – 3,5 Stunden dauert. Aber es ist ziemlich unterhaltsam und die Atmosphäre überrascht mich positiv. Hinter mir sitzen Fans aus Cleveland, die jede gute Aktion ihrer Mannschaft mit lautem Gebell bejubeln. Beim Touchdown ihrer Mannschaft wähnte man sich im Tierheim, so laut bellten die vereinzelten Browns-Fans in meiner Umgebung.

Mit lauten Gebell bejubelten die Cleveland-Fans den Touchdown ihres Teams

“IN-COM-PLETE”

Natürlich gibt es keinen Support, so wie wir das kennen. Aber die Broncos-Fans gehen gut mit und benötigen dazu gar nicht diese Ami-mäßigen Aufforderungen (die es natürlich trotzdem gibt). Die Touchdwons der Broncos werden tatsächlich ähnlich bejubelt wie Tore bei uns.

Touchdown samt Jubel für die Broncos

Allerdings wird der Touchdowner (oder wie auch man den nennt, der das Ei in der Endzone fängt) nicht groß bejubelt. Bemerkenswert ist auch, dass es im Stadion (abgesehen von eigenen Punkten) am lautesten ist, wenn man den Gegner ärgern kann. Beim dritten und vierten Down des Gegners wird laut gebuht und mit den Füßen getrampelt. Anfeuerung bei eigenen Ofrfensivaktionen gibt es dagegen nicht. Am Besten finde ich aber, dass bei jedem Fehlpass der Gegner der Stadionsprecher die Spielszene mit den Worten “Pass by number XY was” erklärt und dann das ganze Stadion brüllt “IN-COM-PLETE”. Das macht mir Spaß und ich beteilige mich rege.

Exodus nach dem 3. Viertel

Ich weiß nicht, ob es an der Kälte liegt oder ob es beim Football generell so abläuft. Bei beruhigender Führung der Broncos verlassen die Fans nach dem 3. Viertel in Scharen das Stadion. Mein Nebenmann erklärt das damit, dass nach dem 3. Viertel kein Bier mehr verkauft werden darf. Ich harre trotz zunehmend unangemehmer Kälte bis zum Schluss aus, denn ich möchte sehen, was nach dem Ende passiert. Das hätte ich mir auch sparen können, es passiert nämlich nichts… Da das Spiel schon entschieden war, hat sich das letzte Viertel für mich ziemlich in die Länge gezogen. Dennoch war ich positiv überrascht, wie gut die Atmosphäre im Stadion war und dass es wesentlich weniger “amerikanisch” zugegangen ist, als ich es erwartet/befürchtet hatte.

Löwe oder Drache?

Im Stadion traf ich übrigens keinen der 2,5 Millionen Löwenfans, die ja aktuell kolportiert werden. Und das obwohl ich mich ähnlich wie Herr Gräfer in Anfield durch meine Löwenmütze durchaus zu erkennen gab. Ganz im Gegenteil: in der S-Bahn werde ich von einem Broncos-Fan angesprochen, was das denn für eine Mütze sei. Ich erkläre es ihm. Den Löwen im Wappen lässt er allerdings nicht gelten. “C’mon, man! That’s not a lion! That’s a fucking dragon or sumpin'”, bekomme ich zu hören…

Flucht vor 1860 erfolglos

Allerdings ist mit dieser Episode auch meine Flucht vor 1860 zur Erfolglosigkeit verurteilt. Da sind sie wieder die Erinnerungen an den zerstrittensten Verein der Welt, der über Markenrechte am Löwen (oder Drachen?) streitet, der einen Geschäftsführer Sport im vierten Anlauf verpflichtet und so weiter und so fort.. Ich hatte so gehofft, von dem ganzen Schmarrn mal den Kopf frei zu bekommen. Experiment gescheitert. Gegen Essen bin ich wieder am Start. Und ich freu mich sogar drauf. Zum Glück musste ich das keinem Broncos-Fan erklären…

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1860forever

Meine Giesinger Gedanken lesen sich wie folgt.
Ja MJ, wir befinden uns da wo wir uns befinden, nämlich mittendrin im Abstiegskampf.
Von daher kann es kein weiterwurschteln mit dir mehr geben.
Ein neuer Trainer muss her, und zwar sofort und nicht erst nach der Winterpause, wenn die ersten beiden Begegnungen der Rückrunde auch schon verkackt wurden. Es sind gerade einige interessante Trainer frei am Markt.
Man darf nicht den Fehler aus dem Vorjahr wiederholen, wo MK viel zu spät freigestellt wurde. Bitte MJ unverzüglich ablösefrei an Schaffhausen abgeben.
Einen neuen GF Sport haben wir vermeintlich gefunden, keine Ahnung was der drauf hat, aber schlimmer als die Aushilfen und Möchtegernsportdirektoren Power und Pfeifer kann er gar nicht performen.
Dringlichste Aufgabe, natürlich neben Vertragsverhandlungen mit den Leistungsträgern (so viele sind das ja leider nicht), wäre in der Winterpause einen Stürmer zu verpflichten. Was da aktuell an Leistung im gegenerischen Strafraum abgerufen wird, von unseren sogenannten Offensivkräften, ist nur noch erbärmlich. Die meisten torgefährlichen Aktionen haben bei uns die Verteidiger.
Und von HAM und Konsorten erwarte ich, dass die Störfeuer, Klagen, Denunzierungen, etc. eingestellt werden.
Wir die Fans, die e.V. Mannschaften, die e.V. Mitglieder, “Wird sind der Verein”, aber ganz sicher nicht der Investor oder die KGaA.

Groeber

Ich liebe die Giesinger Gedanken. Aber dieser Bericht wäre unter der Woche interessanter gewesen. Heute mache ich mir Gedanken und Sorgen um die Löwen. Flucht unmöglich.