Ein Kommentar von Thomas Enn

Ich gebe es zu: mein ganzer Körper und Geist lechzen nach einem Stadionbesuch. Seit meinem ersten Stadionbesuch als 7-jähriger Bub lag nie eine so große Zeitspanne zwischen zwei Stadionbesuchen wie jetzt. Und ein Ende ist nicht absehbar. Mir fehlen zwei Stunden brutales Schwarz und Weiß in der Woche, die Mannschaft anfeuern, den Schiri kritisieren, die Gegner auspfeifen, die Biere mit den Freunden vor und nach dem Spiel. Und vieles mehr.

Als dann am Freitag die Nachricht kam, dass Unterhaching Zuschauer zulässt, war mein erster Reflex natürlich: „Wie komme ich an eine Karte?“. Und so geht es wahrlich nicht nur mir, sondern vielen meiner Freunde bei Sechzig und noch ungezählten weiteren Fußballfans in ganz Deutschland.

Nun hat man sich in Unterhaching bzw. im Landkreis München doch entschieden, das Spiel nicht vor Zuschauern auszutragen. Trotz des oben beschriebenen kalten Entzugs finde ich die Entscheidung nachvollziehbar. Aus meiner persönlichen Warte nicht gut, aber sehr nachvollziehbar.

Die Inzidenzwerte für Stadt und Landkreis München liegen nun im extra neu definierten dunkelroten Bereich bei über 100. Das Infektionsgeschehen ist ehrlicherweise kaum mehr nachverfolgbar und durch die R-Ziffer über 1 breitet sich die Pandemie noch weiter aus. Nach dazu sind wir in Oberbayern eine der am schlimmsten betroffenen Regionen.

Da muss ein Fußballspiel nicht vor Zuschauern stattfinden. Auch wenn das Hygiene-Konzept, die Abstände der Zuschauer im Stadion, geregelter Ein- und Auslass etc. sehr überzeugend wirken, wäre die Durchführung vor Zuschauern für mich ein falsches Signal. In der aktuellen Phase der Pandemie geht es darum, Kontakte zwischen Menschen zu minimieren, Menschenaufläufe zu vermeiden und Risiken soweit wie möglich zu reduzieren. Beim Fußball bleiben Restrisiken wie Toiletten, Essens- und Getränkestände sowie – trotz aller Vorkehrungen – bei An- und Abreise. Da sollten wir als Fußballfans die Kröte schlucken und mit gutem Beispiel vorangehen. Denn je früher diese Pandemie überstanden ist, desto früher können WIR ALLE wieder in Stadion, zusammen singen und auf drei Punkte anstoßen.

Wenn wir mit jedoch gutem Beispiel vorangehen, können wir das auch von allen anderen erwarten. Eine Herbstdult in der Au, ein (noch dazu zeitlich verlängerter) Weihnachtsmarkt in der Fußgängerzone sowie Theater- und Opernaufführungen passen einfach nicht in die Zeit und sollten daher auch abgesagt werden. Auch unverantwortliche Veranstalter wie solche der Fetischparty am Wochenende in Berlin tragen nicht gerade zu einer Entspannung der Situation bei.

Ich glaube, dass ein Großteil der Unzufriedenheit der Bevölkerung durch diesen Wirrwarr an teilweise nicht nachvollziehbaren Regelungen entsteht. Die Verabschiedung einheitlicher Regelungen sind in einem föderalistischen Land wie Deutschland, noch dazu mit unterschiedlich starkem Infektionsgeschehen, sicher nicht einfach – eine Schwäche des Föderalismus und ein Fehler, die Entscheidungskompetenz in einer solchen Ausnahmesituation nicht an den Bund übertragen zu haben. Es ist jedoch kaum nachvollziehbar, dass in Rostock und Dresden bis zu 10.000 Zuschauer ins Stadion gelassen werden, woanders nicht einmal 500. Es müssen also einheitliche Regeln gefunden werden, um auch Wettbewerbsnachteile für die Vereine, denen keine Zuschauer genehmigt werden, zu vermeiden. Der Fußball sollte hier allgemein mit gutem Beispiel voran gehen, denn die aktuelle Situation ist natürlich auch für Standlbetreiber, Theaterschaffende, Kinobesitzer und viele andere Berufsgruppen existenzbedrohend. Sollte es die Politik nicht schaffen, sich auf gemeinsame Regeln zu einigen, wären DFL/DFB in der Lage und gefordert, dies zumindest für den Fußball anzuordnen.

Ich habe da auch keine Musterlösung parat, aber die Summe der Ausnahmen zur Einschränkung von Kontakten scheinen mir ein großer Treiber der Infektionszahlen zu sein. Je schneller wir das durch eine möglichst rigorose Beschränkung nicht absoluter notwendiger Kontakte einschränken können, umso schneller werden wir wieder in den normalen Modus kommen und es wird uns allen besser gehen.

Daher finde ich es nachvollziehbar heute in Unterhaching ohne Zuschauer zu spielen, obwohl ich es mir persönlich anders wünschen würde. Aber als Fußballfans können wir verlangen, dass auch andere Teile der Bevölkerung ihr Scherflein zur Eindämmung der Pandemie beitragen und Politik und Verwaltung stringente Regelungen erlassen.

Selbstverständlich kann man das aber auch anders sehen – und auch redaktionsintern sind wir uns da nicht einig, wie man anhand des Kommentars von Stephan Tempel am 23.10. erkennen kann.

 

 

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