Ein herzliches Grüß Gott zur Taktiktafel vor dem Auswärtsspiel in Essen. Nach 16 Jahren spielt der TSV mal wieder an der Hafenstraße. Worauf müssen sich die Löwen einstellen?
Rot-Weiss Essen – TSV 1860 München, ein Traditionsduell zweier Gründungsmitglieder der Bundesliga. Ein Duell, in dem die Löwen seit 1963 erst einmal als Verlierer den Platz verließen. Aber das ist alles Vergangenheit. Kümmern wir uns lieber ums Hier und Jetzt.
Christoph Dabrowski, Trainer von RWE, lässt sein Team hauptsächlich im 4-2-3-1 auflaufen. Der grundsätzliche Plan der Essener im Spiel ist es, sowohl offensiv als auch defensiv vor allem im Zentrum Dominanz auszustrahlen.
Gegen den Ball richtet sich die Herangehensweise stark nach dem Gegner.
Essen beherrscht sowohl das tiefe, abwartende Defensivspiel als auch das hohe Pressing mit weit vorgeschobener Defensivlinie.
Bevor wir uns das genauer ansehen, wie immer die wichtigsten statistischen Werte der Essener.
Wichtigsten statistische Werte von RWE
- Ballbesitz: 49%
- Passgenauigkeit: 78%
- Defensive Zweikampfquote: 63%
- Flankengenauigkeit: 36%
- PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion): 9,8
Wie spielt Essen?
Bei Ballbesitz
Auch wenn Essen viele Angriffe – zumindest in irgendeiner Phase – über einen Flügel ausführt, ist es doch so, dass die Essener im Vergleich zu anderen Temas oft schon früh während eines Spielzugs damit beginnen, den Ball ins Zentrum oder die offensiven Halbräume zu bringen. Dahinter steckt der Plan, sich dort mit Kurzpassspiel spielerisch durch die Linien zu kombinieren.
Die Verschiebungen bei eigenem Ballbesitz, bei Essen meistens asymmetrisch aus der Defensive beginnend, machen aus dem 4-2-3-1 im letzten Drittel des Gegenrs ein asymmetrisches 3-4-3, bei dem der ballferne Außenspieler auf die Halbposition im Sturm einrückt und der ballnahe Flügelverteidiger bisweilen sehr offensiv bis an die gegnerische Torauslinie agiert.
Das Überladen einer Seite um Überzahl herzustellen, oder um einen Mitspieler auf der ballfernen Seite oder im Zentrum zu isolieren und dann per Seitenwechsel oder Diagonalpass ins Zentrum diese Isolation auszunutzen ist ein Mittel der Essener um das Spiel nach vorn schwer ausrechenbar zu machen.
Schafft es der Gegner im Zentrum selbst stabil zu stehen, können die Essener jederzeit auch über die Flügel Akzente setzen.
Gegen den Ball
Die Pressinglinie der Essener steht insgesamt meist auf mittlerem Niveau. Zu Beginn einer Partie wird aber vor allem zuhause auch gerne konsequent hoch angelaufen. Die Höhe der Defensivlinie, zu Beginn ebenfalls meist mittig angelegt, verschiebt sich mit zunehmender Spieldauer nach vorne, falls man die gegnerische Offensive gut in den Griff bekommt.
So macht Essen die Räume im Zentrum je länger die Partie dauert immer enger und somit das Mittelfeld für den Gegner immer schwerer zu bespielen. Daraus resultieren oft lange Bälle der gegnerischen Mannschaft, die Essens kompakte Hintermannschaft in den meisten Fällen gut verteidigen kann.
Zweikämpfe um zweite Bälle verliert Essen in diesen Phasen selten. Die kämpferische Einstellung der Rot-Weißen, jeden Ball zu wollen, und, dass in diesen Situationen oft mit Doppelungen gearbeitet wird, sind Faktoren, die gegen diese Art der Angriffe schwer wiegen. Mit langen Bällen wird es gegen Essen sehr schwer.
Stärken und Schwächen des 4-2-3-1
Die Stärken
Gegen den Ball ist das 4-2-3-1 in der Zentrale und Richtung eigener Box sehr kompakt. Es gibt den Gegnern kaum Raum, um dort ein vernünftiges Passkombinationsspiel aufzuziehen. Auch gegen zwei oder drei Stürmer ist man durch die beiden defensiven Mittelfeldspieler gut abgesichert.
Nach Balleroberung kann das Spiel über die beiden Sechser relativ variabel gestaltet werden. Sowohl über die Flügel als auch über das Zentrum sind schnelle Angriffe möglich, wenn man die Lücken im Raum schnell erfasst und alle Offensivspieler ihre Laufwege situationsbedingt richtig anlegen. Oft schaltet sich einer der beiden Sechser auch aktiv und nicht nur als Ballverteiler in das Offensivspiel mit ein. Dadurch wird die Offensive als Ganzes schwerer auszurechnen.
Die Schwächen
Gegen den Ball ist ein Gegner, der gern über die Flügel angreift, schwer zu kontrollieren, da die Wege, um einen Spieler zu doppeln, relativ weit sind und die Doppelung vom Angreifer oft schon erkannt wird, wenn sich der doppelnde Gegner aus seiner taktischen Grundposition löst. Das führt bei guter Spielübersicht und genauem Passspiel zu viel Raum für die angreifende Mannschaft.
Die Mittelfeldspieler auf den Außenpositionen müssen außerdem ein extrem hohes Laufpensum bewältigen, wenn sie die gegnerischen Flügel unter Kontrolle halten wollen. Im Spiel nach vorne ist vor allem das Fehlen eines zweiten Stürmers ein großes Manko, da sich durch dessen Fehlen für den Spieler in der Sturmzentrale nur wenig Raum zur Entfaltung seiner Fähigkeiten bietet. Deshalb sind torgefährliche Mittelfeldspieler, die mit aufrücken, zwingend erforderlich, um im 4-2-3-1 erfolgreich zu sein.
Wie kann man Essen knacken?
Rot-Weiß Essen – zum sicheren Klassenerhalt fehlt theoretisch noch ein Punkt – wird sich diesen mit Vehemenz gegen den TSV 1860 München erkämpfen wollen.
Wichtig werden wird gegen die defensiv kompakten Essener, die sowohl im Stellungsspiel als auch in direkten Zweikämpfen gegen den Ball statistisch gesehen besser dastehen als es der Tabellenplatz vermuten lässt, dass der Ball läuft. Schnelles Spiel mit intelligenten Positionswechseln bringt Essen unter Druck.
Ein weiterer Knackpunkt können offensive Standardsituationen sein. Aufgrund der Größenverhältnisse können in Strafraumnahe hohe Standards ein Mittel sein, das Tore bringt.
Gegen den Ball ist vor allem ein stabiles Zentrum nötig. um RWE den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Schlüsselspieler
Jakob Golz (#1), Sohn von HSV Torwartlegende Richard Golz, hütet den Kasten der Rot-Weißen. Golz hat Topreflexe, er ist, obwohl er mit 1,87 m zwölf Zentimeter kleiner ist als sein Vater, absoluter Luftraumbeherrscher seines Sechzehners. Des Weiteren hat er kleine Schwächen im Eins gegen Eins und seine Passgenauigkeit bei langen Abstößen könnte etwas höher sein.
José Enrique Rios-Alonso (#23) ist seit dem Transfer von Heber zu Magdeburg zum Schlüsselspieler aufgestiegen. Er gewinnt zwar 73% seiner Defensivzweikämpfe, hat aber für einen Innenverteidiger eigentlich etwas zu große Probleme bei Luftduellen.
Niklas Tarnat (#31), ebenfalls Sohn eines ehemaligen Bundesligaspielers, ist wie sein Vater auf der Sechs zuhause. Dort agiert er kompromisslos, wenn es gegen den Ball geht, kann aber auch nach vorn Akzente setzen.
Felix Götze (#24) – man könnte meinen, er sei von der Zehn zum Box to Box Spieler umgeschult worden, nachdem er nun in der Doppelsechs aufläuft. Die Rolle, die er einnimmt, ist aber eher die des zurückgezogenen Spielmachers. Der gelernte Achter ist sich nicht zu schade, auch gegen den Ball zu arbeiten, obwohl sein Hauptaugenmerk auf der Spielgestaltung liegt. Technisch brillant mit exzellentem Passspiel und einer sehr hohen Schussgenauigkeit ausgestattet, ist er einer der Spieler, die man auf keinen Fall zur Entfaltung kommen lassen darf.
Simon Engelmann (#11) ist mit sechs Treffern und vier Vorlagen Topscorer der Rot-Weißen. Hätten Krankheiten und eine Verletzung seine Saison nicht um zwölf Spiele verkürzt, hätte er sicherlich mehr Scorerpunkte vorzuweisen. Schussgenauigkeit, Technik und Durchsetzungsvermögen sind Engelmanns herausragende Eigenschaften auf dem Platz. Lässt man ihm zu viel Raum oder bearbeitet man ihn nicht energisch genug, wird man irgendwann in Form eines Tores oder einer Schussvorlage bestraft.
Fazit
Es sieht so aus, als stünde Maurizio Jacobacci für die Reise nach Essen lediglich eine Rumpfelf zur Verfügung. Rot-Weiß Essen braucht einen Punkt, der TSV 1860 ist im Niemandsland der Tabelle gesichert.
Es schaut aus, als würde es ein entspannter Nachmittag für Fußballnostalgiker.
Ich will jetzt auch über den möglichen Ausgang gar nicht groß herumorakeln. Freuen wir uns einfach auf ein schönes Spiel.
So könnte Essen beginnen
Datenquelle: Wyscout
Sorry Bernhard, RWE war nicht Gründungsmitglied der Bundesliga, sondern ist erst 1966 aufgestiegen.