Herzlich willkommen zur Taktiktafelanalyse des 0:1 Auswärtssiegs unseres TSV 1860 München beim SC Verl. Mit viel Kampf und etwas Glück holten sich die Sechzger den vierten Sieg in Folge. Die Serie hält.

SC Verl – TSV 1860 München, ein Spiel, in dem die Gastgeber über weite Strecken den Ton angaben, endet mit einem 1:0 Auswärtssieg für die Mannschaft mit der mittlerweile besten Defensive der Liga. Es war ein Arbeitssieg in einem Spiel, bei dem Verl mehr oder weniger Einbahnstraßenfußball spielte, aber – und auch das ist wichtig – die Abwehr der Löwen nur ein Mal so durchdringen konnte, dass die Chance, ein Tor zu erzielen, wirklich hoch war. Dazu weiter unten mehr.

Verl spielte wie gewohnt technisch hochwertigen Fußball mit aggressivem Pressing gegen das Positionsspiel und extrem gutem Gegenpressing nach Ballverlusten. Die Löwen nahmen das Spiel des SC Verl an und versuchten, in den richtigen Momenten offensiv mit vertikalem Spiel dagegenzuhalten. Die Taktik, solide Defensive in den Vordergrund zu stellen und offensive Nadelstiche in Form von Umschaltmomenten und Kontern zu setzen, ging am Ende für die Mannschaft des TSV 1860 München im Spiel gegen den SC Verl auf.

Systeme

Systematisch kamen die Hausherren wie erwartet im 4-3-1-2 (flache Raute) auf den Platz. Mit hoch angelegter Pressing- und Defensivlinie machten sie es den Löwen schwer, selbst stabil in die Offensive zu kommen. Bei eigenem Ballbesitz verschob Verl meist über beide Außenverteidiger nach vorne und stellte so im Aufbau zunächst eine sogenannte WM-Formation her. Dieses in den 20er Jahren des letzten Jahrhundert entwickelte Spielsystem verschob sich nach Eindringen ins gegnerische letzte Drittel bei Verl dort noch offensiver entweder zu einer 2-5 oder 3-4 Formation in den vordersten beiden Reihen. Dieses Überladen der Offensive seitens des SC Verl sorgte für viel Betrieb im letzten Drittel der Löwen, die sich über weite Strecken gegen fleißige Verler nur schwer befreien konnten.

Argirios Giannikis schickte die Sechzger im 4-4-2 aufs Feld. Dieses System wurde wieder sehr flexibel interpretiert, sodass die gegen das Positionsspiel der Verler meist extrem tief stehenden Löwen durch den gegen den Ball ins Mittelfeld abkippenden, offensiv als hängende Spitze agierenden Guttau wirkten, als würden sie eher in einer 4-2-3-1 Systematik auf dem Platz stehen. Mit der wieder linkskreiselnden Offensivabteilung, die wir nun schon öfter gesehen haben, konnten die Sechzger Verl nicht annähernd so gut aus dem Konzept bringen wie die Gegner zuvor. Trotzdem reichte ein nahezu perfekter Spielzug in der 71. Minute über die linke Seite aus, um das Endergebnis zu fixieren.

Linien

Die Verler agierten also gegen den Ball mit beiden Linien hoch, die Sechzger mit beiden Linien eher tief. So kam es dann logischerweise dazu, dass Verl ein deutliches Übergewicht beim Ballbesitz und auch in den meisten anderen statistischen Werten erarbeiten konnte. Sehen wir uns diese vor der genaueren Analyse zunächst einmal an.

Statistische Werte der Partie SC Verl – TSV 1860 München

  • Ballbesitz: TSV 1860 34% – SC Verl 66%
  • Passgenauigkeit: TSV 1860 71% – SC Verl 85%
  • Defensive Zweikampfquote: TSV 1860 73% – SC Verl 72%
  • Schüsse/aufs Tor TSV 1860 5/1 – SC Verl 13/5
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion) TSV 1860 22,53 – SC Verl 5,62

Analyse der statistischen Werte

Ballbesitz (34%:66%)

Oft muss ich von unproduktivem Ballbesitz und Hintenrumgespiele schreiben, wenn der Ballbesitz auf Seite des Gegners derart hoch war. Wer das Spiel gesehen hat, weiß, dass das diesmal nicht der Fall war. Verl spielte immer zielstrebig nach vorne und gestaltete die Angriffe meist aus Umschaltsituationen heraus sehr direkt und schnörkellos. Die gut organisierte Defensive der Löwen hatte zwar Schwierigkeiten, das Eindringen Verls ins letzte Drittel zu verhindern, allerdings konnte Verl andersherum dort mit der Kugel wenig anfangen. Von 43 (!) bis ins letzte Drittel der Löwen durchgebrachten Angriffen schlossen die Verler lediglich zehn mit einem oder mehreren Schüssen ab. Die Sechzger konnten sich mit 24 bis ins letzte Drittel durchgebrachten eigenen Angriffen zwar wehren, aber nie wirklich selbst das Heft in die Hand nehmen.

Sechzig reagierte mehr als es agierte. Mit dem konsequenten Gegenpressing der Gastgeber kamen die Löwen nur schlecht zurecht. Hastig und ungenau waren oft die Befreiungsversuche und so kamen die Verler vor allem in der ersten Spielhälfte, in welcher der Ballbesitz für den TSV sogar unter 30% lag, immer wieder sehr zügig an die Kugel.

Die zweite Hälfte war etwas ausgeglichener, die Löwen steigerten die eigene Ballbesitzquote auf 40 Prozent. Auch die Ballverluste durch das Gegenpressing der Verler waren in Hälfte zwei nicht mehr so häufig, sondern pendelten sich auf einem normalen Niveau ein. Der TSV 1860 München gestaltete die zweite Hälfte der Partie also deutlich besser als die erste.

Trotzdem hatte Verl immer den Fuß auf dem Gas und ließ auch in der zweiten Hälfte nie locker. Dennoch hatten die Sechzger das bessere Ende in dieser Partie für sich. Dreckige Siege sind am Ende einer Saison oft das Zünglein an der Waage. Dieses Spiel endete mit einem solchen für die Löwen.

Passgenauigkeit (71%:85%)

Vor allem die Ungenauigkeit bei Vorwärtspässen trübt hier die Quote bei den Löwen. Im Vergleich der beiden Mannschaften hat der SC Verl gegenüber dem TSV 1860 München hier die Nase um satte 17 Prozent vorn. Rück- und Querpässe sind bei beiden Teams auf gutem Niveau.

Wichtig zu sagen ist, dass es tatsächlich weniger an ungenau gespielten Pässen der Löwen lag, wenn deren Pässe nach vorn nicht ankamen, als an gutem Stellungsspiel bzw. gut in den Passweg einlaufenden Spielern des SC Verl, dass die Sechzger spielerisch nach vorn in der ersten Hälfte kaum ein Bein auf den Boden bekamen.

Die Sechzger konnten ihrerseits ebenfalls vom eigenen guten Stellungsspiel profitieren. Allerdings ein wenig anders als man im ersten Moment denken möchte, wenn man diesen Satz liest . Es geht hier nicht um Ballgewinne, sondern um das Zustellen der von Verl gern genutzten Angriffszonen in den zentralen Bereichen. Verl versucht im Normalfall, kurz nach Überqueren der Mittellinie das eigene Spiel bereits ins Zentum zu steuern. Die Sechzger haben es bei 77% der Verler Angriffe geschafft, Pässe dorthin zu unterbinden, sodass die Gastgeber ihr Heil auf den Flügeln suchen mussten.

Defensive Zweikampfquote (73%:72%)

Hier haben wir bei beiden Teams eine Bombenquote. Viel braucht man da nicht erläutern. Dadurch, dass Verl im Anlaufverhalten und auch im Gegenpressing viel aggressiver eingestellt war, war die Anzahl der Aktionen gegen den Ball der Verler trotz deutlich höherem eigenen Ballbesitzes höher als die der Sechzger. Was defensive Zweikämpfe pro Minute gegnerischem Ballbesitz betrifft, ist Verl also mehr als deutlich vorne. Allerdings haben die Sechzger im eigenen letzten Drittel lediglich sechs Defensivzweikämpfe verloren – das ist in dieser Zone einer der besten Werte überhaupt in dieser Saison.

Schüsse aufs Tor (5/1:13/5)

Wenig Ballbesitz, wenig Schüsse – viel Ballbesitz, viele Schüsse: So könnte man das Ganze hier zusammenfassen. Wichtig ist aber nicht nur die Anzahl und die Genauigkeit, sondern auch immer die Chancenqualität der einzelnen Schüsse. Sehen wir uns diese einmal genauer an.

Wie ich schon öfter angemerkt habe, sind die Torchancen die gerne als 100%ige bezeichnet werden, nie wirklich solche im rechnerischen Sinn. Großchancen, wenn der Ball nicht auf der Torlinie liegt, haben einen xG Wert von 0,20-0,25 und darüber.

Die durchschnittliche Chancenqualität von Verl lag am Samstag bei 0,05 pro Chance im Schnitt mit einem Maximum von 0,14 bei Lokotsch’ Versuch in der 85. Minute.

Die Sechzger hatten eine durchschnittliche Chancenqualität von 0,2 mit einem Maximum von 0,26 und lediglich einem Schuss mit einer Qualität von unter 0,15.

Hochgerechnet auf die Anzahl der Schüsse sieht man, dass die Löwen zwar weniger schossen, die Gefahr bis auf einen Schuss durch Frey (53.) für Verl jedoch stets größer war als bei den Schüssen der Verler aufs Löwentor.

Allerdings müssen wir auch festhalten, dass die Sechzger im ersten Durchgang keinen einzigen Schuss aufs Verler Tor abgeben konnten.

PPDA (22,35:5,62)

Auch hier zeigen die Zahlen das, was man auf dem Platz sah. Giftige, aggressive Verler und abwartende, tief stehende Löwen – mehr braucht man hier nicht sagen. Verl machte im Pressing das, was sie immer tun. Die Sechzger haben ihre niedrigste Pressingintensität in dieser Saison zu Buche stehen. Kurze Erinnerung: Der PPDA Wert ist immer indirekt proportional zu lesen. Je niedriger die Zahl, desto höher die Intensität.

Das Tor

Hier könnt ihr Euch das Tor und weitere Highlights noch einmal ansehen.

Bei einem Angriff über die linke Seite führt Leroy Kwadwo die Kugel in der gegnerischen Hälfte auf dem Flügel im Mittelfeld, spielt den etwas tiefer stehenden Lakenmacher an, der sofort wieder in den Rückraum zu Frey passt. Frey mit nur einem Kontakt leitet sofort weiter nach innen zu Guttau und startet Richtung Sechzehner. Guttau lässt wieder zu Frey  abtropfen, der jetzt tiefer steht. Auf der halbrechten Seite dringt nun Glück aus der Tiefe in den komplett freien Raum auf dieser Seite ein und bekommt den Ball von Frey.

Mit dem ersten Kontakt stoppt Glück das Leder etwa drei Meter vor dem Stafraum der Verler kurz ab und legt das Spielgerät dann steil auf den in der Box auf die halbrechte Seite startenden Schröter. Die Nummer 17 der Löwen braucht ebenfalls nur einen Kontakt, um das Leder zentral in den Rücken der Innenverteidigung zu Frey zu spielen. Frey trifft den Ball nicht richtig und so kommt Guttau etwas weiter rechts in Ballbesitz. Er düpiert bei der Ballannahme seinen Gegenspieler Baack, geht ein paar Schritte mit dem Ball am Fuß Richtung kleine Box und versenkt ihn, bevor der herangrätschende Benger eingreifen kann, von der vorderen Fünfmeterraumbegrenzung im Kasten der Hausherren.

Ein toller Angriff über fast die gesamte Breite des Platzes, bei dem die Sechzger die Verdichtung der Verler auf dem linken Angriffsflügel ausgenutzt haben, um einen Spieler (Glück) frei aus der Tiefe über wenige Stationen so in Szene zu setzen, dass Verl ab dem Moment, in dem der Österreicher in Ballbesitz kommt, nur noch reagieren konnte, aber bei jeder Aktion zu spät kam. Diese kurze Fehlerkette der Verler läutete deren Niederlage ein.

Das fiel auf

Defensivleistung

Die höchste defensive Zweikampfquote und klare Überlegenheit in der Luft im eigenen letzten Drittel legt den Grundstock für den Sieg der Löwen in Verl.

Chancenqualität

Qualität geht vor Quantität. Es bringt nichts, wenn man viel schießt und keiner der Schüsse eine hohe Chance hat, im Kasten zu landen. Weiter oben habe ich diese Diskrepanz zwischen den Schüssen der Verler und denen der Löwen erläutert.

Das Team

Weiterhin gilt: Der Star ist die Mannschaft. Natürlich spielt sich der ein oder andere durch Torerfolge für viele mehr in den Vordergrund als Spieler, die eher unauffällig bleiben. Aber man muss ganz klar sagen: So wie die Löwen jetzt als Verbund funktionieren und weiterhin jeder für jeden läuft, kämpft, ackert und hilft, wo er kann, ist das Kollektiv der Elf auf dem Platz der größte Trumpf des TSV 1860. Die Spieler werden im Spiel für Einzelaktionen, sei es offensiv oder defensiv, natürlich beklatscht und gefeiert, aber am Ende gewinnt das beste Team. Und im Jahr 2024 ist das in Liga 3 der TSV 1860 München.

Ich denke, alle Fans sind zurecht wieder stolz auf diese tolle Truppe.

Fazit

Dreckige Siege sind die schönsten Siege und man feiert sie härter als Kantersiege, in denen man den Gegner quasi überrollt.

Ich möchte das Fazit zur Partie SV Verl – TSV 1860 München heute sehr kurz halten. Mit diesem tollen Mannschaftsgeist und dieser Einstellung stehen uns als Fans des TSV 1860 noch weitere schöne Momente in dieser Saison ins Haus. Natürlich wird man nicht immer gewinnen, aber darum geht es gar nicht. Wie diese Spieler jetzt gemeinsam alles für den Erfolg der Mannschaft tun und wie es Spaß macht, ihnen dabei zuzusehen, ist etwas, das mich wirklich sehr erfreut.

Also gibt es heute nur die Parole: Weitermachen, Herrschaften!

Datenquelle: Wyscout

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moosham_michA

wie immer, eine hervorragende analyse. danke. schade, das es weder verlaat, noch reinthaler in die kickerelfdes tages geschafft hat. dann halt nächstes mal…

Linksblau

Dafür der Bonga!