Mein Sohn hat seit ein paar Monaten ein Handy und ist fleißiger Nutzer der kicker-App. Als er dort den Spielplan der Primera Divison sichtete, kam er auf die Idee, die Osterfreien zum Groundhopping in Madrid zu nutzen. Eigentlich wäre ich ja gerne nochmal Skifahren gegangen, aber natürlich rennt er damit bei mir offene Türen ein.

Groundhopping Madrid: Erstes Wochenende im Zeichen der Gegensätze

Der Spielplan sollte uns am ersten Wochenende die wohl größten Gegensätze des Madrider Fußballs bieten. Am Samstag stand für uns die Partie von Rayo Vallecano gegen den FC Valencia (die wir im Sommer schon in Vigo gesehen hatten) auf dem Programm. Sonntagabend hatte die Liga dann für uns das Schmankerl Real Madrid gegen Athletic Bilbao terminiert. Rayo Vallecano ist im Stadtteil Vallecas beheimatet und ein eher weniger reicher Stadtteil mit einem großen Anteil an Einwanderern aus Südamerika. Also quasi das diametrale Kontrastprogramm zum Welt-Millionärs-Klub Real Madrid. Rayo ist nach Aussagen der eigenen Fans der einzige Club der Primera Divison, der seine Karten für Heim- und Auswärtsspiele ausschließlich an den “Taqullias” des eigenen Stadions verkauft und keinerlei Tickets über das Web oder sonstige Kanäle anbietet. Also stand nach unserer Ankunft am Donnerstag direkt die Fahrt nach Vallecas an, um sich Karten für den Kick am Samstag zu sichern. Das gelang uns auch problemlos.

Bruchbude mit sympathischem Publikum

Das Campo de Futbol de Vallecas wurde 1976 erbaut und es scheint nicht so, als ob seitdem irgendwelche Sanierungsarbeiten stattgefunden hätten. Kurzum: ein geiler alter Kasten, wie ich sie liebe!

Das Campo de Futbol de Vallecas von der Hauptstraße aus gesehen.
Hinter der Haupttribüne

Die Rayo-Fans stehen unüberdacht im “Fondo” hinter dem Tor, ansonsten gibt es zwei Sitztribünen. Auf der anderen Seite hinter dem Tor stehen Wohnhäuser und wenn das Spiel langweilig ist, kann man den Bewohnern beim Wäscheauf- oder -abhängen zuschauen.

Das Stadion von Innen

Unser Spiel beginnt auch relativ langweilig, beide Teams tasten sich ab und gehen wenig Risiko. Auf der Tribüne hat man uns schnell als Fremde wahrgenommen und man bietet uns Bier (im Stadion nur alkoholfrei) und selbstgemachte Chorizo-Sandwiches an. Wir kommen mit unseren Nachbarn ins Gespräch und sorgen als Fotomotiv für die Umsitzenden für Ablenkung vom doch sehr zähen Spiel. Kurz vor der Pause geht Rayo dann 1:0 in Führung. Die Rayo-Fans jubeln frenetisch und hoffen durch einen möglichen Sieg nochmal in Richtung europäischer Wettbewerb schielen zu können.

Torjubel der Rayo-Fans

Rayo macht den Sack nicht zu – Valencia gleicht aus

Nach der Pause ging Rayo dann auf das 2:0, schaffte es aber nicht, den Vorsprung auszubauen. So waren es die Gäste, die einen von zwei gut vorgetragenen Angriffen über Außen zum 1:1-Ausgleich nutzen konnten und am Ende einen etwas glücklichen Punkt entführen konnten.

Valencia bejubelt den Ausgleich vor den zahlreich mitgereisten Fans

Die Rayo-Fans reagierten mit ziemlicher Fustration, die europäischen Plätze sind nun etwas außer Reichweite geraten. Wir fuhren nach dem Spiel mit einer Familie aus drei Generationen Rayo-Fans, die in den etwa 20 Minuten der gemeinsam Fahrt nicht einen Ton sagten, sondern generationenübergreifend grimmig dreinblickten.

Brotzeitbox oder Raumschiff?

Einen Tag später hält das Groundhopping in Madrid dann den absoluten Gegensatz zum Klub aus dem Armenviertel parat: Real Madrid im frisch umgebauten Bernabeu-Stadion. Um Karten für dieses Spiel zu bekommen, benötigte ich gefühlt 10.000-Versuche im offiziellen Shop von Real Madrid, bis es mir gelang, zwei Tickets immerhin im selben Sektor (aber nicht nebeneinander) zu ergattern. Kategorie 2, den Preis könnt Ihr selber googlen… Ich habe ja 1997/98 in Madrid studiert und war währenddessen auch ein paar Mal im Bernabeu. Sagen wir es mal so, damals gefiel es mir um Einiges besser. Heute ist es ein schwerfällig gerundeter Koloss aus Aluminium oder Metall, den man nicht zwangsweise für ein Fußballstadion halten würde. Mein Sohn und ich rätseln wonach es ausschaut. Wir einigen uns auf irgendetwas zwischen gigantischer Brotzeitbox und Raumschiff.

Gigantische Brotzeitbox oder Raumschiff?

Da wir noch massig Zeit haben, umrunden wir das Bernabeu ein Mal und der Papa will sich noch ein Bier kaufen. Wir kommen zum Straßenverkauf eines Restaurants, das gepflegte 10€ für die Halbe haben will. Da geh ich lieber durstig ins Stadion! Ein paar Meter weiter gibt es bei einem Burgerbräter den Liter für 5€. Na also, geht doch! Mit dem Bier genießen wir das Treiben rund um das Stadion, das geprägt ist von Fanartikelständen. Das Treiben ist für spanische Verhältnisse trotz der enormen Eintrittspreise sogar recht normal und man merkt wenig von diesem Weltklubgehabe.

Treiben rund um das Bernabeu vor dem Spiel

Hightech mit Zwangsultras?

Im Inneren muss man schon sagen, dass das Stadion ziemlich gut geworden ist. Man sieht die Spieler einfach perfekt, das Licht bei geschlossenem Dach ist wirklich phänomenal und die Zugänge etc. sind sehr praktisch gemacht. Wenn man mal davon absieht, dass alle 10 Meter ein Ordner mit Handbesen steht, der hektisch jeden Krümel vom Boden fegt, ist es ziemlich geil. Weniger geil ist die Stimmung. Es scheint so, als ob im ehemaligen Block der Ultras Sur eine Gruppe von Fans zwangsverpflichtet wurde, Stimmung zu machen.

Der Ultra-Block im Bernabeu, in etwa so groß wie Block G und H im Sechzgerstadion

Der Rest des Stadion schweigt größtenteils und genießt in stiller Andacht die technischen Fähigkeiten von Vinicius Junior, Bellingham, Modric etc., die teilweise wirklich unglaublich schön anzusehen sind. Es scheint fast so, als ob es verboten sei, außerhalb des Ultra-Blocks irgendwelche Äußerungen zum Spielgeschehen zu machen. Auch die sonst durchaus stimmgewaltigen Auswärtfans aus Bilbao sind kaum zu hören. Allerdings befinden sie sich von uns aus am Ende des Platzes und sind ca. 30 Meter über uns platziert.

Der Auswärtsblock (oben Mitte)

Siegtor in der Nachspielzeit

Bilbao versuchte in der ersten Hälfte noch irgendwie, sich ein wenig am Spiel zu beteiligen. Im zweiten Durchgang zogen sich die Basken ausschließlich in die eigene Hälfte zurück und vertrauten auf die Künste von Unai Simon im Tor. Für einen Tabellenvierten war das schon sehr wenig. Am Ende kam es wie es kommen musste und Fede Valverde schoß in der 93. Minute das Siegtor für Real Madrid. War verdient, aber wir hätten uns sehr über ein Unentschieden gefreut. Als das Tor fällt, war unser Block übrigens schon zu 20% geleert und die Umsitzenden reagierten mit Handy-Photos und zaghaftem Applaus auf den Siegtreffer.

Das Groundhopping in Madrid zeigte mal wieder, dass Passion und Emotion eher bei den kleinen Vereinen zu finden sind.

 

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Joerg

Wem Real oder Athletico nicht gefallen, der kann ja auch zu Getafe gehen

Esperanza