Mit ein paar persönlichen Worten nimmt sechzger.de-Redakteur Christian Jung Abschied von Marco Hiller.

Hiller knapp hinter Miller

Wenn sich Marco Hiller am Samstag Mittag um halb zwei zum – vorerst – letzten Mal ins Tor des TSV 1860 München stellt, dann sehe ich ihn zum insgesamt 150. Mal in dieser Rolle live im Stadion. Damit belegt er in meiner persönlichen Allzeit-Statistik den zweiten Platz. Nur Thomas Miller kommt auf elf Spiele mehr. Knapp hinter sich lässt der Gröbenzeller in dieser Liste Löwenlegenden wie Armin Störzenhofecker, Rainer Maurer, Bernhard Trares oder Philipp Steinhart.

Ein besonderer Platz im Löwenherzen

Nicht zuletzt aufgrund dieser beeindruckenden Anzahl an Spielen (insgesamt absolvierte er 275 Partien in Liga- und Pokalwettbewerben für die erste Mannschaft der Löwen), die Marco Hiller nur deshalb sammeln konnte, weil er sich immer wieder auf’s Neue gegen immer neue Konkurrenten um die Torhüterposition durchsetze, hat Hiller einen ganz besonderen Platz in meinem Löwenherzen. Und ich werde am Samstag sicher ein wenig wehmütig, wenn das Spiel gegen Aue abgepfiffen ist und ich Gewissheit habe, dass zum Auftakt in die neue Saison 2025/26 ein anderer Torwart in die sehr großen Fußstapfen treten muss, die Hiller ihm hinterlässt.

Erinnern statt lamentieren, bitte!

Es ist müssig darüber zu lamentieren, wer die “Schuld” an diesem Abschied hat. Im für gewöhnlich sehr aufgeregten und stets von Kontroversen geprägten Löwenumfeld gibt es in diesen Tagen rund um das Thema viele Diskussionen. Zu viele. Ob der seit seinem elften Lebensjahr bei den Löwen aktive Hiller vom Geschäftsführer Dr. Werner mit einem schlechten, ja inakzeptablen Vertragsangebot brüskiert und so quasi vom Hof gejeagt wurde? Oder ob es nach so langer Zeit bei ein- und demselben Verein einfach mal Zeit für eine Luftveränderung war? Ob die familiäre Situation (mit einem kleinen Kind) vielleicht einen Wechsel (z.B. ins Ausland) attraktiv erscheinen lässt? Oder ob vielleicht ein Sammelsurium aus diesen (und weiteren) Gründen nun für den Abschied gesorgt hat?

Keiner – außer den Beteiligten selbst – weiß das so genau und ich muss ehrlich sagen, für mich spielt das auch keine so große Rolle. Im Gegenteil. Ich finde, es wird der Löwenlegende Marco Hiller nicht gerecht, wenn man sich nun über die Gründe seines Abschieds streitet, anstatt ihm beim morgigen Saison- und also auch “Hiller-Finale” einen würdigen Abschied zu bereiten.

Hiller-Bilder im Kopf

Wenn Marco Hiller morgen gegen Zwanzig nach Drei zum – auch hier betont: vorerst! – letzten Mal vor die Westkurve kommt, um sich zu verabschieden, dann werden sicher einige Bilder und Erinnerungen seiner Löwenzeit vor meinem geistigen Auge ablaufen. Und sicher nicht nur vor meinem.

Die Mannschaftsfotos der Junglöwen, die ihn noch als Kind zeigen.

Das eine oder andere Heimspiel für die Amas im Sechzgerstadion als junger, sehr junger Mann.

Regionalliga 2017/18

Der “Tag der Wiederauferstehung” am 13. Juli 2017 in Memmingen, als er plötzlich Torwart der ersten Mannschaft seines Lieblingsvereins war und sich im Laufe der Saison als deren großer Rückhalt entwickelte.

Der – auch dank Hiller – sofort gelungene Aufstieg in die 3. Liga gut zehn Monate später. Und die anschließende Party in Giesing.

Seine regelmäßige Wiederkehr in den Kasten, wenn sich die Konkurrenz um die Nummer 1, die ihm regelmäßig den Platz im Löwentor streitig machte, verletzt hatte. Oder der Coach Einsehen zeigte – und ihn zurück an seinen Platz stellte.

Elferkiller Hiller

Das Elfmeter-Drama im Totopokal-Viertelfinale im Oktober 2019 gegen Unterhaching, als Hiller drei Strafstöße der Vorstädter hielt und so quasi im Alleingang für ein Weiterkommen sorgte.

Apropos Elfmeter: Im regulären Spielverlauf hielt Hiller in seiner Zeit bei Sechzig in der 3. Liga insgesamt stolze sechs Elfer. Die letzten beiden lustigerweise gegen die Ex-Löwen Marcel Bär und Moritz Stoppelkamp.

Derby gegen Rot II

Eine ganz besondere Erinnerung und sehr dramatische Bilder liefert das “kleine Derby” am 9. Januar 2021. Ich saß damals, wie alle anderen Löwenfans – geisterspielbedingt – zu Hause vor dem Fernseher und musste fassungslos mit ansehen, wie der Rote Joshua Zirkzee im Löwenstrafraum den Fuß nicht zurückzog, sondern unserem Torwart zwei böse Cuts im Gesicht verpasste. Marco Hiller blieb nach langer und intensiver Behandlung der blutenden Wunde im Tor und half entscheidend mit, den 2:0-Sieg die Bühne zu bringen. Dafür und für weitere tolle Leistungen in jener Zeit kürte ich ihn in meinem persönlichen Rückblick 2021 hier auf sechzger.de zum “Spieler des Jahres”.

Schnelllebiges Fußballbusiness

Allein diese Erinnerungen – und es kommen morgen sicher noch einige mehr in meinen Kopf – zeigen: Marco Hiller wird eine Lücke hinterlassen. Eine große Lücke. Und doch ist das Fußballgeschäft so schnelllebig, dass vielleicht schon in wenigen Monaten ein Nachfolger im Kasten steht und von uns Fans bejubelt wird, weil er durch seine Paraden dafür gesorgt hat, dass die Löwen erfolgreich waren. Ein ganz normaler Vorgang. Marco Hiller wird dann, wie für die etwas Älteren ein Petar Radenkovic, für mich persönlich ein Thomas Zander, ein Rainer Berg oder ein Bernd Meier, nicht vergessen sein. Niemals! Aber die Fußballwelt wird sich weiter gedreht haben und neue Löwenlegenden entstehen lassen. Und für die noch lebendigen Protagonisten besteht ja immer die Möglichkeit einer Rückkehr an die alte Wirkungsstätte, um der Geschichte noch ein weiteres Kapitel anzufügen.

Wenn ich mir also von Marco Hiller, neben meinen Wünschen für ihn, einen erfolgreichen weiteren Karriereverlauf und vor allem Verletzungsfreiheit und Gesundheit, etwas wünschen dürfte, dann wäre es definitiv seine dereinstige Rückkehr zu Münchens Großer Liebe. In welcher Rolle auch immer.

Servus Marco, Danke für alles, mach’s guad und komm’ wieder!

 

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Esperanza

Starker Kommentar!

_Flin_

Sehr gut zusammengefasst. Man muss auch nicht immer so ein Gschiss machen, wenn ein Spieler geht. Die KGaA hat ein kleines Budget, und dass da Vorstellungen nicht zusammenpassen, ist normal.

Marco ist eine Löwenlegende. Und sucht sich jetzt etwas anderes. Ich kann es ihm nicht verdenken. Die letzten zwei Jahre ist er nicht gerade wertschätzend von seinem Arbeitgeber behandelt worden. Da jetzt eine Schuldfrage aufzureissen, ist nicht sinnvoll. Schuldfragen sind sowieso meistens Losermentalität. Gewinner übernehmen Verantwortung und treffen Entscheidungen, Verlierer diskutieren darüber welcher andere Schuld ist.

MarcoWoe1860

Lieber Christian,
vielen Dank für den geilen Beitrag.
Ich finde das Marco einer der besten und sympathischsten Spieler war die ich bei sechzig gesehen habe und auch an dich noch vielen vielen Dank für den Beitrag mir sind die Tränen gekommen.

Julian

Danke Christian, das ist der beste Beitrag zu Marcos Abschied!

Danke Marco, mach’s guad!🫶🏼

Siggi

Gut geschrieben! Eine schöne Mischung aus Melanchole, Sentimentalität und Pholosophie. Ja, da wird einem das Herz schon schwer.