Ein herzliches Grüß Gott zur TAKTIKTAFEL vor dem ersten Auswärtsspiel unseres TSV 1860 München in der Saison 2021/22. Gegner ist der SV Wehen Wiesbaden.

In der Brita Arena empfängt die Mannschaft aus der hessischen Hauptstadt unsere Löwen. Rüdiger Rehm, Trainer des SVWW, hat seine Mannschaft am vergangenen Montag gegen den Aufsteiger SC Freiburg II in einem theoretisch sehr offensiven System antreten lassen. Bei Ballbesitz war das System durchaus bei den Wiesbadenern als 3-4-3 erkennbar. Gegen den Ball verschob sich das Ganze aber zu einem kompakten 5-3-2 oder 4-4-2 flach. Wie man genau verschob, war von zwei Faktoren abhängig. Erstens: kommt der Angriff über einen der Flügel oder durch die Mitte? Und zweitens: wie viele Gegner gehen mit nach vorne?
Meist konnte Wehen Wiesbaden den Freiburgern mit dieser Kompaktheit gegen den Ball schon vor dem letzten Drittel den Zahn ziehen und die Kugel – wenn auch meist nur kurzzeitig – wieder abnehmen.

Verschiedene Systeme des Gegners denkbar

Die Frage, die sich also stellt, ist: Lässt Rehm seine Elf mit einer Dreier- oder doch eher mit einer Viererkette in der letzten Reihe auf die Löwen los?

Fakt ist, dass in der Vorbereitung drei Systeme getestet wurden. 4-3-1-2, 3-4-3 und das letztes Jahr beim SVWW hauptsächlich gespielte 4-4-2 flach. Allesamt waren in der taktischen Ausrichtung eher defensiv auf Konterfußball und vertikales Spiel angelegt.

Die mit zwölf, wenn man den nach Leihe weiterverpflichteten Lankford dazuzählt dreizehn externen Neuzugängen bestückte, quasi rundumerneuerte Mannschaft vom Rhein ist also was die systematische Ausrichtung betrifft schon mal sehr flexibel aufgestellt. Speziell für die Defensive und das Mittelfeld wurde kräftig aufgerüstet. Hier könnt ihr den Kader des SVWW ansehen.

Die Leistung von Wehen Wiesbaden im ersten Saisonspiel

Im letzten Spiel gegen den SC Freiburg II war die fehlende Abstimmung zwischen Mittelfeld und Sturm noch deutlich sichtbar. Nur 58% aller Vorwärtspasse der Wiesbadener kamen an. Wenn es allerdings mal bis ins letzte Drittel funktionierte, konnten die Hessen durchaus zeigen, dass sie vorne gefährlich sein können. Bei dreizehn in die Box gespielten Bällen gab es zwölf Ballkontakte, die zu sage und schreibe elf Schüssen führten. Zwei weitere Schüsse der Wiesbadener in diesem Spiel kamen von außerhalb des Strafraums.

Ein besonderes Augenmerk muss den Eckstößen des SVWW zukommen. Sechs von zehn Ecken führten zu einem Torschuss.

Gegen die mit viel Ballbesitz agierenden Freiburger fiel zudem auf, dass die Mannschaft von Rüdiger Rehm bei Ballgewinn nicht lange fackelt und schnell auf totale Offensive umschalten kann. Wenn die Wehener die ungenauen Vorwärtspässe in den Griff bekommen, wird es schwer, deren vertikales Spiel und die Konterattacken in den Griff zu bekommen.

Welche Taktik können wir vom Gegner erwarten?

Welches der in der Vorbereitung getesteten Systeme der Trainer der Hessen für das Spiel gegen den TSV 1860 München aus dem Köcher zieht, ist schwer vorherzusagen. Aber mit dem 3-4-3 rechne ich persönlich am wenigsten. Wenn es doch so kommen sollte, dann gilt diese Formation sowieso nur bei eigenem Ballbesitz.

Gegen den Ball werden wir beim SVWW wie gegen Freiburg, die spielerisch sehr gut waren und unserem kommenden Gegner durch gute Kombinationen im Aufbau auch das Pressing schwer machten, eine kompakte Hintermannschaft sehen, die in der Defensive mit bis zu acht Spielern die Räume für die Löwen im letzten Drittel sehr eng gestalten wird. Ob diese letztlich mit Vierer oder Fünferkette agiert oder ob das wieder flexibel gestaltet wird, werden wir sehen. Ich rechne mit Letzterem.

Die Löwen haben gegen den SVWW die Chance, wenn sie das Spiel mit Hilfe der schnellen Leute in der Offensive und präzisen Pässen breit machen können, die Kompaktheit der tiefen Ketten aufzulösen und die Wiesbadener damit vor große Probleme zu stellen.

5-3-2 oder 3-5-2 – kaum ein Unterschied

Vermutlich werden wir es also mit einem kompakten 5-3-2 zu tun bekommen, das bei Ballbesitz zuerst zum 3-4-1-2 und im letzten Drittel vor dem Tor zum 3-4-3 wird.

Sollten die Löwen über die Flügel angreifen, werden die Wiesbadener vermutlich leicht asymmetrisch verschieben, sodass es wie ein 4-4-2 wirken wird. Damit wäre der zu verteidigende Flügel doppelt besetzt.

Der Spieler auf der rechten Seite wird sich dann nicht ganz bis in die Abwehrkette zurückfallen lassen und somit bei Ballgewinn eine zusätzliche Option für das schnelle Umschalten der Hausherren darstellen. Warum ausgerechnet der Spieler rechts? Auf der linken Seite verteidigt mit Nico Rieble (#27) ein echter Außenverteidiger. Rechts dagegen spielen entweder Goppel oder Fechner. Auf der Position des rechten Innenverteidigers spielt in der Dreier-Innenverteidigung mit Mockenhaupt ein Spieler, der auch als rechter Außenverteidiger eine gute Figur macht. Deshalb ist Wiesbaden dort sehr viel flexibler in der Wahl der Mittel gegen den Ball und kann gut variieren.

5-3-2 oder 3-5-2 – nennt es so, wie es euch besser gefällt. Im Prinzip ist es dasselbe System mit einer kleinen Nuance. Diese ist alleine der grundsätzlichen taktischen Ausrichtung der Außenspieler geschuldet. Eher offensiv oder defensiv ist da die Frage. Ansonsten sind die Systeme deckungsgleich und damit auch die Stärken und Schwächen. Es ändert sich somit systematisch beim Gegner bis auf eine Kleinigkeit nicht viel zum vergangenen Samstag.

Stärken und Schwächen des Systems von Wehen Wiesbaden

Stärken

  • Das System ermöglicht bei Ballbesitz eine gute Staffelung in der Breite und Tiefe. Dadurch kann eine für Passkombinationen gute Raumaufteilung entstehen.
  • Zwei Stürmer in der Spitze bringen starke Präsenz im Zentrum des gegnerischen Abwehrdrittels. Durch ein kompaktes Mittelfeldzentrum lässt man dem Gegner gegen den Ball wenig Raum.
  • Wenn im speziellen Fall bei Wiesbaden der offensive Mittelfeldspieler im letzten Drittel noch mit in die Sturmreihe vorschiebt, entsteht ein schwer zu verteidigendes Übergewicht auf der kompletten Breite des Platzes.

Schwächen

  • Es ergeben sich bei Ballverlust teilweise weite Abstände, die der Gegner bei schnellem Spiel gut ausnutzen kann.
  • Die für die Flügelspieler langen Laufwege können in einem dynamischen Spiel mit viel Ballbesitzwechsel zu verfrühtem Kraftverlust der Außenspieler und damit zum Erlahmen des Drucks führen, der über die Flügel aufgebaut werden soll.
  • Die Flügel sind nur einfach besetzt. Deshalb können entweder Defensive oder Offensive dort schwächeln.
  • Gegen Systeme, in denen mit zwei oder mehr Stürmern agiert wird, kann es bei Kontern des Gegners oder zügigen Positionsangriffen leicht zu einer Unterzahl in der Hintermannschaft kommen.
  • Das starke Vorschieben des offensiven Mittelfeldspielers bei Wiesbaden ermöglicht bei Umschaltmomenten noch mehr Raum für den Gegner.

Schlüsselspieler beim SV Wehen Wiesbaden

Tor

Florian Stritzel (#16): Der Neuzugang von Darmstadt 98 hat überraschenderweise Tim Boss als Nummer eins verdrängt. Das sagt einiges aus. Boss war ein starker Rückhalt der Wiesbadener in der letzten Saison. Wie gut Stritzel tatsächlich ist, kann man bis dato aus der Ferne schwer beurteilen. Sein Arbeitsprotokoll gegen Freiburg II ist mangels Chancen für Freiburg sehr dünn. Wenn ich richtig gezählt habe, musste Stritzel genau eine Parade zeigen, um den Punkt für Wiesbaden zu sichern. Sein letztes Pflichtspiel davor für den SV Darmstadt absolvierte Stritzel am 4. Oktober 2019. Insgesamt kam der 27-jährige Deutsch-Österreicher auf 86 Pflichtspieleinsätze in neun Spielzeiten vor seinem Wechsel in die hessische Landeshauptstadt.

Abwehr

Sascha Mockenhaupt (#4): Der Kapitän und Abwehrchef sowie seine beiden Kollegen in der Innenverteidigung Florian Carstens (#17) und Ahmet Gürleyen (#3) sind aufgrund ihrer Größe wahrscheinlich eher auf dem Boden zu bezwingen als in der Luft über hohe Bälle. Ob Wiesbaden die größte Innenverteidigung der Liga hat weiß ich nicht. Aber mit 1,87 m,  1,92 m und 1,93 m sind die Jungs schon gutes Gardemaß. Zusätzlich haben alle drei beeindruckende defensive Zweikampfwerte. Tore zu schießen wird eine schwere Aufgabe am Samstag.

Mittelfeld

Der Defensivere der beiden Achter, Mehmet Kurt (#11), kam aus Verl an den Rhein. Er ist aufgrund seiner Passgenauigkeit der optimale Spieleröffner. Auch gegen den Ball ist Kurt grundsätzlich ein sehr stabiler Spieler. Nur in direkten Kopfballduellen zeigt er bisweilen Schwächen.

Der von Sandhausen nach Wiesbaden gekommene Neuzugang und Ex-Löwe Emanuel Taffertshofer (#5) gibt bei den beiden zentralen Mittelfeldspielern eher den offensiveren Part. Passgenauigkeit und Durchsetzungsvermögen in eins gegen eins Situationen sind bei ihm sehr gut ausgeprägt.

Sturm

Beim SVWW stehen gerade nur zwei echte Stürmer im Kader. Sowohl Johannes Wurtz (#8) als auch Gustaf Nilsson (#29) sehe ich noch nicht wirklich als Schlüsselspieler in dieser Position. Auch die gegen Freiburg als Außenstürmer agierenden Maximilian Thiel (#22) und Thijmen Goppel (#9) haben noch keine echte Torgefahr ausgestrahlt. Aber es ist ja auch erst ein Spiel gespielt. Der oft als Joker eingesetzte Nilsson ist aufgrund seiner Größe von 1,96 m, vor allem, weil Semi Belkahia den Löwen fehlen wird, durchaus eine Option für die Startaufstellung.

Fazit: was ist drin für die Löwen?

Die Abwehr des SVWW zu knacken, wird ein hartes Stück Arbeit für unseren TSV 1860 München. Bei Standardsituationen der Hausherren herrscht obendrein wegen der vielen Türme von um die 1,90m Größe (oder sogar darüber) ebenfalls höchste Gefahr. Im Positionsspiel sehe ich die Löwen sowohl bei eigenem Ballbesitz als auch gegen den Ball im Vorteil.

Es könnte ein ähnliches Spiel wie gegen die Kickers aus Würzburg werden. Auf der einen Seite eine eingespielte Truppe, die den Gegner spätestens ab dem Sechzehner kontrollieren kann. Auf der anderen Seite eine Mannschaft, der aufgrund der vielen Neuzugänge im Kader noch ein wenig die Feinabstimmung bezüglich Laufwegen und Raumdeckung fehlt.

Drei Punkte halte ich für durchaus möglich. Ich wäre aber hinsichtlich der Lufthoheit, die Wehen Wiesbaden wahrscheinlich haben wird, nicht überrascht, wenn wir einer Punkteteilung mit Toren auf beiden Seiten entgegensehen.

Falls es Wiesbaden gelingen sollte ähnlich viele Standards wie Würzburg herauszuholen, wird es schwer sein, alles zu verteidigen.

Wenn sich die Sechzger, so wie es  Freiburg im Ansatz gegen Wiesbaden gezeigt hat, im Aufbau gut über die erste Pressinglinie hinwegsetzen können, ist aufgrund der spielerischen Klasse der Löwenoffensive nach vorne einiges möglich.

Meine Prognose ist, dass wir punkten. Ob es ein oder drei Punkte werden, wissen wir am Samstagnachmittag.

Datenquelle: Wyscout

Mögliche Aufstellungen des SV Wehen Wiesbaden

SV Wehen Wiesbaden Aufstellung 5-3-2
Wiesbaden im 5-3-2
SV Wehen Wiesbaden Aufstellung 3-4-3 asymmetrisch
Wehen Wiesbaden im 3-4-3 asymmetrisch

 

Kompakt auf unserem Youtube-Kanal zusammengefasst findet Ihr seit dieser Saison die Gegnervorstellung der TAKTIKTAFEL in Winningers Wirtshaus Weisheiten. In weniger als sieben Minuten hört Ihr das Wichtigste über den morgigen Gegner Wehen Wiesbaden über diesen Link.

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Steffen Lobmeier

Wie immer sehr interessant und informativ. Bin auch gespannt, ob Köllner taktisch Änderungen vornehmen wird. Könnte mir schon vorstellen, dass 1860 erstmal mit nur einer Spitze kommen wird.