Herzlich Willkommen zur Taktiktafelanalyse des Spiels TSV 1860 München – FC Erzgebirge Aue. Am Freitagabend zerlegte der TSV 1860 München die Schachter zwar nicht in deren Einzelteile, dennoch war es eine starke Leistung der Elf von Michael Köllner. Defensive Unzulänglichkeiten des FC Erzgebirge sorgten dafür, dass das Ergebnis schlussendlich deutlich und verdient für die Hausherren war.

Die Systeme

Der TSV 1860 trat gegen den FC Erzgebirge zu Beginn in einer 4-2-3-1 Formation mit zwei Sechsern vor der Viererkette an, in der Yannick Deichmann für Lannert als Rechtsverteidiger auflief. Überraschenderweise war nicht Tim Rieder die Rolle des tiefen Sechsers zugedacht. Abwehrallrounder Daniel Wein spielte diese Position. Tim Rieder durfte als Box-to-Box Spieler ran und zeigte in dieser Rolle eine starke Leistung.

Der Auer Trainer Timo Rost schickte seine Elf im 4-1-4-1 ins Rennen. Taffertshofer als defensiver Mittelfeldspieler wurde gegen den Ball von Schreck, der bei Aue die Box-to-Box Rolle inne hatte, gegen den Ball defensiv unterstützt.

Im letzten Drittel des Gegners verschoben beide Mannschaften auf eine Dreierformation im Sturm.

Taktische Ausrichtung

Der TSV 1860 München begann gegen den Ball mit hohem Angriffspressing und hoher Defensivlinie. Schnelles Umschalten nach Ballgewinn war die Devise. Aue hingegen ging wie erwartet nicht ganz vorne drauf, sondern entschied sich zu Beginn beide Linien tiefer anzulegen. Auch die Schachter versuchten mit schnellem Umschaltspiel zu agieren.

Im Positionsspiel war der Plan beider Mannschaften Druck über die Flügel zu erzeugen. Der TSV 1860 verschob im hierbei asymmetrisch über den rechten Flügel, Aue tat dasselbe über die eigene linke Seite.

Die Verschiebungen beim TSV 1860 München waren in beide Richtungen meist sehr effektiv. Jeder Spieler nahm seine Rolle an und auch die für die Offensive wichtigen Akteure kamen ihren Defensivaufgaben sehr gut nach. Ich schreibe meist sehr effektiv, weil durch die hohe Variabilität im Löwenspiel mit vielen Positionswechseln innerhalb der Formation dann und wann kleine Lücken im Raum entstanden und Aue dadurch, vor allem in der Mitte der ersten Halbzeit und in der ersten halben Stunde des zweiten Durchgangs, viele Angriffe bis ins letzte Drittel des TSV 1860 München durchbrachte.

Aue hatte über die 90+4 Minuten sowohl bei Positionsangriffen als auch bei Kontern je einen mehr an erfolgreichen, abgeschlossenen Angriffen als der TSV 1860 vorzuweisen. Auch das eindringen in die Box der Löwen funktionierte bei den Gästen besser als im bisherigen Saisonverlauf. Aue war vor allem beim Abschluss – und das ist das Problem, welches sich bei Aue durch die gesamte bisherige Saison zieht – nicht fähig Gefahr für das Tor der Sechzger zu erzeugen. In keiner der Strafraumsituationen war Aue fähig Torhüter Hiller zu einer Parade zu zwingen. Die Schussversuche aufs Tor der Löwen waren abgesehen vom Ehrentreffer in der 91. Minute durch die Bank ungefährlich.

Vor der weiteren Analyse hier die wichtigsten Statistiken aus dem Spiel TSV 1860 – FC Erzgebirge Aue.

Die wichtigsten statistischen Werte

  • Ballbesitz TSV 1860 57% – FCE 43%
  • Passgenauigkeit TSV 1860 73% – FCE 73%
  • Defensive Zweikampfquote TSV 1860 70% – FCE 73%
  • Schüsse/aufs Tor TSV 1860 10/4 – FCE 11/4
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion) TSV 1860 7,2 – FCE 5,38

Analyse der statistischen Werte

Ballbesitz

Oft ist es beim Ballbesitz so, dass die Mannschaft, die daran den Löwenanteil hat, viel hintenherum spielt oder aufgrund fehlender Ideen der Ball nicht in der Geschwindigkeit durch die eigenen Reihen zirkuliert wie er es sollte. Davon kann man im Fall der Partie des TSV 1860 München gegen den FC Erzgebirge nicht sprechen. Die Sechzger konnten aufgrund dessen, dass Aue einerseits eher abwartend verteidigte und andererseits oft nicht so in die Zweikämpfe hineinkam, dass diese effektiv geführt hätten werden können, die Passstafetten ein ums andere Mal bis ins letzte Drittel der Auer voranbringen.

Im Mittelfeld verzeichneten die Gäste deutlich mehr Ballverluste als unser TSV 1860. Hierbei geht es vor allem um Ballverluste, die direkt nach eigenem Ballgewinn des FCE durch perfektes Gegenpressing des TSV 1860 München geschahen. In Zahlen ausgedrückt waren es 30% mehr Ballgewinne für die Sechzger im Mittelfeld durch solche Situationen als umgekehrt. Das ist eine ziemlich hohe Anzahl, die wir so deutlich in dieser Saison noch nicht gesehen haben.

Keine der beiden Mannschaften fiel durch Ballgeschiebe in den eigenen Abwehrreihen negativ auf.

Passgenauigkeit

Aus der Tatsache heraus, dass beide Mannschaften sich nicht mit Ballgeschiebe in den eigenen Defensivreihen aufhielten, können wir sofort schlussfolgern, dass die Passgenauigkeit beider Teams aus dem Grund als durchschnittlich zu bezeichnen ist, da es keinem der Kontrahenten darum ging absichernd zu agieren. Offensive Pässe bergen immer das höhere Risiko abgefangen zu werden als defensive Quer- oder Rückpässe.

Näher brauchen wir auf diesen statistischen Wert nicht einzugehen.

Eine kleine Randnotiz ist allerdings das Folgende. Aue hat ein deutlich schnelleres Passspiel an den Tag gelegt als der TSV 1860 München. Allerdings nicht weil Aue das so geplant hatte, sondern weil die aggressive Spielweise der Sechzger im Mittelfeld die Schachter dazu gezwungen hat die Kugel schnell wieder weiterzugeben. Um sechs Pässe pro Minute eigenen Ballbesitzes war die Passfrequenz bei den Gästen im Vergleich höher.

Defensive Zweikampfquote

Beide Mannschaften haben eine Topquote bei den defensiven Zweikämpfen abgeliefert. Bedingt durch den höheren eigenen Ballbesitz mussten die Sechzger logischerweise viel weniger defensive Zweikämpfe führen als Aue. Hervorzuheben ist allerdings, dass in der eigenen Spielfeldhälfte nur acht und im eigenen Sechzehner nur ein einziger Defensivzweikampf am Boden verloren ging.

Aue verliert in der eigenen Spielfeldhälfte fast doppelt so viele Defensivzweikämpfe am Boden, allerdings keinen im eigenen Sechzehner. Und hier ist es wieder, das Problem der Auer: wer in der eigenen Box aufgrund zu großer Abstände nur wenige Zweikämpfe führt kann gerne 100% in dieser Zone gewinnen. Die Schachter haben bei sechzehn Ballkontakten des TSV 1860 München in der Box von Aue nur vier Zweikämpfe gegen den Ball dort geführt. Zehn dieser Ballkontakte im Strafraum des FCE waren mehr oder weniger zentral vor dem Tor. Sieben dieser zentralen Ballkontakte führten zu Schüssen unserer Löwen.

Die Sechzger hatten es im eigenen Sechzehner häufiger mit Luftduellen als mit Zweikämpfen am Boden zu tun. Wichtig hervorzuheben ist dabei, dass ein Kopfball, der ins Toraus oder ins Seitenaus geht, nicht als gewonnener Zweikampf in die Statistik einfließt, da der Ballbesitz nicht wechselt. Ein Ball, der per Kopf zur Ecke geklärt wird, ist also in dieser Statistik kein gewonnener Zweikampf. Das muss man nicht unbedingt verstehen. Es ist aber wichtig das zu erwähnen. Die Lufthoheit der Sechzger – auch wenn die Statistik etwas anderes sagt, da die Bälle nicht im Spiel blieben – war klar erkennbar.

Schüsse

Die Schussstatistik zeigt den FC Erzgebirge gegenüber dem TSV 1860 München leicht im Vorteil. Die Schüsse der Gäste hatten allerdings nicht die Qualität wie diejenigen der Sechzger.

Aue schoss einmal häufiger. Beiden Teams gelang es gleich viele Schüsse auf das gegnerische Tor zu bringen. Schauen wir auf den schon des Öfteren erwähnten xG Wert der Mannschaften sehen wir, dass aufgrund der Qualität der Chancen das Ergebnis den Spielverlauf genau widerspiegelt.

PPDA

Auch der Wert der Pressingintensität spiegelt diesmal das wieder, was man vermutet daraus ablesen zu können. Sechzig agierte mit hoher Frequenz von Aktionen gegen den Ball in den hohen und mittleren Bereichen der pressingrelevanten Zonen. Aue agierte dagegen beim Anlaufen eher in den mittleren und tiefen Bereichen dieser Zonen, aber mit ähnlicher Bissigkeit.

Der entscheidende Unterschied beider Teams war, dass beim TSV 1860 München im Gegensatz zum FC Erzgebirge das Gegenpressing bei Umschaltsituationen des Gegners besser funktionierte.

Die Tore

Alle Tore und weitere Highlights sind hier zu finden.

Bei den ersten beiden Treffern und auch bei den weiteren Großchancen waren die Auer Verteidiger wie schon bei den Gegentreffern in den Spielen zuvor zu weit von ihren Gegenspielern weg.

Natürlich muss man das gute Auge und das feine Füßchen der jeweiligen Vorlagengeber loben. Entscheidend war jedoch, dass das Stellungsspiel der Innenverteidigung des FC Erzgebirge am Freitag gegen den TSV 1860 nicht drittligatauglich gewesen ist.

Einzeln analysieren brauchen wir auch heute keines der Tore. Obwohl das erste und vor allem das zweite Tor, bei dem sich Vorlagengeber Deichmann aussuchen kann, ob er Skenderovic oder Lakenmacher einsetzt, schön herausgespielt waren, ist letztendlich nicht ein toller Spielzug, sondern unterirdische Defensivarbeit in der Abwehrkette beim FC Erzgebirge schuld daran, dass die Torchancen entstehen.

Das fiel auf

Offensive

Dreierpack Fynn Lakenmacher – kein Lupenreiner Hattrick, aber wen kümmerts, ob er alle Tore in einer Halbzeit schießt oder sich das aufteilt.

Albion Vrenezi war überall zu finden – vorne als Ideen- und Vorlagengeber, in der Rückwärtsbewegung ohne Fehler. Er hat den 1:0 Führungstreffer mit seiner Flanke auf Fynn Lakenmacher vorbereitet. Darüber hinaus war Vrenezi an vielen der bis ins letzte Drittel des Gegners durchgebrachten Angriffe entscheidend beteiligt. Obendrein hat er keinen einzigen seiner Defensivzweikämpfe am Boden verloren und so ganz nebenbei sieben Pässe der Auer abgefangen.

Defensive

Leandro Morgalla – Der Junglöwe, der endlich seinen ersten Profivertrag unterschrieben hat, zeigte wieder ein Top Match. Beim Stellungsspiel gegen den Ball ist Morgalla momentan das Nonplusultra bei unseren Löwen. Mit elf abgefangenen gegnerischen Pässen hat er mehr Pässe abgefangen als jeder andere Spieler auf dem Feld. Es kann nicht immer alles klappen, aber diese Leistung war wieder Bärenstark. Immer weiter so.

Yannick “Mr. 100%” Deichmann – Ohne verlorenen Defensivzweikampf am Boden und mit der Vorlage zum 2:0 glänzte Deichmann in seiner letztjährigen Rolle in diesem Spiel. Auf der Position des Rechtsverteidigers spielt Deichmann effizienter als im Mittelfeld. Möglicherweise sollte er doch weiterhin dort eingesetzt werden.

Daniel Wein, Stabilisator vor der Viererkette – Wein verliert im gesamten Spiel nur einen Defensivzweikampf. Ob dieses als verloren gewertete Duell aber wirklich ein Foul an seinem Gegenspieler war? Sicher war der Zweikampf hart, aber Wein hat, obwohl in diesem Duell “viel Mann dabei war”, auch klar den Ball gespielt.

Fazit

Es war am Freitag ein auch in der Höhe gerechtfertigter Sieg gegen eine gute Auer Mannschaft. Die Schachter schaffen es weiterhin nicht die eigene Box so zu verteidigen, dass der Gegner dort permanent um Ballkontakte kämpfen muss.

Kobylanski, Rieder und Skenderovic kommen ähnlich frei zum Abschluss wie Lakenmacher bei zwei seiner drei Treffer. Wenn diese Schüsse sitzen, dürften die Auer sich auch nicht beschweren. Ein 6:1 wäre zwar doch zu hoch gewesen, aber mit solch einer Leistung der Innenverteidiger durchaus im Rahmen des Möglichen.

Bis auf den Gegentreffer hatte Hiller mit keinem Schuss der Auer ein Problem. Nichts was der FC Erzgebirge Aue gegen den TSV 1860 München abfeuerte, zwang Hiller zu einer Reflexparade. Dafür waren die Schüsse entweder zu ungenau oder zu schwach.

Nun gilt es die Schlagzahl während der Länderspielpause hochzuhalten und die Rückkehrer ins Mannschaftstraining heranzuführen, um dann am 1. Oktober im Dortmunder Westfalenstadion gegen die zweite Mannschaft des BVB wieder 100% auf den Platz zu bringen und die makellose Bilanz gegen dieses Team weiter auszubauen.

Datenquelle: Wyscout

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Yoshisaur1860

Kann doch nicht dein Ernst sein bei Deichmann? Der hat als Außenverteidiger ein derart schlechtes Stellungsspiel und der Herr Taktikexperte will ihn dort wieder häufiger sehen. Auf die nächste Saison mit 50 Gegentoren (Vorsicht: Übertreibung)

Steffen Lobmeier

Mal wieder eine sehr starke Analyse, Bernd. Sowas findet man halt tatsächlich nur auf sechzger.de!