Herzlich willkommen zur Taktiktafelanalyse des Sieges unseres TSV 1860 München im Nachholspiel gegen Rot-Weiss Essen. Mit einem souveränen 2:0 und einer Top Mannschaftsleistung gelang den Sechzgern ein kleiner Befreiungsschlag im Tabellenkeller.

TSV 1860 – Rot Weiss Essen am Dienstagabend unter Flutlicht im heimischen Sechzgerstadion endete verdient mit 2:0 für Münchens große Liebe, was auch Gästecoach Christoph Dabrowski neidlos anerkennen musste.

Die Essener kamen wie erwartet im 4-2-3-1 aufs Feld, verschoben teilweise sehr offensiv, aber tatsächlich auch sehr ineffektiv nach vorne, sodass die Sechzger immer wieder Möglichkeiten fanden, im Umschaltspiel gefährliche Situationen zu kreieren, die leider manchmal etwas zu wenig präzise zu Ende gespielt wurden.

Die Löwen wurden von Argirios Giannikis ein weiteres mal im 4-4-2 aufgestellt. Abdenengo Nankishi und Julian Guttau rotierten auf der Position der hängenden Spitze bzw. dem linken offensiven Flügel, sodass hier durch die verschiedenen Qualitäten der beiden Spieler die Essener vor unterschiedliche Aufgaben gestellt wurden. Diese Rotation sorgte auch situationsabhängig für unterschiedliche Herangehensweisen im Spielaufbau der Löwen, was dazu führte, dass Essen in manchen Situationen aufgrund dessen überfordert schienen.

Gegen den Ball dosierten die Löwen das Pressing, liefen die Sechzger das Aufbauspiel der Essener auf hoher bis mittlerer Linie an und hatten den Plan, Essen möglichst gut von der eigenen Box fernzuhalten.

Die Essener waren gegen den Ball zunächst abwartend eingestellt und versuchten, eher Räume zuzustellen und lange Bälle der Löwen in die tiefen Pressingfallen zu erzwingen. Dieser Plan ging gegen spritzige und sehr lauffreudige Löwen nicht wirklich auf.

Nach dem Führungstreffer durch Lakenmacher änderte Essen sein Anlaufverhalten hin zu einer direkteren Variante, aber auch hier fanden die Sechzger immer wieder Lösungen, um sich zu befreien und in der Folge schnell das Mittelfeld zu überbrücken.

Systemumstellung

Zehn Minuten vor Ende der regulären Spielzeit stellte Trainer Giannikis mit der Hereinnahme von Reinthaler das System auf eine Fünferkette um. Dies gab gegen verzweifelte Essener, die mit der Hereinnahme von Doumboya und Berlinski ihrerseits eine Systemumstellung auf ein 4-4-2 vorgenommen hatten, noch mehr defensive Stabilität.

Bevor wir nun zur genaueren Analyse kommen, der übliche Blick auf die wichtigsten statistischen Werte des Spiels.

Statistische Werte der Partie TSV 1860 München – Rot-Weiss Essen

  • Ballbesitz: TSV 1860 32% – RWE 68%
  • Passgenauigkeit: TSV 1860 79% – RWE 87%
  • Defensive Zweikampfquote: TSV 1860 39% – RWE 57%
  • Schüsse/aufs Tor: TSV 1860 10/3 – RWE 8/3
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion): TSV 1860 12,27 – RWE 9,86

Analyse der statistischen Werte

Ballbesitz (32%:68%)

Die niedrigste Ballbesitzquote für die Sechzger im Saisonverlauf. Allerdings verstand der TSV 1860 München durch das taktisch exzellente Stellungsspiel, Rot-Weiss Essen den Ball lediglich in nicht gefährlichen Zonen zu überlassen. 75% der Balleroberungen für die Sechzger fanden zwischen der Essener Torauslinie und der vorderen Zone des letzten Drittels der Löwen statt.

Wie so oft rührt der hohe Ballbesitz also von Passstafetten im eigenen Defensivverbund der Essener her. Die Zahlen hier sind “spektakulär” zu nennen. Dazu kommen wir aber später. Effektivität beim Ballbesitz und schnelles Spiel nach vorne waren in dieser Partie hauptsächlich von den Sechzgern zu sehen.

Hoher Ballbesitz ist nur dann ein Zeichen von tatsächlicher Dominanz, wenn die Ballbesitzphasen dafür sorgen, Lücken ins Stellungsspiel des Gegner zu reißen. Dazu war Essen mit der am Dienstag deutlichen offensiven Ideenlosigkeit gegen das gute Stellungsspiel des TSV 1860 München nicht in der Lage. Behäbiges Aufbauen sorgte für lange Ballbesitzphasen im Abwehrverbund der Essener, aber nicht dafür, dass durch schnelles Kombinationsspiel – so wie es die Essener in den Spielen bisher oft gezeigt hatten – der Gegner im Zentrum oder auf den Halbpositionen vor der eigenen Box zu Fehlern gezwungen wurde.

Dass die Sechzger es mit deutlich kürzeren Ballbesitzphasen schafften a) nur einmal seltener ins letzte Drittel der Essener einzudringen und b) 33% mehr Ballkontakte im gegnerischen Strafraum hatten, sagt einiges über die Effektivität der Spielweise der beiden Mannschaften aus.

Passgenauigkeit (79%:87%)

Aus den langen Ballbesitzphasen in der eigenen Defensivabteilung folgt natürlich dann eine insgesamt hohe Passgenauigkeit für die Gäste. 218 Pässe ohne direkten offensiven Mehrwert spielten die Gäste im eigenen Abwehrverbund. Blicken wir auf die Passkategorien, die für die Offensive wichtig sind, ergibt sich ein nahezu ausgeglichenes Bild auf den statistischen Wert der Passgenauigkeit – mit einem Plus an abgefangenen Pässen auf Seiten der Sechzger von 33% gegenüber Essen.

Defensive Zweikampfquote (39%:57%)

Man könnte nun auf den ersten Blick eine katastrophale Defensivleistung der Sechzger vermuten, wenn man nur diese Statistik vorgesetzt bekommt und der Kontext, in welchem diese zu lesen ist, fehlt.

Mit einer Intensität von 1,88 Zweikämpfen gegen den Ball am Boden und in der Luft pro Minute gegnerischen Ballbesitzes haben die Sechzger Essen stark unter Druck gesetzt. Vor allem vor dem Hintergrund, dass Essen beim Aufbau behäbig und auf Sicherheit bedacht agierte, ist dieser Wert noch einmal deutlich höher anzusiedeln, als er ohnehin schon wirkt.

Durch die hohe Intensität im Kampf um den Ball im Mittelfeld und dem eigenen letzten Drittel, konnten die Sechzger Essen dort immer wieder zu ungenauem Spiel zwingen und konnten so, wie oben schon geschrieben, ein deutliches Plus beim Abfangen von gegnerischen Pässen erzielen.

Fängt man Pässe ab anstatt im Zweikampf einen Ball zu erobern, ist die Wahrscheinlichkeit, danach einer Gegenpressingaktion zu entgehen, deutlich höher. So konnten die Sechzger dann im Umschaltspiel auch präziser agieren und durch schnelles, vertikales Spiel immer wieder gefährlich in die Essener Defensivzone eindringen.

Die Staffelung der beiden Sechser des TSV 1860 München gegen das Flügelspiel von Rot-Weiss Essen hatte gegen den Ball hier einen großen Anteil. Gegeneinander versetzt diagonal von innen nach außen nahm dieser Mannschaftsteil den Essenern die Möglichkeit, nach dem Eindringen in die Spielfeldhälfte des TSV 1860 flach nach innen zu passen. Dadurch konnte Sechzig die Angriffe der Gäste oft auf den Flügeln halten und Essen die Kugel dort immer wieder abluchsen.

Schüsse/aufs Tor (10/3:8/3)

Weniger Ballbesitz und doch mehr Schüsse als der Gegner abgefeuert und diese auch mehrheitlich aus zentraler oder halbzentraler Position in der Box. Blocken konnten die Essener keinen einzigen der in der Box abgegebenen Schüsse.

Lediglich vier Schüsse unserer Sechzger erfolgten von außerhalb des Essener Strafraums, dort schafften es die Essener zweimal, einen Schuss abzublocken.

Auf den eigenen Ballbesitz heruntergerechnet, haben die Sechzger alle drei Minuten, in denen sie den Ball hatten, auch einen Schuss abgesetzt. Das ist eine außerordentlich gute Quote.

Essen brauchte im Vergleich acht Minuten lang den Ball, um einmal zum Schuss zu kommen.

Noch dazu schloss Essen lediglich dreimal, das auch noch knapp hintereinander, als Hiller zweimal glänzend parierte und im Anschluss Young das Leder über den Kasten setzte, aus der Box der Löwen ungeblockt ab. Einen weiteren Schuss von der Strafraumgrenze durch Harenbrock blockte ein Abwehrspieler ab.

PPDA (12,27:9,86)

Die Sechzger waren im Pressing stark auf Kontrolle der Räume und nicht so sehr auf direkten Ballgewinn aus. Auch wenn die beiden pressenden Offensivspieler oft auf den ballführenden Essener während des Aufbauspiels der Gäste zuliefen, war der Gedanke, hier eher ungenaues Passspiel zu provozieren, als im direkten Zweikampf die Kugel zu erobern.

Die Art und Weise des Anlaufens in der Pressinglinie zwang das Essener Spiel immer wieder auf die Flügel. Von dort konnte Essen den Ball, wie oben schon beschreiben, nur selten wieder kontrolliert und gefährlich ins offensive Zentrum bringen.

Essen, das sich zu Beginn der Partie noch zurückhielt was aggressives Anlaufen betraf, reagierte hier nach dem Treffer von Lakenmacher und hatte mit einer aus bis zu drei Mann bestehenden Pressinglinie danach den Druck aufs Aufbauspiel der Sechzger stark erhöht.

Nichtsdestotrotz schafften es die Löwen, durch hohes Spieltempo und fleißige Laufarbeit im Mittelfeld in diesen Situationen auch durchaus erfolgreich in die Defensivzone der Gäste vorzudringen.

Intensität vs. Effektivität

Die hohe Pressingintensität ab dem 1:0 für die Löwen seitens der Essener brachte keinen wirklichen Mehrwert offensiver Natur durch gelungene Pressingaktionen für Essen.

Die tatsächlich gesetzten Aktionen beim Pressing zeigen – wie immer – nicht deren Erfolg auf. Eine Mannschaft, die abgeklärt, unaufgeregt und präzise von hinten herausspielt, kann auch gegen eine Mannschaft mit hoher Pressingintensität gut aussehen. Gelingt es, diese aggressiven Pressinglinien zu überspielen, hat das häufig eine Ãœberzahl im Mittelfeld für die angreifende Mannschaft zur Folge.

Zusammenfassend können wir über die statistischen Werte wieder einmal sagen: Ohne Kontext sind diese nicht viel wert. Betrachtet man jeden Wert, abgesehen von der Schussbilanz, isoliert und ohne das Spiel gesehen zu haben, könnte man den Eindruck gewinnen, die Sechzger wären Essen deutlich unterlegen gewesen und hätten einen glücklichen Sieg errungen. Genau das Gegenteil war der Fall. Der TSV 1860 München erarbeitete sich einen verdienten Sieg gegen Rot-Weiss Essen.

Die Tore

Hier könnt ihr Euch die Tore und weitere Highlights noch einmal ansehen. Das entscheidende Tor war das erste durch Fynn Lakenmacher, der in der letzte Woche noch in verschiedenen Kommentarbereichen ungerechtfertigter Weise stark und teilweise unter der Gürtellinie kritisiert worden war.

Der Rückpassversuch von der aus Löwensicht halblinken Seite wurde vom pressenden Guttau so geblockt, dass das Spielgerät wie bei einem Steilpass in die Tiefe in Lakenmachers Lauf abgelenkt wurde. Der Stürmer kreuzte Alonso-Rios Laufweg und zog aus halblinker Position vor dem Kasten aus etwa elf Metern Entfernung ab und erzielte so seinen dritten Saisontreffer.

Das fiel auf

Der Star ist die Mannschaft

Ein Rädchen griff ins andere. Einen einzelnen Spieler positiv oder negativ herauszuheben, wird – zumindest was die Feldspieler betrifft – der Mannschaftsleistung als Ganzes nicht gerecht. Natürlich performten individuell nicht alle über die gesamte Spielzeit auf Top-Niveau und es gab auch den ein oder anderen, der herausragte. Aber zunächst müssen wir hier feststellen, dass vor allem gegen den Ball die Mannschaft wie ein Uhrwerk funktionierte.

Marco Hiller

Mit zwei Paraden kurz hintereinander gegen Vonic und Eisfeld (28.) hielt der Keeper den Löwen kurz vor dem Führungstreffer für Sechzig die Null zum ersten Mal fest. Mit weiteren guten Aktionen bei flach gespielten Flanken gegen Ende der zweiten Halbzeit zementierte der Löwenkeeper seinen Status als Nummer 1 im Tor.

Die Sechser

Durch gut aufeinander abgestimmte Staffelung im Stellungsspiel gegen den Ball vereitelten bzw. unterbanden Rieder und Frey das Spiel von den Flügeln ins Zentrum. Essen fand keine Lösungen, um diese Staffelung effektiv zu durchdringen.

Nankishi

Auch wenn ich oben geschrieben habe, der Star ist die Mannschaft, was definitiv so ist, muss man ebenfalls sagen, dass Abdenego Nankishi am Dienstag einer der Faktoren war, der immer wieder für Alarmstimmung in der Essener Defensive sorgte. In manchen Situationen war er sogar zu schnell mit seinen Ideen für die eigenen Mitspieler. Es gab Situationen, die bei schnellerer Auffassungsgabe seitens des im jeweiligen Moment ballführenden Sechzger hohe Gefahr fürs Essener Tor oder die Essener Box hätten bedeuten können. Sobald sich die Mitspieler an Nankishis Spielweise gewöhnt haben, wird unsere Offensive einen deutlichen Boost in Puncto Durchschlagskraft erhalten.

Fazit

Wir sahen das beste Spiel der Sechzger in dieser Saison. Sowohl taktisch als auch spielerisch war die Mannschaft des TSV 1860 München Rot-Weiss Essen klar überlegen.

Ein unüberwindbarer Marco Hiller im Tor war das Sahnehäubchen auf der Torte an diesem Tag.

Am Wochenende kommt Ingolstadt mit Ex-Trainer Michael Köllner ins Grünwalder Stadion. Da gilt es, auf dieser Leistung weiter aufzubauen. Nur nicht nachlassen. Die Mannschaft ist auf einem guten Weg.

Datenquelle: Wyscout

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Jem60

Absoluter Mehrwert die Taktiktafel!
Kommt zum Spiel vs Essen ein Sechzger Talk?

Jan Schrader

Die nächste Ausgabe ist erst wieder nach dem Ingolstadt-Spiel. Dort wird dann über beide Partien gesprochen.

_Flin_

Danke für die Analyse. Ist eigentlich alles gesagt, ausser zu Nankishi. Die Zweikämpfstärke und der Biss von ihm haben mich überrascht. Auch das Ausmass an Ballkontrolle, Dribblingstärke und explosivem Antritt und Geschwindigkeit.

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, das ist klar. Wir wissen nicht, wie er die gesamte Rückrunde über abschneiden wird. Nichtsdestotrotz ist das eine Leihe, wie ich sie mir öfter wünsche. Junge Spieler, die zu gut sind für die zweiten Mannschaften in Ober- oder Regionalliga. Die – aufgrund ihres Alters und langfristiger Verträge – wahrscheinlich nicht allzu teuer sind. Mir ist da ein junger Leihspieler mit Feuer im Hintern und seiner Karriere vor sich allemal lieber als ein 28-30-jähriger mit einem Einjahresvertrag.

Groeber

Ernstgemeinte Frage: Wer hat den Jungen entdeckt bzw. geholt? Hat mir auch gut gefallen.

age

in Verantwortung für die Leihe steht der vermeintlich “unerfahrene” Dr. Christian Werner 😉

Loewe2004

Gute Analyse zum ausgeliehenen Nachwuchskicker.
Mir wäre es noch lieber, wenn man sich im NLZ bzw. in der U21 umschaut und unseren Eigengewächsen mehr Chancen bietet.

_Flin_

Ich halte gar nichts von einem konstruierten Gegensatz zwischen “Leihe” und “NLZ-Spieler”. Die Frage ist doch nicht “Wo kommen junge Spieler her?” sondern “Wie kriegen wir die bestmöglichen Spieler für erschwingliches Geld?”.

Nankishi ist nicht hauptsächlich der Konkurrent von Cocic. Sondern von Vrenezi, Zejnullahu, Guttau und Schröter.

Klar, wär schön, wenn wir solche Qualität im NLZ hätten. Nur stehen die Leute, die ähnliche Qualität haben, doch sowieso auf dem Platz.