Ein herzliches Grüß Gott zur Taktiktafel vor dem Spiel TSV 1860 München – Rot Weiss Essen. Der 14. der Auswärtstabelle trifft im Sechzgerstadion auf den 16. der Heimtabelle. Für Spannung ist im Vorfeld gesorgt. Was erwartet die Löwen auf dem Platz?

TSV 1860 – Rot Weiss Essen, zwei Altmeister treffen aufeinander. Essen, Meister aus dem Jahr 1955, und unsere Sechzger aus dem Jahr 1966. Der alte Ruhm ist für beide Teams verblasst, die Tradition lebt jedoch mehr denn je.

Christoph Dabrovski setzt mit seinen Rot-Weissen in dieser Saison wie fast alle Trainer hauptsächlich auf das 4-2-3-1 System. Dieses wird bei Ballbesitz meist über rechts ballfern asymmetrisch auf ein 3-4-3 verschoben. Im letzten Drittel verschieben die Essener dann meist aus dem Zentrum heraus einen weiteren Spieler in die Angriffsreihe, sodass im offensiven Zentrum vor dem Tor bzw. der Halbzentrale drei Spieler einschussbereit anzufinden sein können.

Gegen den Ball steht Essen im Pressing hoch bis sehr hoch in der Regel mit zwei Spielern, die bei Pässen auf einen Flügelverteidiger durch den Mittelfeldaußenspieler unterstützt werden. Die Defensivlinie steht bei den Rot-Wessen gern an das hohe Pressing angepasst fast an die Mittellinie.

Bevor wir zur genaueren Spielweise der Essener kommen, wie üblich zunächst die statistischen Werte von Rot-Weiss Essen.

Statistische Werte der Essener

  • Ballbesitz: 55%
  • Passgenauigkeit: 83%
  • Defensive Zweikampfquote: 61%
  • Flankengenauigkeit: 34%
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivation): 9,2

Wie spielt RWE?

Offensiv

Die Spieleröffnung der Essener erfolgt meistens über die rechte Seite. Dann läuft sie über schnelles Passspiel spätestens an der Grenze zum letzten Drittel des Gegners bevorzugt wieder in die Zentrale bzw. in den rechten Halbraum. Die weitere Angriffsrichtung zur finalen Penetration der gegnerischen Box ist bei Essen absolut variabel. In den Spielen seit Ende der Weihnachtspause waren die Anzahl der Angriffe in den verschiedenen Zonen, abgesehen vom Auswärtsspiel in Aue, bis auf vernachlässigbare Abweichungen, sehr ausgeglichen.

Essen findet auf der gesamten Breite des Feldes die Räume, um mit ihrem hohen Ballbesitz extrem viele Positionsangriffe bis ins gegnerische letzte Drittel zu bringen. In den letzten vier Spielen waren das 36 bis ins letzte Drittel des Gegners durchgebrachte Positionsangriffe im Schnitt. Da liegt Essen für diesen Zeitraum um 25% über dem Ligadurchschnitt. Der hohe Ballbesitz der Essener bedeutet also offensichtlich nicht, dass es lange dauert, bis die Essener sich für eine Angriffsvariante entscheiden, sondern dass sie genau wissen, wie sie ihren Plan umsetzen sollen.

Im letzten Drittel

Erschwerend für jede Abwehr kommt hinzu, dass sie ihre Angriffsbemühungen meist auch problemlos bis in die gegnerische Box vorantreiben. Wenn man der Statistik glauben will, gelingt es Essen lediglich einmal pro Spiel nicht, einen Positionsangriff, der ins letzte Drittel des Gegners führt, in der Box zu beenden. Dabei ist allerdings zu erwähnen, dass a) nicht jeder Ball, der in die Box gespielt wird, auch von einem Essener aufgenommen werden kann und b) Flanken und Pässe in die Box lediglich die Hälfte der Aktionen der Penetrationsversuche darstellen.

Mit drei zentralen Spielern, die für Tore sorgen sollen, ist zudem die Auswahl der Pass- bzw. Flankenempfänger dort sehr hoch. Für mich am gefährlichsten wirken die Essener, wenn die Angriffe im letzten Drittel über die Halbpositionen oder das Zentrum lanciert werden. Schnelle Passkombinationen bringen die gegnerische Abwehr oft durcheinander. Das hat seit Ende der Winterpause zu sage und schreibe 18 Schüssen im Schnitt pro Spiel für die Rot-Weissen geführt.

Gegen den Ball

Aggressives Pressing auf den Aufbau und auch im Mittelfeld soll für schnelle und häufige Umschaltmomente der Essener sorgen. Diese Rechnung geht allerdings nicht immer in dem Maß auf, wie Essen das gerne hätte. Eine hohe Pressingintensität und deren effektives Gelingen sind immer noch zwei paar Schuh. Allerdings ist es auch so, dass die Essener durch ihre Art und Weise, den Gegner anzulaufen, für viel Ungenauigkeit und lange Bälle bei diesem sorgen, was dann zu Ballgewinnen im eigenen letzten Drittel der Rot-Weissen oder kurz davor führt. Die Pressingfallen in der Tiefe schnappen also zu und sorgen für Ballgewinne durch den vorne aufgebauten Druck und die engen Räume zwischen der Pressing und Defensivlinie.

Schaffen es die Gegner, mit ihren Angriffen das letzte Drittel der Essener zu erreichen und dort den Ball zu behaupten, zeigt sich Essen auch dort von der aggressiven, aber nie wirklich unfairen Seite. Dennoch regiert Stellungsspiel die Abwehrarbeit. Essen ist eines der Teams, das im Schnitt pro Spiel und Minute gegnerischen Ballbesitzes mit die meisten Balleroberungen über abgefangene Pässe erzielt. Oft wird auch im Nachgang an einen Defensivzweikampf, der durch den Gegner da noch behauptete Ball abgelaufen und unter Kontrolle gebracht.

Wie kann man Essen knacken?

Schnelle Läufe in die Tiefe mit Pässen, die hinter die Defensivlinie kommen, können für den TSV 1860 München gegen ein hoch stehendes Rot-Weiss Essen ein Mittel sein, das angewandt werden kann, um erfolgreich zu agieren.

Das hieße im Umkehrschluss, den Essenern, die eh gern den Ball haben, diesen auch zu überlassen und mit einem massiven Defensivblock dagegenzuhalten, um dann über schnelle Spieler Konterattacken zu lancieren.

Dass so ein Vorgehen, wenn man den Gegner tief ins eigene letzte Drittel durchkommen lässt, problematisch sein kann, liegt auf der Hand. Deshalb dürften sich die Defensivlinie und auch die Pressinglinie der Löwen nicht zu weit zurück ziehen, aber eben auch nicht zu hoch stehen, um nach Balleroberung nach vorne noch Platz zu haben. Hier die richtige Balance zu finden kann gegen ein schnell und variantenreich kombinierendes Rot-Weiss Essen ein Vabanquespiel für den TSV 1860 München sein.

Von daher sollten die Löwen vielleicht eher ähnlich wie gegen Aue versuchen, mit erfolgreichen Pressing- und Gegenpressingsituationen – aber höherer Präzision im letzten Drittel – einen ähnlichen Offensivplan wie am Samstag auf den Platz zu bringen.

Wir haben einige schnelle Offensivspieler, die allerdings im Konter oder beim Umschaltspiel aus dem Mittelfeld vor der Mittellinie als Trumpf stechen könnten.

Wichtig ist in jedem Fall, dass sich die Präzision beim Anspiel auf die vorderste Reihe verbessert.

Stärken und Schwächen des 4-2-3-1

Die Stärken

Gegen den Ball ist das 4-2-3-1 in der Zentrale und Richtung eigener Box sehr kompakt. Es gibt den Gegnern kaum Raum, um dort vernünftiges Passkombinationsspiel aufzuziehen. Auch gegen zwei oder drei Stürmer ist man durch die beiden defensiven Mittelfeldspieler gut abgesichert.

Nach Balleroberung kann das Spiel über die beiden Sechser relativ variabel gestaltet werden. Sowohl über die Flügel als auch über das Zentrum sind schnelle Angriffe möglich, wenn man die Lücken im Raum schnell erfasst und alle Offensivspieler ihre Laufwege situationsbedingt richtig anlegen. Oft schaltet sich einer der beiden Sechser auch aktiv und nicht nur als Ballverteiler in das Offensivspiel mit ein. Dadurch wird die Offensive als Ganzes schwerer auszurechnen.

Die Schwächen

Gegen den Ball ist ein Gegner, der gern über die Flügel angreift, schwer zu kontrollieren, da die Wege, um einen Spieler zu doppeln, relativ weit sind und die Doppelung vom Angreifer oft schon erkannt wird, wenn sich der doppelnde Gegner aus seiner taktischen Grundposition löst. Das führt bei guter Spielübersicht und genauem Passspiel zu viel Raum für die angreifende Mannschaft.

Die Mittelfeldspieler auf den Außenpositionen müssen außerdem ein extrem hohes Laufpensum bewältigen, wenn sie die gegnerischen Flügel unter Kontrolle halten wollen. Im Spiel nach vorne ist vor allem das Fehlen eines zweiten Stürmers ein großes Manko, da sich dadurch für den Spieler in der Sturmzentrale nur wenig Raum zur Entfaltung seiner Fähigkeiten bietet. Deshalb sind torgefährliche Mittelfeldspieler, die mit aufrücken, zwingend erforderlich, um im 4-2-3-1 erfolgreich zu sein.

Schlüsselspieler

Tor

Jakob Golz (#1) im Tor ist der Strafraumkönig unter den Torhütern der 3. Liga. Kein anderer hat bei hohen Bällen eine ähnliche Sicherheit oder auch nur annähernd so gutes Timing vorzuweisen. Seine Reflexe und die Fähigkeit, Schüsse im Vorhinein zu antizipieren, sind bei ihm gut ausgeprägt. Seine Bilanz wird durch einige haarsträubende Defensivleistungen, wo er am Ende nur machtlos zwischen den Pfosten stand, etwas geschmälert. Fehler eines der Vorderleute auszubügeln, ist für den Torhüter immer am schwersten. Auch im eins gegen eins ist seine Bilanz dieses Jahr nahezu perfekt, lediglich einmal konnte ein Gegner in dieser Saison hier gegen Golz erfolgreich agieren.

Abwehr

Am Samstag noch wegen eines grippalen Infekts nicht im Kader, ist Felix Götze (#24) nun wieder genesen. Ob der defensive Schlüsselspieler der Rot-Weissen von Beginn an spielt, ist fraglich, aber nicht undenkbar. Sein Nebenmann auf der Position, Jose Rios-Alonso (#23), steht ihm nicht viel nach. Während Götze quasi Mr. Stellungsspiel der Essener ist, glänzt Rios-Alonso mit beinharten Zweikämpfen und einer Erfolgsbilanz bei diesen, welche sich gewaschen hat. Nahezu drei Viertel seiner Defensivduelle gewinnt der Spanier für RWE. In der Spieleröffnung ist es dann Götze, der präzise agiert wie wenig andere Spieler in dieser Liga beim Aufbau von hinten. 81% seiner Vorwärtspässe finden ihr Ziel.

Mittelfeld

Während Torben Müsel (#26) beim frühen Aufbau wichtigster Spieler dieses Mannschaftsteils ist, finden wir in Cedric Harenbrock (#8) den offensiven Kopf des Essener Spiels im letzten Drittel. Beide Spieler haben im schnellen Kombinationsspiel der Essener tragende Rollen. Harenbrock ist zudem ein Spieler, der sowohl was Tore als auch was Vorlagen bzw. vorbereitende Pässe betrifft, nicht zu unterschätzen ist. Kann man ihn kalt stellen, ist Essens Kreativität im Zentrum stark beeinträchtigt.

Mittelfeldaußen – oder so wie Essen verschiebt eher rechter Außenstürmer – Marvin Obuz (#11) ist mit acht Vorlagen und fünf Toren Topscorer der Rot-Weissen. Wie er, wenn er nach innen zieht, im Zusammenspiel mit seinen Mitspielern Abwehrreihen aushebelt, ist phantastisch anzusehen. Seine Schussgenauigkeit liegt bei exzellenten 55%.

Sturm

Seit dem 11. Spieltag ist der von Nürnberg II zu RWE gewechselte Leonardo Vonic (#11) im Sturm gesetzt. Vier Tore, fünf Vorlagen und statistische Werte, die in jeder Abwehr die Alarmglocken schlagen lassen sollten, sprechen klar dafür, dass Vonic auf keinen Fall unterschätzt werden darf. Seine gute Schussgenauigkeit, eine Erfolgsquote im Dribbling, die nur wenige Stürmer in der Liga toppen können, und Faktoren wie in jedem dritten Spiel ein Treffer, in jedem zweiten Spiel ein Scorerpunkt, sind statistische Werte, die vermutlich jedem gegnerischen Trainer Schweißperlen auf die Stirn treiben, wenn wer am Ball ist.

Fazit

Es wird ein schweres Spiel. Essen über 90 Minuten defensiv zu kontrollieren, wird dem TSV 1860 vermutlich nicht gelingen. Sechzig muss also das Heil in der eigenen Offensive suchen.

Ob das gelingt, werden wir sehen. Ich hoffe auf drei punkte in diesem Heimspiel, aber seien wir trotzdem nicht zu erwartungsvoll. Es kommt schließlich der Tabellenfünfte.

Am Ende geht es für jeden Spieler, wie immer, um die drei Faktoren Einsatz, Konzentration und Mannschaftsdienlichkeit.

Dass Trainer Argirios Giannikis weiß, wie er die Mannschaft taktisch einstellen muss, haben wir in den bisherigen Spielen unter seiner Führung gesehen. Schon alleine das hilft der Mannschaft, um besser zu performen.

Hoffen wir auf drei Punkte zuhause im Sechzgerstadion für den TSV 1860 München gegen Rot-Weiss Essen.

So könnte Essen beginnen

Datenquelle: Wyscout

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SechzgerFlo

Bernd du musst Hauptberuflich ein Philosoph sein. Das Wort “Vabanquespiel” musste ich erstmal im Duden nachschlagen!