Eine Analyse wie gewohnt wird es zum Spiel vom Samstag diesmal nicht geben. Bei einem Spiel, in dem mit angezogener Handbremse gespielt wurde, weil es “eh wurscht war“, würde das keinen Sinn ergeben. Aber ganz ohne Schlusswort zur Leistung dieser Saison geht es nicht.

Der TSV 1860 München verlor also am Samstag in einem unwichtigen letzten Spiel der Saison 23/24, bei dem es mehr oder weniger nur um die Ehre ging, mit 0:2 gegen Arminia Bielefeld. Irgendwie kam es einem in der vergangenen Spielzeit öfter mal vor, als wäre es der Mannschaft „eh wurscht“. Es gibt natürlich in jedem Spiel einige Spieler, die immer alles zu geben versuchen. Deren Bemühungen werden dann von den weniger motivierten zunichte gemacht. Schad’ drum. Dass es Spieler gibt, die es nicht schaffen, sich in den 90 Minuten, in denen sie jede Woche tatsächlich ihr Gehalt verdienen sollen, den Hintern so aufzureißen, dass am Ende häufiger etwas Zählbares dabei herauskommt, verstehe ich nicht.

Mit Hintern aufreißen sind übrigens nicht nur die defensiven, kämpferischen Tugenden gemeint. Hier geht es auch um das Mitdenken auf dem Platz, intelligentes Bewegen dorthin, wo man Räume schaffen kann, oder dorthin, wo man einen Gegenspieler vom eigenen Mannschaftskameraden abzieht, um diesem Räume zu verschaffen. Es kann nicht zuviel verlangt sein, dass alle Elf, die auf dem Platz stehen, von An- bis Abpfiff zu 100% konzentriert und motiviert sind.

Allerdings hat es am Samstag – lassen wir die Tore mal außen vor – für die Sechzger wieder zu statistischen Werten gereicht, die sich gar nicht so übel lesen, wenn man sie ohne Kontext alleine stehen lässt. Aber es war am Samstag ganzheitlich betrachtet wie auch über die Saison 23/24 hinweg statistisch nicht das Gelbe vom Ei, was unser TSV 1860 München da auf den Platz gebracht hat.

Statistische Werte im Vergleich

  • Ballbesitz TSV 48% – DSC 52%
  • Passgenauigkeit TSV 84% – DSC 85%
  • defensive Zweikampfquote TSV 64% – DSC 73%
  • Schüsse/aufs Tor TSV 13/6 – DSC 15/6
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion) TSV 13,24 – DSC 14,6

Im Vergleich dazu sehen wir uns mal die Werte der gesamten Saison im Schnitt an.

  • Ballbesitz TSV 45% – Gegner 55%
  • Passgenauigkeit TSV 78% – Gegner 82%
  • defensive Zweikampfquote TSV 60% – Gegner 63%
  • Schüsse/aufs Tor TSV 12/4 – Gegner 13/4
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion) TSV 11,86 – Gegner 8,66

Große Unterschiede gibt es da grundsätzlich nicht, aber die Zahlen, die uns die relativen Prozentwerte nicht zeigen, sind bei der Saisonbilanz extrem wichtig und da blicken wir nun drauf.

Das Hauptaugenmerk legen wir auf die defensive Zweikampfintensität und Schüsse. Bei der defensiven Zweikampfquote, sowohl am Samstag als auch über die Saison hinweg, gibt es nichts zu kritisieren. Was allerdings durchaus kritikwürdig ist, ist die Zweikampfintensität, also wie viele Zweikämpfe pro Minute gegnerischen Ballbesitzes gesucht werden. Aber anders als man es sich denken könnte.

Zweikämpfe

Im Schnitt führten unsere Sechzger in dieser Saison pro Spiel 17% weniger Zweikämpfe gegen den Ball als die Gegner. Die Quote von 60% ist dabei grundsätzlich an der unteren Grenze dessen, was im Saisonschnitt als noch ausreichend angesehen werden kann. Nichtsdestotrotz dürfte die Quote für meinen Geschmack ein paar Prozentpunkte höher liegen.

Die Sechzger haben trotzdem defensiv mit den drittwenigsten Gegentreffern eigentlich über die Saison hinweg eine annehmbare Leistung gezeigt. Das liegt vor allem an den offensichtlich hochmotivierten Abwehrspielern. Vor der Hintermannschaft unseres Vereins ziehe ich, was diese Saison angeht, den Hut. Natürlich machen auch die Spieler in der Abwehr und im Tor Fehler, aber am Ende war die stabile Abwehr die Lebensversicherung des TSV 1860 München in dieser Saison.

Wenn die Abwehr stabil war, warum ist dann die defensive Zweikampfintensität so ein großes Problem? Das hat drei Gründe. Einerseits ein Ökonomisches, das mit Kondition zu tun hat. Je später ich einen gegnerischen Angriff zum Erliegen bringe, desto größer ist die Distanz, die ich überbrücken muss, um wieder in der Nähe des gegnerischen Tores agieren zu können. Das ständige Anrennen aus der Tiefe des eigenen Raumes kostet das Team insgesamt mehr Kraft, als durch gelungenes Pressing erkämpfte Umschaltsituationen in den pressingrelevanten Zonen. Zweitens erlaubt das dem Gegner in den Momenten, in denen er sich in Ballbesitz befindet, in der eigenen Defensive Stress abzubauen und so konzentrierter zu bleiben. Und drittens bringt es den gegnerischen Spielern auch eine Portion Selbstsicherheit, wenn sie wissen, dass sie bis zu einer gewissen Höhe auf dem Platz ungestört agieren können.

Wie wars in der Vergangenheit?

Wenn wir uns hier die Zahlen unserer Löwen und deren Gegnern im Schnitt in den Saisons, die mit Platz 4 beendet werden konnten, ansehen, fällt auf, dass nicht etwa die Löwen plötzlich weniger Intensität an den Tag legen, sondern die Gegner der Sechzger in den Spielen gegen Sechzig mehr dafür tun, die Löwen zu stressen und so eine deutlich höhere Intensität gegen den Ball auf den Platz bringen als in der Saison 20/21 oder 21/22.

In den Saisons, die man mit Platz 4 abschloss, war die Zweikampfintensität unseres TSV 1860 München gegen den Ball fast gleich hoch wie in diesem Jahr, allerdings die der Gegner im Schnitt in deren Spielen gegen Sechzig deutlich schlechter als dieses Jahr. Warum war das so? Weil man dadurch, dass man, so lange es in den Spielen unentschieden stand oder man hinten lag, meistens ein aggressiveres Defensivverhalten mit gleichen Ergebnissen bei der Ausführung zu sehen bekam und der Ball somit viel häufiger pro Spiel in den vorderen Zonen des Platzes erobert wurde.

So war der TSV 1860 in der Saison 20/21 und 22/23 bei der defensiven Intensität nicht weit vom Wert der Saison 23/24 entfernt, nur die Gegner waren in diesen Saisons im Schnitt deutlich passiver gegen den Ball gewesen. Das macht hier den Unterschied. Und diese Diskrepanz zieht zwar nicht alles, aber viel anderes, was schief lief, nach sich. Vor allem die Umschaltmomente, aus denen sich in den Jahren zuvor oft gute Angriffe entwickelten, fanden nun oft zu tief in der eigenen Hälfte statt. So war der Weg zum Tor oft zu weit und der Gegner hatte durch den Zeitgewinn bessere Karten, sich zur Abwehr eines solchen Umschaltangriffs zu formieren.

Taktische Vorgabe oder eigene Entscheidung?

Hier ist nun eine wichtige Frage: Ist das eine taktische Entscheidung der Coaches gewesen oder individuell einzelnen Spielern anzukreiden? Vermutlich eine Mischung aus beidem und eine Mentalitätsfrage innerhalb der Mannschaft. Wenn keiner der Häuptlinge diesbezüglich vorangeht, wird auch keiner der Indianer folgen.

Schüsse und deren Genauigkeit

Hier hat der TSV 1860 im Vergleich am Samstag deutlich Besseres gezeigt als im Schnitt der Saison 23/24, nichtsdestotrotz langte es nicht für ein eigenes Tor. Da sag ich auch Schwamm drüber, war ja wurscht. Selbst jubeln zu dürfen wäre zwar zum Saisonabschluss noch einmal schön gewesen, aber am Ende ist das auch nicht weiter wichtig. Was allerdings wichtig werden wird, ist die Schussquote wieder dahin zu bekommen, wo sie in während der besseren Jahre in der Liga gewesen war, denn bei der durchschnittlichen Schussanzahl und der Schussgenauigkeit wurden die Sechzger insgesamt schlechter.

Im Schnitt erzielten die Sechzger in den Saisons, die mit Platz 4 endeten, mit einer Schussgenauigkeit von knapp 35% bei ca. 15 Schüssen pro Spiel 1,82 Tore. Dabei ließ man pro Spiel 11 gegnerische Schüsse im Schnitt mit einer Torausbeute vom 1,25 Treffer pro Spiel zu.

In der vergangenen Saison treffen die Löwen bei rund 12 eigenen Schüssen pro Partie einer Schussgenauigkeit von 33% 1,05 mal pro Spiel ins gegnerische Tor und lassen 13 Schüsse des Gegners zu, aus denen 1,11 Tore im Schnitt entstehen.

Alles in allem zeigen diese statistischen Werte, dass die Defensive der Löwen zwar stärker ist als in den vergangenen Jahren, aber dafür die eigene offensive Durchschlagskraft geopfert wurde.

Wo ist die Lösung für diese Probleme?

Eine Patentlösung gibt es nie.

Die Charakterfrage

Wichtig wird sein, den Charakter der Mannschaft wieder positiver gegenüber den Werten, die den TSV 1860 München auf dem Fußballplatz auszeichnen sollten, einzustellen. Unbedingter Einsatzwille, Laufbereitschaft und vor allem das Credo, dass die Mannschaft über allem steht, muss bei den Fußballern des TSV 1860 München wieder Einzug halten. Falls es sein muss, ist es mir auch recht, wenn Spieler, die noch Vertrag haben, sich aber mit diesem Mindestmaß an Anforderung ihnen gegenüber nicht anfreunden können, abgegeben werden.

Auf dem Platz

Abgesehen von den charakterlichen Werten, die das kommende Löwenteam an den Tag legen sollte, müssen wir natürlich auf die Mannschaftsteile blicken, die nicht so performt haben, wie man es sich wünscht. Das ist vor allem die Mittelfeldzentrale. Und zwar sowohl in der Offensive als auch gegen den Ball. Gegen den Ball waren die Sechzger vor allem in den Frühphasen gegnerischer Angriffe über die gesamte Saison im Zentrum zu passiv, zu unentschlossen und oft zu weit weg von Spielern, die gerade nicht den Ball hatten.

Eine Stärkung der Zentrale ist also wichtig. Mit Tunay Deniz, der aus Halle zu den Löwen wechselt, ist da in Puncto offensive Kreativität schon ein guter Schritt getan. Deniz, statistisch gesehen dieses Jahr bester zentraler Mittelfeldspieler der Liga, ist offensiv mit 17 Scorerpunkten sowieso über jeden Zweifel erhaben. Gegen den Ball macht er für einen Spieler auf seiner Position den Werten nach ebenfalls keinen schlechten Eindruck.

Tore?

Auch in Puncto Trefferquote und Verbesserung derselben hat man mit Hobsch, der voraussichtlich aus Haching nach Giesing wechselt, einen Spieler zum Wechsel bewegen können, der im Strafraum und auch gegen den Ball mehr Arbeiter als Künstler ist, was der Entwicklung der Mannschaft gut tun kann.

Ein weiteres Puzzlestück ist der linke Außenbahnflitzer Florian Bähr. Gerüchteweise gilt die Leihe für zwei Saisons mit anschließender Kaufoption. Der schnelle, sehr zweikampfstarke Linksverteidiger hat auch unübersehbare offensive Qualitäten. Ob er eine tragende Säule werden kann, muss sich natürlich erst zeigen, aber ich denke, da hat die Geschäftsführung der KGaA einen guten Griff getan.

Der aggressive Leader und weitere notwendige Bausteine fehlen allerdings noch. Aber die Sommerpause hat ja gerade erst begonnen und der Start in die Transferperiode lässt Hoffnung keimen.

Sommerpause voraus

Ich bin froh, dass die Saison 23/24 nun hinter dem TSV 1860 liegt. Eine weitere Spielzeit wie die letzten beiden möchte, denke ich, kein Sechzger Fan mehr sehen. Dabei geht es – für mich – weniger um Platzierungen und Endergebnisse, als um das Zustandekommen derselben. Das habe ich in diversen Artikeln aber schon angesprochen. Trotzdem wiederhole ich es gerne. Für mich ist es nicht wichtig, was am Ende auf der Anzeigetafel steht. Für mich ist wichtig, dass ich das Stadion mit dem Gefühl verlasse, dass wirklich jeder der elf Spieler, die auf dem Platz standen, bis zum Umfallen alles dafür getan hat, dass ein Spiel so erfolgreich wie möglich bestritten wurde. Wenn dann nicht mehr als eine Niederlage drin war, kann man über die Niederlage, gegen die man sich mit jeder Faser seines Körpers gestemmt hat, gerne hinwegsehen.

Am Ende erträgt man es wohl mit dem alten bairischen Spruch: „Schwoam ma’s owe!“ auf den Lippen und einer halben Bier in der Hand am besten was uns in den letzten beiden Saisons zugemutet wurde.

Sehen wir optimistisch also in die Zukunft und schwoam ma’s owe.

Datenquelle: Wyscout

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juergen

Wie immer, danke Bernd für die vortreffliche Analyse

Wir wollen euch kämpfen sehen!