Mönchengladbach und Manchester tragen ihr Champions League-Spiel nächste Woche in Budapest aus. Atletico Madrid und der FC Chelsea fliegen nach Bukarest. Haben die Piloten das falsche Ziel anvisiert? Mitnichten.

Ein Kommentar von Jan Schrader

Entgegen meines Kollegen Stephan Tempel sehe ich beim Fußball aktuell sehr wohl eine gewisse Sonderrolle. Dabei geht es mir nicht darum, dass der Fußball an sich spielen darf. Viel mehr kann ich für die aktuelle “Reisefreudigkeit” keinerlei Verständnis aufbringen.

Mit aller Macht: Hauptsache der Ball rollt!

Die anstehenden Spielbegegnungen in der Champions League (Achtelfinale) und Europa League (Zwischenrunde) stehen in den nächsten Tagen auf dem Programm. Der eng getaktete Spielplan lässt eine Verlegung der Partien quasi nicht zu. Im Visier hat die UEFA daher diese Spieltage durchzuziehen – egal wie.

Immer mehr Länder schränken das Reisen in Europa aktuell ein. Das führt zu völlig kuriosen Ansetzungen in den europäischen Wettbewerben. Mönchengladbach trägt sein “Heim”spiel gegen Manchester City in Budapest aus. Das Konstrukt aus Leipzig schließt sich an und verlegt das Spiel gegen Liverpool ebenfalls in die ungarische Hauptstadt. In Ungarn herrscht ein generelles Einreiseverbot, aber für den Profi-Sport werden beide Augen zugedrückt.

Norwegen + Deutschland = Spanien?

Richtig absurd wird es dann spätestens bei der Partie Molde-Hoffenheim in der Europa League. Da Norwegen die Einreise einer deutschen Mannschaft nicht erlaubt, wird die Partie im spanischen Villareal ausgetragen. Landesweit liegt die Corona-Inzidenz dort bei über 200.

Atletico Madrid muss sein Heimspiel gegen den FC Chelsea derweil in Bukarest austragen. Real Sociedad San Sebastian spielt gegen Manchester United in Turin. Die spanischen Behörden erlauben eine Einreise einer englischen Mannschaft nicht. Die Angst vor der britischen Mutation ist zu groß. Während also Molde und Hoffenheim aus Ländern mit deutlich niedrigen Inzidenz-Werten (Norwegen: 32, Deutschland: 59; Stand jeweils 16.02.21) in Spanien ein Obdach finden, spielen die Spanier selber in Rumänien (7-Tage-Inzidenz: 87).

Champions League: Dortmund regulär in Spanien

Aufgrund der hohen Inzidenz-Zahlen in Spanien steht auch hinter dem Heimspiel von Dortmund gegen Sevilla ein dickes Fragezeichen. In der andalusischen Stadt beträgt die Corona-Inzidenz aktuell über 300. Während Hoffenheim aktuell also nach Spanien ausweicht, könnte Dortmunds Gegner Anfang März bereits die Einreise nach Deutschland verweigert werden. Den Hinflug hat der BVB allerdings bereits angetreten.

Schön und gut, mag es jemand noch ein bisschen exotischer? Alles klar: So richtig die Reiselust gepackt hat nämlich Benfica Lissabon und Arsenal London. Hinspiel in Rom, Rückspiel in Piräus. Was soll man dazu noch sagen?

Wer jetzt durcheinander gekommen ist: die Sportschau hat das Ganze bildlich dargestellt:

Die Rolle der deutschen Behörden

Fragwürdig sind in diesem Zusammenhang auch die Entscheidungen der deutschen Behörden. Diese hatten, wie auch ihre spanischen Kollegen, die Einreise der englischen Teams untersagt und somit für eine Reihe an Verlegungen gesorgt. Ob es dann wirklich zielführend ist, dass deutsche Mannschaften in ein fremdes Land fliegen und noch mehr Kontakte riskieren als bei einer Austragung in Deutschland? Freilich muss dazu gesagt werden, dass die Behörden auf den letztendlichen Spielort keinerlei Einfluss mehr haben. Allerdings wäre es dann nur konsequent, den reisenden Mannschaften eine Quarantäne-Pflicht aufzuerlegen. Ansonsten hat das Einreiseverbot keinerlei Effekt. So treffen die Teams trotzdem aufeinander und erhöhen durch die Reise ihre Kontaktanzahl signifikant. Die Wirkung der getroffenen Entscheidung verpufft in meinen Augen komplett. Diese Sonderrolle des Fußballs kann ich nicht nachvollziehen und geht mir persönlich zu weit.

Mit aller Macht: UEFA sitzt am längeren Hebel

Meine gewählte Überschrift ist hier tatsächlich doppeldeutig. Neben dem unbedingten Willen, die Spiele auszutragen, spielt auch die tatsächliche Macht der UEFA eine entscheidende Rolle. Die Vereine wurden angewiesen, sich eigenverantwortlich und zeitnah um einen Ersatzspielort zu kümmern. Das liegt ganz einfach daran, dass die UEFA-Regularien die Pflicht der ordnungsgemäßen Durchführung beim Gastgeber sehen. Auch der entstehende Mehraufwand muss durch die Heimmannschaften getragen werden.

“Und spieln wir in der Champions League…”

Dieser Fangesang ist auch heute noch omnipräsent in der Fankurve von Sechzig München. Nicht nur, aber vor allem aufgrund der aktuellen Entwicklung frage ich mich persönlich schon, ob das noch ein erstrebenswertes Ziel ist.

Der TSV 1860 München war zuletzt in der Saison 2000/01 in der Champions League vertreten. Damals scheiterte man in der Qualifikation an Leeds United. Für viele bedeuten diese beiden Spiele Sehnsucht. Die Sehnsucht, mit dem geilsten Verein der Welt in Europa unterwegs zu sein und die weiß-blauen Farben zu tragen.
Klar, das kann ich auch ganz offen sagen: Als ein eher jüngerer Anhänger vom TSV 1860 München war es mir damals nicht vergönnt und es wäre unglaublich schön, mit diesem Verein durch Europa zu reisen! Aber wären wir nicht vorerst auch mit einem ordentlichen Testspiel auf der europäischen Ebene zufrieden?

Nur ein Job?

Schon vor Kurzem hatte ich im Rahmen der unerhörlichen Wartezeit am Flughafen BER einer anderen Münchner Mannschaft und der darauffolgenden Reise nach Katar meine Meinung zu dieser Reise kund getan.

Im Nachgang der Reise sorgten die Aussagen von Bayern-Trainer Hansi Flick für Diskussionsbedarf. Er begründet Reisen dieser Art damit, dass es eine Sache sei, die man machen müsse. Ist das denn wirklich so? Die grundsätzliche Frage, die sich mir dabei stellt: Sollte man aktuell europäische Wettbewerbe wirklich durchführen? Reicht es nicht, sich auf nationalen Spiele zu beschränken?
Desweiteren spricht Flick davon, dass es “unser Job, unser Business” sei. Das ist allerdings in meinen Augen eine schlechte Begründung. Der Job von einem Tattoowierer ist es, Menschen zu tattoowieren. Ein inhabergeführtes Bekleidungsgeschäft würde gerne seine Ware dem Kunden verkaufen. Ein Busunternehmen würde gerne Reisen anbieten.

Andere würden froh sein, wenn sie ihrem Beruf überhaupt nachgehen könnten. All das ist in Zeiten der Corona-Pandemie aber nicht erlaubt. Das ist der springende Punkt: der Fußball hat eine Sonderstellung. Allerdings – und da gehe ich mit der Meinung meines Kollegen einher – provoziert vor allem die Art und Weise, wie sich die Beteiligten dazu äußern, die ganze Reihe an Kommentaren in den letzten Tagen und Wochen. Wie man lesen kann, ist dem Bayern-Trainer offenbar nicht bewusst, dass er im Rampenlicht steht. Der Spiegel schreibt:

Er habe »nicht erwartet«, dass seine Aussagen öffentlich »solche Wellen schlagen« würden, sagte Flick.

Das überrascht mich dann doch. Warum der Bayern-Trainer jetzt auch noch ein Treffen mit dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach bekommen soll, erschließt sich mir nicht im Entferntesten.

Für Beschränkungen ist im heutigen Fußball ganz offensichtlich kein Platz. Trotzdem sollten nicht mit vollkommen sinnfreien Spielorten inmitten einer Pandemie Sympathiepunkte unnötig verspielt werden.

Im bestmöglichen Fall wäre eine Teilnahme an der Champions League für den TSV 1860 München in der Saison 2023/24 möglich. Bis dahin ist noch viel Zeit. Zeit für den Fußball, um die Visiere hoch zu klappen und wieder einen Blick für die Realität zu bekommen.

 

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