Sonderrolle des Fußball oder der Frisöre?

Ein Kommentar von Stephan Tempel

Ich muss ehrlich gesagt zugeben, dass mir in den letzten Tagen bei den ganzen Kommentaren über die „Sonderrolle des Fußball“ immer öfter das Messer in der Tasche aufgegangen ist. Der Corona-Frust sitzt bei den Menschen tief, da sind die Herren Millionäre auf dem grünen Rasen offensichtlich für viele das richtige Ventil.

Für mich an der Zeit, die „Sonderrolle des Fußballs“ in Corona-Zeiten mal etwas näher zu beleuchten. Auch in dem Wissen, eine klare Minderheitenmeinung – auch in der sechzger.de-Redaktion – zu vertreten.

Sonderrolle? Immer eine Frage der Perspektive

Aus meiner Perspektive genießt nämlich jeder eine Sonderrolle, dessen Arbeit nicht systemrelevant ist und der derzeit diese Arbeit ausüben darf. Sofern er sich nicht gerade im Homeoffice befindet.

Leute, die gerade in Lohn und Brot stehen, werden das vermutlich natürlich ganz anders sehen.

Mir ist das Arbeiten seit November verboten. Nach zwei Monaten zu Beginn 2020 sind es nun erneut inzwischen 3,5 Monate, in denen ich kein Geld verdienen, sondern jeden Monat verlieren “darf”. Zusammen bald 6 Monate, also ein halbes Jahr ohne Einkommen. Meine Altersvorsorge schmilzt dahin wie Schnee in der Sonne. Obwohl es in meinem kompletten Berufssparte nicht eine einzige nachgewiesene Corona-Infektion gibt. Interessiert nur niemandem, bei einem Berufszweig, der keine Lobby hat.

Corona-Infektion in Innenräumen

Nach Studien ist das Infektionsrisiko sowohl in Schulen, als auch in Büros um ein Vielfaches höher als z.B. beim Frisör.

Dieser musste allerdings auch schließen, während Büros, Produktionen etc. geöffnet blieben. Von den unzähligen Kontakten in den öffentlichen Verkehrsmitteln von den Leuten, die in die Arbeit fahren, reden wir an dieser Stelle noch gar nicht.

Wer hat hier gleich noch einmal eine Sonderrolle?

Nachdem nun ein paar Frisöre öffentlich wirksam auf die Tränendrüse gedrückt haben und das Kopfhaar in der Gesellschaft seit dem Lockdown um unerträgliche 2-3 cm im Schnitt gewachsen ist, dürfen die Frisöre nun zum 01. März öffnen. Ich gönne es jedem, der arbeiten darf von Herzen. Ganz ehrlich.

Allerdings gibt es in der BRD ca. 140.000 sozialversicherungspflichtig beschäftige Friseure und Friseurinnen und ungefähr 80.000 Friseurbetriebe. Jeder dieser Betriebe hat im Schnitt 6,7 Kunden pro Tag – soll heißen, es lassen sich jeden Tag über eine halbe Million Menschen die Haare schneiden.

Das Volk wird frisch geschoren und ist zufrieden. Wen stören da schon in Pandemiezeiten monatlich rund 15 Millionen Kunden beim Frisör, die eine deutlich höhere Zahl an Kontakten produzieren? Politiker begründen es mit  „Menschenwürde“ und „beim Frisör zu sich selbst finden“. Scheinbar ist ein korrekter Haarschnitt wichtiger als die Bekämpfung eines tödlichen, hochansteckenden Virus. Paar Millionen Kontakte mehr für die Frisur? Offensichtlich vertretbar.

Mit meinem Berufsverband wird von Seiten der Politik im Übrigen nicht einmal geredet. Mehrere Kontaktversuche blieben ohne Reaktion. Dabei würden Tätowierern derzeit ein – gerne auch mit Schnelltest getesteter – Kunde am Tag genügen. Ähnlich wird es in Österreich praktiziert. Auch beim Frisör im übrigen. Interessiert hier nur niemanden.

Mag mit mir jemand über “Sonderrollen” diskutieren?

Sonderrolle – War noch was?

Ach ja, derzeit die Australien Open in Melbourne mit Spitzenverdienern aus aller Welt. Die Ski-WM in Italien. Die Bob- & Skeleton-WM. Diese Veranstaltungen stören nur niemanden. Warum eigentlich nicht? Was ist der Unterschied zum Fußball? Auf den ersten Blick nicht ersichtlich.

Sonderrolle des Fußball während Corona?

Dennoch, das Volk und die Kommentarspalten haben ein neues Feindbild ausgemacht. Dafür gibt es meiner Meinung nach keine rationalen Gründe. Fußballer gehen wie Millionen andere auch ihrer Arbeit nach. Sie befinden sich – wenn sie nicht gerade gegen die Auflagen verstoßen – in einer Blase. Durch eine Vielzahl von Tests, die die Vereine selber bezahlen sind sie relativ sicher. Sie nehmen niemandem Testkapazitäten weg. Zudem erhalten sie Arbeitsplätze. Für viele sind die Fußballspiele eine willkommene Ablenkung in Pandemiezeiten. Wem dazu spontan „Brot & Spiele“ einfällt – das habe ich in meinem letzten Kommentar schon behandelt.

Pervers, in der Gegend herumzufliegen während andere daheim sitzen

Nun, das kann man so sehen. Auch wenn es nun einmal zum Beruf der Fußballer gehört. Ob 20 getestete Fußballer aus München nun nach Hamburg oder Katar zum Arbeiten fliegen, spielt eigentlich keine große Rolle. Das Risiko ist überschaubar.

In diesem Zusammenhang kann und sollte man dann aber vieles hinterfragen. Exorbitante Gehälter wurden im Fußball auch schon vor Corona gezahlt, während anderswo viele Menschen nicht einmal eine Schüssel Reis haben. Das stört nur kaum jemanden, wenn er im Stadion oder dem Public Viewing bei 3-4 Bier seinen Idolen zujubeln oder schlau daherreden kann. Pervers finden sie es jetzt, in Pandemiezeiten, wenn sie selber daheim sitzen müssen. Es war halt schon immer jeder sich selbst der Nächste.

Als ob ohne Fußballspiele eine Wirtschaft oder eine Schule einen Tag früher öffnen würde.

Schuld ist – vermutlich – der FC Bayern

Woher dann der Hass auf die Fußballer derzeit? Schuld ist meiner Meinung nach der FC Bayern. Genauer gesagt Karl-Heinz Rummenigge. Echauffiert sich über eine Nacht in der Luxus-Klasse in einem Flugzeug. Natürlich unterstützt von Uli Hoeneß. Weil auf einmal für den FC Bayern Regeln gelten. Das schmeckt den beiden nicht. Mit Regeln haben sie es nicht so. Das ist aus der Vergangenheit ja hinlänglich bekannt.

Rummenigge bezeichnet die Bayern-Spieler als mögliches Vorbild für eine Corona-Impfung. Da wäre es doch ganz praktisch, wenn diese zuerst geimpft werden würden.

Während es in Deutschland aktuell und auf längere Zeit noch nicht einmal genug Impfstoff für die größten Risikogruppen gibt. Jener Rummenigge ist leider oftmals nicht einmal in der Lage, einen Mund-Nasen-Schutz halbwegs korrekt aufzusetzen.

Das alles ist in den Medien sehr präsent. Es erzürnt den Bürger und führt letztlich zu den aktuellen heftigen Debatten über die „Sonderrolle des Fußball“. Der kann da jedoch relativ wenig dafür. Er ging seiner Arbeit in den letzten Monaten vergleichsweise geräuschlos nach. Vielleicht sollten sich auch die Funktionäre der Seitenstraße wieder darauf besinnen, dass es manchmal einfach besser ist, den Mund zu halten.

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andreas de Biasio

söder, die Stadt München und der FC Bayern ein Wahnsinn. man muss sich mal folgendes überlegen: Söder spricht von “Menschenwürde” wenn es um die Haare auf dem Kopf geht. da fast man sich schon ans Hirn. natürlich ich bin ein kultivierter Mensch. Nur für die die mich nicht kennen. die roten schreien immer dann ganz besonders laut und häftig, wenn ihnen Unheil droht oder sie sich ungerecht behandelt fülen. da kommt dann auch schnell mal wieder Uli, der angebliche Ex-Präsident öffentlichkeitswirksam versteht sich zu Wort. die landeshauptstadt München: die es zuläßt, dass drei Vereine im selben Stadion spielen, egal zu welcher Jahreszeit. die es dann aber nicht fertig bringt, während eines spiels am Abend im Winter bei Schnee eine sollche Farbe zu organisieren, dass man die Linien ohne Probleme erkennen kann. Leute wo leben wir? das schöne ist und das hat mich wirklich gefreut: geschehen ist das, bei einem “Heimspiel” der roten gegen den fsv Zwickau. die stadt münchen bezeichnet ja die roten auch sehr gern als vorzeige Objekt der Stadt München.