Herzlich Willkommen zur ersten Taktiktafelanalyse der Saison 2022/23 nach dem Sieg des TSV 1860 bei Dynamo Dresden.

Der TSV München von 1860 trat in Dresden zum vermeintlich schwersten Auswärtsspiel der neuen Saison an. Das Endergebnis von 3:4 zugunsten unserer Löwen war sicherlich so nicht erwartet worden, aber bezogen auf den Spielverlauf auch nicht so knapp wie das Resultat im Endeffekt auf dem Papier aussieht.

Dynamo Dresden und der TSV 1860 begannen beide mit einem 4-1-4-1 System. Die Löwen verschoben aus der Abwehr heraus bei eigenem Ballbesitz im Positionsspiel zunächst mit einem gependelten Außenverteidiger zur Dreierkette. Im weiteren Verlauf entwickelte sich das zu einem brutal offensivem System, dass man, wenn man so will, im letzten Drittel vor dem gegnerischen Tor gut und gerne als 3-3-4 bezeichnen kann.

Die Dynamos waren nicht ganz so mutig. Deren offensive Verschiebungen endeten mit einem 3-4-3 im letzten Drittel der Löwen. Tatsächlich gilt es aber, das Augenmerk in diesem Spiel auf das defensive Stellungsspiel unserer Löwen zu richten. Der Gewinn sogenannter zweiter Bälle durch kluge Positionierung gegen den Ball war vor allem in den ersten zwei Dritteln der Partie ein brutaler Vorteil für den Turn- und Sportverein aus München-Giesing.

Bevor wir aber die Partie im Detail analysieren, kommen wir – wie immer an dieser Stelle – zu den statistischen Werten.

Die statistischen Werte der Partie Dynamo Dresden – TSV 1860

  • Ballbesitz: TSV 1860 41% – Dynamo Dresden 59%
  • Passgenauigkeit: TSV 1860 70% – Dynamo Dresden 79%
  • Defensive Zweikampfquote: TSV 1860 59% – Dynamo Dresden 73%
  • Schüsse (aufs Tor): TSV 1860 8 (4) – Dynamo Dresden 18 (7)
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion): TSV 1860 9,15 – Dynamo Dresden 8,91

Analyse der statistischen Werte

Im Statistikvergleich gewinnt Dresden die Partie. Nichtsdestotrotz kann niemand, der das Spiel gesehen hat, behaupten, der TSV 1860 hätte glücklich oder unverdient gewonnen. Woher kommt also die statistische Überlegenheit der Dynamos?

Ballbesitz

In erster Linie entspringt diese Überlegenheit vor allem dem höheren Ballbesitz. Wie der aufmerksame Leser dieser Rubrik aber weiß, ist Ballbesitz keine Garantie für Erfolg. Aber der Reihe nach: Warum hatte Dresden mehr Ballbesitz? Die höhere Ballbesitzquote der SGD entspringt vor allem der Tatsache, dass sie des Öfteren aus Ideenlosigkeit viel hintenherum spielen mussten, weil die Löwen in der Rückwärtsbewegung die Räume für Dynamo dermaßen eng machten. Dresden fand folglich im Positionsspiel kaum Mittel, um effektiv gegen den TSV vorzugehen.

Passgenauigkeit

Aus dieser Ideenlosigkeit nach vorne folgt dann logischerweise die deutlich höhere Passgenauigkeit. Warum, fragt sich nun der ein oder andere. Wer viel hintenherum spielt, umgeht das Risiko eines Fehlpasses.

Defensive Zweikampfquote

Ok, so weit so gut. Aber defensiv war Dresden besser, oder? Steht doch da. Das stimmt relativ gesehen durchaus. Sehen wir uns aber die reellen Zahlen an, hat Dynamo Dresden über 90 Minuten 10% weniger Zweikämpfe geführt als der TSV 1860, aber insgesamt nur fünf Zweikämpfe mehr gewonnen. Das ist wahrlich viel Mathematik für einen Montagvormittag. Und selbst wenn der TSV ein Defensivduell verloren hatte, wurde der Ball nicht gleich verloren gegeben. Die Spieler der Löwen fielen vor allem dadurch auf, dass – wie oben schon erwähnt – kein zweiter Ball verloren gegeben wurde. Diese Aggressivität schüchterte die junge Mannschaft aus Elbflorenz sichtlich ein. Ein Spieler kann gerne einen Zweikampf gewinnen. Wenn er diesen alleine führt und kein Mitspieler da ist, der den gewonnenen Ball weiter verarbeiten kann, ist trotz gewonnenem Zweikampf die eigene Mannschaft nur zweiter Sieger. Der Gegner dreht das Spiel um und es geht wieder in die andere Richtung.

Schüsse

Da war aber Dresden jetzt besser, mag man meinen mögen. Und richtig, da war Dresden tatsächlich besser. Mit einem anderen Keeper als Hiller im Tor bekommt der TSV 1860 München mindestens zwei Gegentreffer mehr. Tut das was zur Sache? Im Fall von Dynamo Dresden – TSV 1860 am Samstag auf jeden Fall. Es spielte eine Mannschaft mit einem der besten Torhüter der Liga beim Absteiger aus der zweiten Liga, der sich auf der wichtigsten Position, was die Defensive anbelangt, mit einem echten äußerst mittelmäßigen Keeper namens Drljaca verstärkt hat. Vor der Partie hätte ich Haus, Hof und sämtliches Zubehör verwettet, dass nicht Drljaca, sondern Müller im Tor der Dresdner stehen wird. Warum Markus Anfang sich so entschieden hat, weiß vermutlich nur er. Einen Torwart, der im Verlauf der vergangenen Saison vom Gegner acht Stück bekommen hat und der sich auch in der Vorbereitung nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert hat, im Auftaktspiel zwischen die Pfosten zu stellen, zeugt entweder von gnadenloser Ignoranz der sportlichen Fakten oder von einem Plan, den ich nicht erkennen kann.

War Dresden jetzt schlechter oder nicht? Wer zu einem relativ späten Zeitpunkt in einem Fußballspiel mit 4:1 zurückliegt, kann zumindest nicht besser gewesen sein, da sind wir uns vermutlich alle einig. Ebenbürtig zumindest? Ja, über weite Strecken im Spiel nach vorne schon. Problematisch war bei Dresden jedoch die defensive Präsenz und die defensive Staffelung.

In vielen Fällen, in denen der TSV 1860 gegen Dynamo Dresden zweite Bälle gewann, war die Staffelung in der Defensive unserer Löwen das Entscheidende. Dresden fehlt da noch die Abstimmung. 19 Neuzugänge inklusive zurückkehrender Leihspieler und ein neuer, sicherlich aufgrund seines Verhaltens bezüglich seines Impfstatus nicht unumstrittener Trainer, müssen erst zusammenfinden.

Allerdings hat man auch gesehen, was die Dynamos könnten, wenn sie wollen und der TSV 1860 München keinen Hiller im Tor hätte. Drljaca ins Tor zu stellen war ein Geschenk von Markus Anfang an den TSV 1860 München.

Die Tore

Anzusehen sind sie hier noch einmal. Bei sieben Toren müsst ihr mir bitte nachsehen, dass ich nicht jedes Tor einzeln in die Mangel nehme.

Auch die vier Tore unserer Löwen und deren Entstehung lass ich jetzt mal links liegen. Die beiden Tore zum 3:1 und 4:2 für Dynamo dürfen so nicht fallen. Das 3:1 direkt nach Wiederanpfiff nach dem 3:0 und das 4:2 kurz nach dem 4:1. Langer Ball, falsche Zuordnung und peng schepperts zweimal im Karton. Einmal nach Anstoß der SGD, einmal nach einer Standardsituation aus dem Mittelfeld heraus. Ok, das kann einmal passieren, aber zweimal so kurz hintereinander? Hier muss man die Stellschrauben in Zukunft besser justieren.

Der individuelle Fehler vor dem 4:3 jedoch muss angesprochen werden. Zunächst verliert Vrenezi auf der rechten Seite ein Defensivduell gegen Park. Dresden bekommt den zweiten Ball, weil Moll, anstatt sich auf seinen Gegenspieler zu konzentrieren, versucht Vrenezi gegen Park zu helfen. Nach Parks Pass auf Borkowski kommt er zu spät in dieses – in dem Fall – entscheidende Duell und ist zu passiv und zu langsam, um Borkowski zu stellen. Zunächst schaut er zu, wie Borkowski den Ball verarbeitet und danach begleitet er den Dresdner Außenstürmer anstatt ihn anzugreifen. Borkowski läuft ihm auf dem Weg ins Zentrum davon und schießt aus etwa 22 Metern. Dass dieser Ball im Kasten einschlägt, ist einerseits aus dieser Entfernung klar Glückssache, andererseits darf man Borkowski weder so nach innen ziehen lassen, noch darf man ihm diese Schussgelegenheit bieten. Da muss man näher dran sein.

Als Borkowski Moll entkommt, sind Vrenezi und Morgalla mit Park, der nach seinem Abspiel auf Borkowski dessen Position auf dem Flügel einnimmt und somit dem Dresdner Außenstürmer Raum verschafft, beschäftigt. Hier hätte es ein wenig besserer Kommunikation bedurft. Ist die Mannschaft demnächst besser eingespielt, reicht vermutlich ein Blickkontakt der beiden, um sich klar zu sein, wer welche Aufgabe übernimmt.

Einer der beiden wäre – hätte die Kommunikation funktioniert – zu Molls Unterstützung Borkowski ins Zentrum gefolgt. Ob dann der Schuss zu verhindern gewesen wäre oder nicht, sei dahingestellt, aber der Dresdner hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein so freies Schussfeld gehabt.

Fazit

Auftaktspiel beim Zweitligaabsteiger siegreich beendet. Das ist das, was zählt. Aber ähnlich wie vergangene Saison, darf man den Tag nicht vor dem Abend loben. Auch im vergangenen Jahr hat man zum Auftakt einen Zweitligaabsteiger besiegt, um sich wenige Spieltage später im Niemandsland der Tabelle wiederzufinden.

Die Konzentrationsprobleme gegen Ende einer Partie ziehen sich wie ein roter Faden durch große Teile der letzten Saison. Diese sollte man in dieser Saison früher in den Griff bekommen als in der vergangenen Spielzeit.

Nun ja, es ist wie es ist. Es war ein schöner Auftaktsieg, den jeder Löwenfan in der Emotionalität des Tages sicherlich genossen hat. Für den weiteren Verlauf der Saison gilt es jedoch das defensive Positionsspiel dergestalt zu verbessern, dass auch nach Ein- und Auswechslungen jeder Spieler auf dem Platz klar vor Augen hat, wohin er wann zu verschieben hat.

Mund abwischen und weitermachen liest man des Öfteren nach verlorenen Partien in diversen Foren. Gestern überwog die Freude über drei Punkte, auch bei mir. Nichtsdestotrotz darf man sich nicht auf den ergatterten Lorbeeren ausruhen, sondern muss die Schwachstellen in der Defensive so schnell wie möglich in den Griff bekommen. Mund abwischen? Ja gern, aber bloß nicht die Serviette wegschmeißen, sondern genau analysieren, was den Mund da verdreckt hat.

Datenquelle: wyscout

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Linksblau

Herzlichen Dank für die Analyse, so langsam bin ich überzeugt, dass Hiller nicht nur Löwenurgestein, sondern tatsächlich ein sehr guter Torwart ist.

andreas de Biasio

ich hätte jetzt schon eine Beschreibung unserer vier Tore erwartet.

Aschlegel

Mein Gott, jetzt taucht der wieder auf. Lesen kannst Du schon noch, oder? Die Rubrik heißt: “Taktiktafel-Analyse”, nicht Spielbeschreibung. Der Unterschied ist Dir schon klar oder muss man den Dir auch noch erklären? Es ist eine Unverschämtheit, dass so ein Typ wie Du hier jemanden wie den Bernd, der sich so viel Mühe macht und im 60er-Kosmos fast schon einmalig ist mit seiner profunden Analyse, dumm anmachst.

Herbert

1-0 war Abseits von Lex, liest man glaub auch nirgendwo.

Reinhard Erler

Doch, habe ich in diesem Forum zweimal thematisiert.

juergen

war kein Abseits sagt Herr Rafati 🙂

Aschlegel

Ich weiß jetzt nicht, wo Herr Rafati die kalibrierten Linien einsehen konnte. Das ist schwer bis gar nicht zu beantworten. Wir sind auf jeden Fall am Samstag nicht schlecht weggekommen, soviel steht auf jeden Fall mal fest … 😉

Aschlegel

Danke für die Analyse. Aber eine Sache wurde meines Erachtens noch zu wenig thematisiert. Wir sind nämlich auch in die Bredouille gekommen, weil nach den vielen hervorragenden Ballgewinnen die Bälle wieder überhastet abgegeben bzw. unwahrscheinlich viel Fehlpässe produziert wurden. Denn ein Wert von 70% Passgenauigkeit ist eigentlich miserabel. Da hat sich im Vergleich zur letzten Saison noch nicht viel zum Positiven geändert. Natürlich versuchte man es oft mit weiten Bällen (vor allem auf Lakenmacher) probiert und die kommen halt bei einem gut sortierten Gegner oft nicht an. Trotzdem gab es nach Balleroberungen sehr schöne Umschaltsituationen, die dann, vor allem nach der Hereinnahme des pfeilschnellen Bär hervorragend verwertet wurden. Aber das waren alles Situationen, wo wir weiter vorne, also ab Mittellinie, den Ball erobert haben. Wenn die Bälle dagegen weiter hinten erkämpft wurden, sah es mit dem Aufbauspiel bei weitem nicht so gut aus. Da muss noch gefeilt werden. Da brauchen wir dann auch einen Kobylanski in wesentlich besserer Form als am Samstag. Dem hat man die für ihn schlechte letzte Saison mit wenig Einsätzen schon noch angemerkt.

juergen

sehr gute Analyse.

Gefühlt war jeder Zweikamf der Dresdner, va mit Lakenmacher ein Ringkampf, so wie da immer gehalten, bzw umklammert wurde. So zumindest meine Sicht, aber von ganz oben aus dem Block kann das durchaus täuschen…

… und dann war auch der (von mir gefühlte) Wandel des Schiedsrichters etwas komisch. Erste Halbzeit hat er so gut wie alles durgehen lassen und etwas sehr nickelich in der 2. Hz.

Seis drum. Ein schöner Sieg auch wenn sehr nervenaufreibend.
Und danach in Dresden wars auch super 🙂

coeurdelion

wie immer, sehr präzise analysiert! im Gegensatz zu unserer Defensive muss hier nix verbessert werden 😉