Ein herzliches Grüß Gott zur ersten Taktiktafel der Saison 2022/23. Es geht für den TSV 1860 München zum Absteiger Dynamo Dresden.

Der – mal wieder neue – Trainer von Dynamo Dresden, Markus Anfang, dessen bevorzugte Formation das auch vom TSV 1860 München bekannte 4-1-4-1 ist, wechselte am ersten Juli zum DDR-Rekordmeister. In der Vorbereitung hat Dresden durchaus gut gearbeitet. Der letzte schwere Test gegen den tschechischen Erstligisten FK Teplice wurde mit 1:0, das Testspiel gegen den NOFV Oberligisten FC Oberlausitz tags darauf mit 3:1 gewonnen.

Dynamo Dresden und der TSV 1860 München. Zwei große Namen, zwei Mitfavoriten um den Aufstieg. Was erwarten wir vom Gegner taktisch und systematisch?
Beginnen wir wie üblich beim System. Markus Anfang hat in der Vorbereitung viel ausprobiert. 4-1-4-1, 4-2-3-1 und 4-4-2 sieht man auf den Schemata der diversen Plattformen für derlei Informationen. Nun ist es so, dass ich davon ausgehe, dass die Dresdner zuhause eine der offensiveren Varianten wählen werden. Also kommen das 4-1-4-1 oder das 4-4-2 infrage. Vor allem die Verpflichtung des Ex-Löwenspielers Manuel Schäffler lässt – wenn er schnell integriert werden kann – die Wahrscheinlichkeit für ein Spiel mit zwei Spitzen steigen. Von der wundersamen Schnellintegration will ich aber nicht ausgehen. Schäffler wird vermutlich trotzdem nicht zunächst auf der Bank Platz nehmen, denn offensichtlich hat sich Kutschke das grassierende Virus eingefangen und befand sich zuletzt in Quarantäne. Dresden erwarte ich daher im 4-1-4-1.

Gegen den Ball werden die Dresdner, wenn sie dem treu bleiben, was sie in der Vorbereitung gezeigt haben, immer auf 4-2-3-1 verschieben. Wenn der Gegner ins letzte Drittel eindringt, werden die Mittelfeldaußen auch in die Kette vor der Abwehr abkippen und wir, respektive das Team von Michael Köllner, es vor dem Tor dann mit zwei tiefen Viererketten zu tun bekommen.

Bei eigenem Ballbesitz verschiebt sich das System der Gastgeber meist asymmetrisch. Einer der Außenverteidiger rückt mit ins Mittelfeld auf, während die verbliebenen Abwehrspieler breitziehen, um dem Gegner die Raumdeckung in den hohen Pressingzonen zu erschweren. Es entsteht also im Aufbau ein 3-2-4-1, das sich – je näher die SGD an das letzte Drittel heranrückt – zu einem 3-4-3 verschiebt. Der Box-to-Box Spieler und der offensive Mittelfeldmann werden dabei versuchen nur knapp hinter der Sturmreihe zu agieren, sodass, wenn Dresden seine volle Wucht entfalten kann, mit bis zu fünf Offensivkräften in vorderster Front zu rechnen ist.

Statistische Werte? Fehlanzeige!

Zum Saisonauftakt gibt es natürlich noch keine statistischen Werte, die man zurate ziehen kann. Von daher fällt diese Rubrik diesmal logischerweise flach.

Stärken und Schwächen des 4-1-4-1

Weil das 4-1-4-1 auch das System ist, mit dem unsere Sechzger antreten, wird der Teil Stärken und Schwächen diesmal etwas ausführlicher als gewohnt.

Die Stärken des 4-1-4-1-Systems sind sowohl gegen den Ball als auch in der Offensive mannigfaltig.

Stärken offensiv

Mit zwei Viererketten gegen den Ball zu spielen, macht die Räume für den Gegner meist sehr eng. Dadurch entsteht ein eng gestricktes Netzwerk, in dem sich die Spieler gegen den Ball gegenseitig breit absichern können. Die zwei Viererketten ermöglichen gute Orientierung für die Spieler vor allem während Spielsituationen, in denen gemeinschaftliches Handeln vonnöten ist. Beim Verschieben zum Beispiel machen sich diese guten Orientierungsmöglichkeiten positiv bemerkbar.

Weiterhin beruht die offensive Stärke des Systems 4-1-4-1 wie oben schon beschrieben in der Flexibilität durch Verschiebungen in der vorderen Kette. Dass man “on the fly” auf verschiedene Offensivsysteme verschieben kann, ist ein großer Vorteil dieser Grundaufstellung. Wenn man technisch versierte, schnelle, torgefährliche und intelligente Mittelfeldspieler oder Stürmer, die als falsche Neun, hängende Spitze, Schattenstürmer oder Raumdeuter ins Mittelfeld abkippen können, hat, gibt es vermutlich kein System, das sich so schwer ausrechenbar zeigt wie dieses.

Stärken Defensiv

Eine weitere Stärke ist die fast perfekte Raumaufteilung, welche gegen den Ball die meisten Spielfeldbereiche abgedeckt. Speziell die kompakte Verbindung zwischen Abwehr und Mittelfeld führt oft zu Vorteilen gegen den Ball und somit zur häufigen Eroberung zweiter Bälle, um danach mit gleich mehreren Anspielmöglichkeiten einen schlecht ausrechenbaren Gegenangriff zu starten.

Weil das System auch in der Breite kompakt gegen den Ball ist, hat man überall auf dem Feld rasch Zugriff auf den ballführenden Gegenspieler. Im 4-1-4-1 wird andauernd die moderne Maxime verfolgt, dass der ballnächste Spieler permanent Druck gegen den Ball ausübt. Hohes Pressing regiert diese Formation im Normalfall.

Eine spezielle Rolle im 4-1-4-1 nimmt der defensive Mittelfeldspieler ein. Er muss durch sein Stellungsspiel a) Pässe des Gegners zwischen den Ketten ins letzte Drittel verhindern oder abfangen und b) dafür sorgen, dass die Viererkette möglichst lange auf einer Linie verteidigen kann. Falls es nötig wird, dass ein Innenverteidiger herausrückt, muss er in die Abwehrkette abkippen. Wenn der Gegner über außen kommt, kann der Sechser obendrein den Außenverteidiger absichern, indem er in die Kette abkippt.

Schwächen offensiv

Vor allem der Solostürmer kann eine Schwäche sein, wenn die Mittelfeldspieler sowohl außen als auch im Zentrum ihre offensiven Aufgaben nicht gut genug ausführen. Daher kann es vorkommen, dass der solitäre Stürmer zu sehr isoliert wird und ohne Bindung zum Spiel agiert. Wer sich mit Taktik nicht auskennt (was keine Schande ist) wird dann beim Sürmer die Schuld suchen. Dass es aber an einer Fehlinterpretation der Position seiner Mitspieler liegt, wird oft nicht erkannt.

Wenn jedoch ein bis zwei Mittelfeldspieler situativ immer wieder nach vorne schieben und selbst Torgefahr ausstrahlen, hat man auch mit nur einem Stürmer im System ausreichend Manpower in der vordersten Linie.

Schwächen in der Defensive

Wenn der Sechser gegen den Ball nicht immer voll konzentriert zu Werke geht oder auch bei Kontergegenstößen nach Standards sowie wenn das Pressing schlampig ausgeführt wird, sind in der Defensive Schwachstellen vorhanden, die ein Gegner aufdecken und ausnutzen kann.

Da das Spiel im 4-1-4-1 sehr von den Offensivqualitäten und der Ballsicherheit der Flügelverteidiger abhängt, besteht logischerweise immer die Gefahr, falls einer dieser Spieler im Vorwärtsgang den Ball verliert, dass sich bei der nötigen Verschiebung des Sechsers im Zentrum vor der Viererkette Lücken im Raum ergeben, die vom Gegner erfolgreich ausgenutzt werden könnten.

Wie kann der TSV 1860 Dynamo Dresden knacken?

Beim Spiel zweier Favoriten gegeneinander ist das mit dem Knacken des jeweiligen Gegners meistens ein Geduldsspiel. Ballsicherheit und gutes Auge für entstehende Räume gepaart mit unbedingter defensiver Disziplin werden die Schlüssel für beide Teams sein, um siegreich vom Platz zu gehen. Man kennt es ja: wenn Spitzenspiele vor der Tür stehen, sind vor allem die Fans oft aufgeregt, weil man sich ein Spektakel beider Teams erhofft. Meistens kommt es dann ganz anders. Beide Teams neutralisieren sich, man sieht viel taktisches Geplänkel, Fehlervermeidung ist die Maxime. Zum Schluss steht oft ein Unentschieden zubuche in dem – wenn überhaupt – nur wenige Treffer erzielt werden.

Je früher also ein Tor fällt, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass wir kein typisches Spitzenspiel zu sehen bekommen. Für die Löwen wird vor allem wichtig werden, von Beginn an Chancen tief im Strafraum des Gegners zu kreieren. Flügelläufe der offensiven Außenspieler mit  flachen Flanken und das Nutzen jeder sich bietenden Schussgelegenheit sind die Zutaten, die meiner Meinung nach den TSV auf die Siegerstraße bringen können.

Dynamos Schlüsselspieler

Tor

Sven Müller (#1) im Tor, Neuzugang aus Halle oder Stefan Drljaca (#23), Neuzugang vom BVB II: Wer von beiden den Vorzug bekommen wird, ist aus den Aufstellungen in den Testspielen nicht vorherzusehen. Beide haben sich die Arbeit in der Vorbereitung geteilt. Ich würde mich, wäre ich verantwortlich, vermutlich für Müller als Nummer 1 entscheiden. Zur Créme de la Créme der Torhüter in der Liga gehört keiner der beiden. Für Müller spricht die größere Erfahrung. Drljaca musste in der vergangenen Spielzeit gegen den TSV 1860 insgesamt acht Mal den Ball aus den Maschen holen. Auch das ist ein deutlicher Fingerzeig, wer im Kasten stehen könnte. Müller hat seine Stärken in der Strafraumbeherrschung und im eins gegen eins. Drljaca hat die besseren Reflexe, dafür aber große Defizite in der Strafraumbeherrschung. Auch die fehlende Erfahrung konnte der 23-Jährige vergangene Saison nicht kompensieren.

Erst vor zehn Tagen schloss sich der Ex-Karlsruher Niklas Heeger (#35) der SGD an. 22 Jahre alt, mit der Erfahrung von erst zwei Zweitligaspielen, ist er momentan wohl noch Dritte Wahl bei den Dynamos. Im Saisonverlauf kann sich das aber mit durchaus hoher Wahrscheinlichkeit noch ändern. Müller und Drljaca gehören – wie bereits gesagt – nicht zu den Besten ihrer Zunft.

Abwehr

Tim Knipping (#4) ist ein erfahrener Innenverteidiger. Zweikampfstark, mit gutem Stellungsspiel, hoher Passsicherheit und gutem Auge in der Spieleröffnung ist der Kapitän der Dresdner der wichtigste Baustein in der Viererkette von Dynamo. Ob er die junge Abwehrreihe der SGD aber so führen kann, dass sie tatsächlich komplett stabil bleibt, darf bezweifelt werden. Mit einem Durchschnittsalter von 22,25 Jahren ist die Defensivabteilung von Dynamo noch relativ unerfahren und Knipping mit seinen 29 Lenzen der älteste Verteidiger.

Mittelfeld

Ex-Löwe Yannick Stark (#5) wird vermutlich noch nicht zum Einsatz kommen. Er ackert an seinem Comeback nach einer Sprunggelenksverletzung aus dem Relegationsrückspiel gegen unsere Freunde vom 1. FCK. Wer also läuft auf der Sechs auf?

Es wird wohl auf Michael Akoto (#22) hinauslaufen. Der beim SVWW ausgebildete 24-jährige Defensivallrounder wechselte vergangenen Sommer aus Mainz nach Dresden. Auf seiner Stammposition kam er jedoch eher selten zum Einsatz. Mit Yannick Stark vor der Nase musste er oft in der Abwehrkette spielen. Dort war Akoto ein durchaus auffälliger Spieler.

Ahmet Arslan (#6), Leihgabe aus Kiel, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit den Part des offensiven Mittelfeldspielers im Zentrum einnehmen. Wenn die Löwen ihn unter Kontrolle bringen, fehlt den Dynamos das wichtigste Pferd im kreativen Offensivspiel. Dass er mit Kutschke gut zusammenarbeiten kann, sah man in den Vorbereitungsspielen durchaus.

Sturm

Der auch kurzzeitig bei den Löwen als Neuzugang gehandelte Stefan Kutschke (#33) ist zurück bei seinem Heimatverein. Sportlich gibt es bei diesem Spieler was die dritte Liga angeht keine zwei Meinungen. Torgefahr, Torgefahr und noch einmal Torgefahr! Mit dem Kopf, mit dem Fuß – Kutschke hat’s drauf. Den richtigen Riecher für Torgelegenheiten hat er auch. Er hat ein super Auge für sich ihm öffnende Räume. Mit 1,94 m Größe hat er auch meistens die Lufthoheit gegenüber seinen Gegenspielern. 27 Einsätze und 2 Tore in der Bundesliga, 123 Zweitligapartien mit 28 Treffern und 84 Drittligaspiele mit ebenfalls 28 Toren hat er auf dem Profikerbholz. Lässt man ihn aus den Augen, schepperts mit hoher Wahrscheinlichkeit. Ob er spielt ist jedoch fraglich. Wie oben erwähnt, hat er sich wohl das Virus eingefangen.

Es stürmt somit wahrscheinlich Manuel Schäffler (#33) gegen seinen Ex-Verein von Anfang an. Schäffler ist ein technisch versierter Stürmer, treffsicher und ein guter Teamplayer, dessen Qualitäten allen Lesern bekannt sein dürften. Somit ist er nicht minder gefährlich.

Fazit

Der TSV 1860 hat das vermeintlich schwerste Auswärtsspiel gleich zu Beginn der Saison – und das ist gut so. Sieg, Unentschieden, Niederlage: Wer weiß, alles ist möglich. Es ist noch nie eine Mannschaft am ersten Spieltag Meister geworden und auch noch keine abgestiegen.

Dresden muss Verletzungen verkraften, viele neue Spieler integrieren, Abgänge kompensieren, eine klare Nummer 1 finden, Mannschaft und Trainer müssen zusammenwachsen.

Der TSV 1860 München hat kaum Abgänge zu verzeichnen, wichtige verletzte Spieler (Wein, Willsch) kehren zurück, Mannschaft und Trainer sind ein eingeschworenes Team.

Klarer Vorteil für den TSV möchte man meinen. Aber zum Saisonauftakt ist nichts gewisser, als dass nichts gewiss ist. Die Qualität im Kader für drei Punkte haben sicherlich beide Mannschaften.

Ich bin absolut zuversichtlich, dass die Sechzger zum Beginn der Saison punkten. Einfach oder dreifach werden wir sehen.

So könnte Dynamo Dresden gegen den TSV 1860 München beginnen

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