Herzlich willkommen zu Taktiktafel Analyse des Auswärtsspiels FC Viktoria Berlin – TSV 1860 München. Die Berliner begannen wider Erwarten nicht mit einem System mit drei Innenverteidigern, sondern kamen in einem 4-4-2 mit Doppelsechs auf den Platz. Michael Köllner ließ beim TSV 1860 München alles beim alten und so ging es mit derselben Startaufstellung wie schon am Freitag der Vorwoche im 4-1-4-1 ins Spiel im Berliner Friedrich Ludwig Jahn Sportpark.

Im Spiel gegen den TSV 1860 hatten die Berliner, die im 4-4-2 antraten, mit Jopek und Theisen zwei eigentlich im zentralen Mittelfeld beheimatete Spieler auf die Sechserpositionen gestellt. Jopek war eher als tiefer Sechser auf dem Platz, Theisen als Box to Box Spieler.

Die Sechzger spielten in ihrem flexiblen 4-1-4-1 System offensiv mit sehr interessanten Verschiebungen. Gegen den Ball versuchten die Sechzger vor allem das Zentrum dicht zu halten. Aus diesem Grund wurde diesmal nicht nur – wie sonst üblich – mit einem Box to Box Spieler agiert, sondern auch mit einem zweiten eigentlich offensiven Spieler, der ins defensive Mittelfeld abkippte. Moll bekleidete die Position des tiefen Sechsers. Auf den Halbpositionen neben ihm agierten dann gegen den Ball Neudecker und Tallig.

Verschiebungen im System offensiv

Lex, nominell auf der linken Außenbahn aufgestellt, verließ seine Position immer wieder, um als zusätzliche Sturmspitze im Zentrum aufzutauchen. Seine beiden Nebenmänner in der Mittelfeldreihe verschoben sich dann horizontal, sodass Neudecker auf der Außenbahn mit Steinhart zusammenarbeiten konnte, und Biankadi zentral spielte. Tallig blieb auf seiner Position rechts.

Die zweite Variante bei den offensiven Verschiebungen der Löwen war Folgende: Lex und Tallig rückten positionsgetreu nach vorn in die Sturmreihe. Biankadi und Neudecker verschoben auch hier horizontal nach links. In beiden Varianten der offensiven Verschiebungen beim TSV 1860 München rückte einer der beiden Außenverteidiger ins Mittelfeld auf. So entstand bei eigenem Ballbesitz entweder ein 3-5-2 oder ein 3-4-3.

Dieses massive Bollwerk mit drei tiefen Mittelfeldspielern vor der Viererkette zu durchbrechen, war für Berlin über die komplette Spielzeit fast nicht zu bewerkstelligen.

Im Umschaltspiel konnte der TSV 1860 daher nach Ballgewinnen oft sehr schnell Überzahl herstellen und seine eigenen Angriffe immer wieder gefährlich bis tief in des Gegners Spielfeldhälfte durchbringen.

Bevor wir auf das Spiel an sich eingehen, wie immer die Statistiken und was sie aussagen.

Die wichtigsten statistischen Werte

  • Ballbesitz: TSV 1860 44% – Viktoria Berlin 56%
  • Passgenauigkeit: TSV 1860 77% – Viktoria Berlin 75%
  • Defensive Zweikampfquote: TSV 1860 50% – Viktoria Berlin 57%
  • Schüsse/aufs Tor TSV 1860: 24/12 – Viktoria Berlin 11/3
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion): TSV 1860 14,48 – Viktoria Berlin 9,43

Analyse der statistischen Werte

Die Werte sehen – abgesehen von den Schüssen und der Passgenauigkeit – wieder einmal so aus, als wären die Löwen nicht die bessere Mannschaft gewesen. Das ist aber ganz klar nicht so. Eine dominantere Mannschaft des TSV 1860 München als am Freitag gegen Berlin haben wir in dieser Saison selten gesehen.

Ballbesitz

Beginnen wir beim Ballbesitz: Hier liegt der Gastgeber mit 12% mehr Spielanteilen vorn. Schaut man aber darauf, wie viele zu Ende gespielte Angriffe beide Mannschaften haben, gibt es eine klare Dominanz auf Seiten des TSV 1860 München. Ein Übergewicht von mehr als 53% im Positionsspiel und bei Kontern hatten die Sechzger bei den bis ins letzte Drittel des Gegners durchgebrachten Angriffen.

Das hat wie immer damit zu tun, dass die Berliner mit dem Ball nicht viel anfangen konnten. Es fehlten einerseits die Ideen, um durch die gut gestaffelte Löwendefensive durchbrechen zu können, was bei Berlin oft dazu führte, dass der Ball aus dem letzten Drittel vor dem Tor des TSV bis zum eigenen Torwart oder zu den Innenverteidigern zurückgespielt wurde. Da hat man natürlich lange den Ball – aber es passiert halt nichts. Vor allem dann nicht, wenn beim Neuaufbau das gleiche Schema wie zuvor gezeigt wird. In Puncto Spielwitz war bei Berlin nichts geboten.

Aus dieser deutlichen Überlegenheit bei den zu Ende gespielten Angriffen für den TSV 1860 gegenüber Berlin entstanden dann in der Folge sowohl mehr als doppelt so viele abgegebene Schüsse als auch das vierfache an Schüssen, die auch aufs Tor gingen. Speziell in der zweiten Halbzeit hätten die Sechzger Berlin hier noch einige Tore einschenken müssen.

Defensive Zweikämpfe

Nur 50% gewonnene Defensivzweikämpfe? Das klingt doch auch eher schlecht, oder? Stimmt, tut es. Dabei muss man jedoch berücksichtigen, wo der Großteil der Defensivzweikämpfe geführt wurde. Zudem führten zahlreiche verlorene Zweikämpfe im Nachgang oft doch noch zum Ballgewinn für den TSV 1860, weil dem zunächst im Vorteil befindlichen Spieler von Viktoria Berlin der Ball vom Fuß sprang, oder, dass ein gedoppelter Spieler im Zweikampf mit zwei Gegenspielern diesen Zweikampf ja nur gegen einen der Beiden verliert. Das relativiert den auf den ersten Blick schlechten Wert doch gewaltig.

In welchen Zonen also verlor der TSV 1860 gegen Viktoria Berlin wie viele seiner defensiven Zweikämpfe? Im letzten Drittel vor dem eigenen wurden Tor insgesamt elf defensive Zweikämpfe verloren. Davon fand ein einziger im eigenen Strafraum statt. Durch die oben erwähnte Verschiebung gegen den Ball mit zwei Spielern auf den Halbpositionen und Moll zentral war das Zentrum beim TSV 1860 München gegen Viktoria Berlin so dicht, dass die Hauptstädter immer auf die von ihnen ungeliebten Flügel ausweichen mussten. Acht dieser elf verlorenen Defensivzweikämpfe fanden dort statt. Die seltenen Fälle, in denen es die Viktoria dann schaffte, den Ball in die Box zu spielen, waren bis auf vier Ausnahmen in den seitlichen Randbereichen des Strafraums. Eine Ecke, zwei Freistöße, und eine Situation aus dem Spiel heraus sorgten für zentrale Ballkontakte der Berliner im Strafraum der Sechzger. Fazit des Ganzen: Eine Top Leistung im eigenen letzten Drittel beim TSV 1860.

In den Zonen vor dem eigenen letzten Drittel wurden mehr defensive Zweikämpfe verloren als gewonnen. Das ist aber tatsächlich kein Beinbruch. Allein die Störung des Spielflusses in diesen Fällen sorgte dafür, dass Berlin – wie oben beschrieben – immer wieder neu aufbauen musste, weil der TSV 1860, durch die mit diesen Zweikämpfen gewonnene Zeit, die Räume so gut besetzen konnte, dass der Viktoria nichts anders übrig blieb, als den Ball zurück zu spielen.

PPDA

Viele werden nach Betrachtung der Werte sagen: “Das Pressing war doch gut, warum ist der Wert beim Indikator (PPDA) so hoch?” Auch hier gibt es wieder eine einfache Antwort. Das Zustellen der Passwege ohne direkte Aktionnen gegen den Ball wird bei der PPDA leider nicht berücksichtigt. Viele Pressingsituationen vor allem zu Beginn der Partie konnte Berlin nur über den langen Ball lösen. Dieser musste dann nicht mehr in der sogenannten pressingrelevanten Zone verteidigt werden. Damit zählen Aktionen gegen solche Bälle nicht in diese Statistik. Oder aber der Druck der hoch pressenden Löwen führte direkt zu Fehlpässen, die aus gutem Stellungsspiel in der zweiten Linie resultierten und keine durch Einlaufen in Passwege eroberten Bälle waren. Daher zählen diese (statistisch) auch nicht als Aktion gegen den Ball.

Zu guter Letzt noch ein Blick auf die Schüsse. Vierundzwanzig Schüsse, zwölf davon aufs Tor, nur zwei drin. Na gut, hier hätte die Ausbeute höher sein dürfen. Aber sind wir ehrlich: Das ist Jammern auf hohem Niveau! Zehn gehaltene Bälle, vier davon Reflexparaden, bei denen andere Torhüter aufgrund der geringen Entfernung den Ball möglicherweise nicht einmal kommen sehen, zeigen deutlich welch Potential der 21-jährige Keeper Krahl im Berliner Tor besitzt.

Das Spiel

1. Halbzeit

Von Beginn an machte der TSV 1860 gegen Viktoria Berlin Druck. Die sprichwörtliche Abtastphase gab es nicht. Aus einer Pressingsituation heraus, die Berlin nicht lösen konnte, gab es einen Einwurf für die Sechzger. Dieser führte zum 1:0 für Sechzig durch Erik Tallig in der 3. Minute. Mit der frühen Führung im Rücken konnten sich die Löwen darauf konzentrieren, aus einer eigenen kompakten Defensive heraus über Umschaltspiel oder kontrollierte Offensive zu agieren. Gewonnene zweite Bälle für die Berliner Offensive waren Ausnahmen. Selbst wenn Berlin das gelang, konnte die Viktoria daraus wenig Kapital schlagen. Wie oben schon geschrieben, waren die Ballkontakte der Hausherren in der Box des TSV 1860 auf die Ränder des Sechzehners beschränkt. Im Zentrum vor dem Tor ließ Sechzig im eigenen Strafraum fast nichts zu.

In der 21. Minute fiel dann der verdiente zweite Treffer für die Löwen durch einen von Stefan Lex herausgeholten Elfmeter. Bär verwandelte souverän.

Mit der zwei Tore Führung im Rücken und ideenlosen Berlinern als Gegner, überließen es die Sechzger ab diesem Zeitpunkt, den Hausherren das Spiel zu machen und setzten selbst weiter eher auf Reaktion als auf Aktion. Diszipliniertes und taktisch kluges Spiel sorgten dafür, dass Berlin zu keinem Zeitpunkt dauerhaft Gefahr für das Münchner Tor ausstrahlen konnte. Einzelne Momente, die hauptsächlich aus Standardsituationen entstanden, waren ebenfalls selten gefährlich. Bis auf Pinckert, der in der 26. Minute über den Kasten zielte, Ezehs Versuch, der rechts am Kasten vorbeiging, und Seiferts eher schwachen aber doch platzierten Schuss, den Hiller zur Ecke klärte, gab es für Berlin keinen Weg durch das Löwenbollwerk hindurch.

Der TSV 1860 München eroberte den Ball meistens vor dem eigenen letzten Drittel und startete seinerseits Attacken auf den Berliner Strafraum. Diese Attacken klappten deutlich besser als bei den Gastgebern. Die Sechzger drangen in der ersten Halbzeit nicht so häufig wie Berlin in die gegnerische Box ein. Es waren jedoch die Hälfte aller Ballkontakte der Löwen im Strafraum der Hausherren in zentralen Positionen vor dem Tor.

2. Halbzeit

In der zweiten Halbzeit kam Berlin dann giftig aus der Kabine und tatsächlich kurz nach Wiederanpfiff gefährlich vor das Tor der Löwen. Pinckerts Chance in der 49. Minute war allerdings trotz zweier weiterer Schüsse bis zur 60. Minute die einzig nennenswerte Möglichkeit für die Gastgeber in Durchgang zwei. Bis zur 60. Minute spielte Berlin noch mit. Dann nahm Trainer Farat Toku Küc vom Platz, stellte Menz neben Jopek auf die Doppelsechs und beorderte Theisen ins offensive Mittelfeld. Ohne den Kreativposten Küc, der im Sturm allerdings eher verschenkt schien, war dann Schluss mit sämtlichen Offensivbemühungen seitens der Viktoria.

Ganz anders sah das bei den Sechzgern aus. Der TSV 1860 spielte sich im Friedrich Ludwig Jahn Sportpark in einen wahren Offensivrausch. Die Bilanz der letzten halben Stunde plus Nachspielzeit liest sich so überlegen, wie sie auch tatsächlich war. 6:0 Schüsse (davon alle aufs Tor), 20:3 bis zum Ende gespielte Positionsangriffe und 2:1 Konter stehen für den TSV 1860 bei nach wie vor geringerem Ballbesitz zu Buche. Ein einziger Ballkontakt gelang der Viktoria im Strafraum der Sechzger noch bis zum Schlusspfiff.

Angesichts dieses desolaten, blutleeren Auftritts der Hauptstädter darf man daran zweifeln, ob die Demission von Trainer Benedetto Muzzicato weise war. Was solls, uns kanns – zumindest in diesem Spiel – nur recht sein.

Michel Köllner wechselte seine Akteure erst spät, schöpfte aber das Wechselkontingent im Gegensatz zu seinem Kollegen, der nur dreimal wechselte, voll aus. Mit Dressel (78.), Greilinger, Goden (beide 85.), Linsbichler und Morgalla (beide 90.+1) kamen in der Schlussphase frische Kräfte ins Spiel.

Nimmt man die xG-Statistik als Grundlage, hätte Sechzig in der zweiten Halbzeit noch mindestens einen Treffer nachlegen müssen. Beim Blick aufs Spiel und dem, was man landläufig als 100%ige Chance ansieht, könnte man sich auch Marcel Bärs Meinung im Interview nach dem Spiel anschließen. Er sprach von fünf oder sechs Toren, die man hätte nachlegen können.

Die Tore

Das 0:1

Nach einem Einwurf durch Tallig auf der linken Seite steil zu Bär, spielt dieser das Leder zurück zu Tallig. Der setzt sich, von der linken Seitenauslinie kommend, gegen drei Gegenspieler durch und dringt im Alleingang in die Box der Berliner ein. Von Jopek begleitet schließt er, nachdem er mit dem Ball in den Fünfer eingedrungen war, aus spitzem Winkel ab. Die freundliche Mithilfe von Jopek, der dabei den Ball ins eigene Tor abfälscht, nahm er natürlich dankend an.

Hervorzuheben an dieser Situation ist aber auch das gute Zonenpressing zuvor. Die Sechzger stellten dabei die Passwege der Berliner derart gut zu, dass die Viktoria keine normalen Positionsaufbau zusammenbrachte. So wurde der Ball von den Hausherren immer weiter an die eigene Torauslinie zurück gepasst. Die Löwen besetzten zudem durch gutes Stellungsspiel im Mittelfeld die Räume so gut, dass Krahl den Ball lang und hoch ins Seitenaus schlug, um nicht noch stärker unter Druck zu geraten.

Das 0:2

Bär versenkt einen Elfmeter nach Foul im Strafraum an Lex souverän.

Auch hier ist die Entstehung der Situation, die zum Foul führt, Spitzenklasse. Los geht es mit einem Einwurf auf der linken Berliner Angriffsseite durch Ezeh auf Küc. Ezeh läuft dann die Linie entlang, um sich für eine Flanke in Stellung zu bringen. Kücs Pass, den Tallig gut verteidigt, landet so als zweiter Ball bei Lewald im Mittelfeld nahe des Anstoßkreises. Lewalds Kopfball nach vorn geht jedoch nicht zu einem seiner Mannschaftskameraden. Moll hält sein Füßchen hin. So spielt er die Kugel mit nur einem Kontakt steil über die Gegner hinweg in den Lauf von Marcel Bär. Bär verarbeitet das Spielgerät und legt mit seinem zweiten Kontakt zu Lex, der etwas weiter links mitläuft. Verfolgt von Pinckert dringt Lex in die Box ein und wird dort von seinem Verfolger von den Beinen geholt.

Gerne würde ich hier noch weitere Tore beschreiben. Chancen hätten die Löwen genügend gehabt. Aber ein souveräner 2:0 Sieg in der Fremde ist trotz des Chancenwuchers nicht zu verachten.

Fazit Viktoria Berlin – TSV 1860

So darf es gerne weitergehen. Gute Spielkontrolle bei Ballbesitz, starke Defensivarbeit beim Zonenpressing, im Stellungsspiel und in der Raumdeckung, Kreativität und viel Bewegung in der Offensive. Was will man mehr? Fünf oder sechs Tore wie Marcel Bär sagt? Bis auf die Chancenverwertung braucht man am Spiel des TSV 1860 München gegen Berlin tatsächlich nichts kritisieren. Und das zu kritisieren ist, wie schon geschrieben, Jammern auf hohem Niveau. Diese Chancen machen die Burschen dann halt im nächsten Spiel rein.

Apropos nächstes Spiel: Am nächsten Sonntag geht es ohne Kapitän Lex nach Mannheim -das wird sicherlich kein Spaziergang. Positiv ist, dass die Löwen nach dem Spiel am Freitag einen zusätzlichen Tag zur Regeneration haben und im Vergleich zum normalen Spielrhythmus sogar zwei Tage mehr zu Vorbereitung.

Datenquelle: Wyscout

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