Ich bin innerlich zerrissen. Ich hatte das unfassbare Glück, dass die sechzger.de Redaktion ausgerechnet mich als Berichterstatter vor Ort für das gestrige Derby Bayern II gegen TSV 1860 ausgewählt hat und die Bayern uns eine Akkreditierung zuteilwerden ließen. Es war auf der einen Seite tatsächlich unfassbar geil, bei diesem Spiel im Stadion gewesen zu sein. Auf der anderen Seite ist es tatsächlich auch unfassbar traurig, einem solchen Sieg in einem menschenleeren Stadion beizuwohnen. Ich kann mich ehrlich gesagt nicht entscheiden, welches Gefühl überwiegt.

Derbyfieber?

Es ist ja aktuell keine einfache Zeit. Und so war ich im Verlauf der Woche eigentlich kaum im Derbyfieber, auch wenn es “nur” Bayern II gegen TSV 1860 ist. Eigentlich wäre ich im Skiurlaub gewesen. Uneigentlich war ich dann zu Hause, habe wegen der anstehenden Schulschließungen ein wenig vorgearbeitet und seit Freitag Nachmittag stand ich mit der Lehrerin meines Sohnes in Dauerkontakt, weil ich im September mal geäußert habe, dass unsere Firma vielleicht ein paar aktuell nicht benötigte Laptops verleihen könnte. Die Dame sucht händeringend Computer für die Schüler in der Notbetreuung, die ja dem online Unterricht auch folgen sollen (wenn er denn stattfindet…). Naja, sorry für den Exkurs, aber unter diesen Umständen tritt ein Derby für einen Mann mittleren Alters dann schon mal in den Hintergrund. Sogar bei mir.

Die nullte Halbzeit

Gestern Morgen dann habe ich mich schon auf das Spiel gefreut und natürlich umso mehr über die Möglichkeit, im Stadion dabei sein zu können. Aber anstatt wie normal irgendwann im Laufe des Vormittags auf ein Bierchen vor dem Spiel Richtung Giesing zu fahren, war ich erst nochmal mit dem Sohn beim Schlittenfahren und habe mich dann zum Stadion aufgemacht.

Die Anreise war schon komisch. Kurz vor 13 Uhr fuhr ich mit dem X30 den Giesinger Berg hinauf und eine Stunde vor Anpfiff eines Derbys waren einfach nur ein paar unbedarfte Passanten auf der Straße unterwegs. Dann konnte man von der Bushaltestelle vollkommen ungehindert an der Ostkurve vorbei zur Kasse an der Haupttribüne und sich dort seine Akkreditierung abholen. Das ist zwar Alles in Allem sehr angenehm, aber mit Derby hat das gar nix zu tun.

Dann rein ins Stadion. Es hat alles geklappt. Ich bin erleichtert und freue mich, dass ich zum ersten Mal seit dem 29.02.2020 ein Stadion von Innen sehen darf. Die Stadionwirtschaft ist der VIP-Raum und die Presse darf sich dort kurz aufwärmen und die Gastgeber reichen kostenlos Kaffee und Wurstsemmeln. Eine blaue Delegation mit Hans Sitzberger und Marc-Nicolai Pfeifer betritt den Raum, trinkt einen Kaffee und geht wieder auf die Haupttribüne.

Dort habe ich mich bereits zwischen zwei befreundeten Journalisten eingerichtet. Der Laptop ist aufgeklappt und eingesteckt, ebenso 2 Handys. Sonst sitze ich immer auf der Gegengerade und trage einen Schal…

Die erste Halbzeit

Das Spiel Bayern II gegen TSV 1860 beginnt und ohne Fans und das ganze Brimborium außen rum wird auf einmal angestoßen. Fast wie bei einem Jugendspiel. Aber jetzt ist Derby für mich! Die Löwen legen auch gleich gut los und ich bin heiß. Darf es aber nicht so zeigen. Schließlich sind wir auf der Pressetribüne und nicht als Fans im Stadion. Zum Glück sitzt Hans Sitzberger kurz vor mir, der offenbar ähnlich gestrickt ist wie ich und fast immer das auf’s Spielfeld ruft, was ich mir gerade noch verkneifen kann. Als Hiller ins Gesicht getreten wird, muss ich mich schon ganz schön zusammenreißen. Beim Tor hält es mich dann aber nicht mehr auf dem Sitz und ich erlaube mir zu jubeln. Scheint auch nicht groß zu stören.

Die zweite Halbzeit

Nach Einnahme eines weiteren Kaffees in der warmen Stadionwirtschaft und einem ersten Kontakt mit dem sehr sympathischen Marc-Nicolai Pfeifer, geht es in die zweite Hälfte. Willsch und Mölders lassen das 2:0 liegen und langsam beginnen die üblichen Derbygedankenspiele im Kopf. Ihr kennt sie alle…

Die Mannschaft befeuert diese Gedankengänge durch eine doch ziemlich behäbige Spielweise in den letzten 15 Minuten. Dann der entscheidende Konter. Moll passt hervorragend getimt in den Lauf von Biankadi, der sein gutes Debüt mit dem entscheidenden Treffer zum 2:0 krönt. Ein Tor gegen Bayern in der Nachspielzeit! Davon habe ich lange geträumt!

Die genaue Analyse der 90 Minuten vom Experten Bernd Winninger findet Ihr in der Taktiktafel bei uns am Montag. Aber für 3 Mio. Marktwert gegen deren 24 haben wir uns nicht schlecht geschlagen, finde ich.

Danach für mich der absolute Höhepunkt des Tages. Man sieht, wie sich die Mannschaft auf ein Mal Richtung Westkurve bewegt und dort Aufstellung nimmt. Dann fangen Sie an, von Sascha Mölders angeleitet eine Humba zu zelebrieren. Das war so geil!!! Wir standen mit offenen Mündern auf der Haupttribüne und konnten es kaum fassen. Also ich nehme an, dass die anderen ihre Münder ebenfalls weit aufgerissen hatten. Das kann man ja wegen der Masken nicht sehen. Meiner war mindestens so weit geöffnet wie der von Sascha Mölders nach dem 3:2 Siegtreffer in Haching letzte Saison. Da stand ich zwei Meter über ihm und konnte in den Schlund eines Walhais blicken!

Das Fazit

Es war wirklich wunderschön, mal wieder im Stadion gewesen zu sein. Auch wenn es als Berichterstatter doch komplett anders zugeht als als Fan. Besonders geil war natürlich, dabei noch einen Derbysieg erleben zu dürfen. Auf der anderen Seite hat so ein leeres, totenstilles Stadion zu einem solchen Anlass auch etwas unglaublich Deprimierendes. Wie gesagt, ich bin hin und her gerissen.

Und die Lage der Löwen?

Kommt dieses Mal zugegebener Maßen etwas zu kurz, aber meine persönlichen Eindrücke mussten einfach raus. Die Erkenntnis des Nachmittags: Wir haben den absolut geilsten, tapfersten und löwenstärksten Torwart der Welt! Marco, dass Du nach diesem bösen Tritt überhaupt weitergespielt hast, ist schon imposant genug. Dass Du dann aber noch einige Weltklasseparaden gezeigt hast und alle Flanken sicher entschärft hast, ist einfach nur Wahnsinn! Von dieser Leistung werden noch Generationen von Löwen schwärmen!

Der zweite Löwe, der mir unglaublichen Respekt abverlangt hat am gestrigen Tage, ist Michael Köllner. Nach dem Schicksalsschlag, den er durch den Tod seines Vaters erlitten hat, eine Mannschaft zum Derbysieg zu führen, ist einmalig. Michi, unser herzlichstes Beileid in dieser schweren Zeit. Dir und Deiner Familie alles Gute. Die Löwen fühlen mit Dir. Glück und Leid liegen oft so nah beinander.

Noch kurz zum Sportlichen: Biankadi hat sich gut in die Mannschaft eingeführt, da ist sicher noch etwas Luft nach oben. Aber für ein erstes Spiel eine mehr als ordentliche Leistung. Wein und Dressel auf der Bank? Das deutet eher auf ein Luxusproblem als einen zu wenig breiten Kader hin. Tallig sehr bissig in einer etwas defensiveren Rolle als zuletzt. Das sind meine Erkenntnisse. Außerdem 4 der letzten 5 Spiele gewonnen.

So kann es gegen Ingolstadt weitergehen!

 

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Stefan Kranzberg

Sehr gut formulierte und nachvollziehbare Gedanken. Geiler Sieg, große Freude, aber das Stadionerlebnis vor ausverkauftem Haus im GWS ist nicht ersetzbar.

andreas de Biasio

vielen Dank für diese Zeilen. es war der 29. Februar 2020 gegen den Cfc vor Fans. das Stadion war voll und ich glaube noch nie so laut nach Schlusspfiff unglaublich schön war das. aber mein Jubel gestern war nicht wesentlich leiser. natürlich nie so laut, weil man das allein gar nicht schafft. ein wahnsinnig emotionales Spiel, dass uns weitere Kraft, Energie Konsentration geben wird für den weiteren Verlauf. wenn man die Umstände sieht: guter Beginn ein gutes Spiel, dann das Foul richtige und die einzige Entscheidung des Schiedsrichters. Marco macht weiter, Wahnsinn! dann der gute Freistoß und das Tor zum richtigen Zeitpunkt. hinten sind wir gut gewesen fand ich. in der zweiten Halbzeit haben wir uns aber fast etwas zu viel den Schneit abkaufen lassen. wir wurden etwas zu viel für mich nach hinten gedrängt. wir bekamen für mich auch zu viele Freistöße und Ecken gegen uns zum Glück ist das gut gegangen. dann dieser hervorragende Ball von Moll super. und das tolle Tor von Merweille Biankadi bei seinem Einstand. das wird ihm weiter Auftrieb noch mehr Selbstvertrauen geben. ein Auftakt in 2021 wie ich ihn mir gewünscht habe, bitte weitermachen, Löwen! noch besser und stärker werden. danke für die drei Punkte!
danke und alles gute an Michael Köllner viel Kraft, ich denke die gesammte Löwen-Familie ist bei Dir!

United Sixties

Danke für diesen Bericht, den wohl viele nur allzu sehr nachvollziehen können.
Bleiben wir stolz und weiter so treu DIESEN KLUB in unseren Herzen zu tragen!