Seit gut vier Monaten bereiste ich nun den lateinamerikanischen Kontinent.
Anzahl besuchter Länder: sechs.
Anzahl der dort besuchten Fußballspiele: null.
Aufgrund grauenhafter Reise-Spielplan-Abstimmung im Vorfeld blieben mir sämtliche avisierte Schmankerl verwehrt. Keine Boca Juniors in Buenos Aires, kein Colo Colo in Santiago de Chile. Kein Club Bolívar in La Paz, kein Universitario in Lima. ¡La Puta Madre!
Mittlerweile in Ecuador angekommen, sollte leider auch der – retrospektiv betrachtet durchaus verzweifelt wirkende – Versuch, meiner zauberhaften Begleitung eine romantische Überraschung in Form des Länderspiels Ecuador gegen Venezuela darzubieten, auf überraschend wenig Anklang stoßen.
Als die Hoffnung auf einen Stadionbesuch langsam zu schwinden begann, blieb nur noch ein letzter Funke: die Auslosung der Copa Libertadores abzuwarten. Mit LDU Quito, Independiente del Valle und SC Barcelona Guayaquil stellt Ecuador gleich drei Vertreter im südamerikanischen Pendant zur Champions League.
Und tatsächlich: Rey de Fútbol sollte sich gnädig erweisen. Mit LDU Quito gegen Flamengo Rio de Janeiro und Independiente del Valle gegen River Plate aus Buenos Aires sollte der unsägliche fußballfreie Fluch bald durchbrochen werden.

LDU Quito gegen Flamengo Rio de Janeiro: Ein traditionsreiches Duell in Quito

Das erste Spiel auf der Liste sollte also den brasilianischen Traditionsverein Flamengo Rio de Janeiro nach Quito führen. Da ich 2012 auf einer Brasilienreise die Gelegenheit hatte, ein Heimspiel von Flamengo zu besuchen – und die Atmosphäre dort als durchaus elektrisierend in Erinnerung behalten hatte – verspürte ich eine gewisse Vorfreude auf ein Wiedersehen in der Fremde mit diesem Verein.

Akkreditierung ✔

Nachdem der erfreulich unkomplizierte Akkreditierungsprozess einige Tage zuvor abgeschlossen war, machte ich mich am frühen Nachmittag des 22. April auf den Weg zum Estadio Rodrigo Paz Delgado.

Anreise zum Estadio Rodrigo Paz Delgado: Die Straßen von Ponceano

Aufgrund der ungewöhnlichen Anstoßzeit (17:00 Uhr Ortszeit) kämpfte ich mich am frühen Nachmittag durch den dichten Verkehr und erreichte gegen 15:00 Uhr den nördlichen Teil Quitos – genauer gesagt das Viertel Ponceano. Von der Hauptstraße aus ließ ich mich in Richtung Stadion treiben, das sich unauffällig zwischen Hügeln und Wohnvierteln erhebt. Vor dem Stadion herrschte reges Treiben in den engen Straßen: An jeder Ecke wurden gefälschte Trikots und Fanartikel verkauft, Bierdosen in Styroporboxen gestapelt, gegrillte Chorizo-Spieße und Empanadas angeboten, dazu frittierte Bananen – ein willkommener Kontrast zu den oft durchkommerzialisierten Events in Europa.
An einem kleinen Kiosk bestellte ich ein kühles Cerveza und beobachtete das Geschehen. Der Verkäufer, ein älterer Herr mit LDU-Cap, bemerkte meinen ausländischen Akzent. Wie viele Einheimische schaute auch er überrascht, aber freundlich, dass ein Gringo sich ein Libertadores-Spiel in Quito aussuchte.
Gegen 15:30 Uhr füllten sich die Seitenstraßen. Erste Bengalos wurden gezündet, und die Gesänge der Muerte Blanca, der organisierten Fans von LDU, hallten durch die Straßen. Ich reihte mich in den Strom der Fans ein, der sich langsam auf die Eingänge zubewegte, und bahnte mir meinen Weg zum Presseeingang.

Estadio Rodrigo Paz Delgado: Das Heimstadion von LDU Quito

Estadio Rodrigo Paz Delagdo Quito
Estadio Rodrigo Paz Delgado

Vorbei an den entspannten Securitys, stehe ich dann eine gute Stunde vor Spielbeginn vor dem Estadio Rodrigo Paz Delgado. Ein Ort, der weniger durch seine Architektur an sich besticht – von außen wirkt es eher unspektakulär, fast industriell. Beton, kantige Linien, funktionale Architektur. Dafür hinterlässt vor allem eine unsichtbare, aber deutlich spürbare Eigenheit einen bleibenden Eindruck: das Heimstadion von LDU Quito, im Volksmund „La Casa Blanca“ genannt, liegt auf sagenhaften 2.734 Metern über dem Meeresspiegel. Atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes.

außergewöhnlich gute Verpflegung der Medienvertreter

Ich hole meine Akkreditierung und erklimme die Stufen Richtung Medienplätze. Auf dem Weg dorthin ein überraschender, aber durchaus willkommener Anblick: ein Stand der Amstel Brauerei, in der vier fesche Señoritas den vorbeiziehenden Fans das Freibier fast schon aufzwingen. Um nicht unhöflich zu sein, machte ich ebenfalls einen kurzen Halt zur Stärkung und bedankte mich für diese aufmerksame Geste der Gastfreundschaft. Gut genährt begab ich mich kurz darauf zu meinem Presseplatz. Von dort aus werfe ich einen ersten Blick ins Innere: asymmetrisch, recht steil, mit vier klar voneinander abgegrenzten Tribünen. Die Haupttribüne ist überdacht, gegenüber liegen offene Ränge mit Blick auf die umliegenden Berge.

57, 58, 59 … ???

Stadionatmosphäre in Quito: Muerte Blanca und die Höhenlage

Das Estadio Rodrigo Paz Delgado fasst rund 41.000 Zuschauer und gehört damit nicht zu den Giganten Südamerikas. Doch durch die steilen Tribünen und die kompakte Bauweise entsteht eine dichte, druckvolle Atmosphäre. Pünktlich zum Anpfiff war die Hütte dann gut gefüllt, vor allem die Nordkurve – Heimat der „Muerte Blanca“ – legte wie erwartet lautstark los: Fahnen, riesige Trommeln, durchgehende Gesänge.

Allerdings wirkte der Support zu Beginn etwas unkoordiniert. Die Nord- und Südkurve versuchten, sich mit eigenen Liedern gegenseitig zu übertönen, statt gemeinsam Druck zu machen – was der Stimmung zeitweise die Wucht nahm, zumindest gefühlt. Im Laufe des Spiels hat die Nordkurve dann aber eindeutig die akustische Oberhand gewonnen und bis zum Spielende eine durchgehende Party gefeiert. Keine Choreos, keine Pyro – aber viel Bewegung, viel Herzblut. Einfach Südamerika.

gut gefüllte Heimkurve im Unterrang & verwaister Oberrang der Gäste


Von Flamengo war leider kaum etwas zu sehen – keine erkennbare Auswärtskurve, was bei der Entfernung und der Ansetzung an einem Mittwochabend auch kaum verwunderlich war.

Ansonsten bleibt der Eindruck des Stadions und der Atmosphäre überaus solide. Keine große Show, kein Prunk – genau das, was den Reiz oft ausmacht. Der Kontrast zwischen nüchterner Architektur und emotional aufgeladenem Latinoflair bleibt hängen.

Spielbericht: LDU Quito gegen Flamengo Rio de Janeiro – 0:0

Zum Spiel an sich: LDU Quito gegen Flamengo Rio de Janeiro in der Copa Libertadores 2025. Rein von den Namen ein durchaus vielversprechendes Fußballspiel. Neben der besonderen Höhenlage von Quito und der Atmosphäre im Estadio Rodrigo Paz Delgado standen auch einige bekannte Gesichter auf dem Platz, die den meisten europäischen Fußballfans zumindest aus der Vergangenheit ein Begriff sein dürften: Carlos Gruezo, der in Deutschland aus seiner Zeit beim FC Augsburg bekannt ist, lief für die Ecuadorianer auf, während bei Flamengo vor allem Danilo, der für Manchester City und Real Madrid spielte, sowie Trainer Filipe Luís, der eine beeindruckende Karriere bei Atlético Madrid und Chelsea hatte, die prominentesten Personalien darstellten.

1. Halbzeit – Taktisch geprägt, wenig Risiko

Beide Mannschaften begannen abwartend. Flamengo, das mit vielen Stars angereist war, zeigte sich technisch überlegen, fand aber kaum Räume gegen die kompakte Defensive der Ecuadorianer. LDU Quito seinerseits versuchte, über schnelle Umschaltmomente und lange Bälle zum Erfolg zu kommen. Einzig nennenswerte Chance in der ersten Hälfte: Ein Distanzschuss von Giorgian De Arrascaeta, den der Torwart von LDU stark parierte.

2. Halbzeit – Mehr Intensität, aber keine Tore

Nach der Pause nahm das Spiel etwas Fahrt auf. Pedro kam bei Flamengo in die Partie und sorgte im Strafraum für mehr Präsenz, doch wirkliche Durchschlagskraft entwickelte der brasilianische Angriff kaum. LDU blieb vor allem bei Standards gefährlich – einmal musste Flamengo-Keeper Rossi nach einer Ecke mit einer starken Faustabwehr retten. Beide Trainer wechselten offensiv, doch weder Estrada bei LDU noch Everton Cebolinha bei Flamengo konnten Akzente setzen.

Fazit – Gerechtes Remis auf Augenhöhe

Es kam, wie es kommen musste: ein Tor zu sehen blieb mir verwehrt, aber das 0:0 geht letztlich in Ordnung. Flamengo hatte mehr Ballbesitz (rund 65 %), LDU dafür die bessere Laufleistung und die klareren Standardsituationen. Die Höhenlage von Quito machte sich gerade gegen Ende bemerkbar – viele Spieler wirkten müde, das Spieltempo flachte merklich ab. Beide Teams nehmen einen Punkt mit, was in einer engen Gruppe durchaus wertvoll sein kann.

Hier das Spiel in der Zusammenfassung:

 

Weitere Groundhoppingberichte auf sechzger.de

Lust auf noch mehr Groundhopping? Dann klickt euch rein in die Spanien-Berichte von Kollege Thomas.

Sechzig all over the world: Groundhopping Madrid

Sechzig all over the world: Groundhopping Madrid (Teil II)

0 0 votes
Artikelbewertung
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
1 Kommentar
Newest
Oldest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
Kraiburger

Vielen Dank für den Bericht. Aber warum Pressetribüne?