Das Wort Groundhopper bzw. Groundhopping setzt sich zusammen aus dem englischen Substantiv ground und dem Verb to hop. Als ground bezeichnet man unter anderem das Spielfeld eines Fußballstadions. To hop bedeutet hüpfen oder springen. Groundhopping meint also das schnelle Hüpfen von Stadion zu Stadion. Letztlich sind Groundhopper Sammler von Fußballstadien, die ein besuchtes Stadion (während eines Spiels, wichtig!) als gesammelt betrachten. Einer dieser Menschen ist Stefan, Anfang Vierzig und extrem reisefreudig. Bereits vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine hatte er uns seine Eindrücke zur Reise zur EM 2012 zukommen lassen. Der nachfolgende Text kann also Passagen enthalten, die inzwischen von der politischen Geschichte eingeholt wurden. Es ist eine komische Welt… Der Autor Stefan hat uns darauf hingewiesen, dass er für die Städtenamen die zuletzt gültige Bezeichnung verwendet hat, welche üblicherweise an die russische Nennung angelehnt sind. Die korrekte – ukrainische – Schreibweise der Städte lautet Lwiw, Kyiv, Charkiw und Donezk.

Groundhopping in der Ukraine

Auf die EM 2012 in der Ukraine hatte ich richtig Bock. Noch nie vorher war die Europameisterschaft in einem exotischeren Land. Noch nie vorher wurden so viele Schauermärchen über den Veranstalter verbreitet. Von Korruption war die Rede, von massenhaften Tötungen von Straßenhunden, von fehlenden Hotels und vor allem von den vielen, vielen russischen Hooligans.

Die EM wurde in die Länder Polen und Ukraine vergeben, beide Länder stellten jeweils vier Spielorte. Während Polen längst in Europa angekommen ist, befindet sich die Ukraine stets in einem Wandel, und verliert sich in seiner eigenen Suche zwischen Ost und West. Mein Plan war, allen vier ukrainischen Spielorten einen Besuch abzustatten, und zwar von Ost nach West. Die 1.400 Kilometer von Donezk an der russischen Grenze nach Lviv (Lemberg) an der polnischen Grenze wollte ich mit Nachtzügen zurücklegen, auch um teure Übernachtungen zu sparen.

Frankreich – England 1:1
11. Juni 2012, Donbass-Arena Donezk
Vorrunde Gruppe D

Mein erster Stopp war also die ostukrainische Industriestadt Donezk, die Heimatstadt des Vereins Schachtar und des legendären Olympiasiegers im Stabhochsprung, Sergey Bubka. Mittlerweile hat die Stadt ja traurige Berühmtheit erlangt, da sie im Separatistenkampf zur Fronstadt geworden ist. Nachdem das Stadion 2014 im Zuge der Krise durch zwei Explosionen zerstört wurde, trägt Schachtar seine Spiele im Exil in Kharkiw und Kiew aus.

Die wenigen Hotels in der Stadt waren leider ausgebucht und so musste ich kurzerhand auf einen Campingplatz weit vor der Stadt ausweichen, der extra für die anreisenden Fußballfans auf einem Acker aufgebaut wurde. Der Campingplatz mit knapp 1.000 Zelten wurde hauptsächlich von Engländern bewohnt und so mangelte es nicht an ausreichend Bier, Pools und einer Bühne mit ordentlich Elektromucke. Alles wirkte wie ein perfekt organisiertes Fußball-Festival im Nirgendwo kurz vor Russland. Ich hatte mich noch mit Leuten aus Duisburg und St. Pauli verabredet, mit denen ich die Tage verbrachte und unter anderem das alte Zentralstadion in der Innenstadt besuchte. Mehr als die 1000 Fans am Campingplatz waren auch nicht aus England angereist, da im Vorfeld durch das Auswärtige Amt eine Warnung zu möglichen Ausschreitungen ausgesprochen wurde. Außerdem wurde potentiellen Gewalttätern ohnehin die Ausreise verweigert. Übrig blieb also ein relativ junges Partyvolk, das überaus begeistert über die zusätzliche Unterstützung war. Inzwischen hat sich eine langjährige Freundschaft mit einigen der Engländer entwickelt. Noch heute besuche ich die Leute von Aston Villa gerne und freue mich, sie immer wieder in München begrüßen zu dürfen. Ich mag Turniere deshalb so gerne, weil sie ein toller Treffpunkt von Leuten aus der ganzen Welt sind, die alle dieselben Interessen haben: Fußball schauen und Bier trinken.

Campingplatz in Donezk
Campingplatz in Donezk

Viele Russen bei Frankreich – England

47.700 Zuschauer waren in der kurz vorher erbauten Donbass Arena und sahen ein ausgeglichenes 1:1 der Mannschaften von Franck Ribery und Steven Gerrard. Aus Frankreich waren quasi gar keine Fans angereist, das hatte aber auch niemand erwartet. Die Engländer machten sich vor allem bei ihrer Nationalhymne, sowie beim Treffer durch Lescott bemerkbar. Die klare Stimmungsoberhand hatten jedoch die Anhänger aus Russland: Bis zur Grenze sind es noch knapp 80 Kilometer, also machten viele Russen einen Tagesausflug, um hochklassigen Fußball zu sehen. Nicht nur einmal raunte also ein lautstarkes RUSSIA durchs weite Rund.

Nach dem Spiel ging ich mit Duisburg und St. Pauli noch Pizza essen und wir waren sehr erstaunt über die massenhaften Heiratsanträge, die wir von der anwesenden Damenwelt erhielten. Wir lehnten dankend ab. Da die U-Bahn leider nicht rechtzeitig bis zur EM fertig wurde, quetschten wir uns noch zu sechst in ein Taxi und fuhren zurück zum Campingacker, wo die Party der Engländer noch voll im Gange war.

Den folgenden Tag verbrachte ich mit Sightseeing. Der Spaziergang durch die alte kommunistische Industriestadt hatte sehr viel Charme. Mit dem Nachtzug ging es dann weiter ins 300 km entfernte Kharkiv, wo die deutsche Elf ihr Spiel gegen die Niederländer hatte.

Englische Fans in der DonbassArena
Englische Fans in der DonbassArena

Die Freude des Verlierens

Eine Fahrt mit dem Nachtzug durch ein ehemalig sowjetisches Land ist immer ein Erlebnis: Je nach Buchungsklasse teilen sich vier oder sechs Personen ein Abteil, wobei die Tickets immer vorher geordert werden müssen. Die Betten werden ausgeklappt, die Vorhänge zugezogen, und dann beginnt entweder die Nachtruhe, oder eine übles Gelage – je nachdem mit wem man sich das Abteil teilt.

Es ist immer wieder eine Überraschung, auf wen man bei so einer Fahrt trifft. Bei dieser Fahrt hatte ich Glück: Fünf junge Engländer aus Manchester wollten mit mir irgendein Würfel-Trinkspiel spielen. Die Engländer haben sich riesig gefreut, weil ich ständig verloren habe. Und ich habe mich gefreut, weil ich ihnen den Schnaps wegsaufen durfte!

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UEFA-Wegweiser in der Stadt
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