Nachdem Stefan in Teil 1 seines Grundhopping Trips durch die Ukraine in Donezk Station gemacht hatte, ging es anschließend weiter nach Kharkiv. Dort traf die deutsche Elf auf den orangenen Nachbarn aus den Niederlanden. Und nicht vergessen: Der Bericht wurde bereits vor der russischen Invasion erstellt. Die verwendeten Städtenamen entsprechen der damals gültigen Bezeichnung, welche üblicherweise an die russische Nennung angelehnt sind. Die korrekte – ukrainische – Schreibweise der Städte lautet Lwiw, Kyiv, Charkiw und Donezk.
Deutschland – Holland 2:1
13. Juni 2012, Metalist-Stadion Kharkiv
Vorrunde Gruppe B
23° Celsius zeigt die Bahnhofsuhr im ukrainischen Kharkiv schon um 5 Uhr morgens. Es wird ein verdammt heißer Tag werden, an dem die deutsche Elf auf den „Erzfeind“ aus Holland trifft. Zwei Jahre zuvor stand die Elf von Bert van Marwijk (mit ihren Stars van der Vaart, van Bommel und Robben) in Südafrika im Finale gegen Spanien, hat aber bei der laufenden EM sein Auftaktspiel gegen Dänemark überraschend mit 1:0 verloren. Als Gruppenkopf dürfen die Niederlande alle Spiele in Kharkiv austragen, demzufolge haben sich schon Tausende niederländische Schlachtenbummler in der Stadt eingenistet. Eine Unterkunft zu finden ist wieder schwer, letztendlich habe ich aber ein Bett in einer Studenten-WG gefunden, die ihre Wohnung zur EM kurzerhand zum Guerilla-Hostel umfunktioniert hat. Nicht wenige ganz normale Wohnungen werden in dieser Zeit zu Unterkünften für Fußballfans aus der ganzen Welt, aber ein WC und eine Dusche für 30 Leute ist auch für den erfahrenen Reisenden nahe an der Schmerzgrenze.
Kharkivs größte Sehenswürdigkeit ist der „Freiheitsplatz“. Europas größter Stadtplatz ist so groß wie zwölf Fußballfelder, und beherbergt die „UEFA Fanzone“. Fanzonen sind Erfindungen der großen Verbände UEFA und FIFA. Sie sollen während der Turniere die Fans bei lauter Musik und Sponsoren-Bier dazu animieren, richtig viele Fanartikel zu kaufen. Was an manchen Orten vielleicht eine ganz nette Idee sein kann, wirkt an dieser Stelle absolut surreal: Unter den wachsamen Augen einer riesigen Statue von Lenin versammeln sich tausende – in orange gekleidete – Menschen, trinken Budweiser Bier und grölen zu Musik vom Band.
Fanrekrutierung auf Reisen
In praller Mittagshitze sind noch kaum andere deutsche Fans auszumachen und so ziehen wir uns in naheliegende Pubs mit viel Sonnenschutz zurück und fangen langsam an, uns für das Spiel warm zu trinken. Im Zug habe ich Steffen aus Hannover kennengelernt und zusammen haben wir immer mehr andere Fans aufgegabelt, mit denen es eine lustige Runde wird. Irgendwann stellt uns der Wirt eines Irish Pubs sogar ein Fass Bier auf den Tisch. Steffen aus Hannover besucht aufgrund unseres Kennenlernens mittlerweile viele Löwenspiele und so ist unser Treffen ein gutes Beispiel dafür, dass Fußball über Vereinsgrenzen hinweg immer für Freundschaften und tolle Verbindungen sorgt.
Rund ums Stadion werden die deutschen Fans immer mehr und immer gesangsfreudiger, während die Unmengen an orangen Menschen dem übermäßigen Alkoholkonsum in praller Sonne Tribut zollen müssen. Im Stadion ist von den Feierbiestern nichts mehr zu hören. Auf den Rängen wie auf dem Platz geben die Deutschen den Ton an und das Spiel geht verdient mit 2:1 an die Elf von Jogi Löw. Auch das Metalist-Stadion in Kharkiv wurde für die EM generalsaniert: Mit Laufbahn und vollüberdacht gibt es in Deutschland meiner Meinung nach nichts Vergleichbares für etwa 40.000 Menschen. Der Heimverein Metalist Kharkiw spielt in diesem Stadion regelmäßig Europacup und durfte unter anderem 2013 Rapid Wien begrüßen. Außerdem nutzt das bereits bekannte Schachtar Donezk das Stadion als Ausweichstadion.
Holland fährt nach Hause
Wie viele deutsche Fans letztendlich beim östlichsten EM-Spiel der Nationalmannschafts-Geschichte anwesend waren, lässt sich nicht mehr festhalten, da aufgrund der unorganisierten Ticketvergabe viele Ukrainer in den deutschen Blöcke saßen. Geschätzt? Ich würde sagen 5.000. Nach dem 2:1-Sieg ist Holland ausgeschieden, während Deutschland nur noch 1 Punkt fürs Viertelfinale fehlt. Das nächste Spiel gegen Dänemark ist in Lviv an der polnischen Grenze.
Völlig erschöpft ging es zurück ins Guerilla-Hostel, wo ich mit Fußballfans aus Kanada ins Gespräch kam, die extra zum Turnier angereist waren. Den nächsten Tag nutze ich noch einmal für Sightseeing und werde von der freundlichen Masha von der Fanbotschaft in Kharkiv begleitet. Dankeschön.
Freundliche russische Hooligans
Die nächste Nachtzugreise führt mich in die Hauptstadt Kiew und ich bin schon auf meine Abteilgesellschaft gespannt: Heute sind es drei russische Hooligans aus St. Petersburg. Am Vortag zu unserem Spiel nämlich traf Russland in Warschau auf Polen, was schwere Ausschreitungen mit sich brachte. Die drei Herren, die ich in die Kategorie Bulldozer verortete, entschieden sich also kurzerhand nach Polen zu fahren, um die Dinge wieder „geradezurücken“. Ich entschied mich dazu, den Dreien schnell mitzuteilen, dass von mir (Sorte: Handtuch) keine Gefahr ausging, und wir tranken trotz sprachlicher Differenzen schnell Nastrowje auf die Friendship! Schon wieder eine durchzechte Nacht. Oh Fußball, wie ich dich liebe!
Teil 1
Teil 2 (dieser Artikel)
Teil 3