Ein herzliches Grüß Gott zur Taktiktafel vor dem Spiel Rot-Weiss Essen – TSV 1860 München. Die Essener können sich mit einem Sieg auf einen Punkt an den Tabellendritten heranpirschen. Die Sechzger wiederum könnten sich mit einem Zähler aller Abstiegssorgen entledigen. Was erwartet Sechzig in Essen?

Zum Auftakt des 37.Spieltags trifft Rot-Weiss Essen heute abend auf den TSV 1860 München. Es trifft der Meister des Jahres 1966 auf den Aufsteiger in die Bundesliga desselben Jahres. Vor 58 Jahren fand dieses Duell noch im Oberhaus statt. Seither trafen die beiden Vereine weitere 14 Mal aufeinander, lediglich einmal war Rot-Weiss Essen siegreich. Acht Duelle entschieden unsere Löwen für sich, sechs Mal wurden die Punkte geteilt.

Christoph Dabrowski lässt seine Rot-Weißen in dieser Saison bis auf zwei Ausnahmen immer im 4-2-3-1 System antreten. Dabei hat sich seit dem Aufeinandertreffen im Nachholspiel im Februar nicht viel an der generellen Herangehensweise der Essener verändert. Allerdings ist deutlich zu erkennen, dass Essen die Abläufe in der Offensive weiter verbessern konnte und gleichzeitig beim Aufbau variabler agiert. RWE verschiebt bei Ballbesitz nun nicht nur asymmetrisch auf ein 3-4-3, sondern agiert auch über eine 2-3 Formation, bei der beide Außenverteidiger auf die Höhe des tiefen Sechsers vorschieben. Wenn der Gegner hoch und breit presst, sieht man eher die Variante mit der asymmetrischen Verschiebung. Bei Mittelfeldpressing des Gegners wählen die Essener die offensivere 2-3 Formation im Aufbau.

Um den Gegner zu attackieren, kann Essen also auf verschiedene Formen des Aufbaus in der Frühphase zurückgreifen. Auch in der weiteren Progression hat Essen nicht wirklich etwas Neues parat, aber eine feinere Klinge in der Ausführung.

Gegen den Ball steht Essen im Pressing in der Regel hoch bis sehr hoch mit zwei Spielern, die bei Pässen auf einen Flügelverteidiger durch den Mittelfeldaußenspieler unterstützt werden. Die Defensivlinie steht bei den Rot-Weißen gern an das hohe Pressing angepasst fast an der Mittellinie.

Bevor wir zur genaueren Spielweise der Essener kommen, wie üblich zunächst die statistischen Werte von Rot-Weiss Essen.

Statistische Werte der Essener

  • Ballbesitz 55%
  • Passgenauigkeit 82%
  • defensive Zweikampfquote 60%
  • Flankengenauigkeit 35%
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion) 9,78

Wie spielt RWE?

Offensiv

Die Spieleröffnung der Essener erfolgt wie weiter oben schon geschrieben mittlerweile variabel.

Variante A

Nach Überspielen der gegnerischen Pressinglinie versucht Essen durch schnelles Passspiel zwischen die Linien zu kommen und so Spieler aus der tieferen Kette zu locken, um dann genau diesen freigewordenen Raum zu nutzen. Zwischen den Linien früh ins Zentrum zu kommen ist der Plan A der Essener. Dort werden dann durch taktisch kluges Pass- und Laufspiel Räume kreiert, die dann für die steile Penetration der Box genutzt werden sollen.

Variante B

Sollte Plan A nicht funktionieren, sieht Plan B vor, dass der Ball aus der Halbposition auf den Flügel gebracht wird, um dann etwas tiefer in der gegnerischen Hälfte den Versuch sich zwischen die Linien zu spielen erneut zu wagen. Von dort wird mit flachen Pässen gearbeitet, um den Spielern in den Halbräumen das Leder in den Lauf zu spielen, damit beim Vorrücken zwischen die Linien die Dynamik nicht verloren geht.

Variante C

Plan C der Essener kommt gegen gut gestaffelte Teams, die den Ball aus dem Zentrum fernhalten können, häufig zum Einsatz. Dabei bleibt der Ball auf dem Flügel und wird dann entweder per Flanke oder wieder über einen Pass, in dem Fall meist ein steiler oder diagonaler Rückpass zwischen die Linien, weitergeleitet. Speziell aus diesen Pässen in Plan C entwickeln sich prekäre Situationen, da es den Endphasen von Plan A ähnelt, der ganz klar die bevorzugte Angriffsvariante der Essener ist.

Findet man durch eine der drei Varianten, die man im Köcher hat, zwischen die Linien und etabliert sich dort, ist vertikales Kombinationsspiel der nächste Schritt, um die Box zu penetrieren. Dabei verschieben die Spieler in der Offensivformation die Positionen sehr variabel.

Essen ist sich nicht zu schade einen laufenden Angriff abzubrechen und neu aufzubauen, sofern die Situation es verlangt. Dadurch, dass sich meistens zwei Spieler zwischen den Linien des Gegners befinden, die versuchen sich anzubieten und auch Rochaden in der Spitze oft kleine Lücken reißen, in die ein Pass gespielt werden kann, ist das nur extrem selten der Fall.

Die Linien des Gegners

Bei Essen geben weniger die Zonen auf dem Spielfeld das Angriffsverhalten der eigenen Mannschaft in jeder Situation wieder, sondern vielmehr die Positionierung der Linien des Gegners.

Gelingt die Strafraumpenetration, bringt Essen mit drei zentralen Spielern in der Spitze durch die Verschiebung aus der Zentrale und der ballfernen Mittelfeldaußenposition sowie dem nachrückenden Box-to-Box Spieler dahinter immer gehörig Unruhe in den gegnerischen Strafraum. Diese Spieler sollen für die Tore sorgen. Für mich wirken die Essener nach wie vor dann am gefährlichsten, wenn die Angriffe über die Halbpositionen oder das Zentrum lanciert werden und sie in dieses vertikale Kombinationsspiel kommen, bei dem das Zentrale Duo Müsel – Harenbrock meist die entscheidende Rolle spielt.

Nahe der gegnerischen Box bringen schnelle Passkombinationen die gegnerische Abwehr häufig durcheinander.

Gegen den Ball

Vor allem zuhause setzen die Essener gerne auf aggressives Pressing auf den Aufbau und lassen auch nicht locker, falls die Pressinglinie durch den Gegner überspielt wird. Essen will Umschaltmomente herstellen, um so die volle Effektivität der eigenen Offensive zur Geltung zu bringen.

Schafft es der Gegner das letzte Drittel der Rot-Weissen zu erreichen und sich dort festzusetzen, zeigt sich Essen gerne auch aggressiv und schreckt vor gröberen Attacken auf den Ballführenden nicht zurück. Nie verfallen die Essener dabei in Unfairness oder dreckiges Spiel. Gesunde Härte aus dem Pott sozusagen.

Die Spieler der Essener wissen auch was im Stellungsspiel von ihnen erwartet wird. Das Verhältnis zwischen abgefangenen Pässen und gegnerischem Ballbesitz ist im vorderen Tabellendrittel lediglich bei Dresden besser.

Wie kann man Essen knacken?

Bei Ballbesitz

So wie Rot-Weiss Essen zuhause auftritt kann der TSV 1860 München dort nur erfolgreich sein, wenn er selbst auch das Heil in der Offensive sucht. Nach dem Motto lieber ein 4:4 als ein 0:0 bin ich der Meinung, dass die Sechzger in Essen mit offenem Visier auftreten müssen.

Offenes Visier soll natürlich nicht heißen, dass man das eigene Tor zur Schießbude erklärt. Aber wer in Essen nicht selbst offensiv und torhungrig auftritt, den verspeisen die Gastgeber.

Das Spiel über eine breitgefächerte Offensive mit einem freien Zehner hinter zwei Spitzen, einem offensiven Box-to-Box Spieler in der Halbposition und einem spielenden Sechser vor der Abwehrkette könnte die notwendige Dynamik für den TSV 1860 bringen.

Gegen den Ball

Gegen den Ball wird es für die Mannschaft des TSV 1860 München vor allem wichtig sein, die Dynamik von Rot-Weiss Essen bei der Progression herauszunehmen. Durch die vertikalen Kombinationen, bei denen der Passgeber immer mit aufrückt und so anspielbar bleibt sowie häufig direkt auch wieder angespielt wird, ergeben sich hochfrequente Angriffe, die eine Abwehr wegen der vertikalen Verschiebungen oft auseinanderreißen.

Von diesen Vor- und Zurückbewegungen in den zentralen Bereichen des Spielfelds darf sich die Abwehr nicht aus der Ruhe bringen lassen. Wer gegen die Essener jede Bewegung des Gegners mitmacht, geht Essen auf den Leim. Statisch, gut gestaffelt, mit klaren Zuordnungen und klaren Zuordnungsbegrenzungen muss man die Rot-Weissen mit Ruhe erwarten und sich nicht auf deren Spiel einlassen.

Stärken und Schwächen des 4-2-3-1

Die Stärken

Gegen den Ball ist das 4-2-3-1 in der Zentrale und Richtung eigener Box sehr kompakt. Es gibt den Gegnern kaum Raum, um dort vernünftiges Passkombinationsspiel aufzuziehen. Auch gegen zwei oder drei Stürmer ist man durch die beiden defensiven Mittelfeldspieler gut abgesichert.

Nach Balleroberung kann das Spiel über die beiden Sechser relativ variabel gestaltet werden. Sowohl über die Flügel als auch über das Zentrum sind schnelle Angriffe möglich, wenn man die Lücken im Raum schnell erfasst und alle Offensivspieler ihre Laufwege situationsbedingt richtig anlegen. Oft schaltet sich einer der beiden Sechser auch aktiv und nicht nur als Ballverteiler in das Offensivspiel mit ein. Dadurch wird die Offensive als Ganzes schwerer auszurechnen.

Die Schwächen

Gegen den Ball ist ein Gegner, der gern über die Flügel angreift schwer zu kontrollieren, da die Wege, um einen Spieler zu doppeln relativ weit sind. Zudem wird die Doppelung vom Angreifer oft schon erkannt, wenn sich der doppelnde Gegner aus seiner taktischen Grundposition löst. Das führt bei guter Spielübersicht und genauem Passspiel zu viel Raum für die angreifende Mannschaft.

Die Mittelfeldspieler auf den Außenpositionen müssen außerdem ein extrem hohes Laufpensum bewältigen, wenn sie die gegnerischen Flügel unter Kontrolle halten wollen. Im Spiel nach vorn ist vor allem das Fehlen eines zweiten Stürmers ein großes Manko, da sich für den Spieler in der Sturmzentrale somit nur wenig Raum zur Entfaltung seiner Fähigkeiten bietet. Deshalb sind torgefährliche Mittelfeldspieler, die mit aufrücken, zwingend erforderlich, um im 4-2-3-1 erfolgreich zu sein.

Schlüsselspieler

Tor

Jakob Golz (#1) ist im Torhüterranking die Nummer zwei der Liga. In Puncto Strafraumbeherrschung macht ihm in der Liga keiner etwas vor. In allen anderen für die Position wichtigen Statistiken liegt er knapp hinter der Nummer eins im Torwartranking.

Das macht Golz zu einem soliden Rückhalt seiner Mannschaft. Der 25-jährige Keeper hat keine großartigen Schwächen und in Essen muss man meistens den Schuldigen weiter vorne suchen, wenn er einen Treffer kassiert.

Abwehr

Felix Götze (#24) ist der beste Innenverteidiger der Essener. Er ist nicht unbedingt eine Maschine, was den defensiven Zweikampf betrifft, aber das braucht Götze mit seiner Übersicht und dem guten Stellungsspiel auch nicht zu sein. Jose Rios-Alonso (#23) ist der Mann fürs Grobe. Während Götze wie gesagt viel über das Stellungsspiel erledigt, räumt Rios-Alonso die Gegner in den direkten Duellen weg. 71% seiner Defensivduelle gewinnt der Spanier für RWE. Die Spieleröffnung obliegt dann wieder Götze, dessen Präzision im Passspiel und Übersicht bei der Entwicklung von Spielzügen hier für Essen ein großer Vorteil ist.

Mittelfeld

Torben Müsel (#26) ist beim frühen Aufbau der wichtigste Spieler dieses Mannschaftsteils. Allerdings wäre Müsel ohne seinen Partner im Zentrum davor, Cedric Harenbrock (#8), der auch der offensive Kopf des Essener Spiels ist, nur halb so effektiv. Im Zusammenspiel können die beiden bis ins letzte Drittel auch ohne zusätzliche Hilfe den Ton angeben.

Beide Spieler haben beim schnellen Kombinationsspiel im Zentrum von Rot-Weiss tragende Rollen. Harenbrock ist der Spieler, der unter Kontrolle gebracht werden muss. Kann man ihn kalt stellen, ist Essens Kreativität im Zentrum stark beeinträchtigt.

Mittelfeldaußen beziehungsweise bei der Art und Weise, wie Essen offensiv verschiebt eigentlich eher rechter Außenstürmer Marvin Obuz (#11) ist mit 14 Vorlagen und sieben Toren Topscorer der Gastgeber. Wenn er nach innen zieht und im Zusammenspiel mit seinen Mitspielern Abwehrreihen aushebelt, brennt es beim Gegner meist lichterloh. Seine Schussgenauigkeit liegt bei exzellenten 52%.

Sturm

Leonardo Vonic (#11) hat bisher zwar lediglich sechs Tore auf dem Konto, aber er ist nicht nur wegen seiner Qualitäten als Torjäger, sondern auch wegen seiner uneigennützigen Spielweise dort im Sturm gesetzt. Zusätzlich zu seinen sechs Treffern hat er auch schon sechs Mal den Ball für seine Mitspieler aufgelegt. Seine Schussgenauigkeit liegt bei guten 46%, seine Passgenauigkeit ist für einen Spieler auf seiner Position überragend und auch im Dribbling ist seine Quote auf exzellentem Niveau.

Fazit: holt der TSV 1860 gegen Rot-Weiss Essen Punkte?

Rot-Weiss Essen über 90 Minuten defensiv zu kontrollieren wird dem TSV 1860 München sicherlich nicht gelingen. Also bleibt als beste Verteidigung nur der Angriff.

Wir werden sehen, ob das gelingt. Ich wünsche mir natürlich drei Punkte. Aber was ich unbedingt wieder sehen möchte ist – ganz unabhängig vom Ergebnis – eine Mannschaft, die es schafft sich über die gesamte Spielzeit so zu verhalten wie im Hinspiel gegen Essen. Damit meine ich vor allem die Tugenden, die eine Löwenmannschaft ausmachen sollten. Kampfbereitschaft, Einsatzwille und Zusammenspiel.

Also, liebe Sechzger auf dem Feld: reißt’s Euch zamm und macht den Klassenerhalt ein für alle mal perfekt.

So könnte Essen beginnen

Datenquelle: Wyscout

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