Seit März muss unsere Gesellschaft mit einer Situation umgehen, die so niemand vorhergesehen hat. Gegen Ende März war mir mein Sport und die beste Nebensache der Welt so fern wie noch nie zuvor. Die beste Nebensache der Welt. Genau das wurde mir in dieser Situation bewusst. Es war einfach mal an der Zeit einzusehen, dass es nicht nur Fußball auf dem runden Erdball gibt. Doch es gab auch andere Stimmen, die das nicht so sahen wie ich. Relativ schnell standen da ein Herr Rummenigge oder ein Herr Watzke gefühlt jeden Tag vor einem anderen Mikrofon und klagten ihr Leid. Klagten, während die ersten Personen und Firmen ihre Insolvenzen anmeldeten. Klagten, damit der nächste Spieltag noch über die Bühne gehen kann und die nächste Ratenzahlung der TV-Sender fällig wäre. Mitten im ersten Lockdown führten die Seitenstraßler und ihr Torwart eine Gehaltsverhandlung in der Öffentlichkeit, 20 Millionen Euro pro Jahr wurden ausgerufen. Was für eine Summe – nicht nur während Corona-Zeiten. Schalke rief nach kurzer Zeit um Hilfe, sie würden es nicht mehr lange schaffen. Vedad Ibisevic stachelte seine Mannschaftskameraden bei der Hertha aus Berlin an, damit sie ja nicht auf einen Teil ihres Gehalts verzichteten. Ich wollte mit all dem nichts mehr zu tun haben.

Klar, diese Leute verdienen damit ihr Geld und dazu gehören nicht nur diejenigen, die sich der Presse stellen und die Fragen der Journalisten beantworten. Doch wie kann es sein, dass dieser Fußball, mein Sport, sich so weit weg von der Basis entfernt hat? Wie kann es sein, dass nicht mehr der Fan im Stadion von Interesse ist, sondern lediglich der Zuschauer und der Konsument vor dem Bildschirm daheim? Wie kann es sein, dass ein Manuel Neuer oder ein Vedad Ibisevic jeden Cent aus ihren Vereinen saugen wollen? Wie kann es sein, dass ein Verein wie Schalke 04 nach kurzer Zeit nahezu bankrott ist? Das alles waren Fragen, die ich mir im März stellte. Mit der Zeit beruhigte sich die Situation und ich kam nach und nach zu meinem Sport zurück. Doch Änderungen gab es keine.

Wir befinden uns mittlerweile im November. Gestern trafen sich 15 Vereine auf Einladung von Karl-Heinz Rummenigge, um sich unter anderem um die Fernsehgeldverteilung für die kommenden Jahre abzusprechen. Jedenfalls wurde das im Vornherein vermutet. Es geht dabei um satte 4,4 Milliarden Euro, die für die kommenden vier Spielzeiten fließen. Ausgeschlossen von diesem Treffen wurden die Erstligisten aus Mainz, Stuttgart, Augsburg und Bielefeld. Diese vier hatten gemeinsam mit zehn Zweitligisten im Vorfeld mit einem Positionspapier Stellung bezogen, in dem eine gleichmäßigere Verteilung gefordert wurde. Das kann durchaus auch als Alleingang gewertet werden; ob es aber gleichzeitig einen solchen Denkzettel in Form einer Ausladung braucht, darf hinterfragt werden. Tatsächlich ging es dann nämlich gar nicht so wirklich um die Verteilung der Fernsehgelder. Warum sollten die Roten darüber auch reden wollen? Sie kriegen ja bereits jetzt am meisten und sind folglich für Reformen eher weniger zu haben. Wir sprechen hier vom armen FCB, der im Geschäftsjahr 2018/19 mit nur 52,5 Millionen Euro Gewinn einen neuen Rekord aufstellte (+78% im Vergleich zum Vorjahr). Da gibt es natürlich keine Möglichkeit, etwas mehr vom Kuchen abzugeben. Im Endeffekt ging es bei dem Treffen dann eher um andere Themen, grob gesagt um die Zukunft des deutschen Profifußballs. 15 von 36 Vereinen besprechen diese zusammen; wieviel Sinn das macht, kann jeder für sich selbst entscheiden. Übrigens wurden auch die DFL und der DFB nicht zu diesem Treffen eingeladen.

Allein der DFB zählt über 7 Millionen Mitglieder. Sind diese nicht auch ein Teil dieser Zukunft? Haben diese nicht auch in gewisser Weise ein Mitspracherecht? Der DFB darf sich schon lange den Vorwurf anhören, er entferne sich immer mehr von seiner Basis. 7 Millionen Mitglieder, das ist die Basis. Doch Geld gibt es hier eben keines zu holen. Die künstlich zur „Die Mannschaft“ erklärte Nationalelf lockt sowieso schon länger keinen mehr hinter dem Ofen hervor. Mittlerweile hat man sich zumindest im Rahmen der Taskforce „Zukunft Profifußball“ an einen Tisch gesetzt. Durch den Vorstoß der Profivereine wird die Sinnhaftigkeit dieser gerade erst geschaffenen Einheit bereits kurz nach ihrer Gründung komplett hinterfragt. Was kann man in diesem kaputten System Fußball überhaupt erreichen?

Die Drittligisten sind im Übrigen kein Teil der Diskussion. Sie sind schließlich auch nicht Nutznießer der 4,4 Milliarden Euro, um die es geht. Hier zählt in gewisser Weise tatsächlich noch der Fan, denn die Zuschauereinnahmen machen bis zu 20% der Einkünfte aus. Das macht die Angelegenheit umso brisanter, weil diese Einnahmen auf absehbare Zeit fehlen werden. Es bleibt spannend und fraglich ist, wann die Zukunft des deutschen Fußball mit allen diskutiert wird und nicht nur mit den 36 Vereinen der ersten und zweiten Liga. Sondern noch mit über 24.000 anderen. Hoffentlich ist es dann nicht bereits zu spät. Vedad Ibisevic geht mit gutem Beispiel voran. Nach seiner mangelnden Einsicht beim Thema Gehaltsverzicht spielt er nun auf Schalke quasi ohne Grundgehalt. Den Betrag, den er aus Versicherungsgründen erhält, möchte er spenden. Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung im großen Business Fußball.

 

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