Herzlich Willkommen zur Taktiktafelanalyse des Spiels TSV 1860 München gegen den Halleschen FC. Kartenspiele auf Giesings Höhen könnte man dieses Spiel auch untertiteln. Die an einen automatischen Toaster erinnernde Brusttasche des Herren in Schwarz aus der bei quasi jedem Pfiff die gelbe Karte sprang, war nach dem Spiel das Hauptthema rund um das Stadion.

TSV 1860 – Hallescher FC hieß die Begegnung am Freitagabend im Sechzgerstadion. Die Fans im Stadion sahen die Löwen wie gewohnt im 4-1-4-1 mit Deichmann und Kobylanski in der offensiven Mittelfeldzentrale, die sich beide situationsabhängig in der Box-to-Box Rolle abwechselten um Rieder gegen den Ball zu unterstützen. Bei eigenem Ballbesitz spielten die Sechzger vorwiegend mit rechtsgependeltem Außenverteidiger, um aus der 4-1-4-1 Formation ein 3-4-1-2 oder 3-4-3 herzustellen. Beim Halleschen FC war der Plan in einer massiven 5-3-2 Grundformation tief zu stehen und bei Ballgewinn mit schnellem Spiel in den Umschaltsituationen vorzustoßen. Im Positionsspiel, wenn sie ins letzte Drittel vordrangen, verschob Halle auf 3-4-3 (3-4-1-2).

Hohe Pressinglinie und variable Defensivlinie bei den Löwen, beide Linien tief bei Halle. So sah zu Beginn der Plan der Teams gegen den Ball aus.

Kommen wir aber wie immer zunächst zu den wichtigsten statistischen Werten der Partie TSV 1860 – Hallescher FC.

Die statistischen Werte im Spiel TSV 1860 – Hallescher FC

  • Ballbesitz TSV 1860 50% – HFC 50%
  • Passgenauigkeit TSV 1860 82% – HFC 81%
  • defensive Zweikampfquote TSV 1860 57% – HFC 61%
  • Schüsse/aufs Tor TSV 1860 12/6 – HFC 12/4
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion) TSV 1860 7,45 – HFC 11,48

Analyse der statistischen Werte

Ballbesitz

Es gibt immer ein erstes Mal. Am Freitag war es soweit: zum ersten Mal, seit ich diese Rubrik schreibe, zeigt die Statistik beim Ballbesitz ein ausgeglichenes Verhältnis in einem Spiel. Und das trotz zeitweiliger Überzahl der Löwen nach dem ersten Platzverweis in dieser Partie gegen Deniz. Da fragt man sich natürlich sofort: hat Halle risikolos gespielt und sich bei eigenem Ballbesitz in der eigenen Spielfeldhälfte versteckt oder war es tatsächlich über das komplette Spielfeld ausgeglichener Ballbesitz? Die Antwort lautet, dass Halle versucht hat mitzuspielen, sich nicht versteckt hat und bei jeder Balleroberung probierte den vorgegebenen Matchplan umzusetzen, schnell nach vorn zu spielen.

Und das gelang den Hallensern besser als man es vor der Partie vermuten wollte. Vor allem auch deshalb, weil Halle die in den vorherigen Partien fehlende Präzision im Passspiel endlich gefunden hatte.

So gut dann aber auch wieder nicht. Sieht man sich an, wie viele der Hallenser Ballbesitzphasen in der eigenen Spielfeldhälfte wieder endeten, sind die Feldvorteile klar auf Seiten des TSV 1860 München. 58 Prozent aller Ballbesitzphasen des FC Halle endeten bevor das Leder die Mittellinie überquert hatte.

Somit entwickelte sich ein durchaus ansehnliches Drittligafußballspiel.

Passgenauigkeit

Die höhere Präzision bei den Pässen, die für Raumgewinn sorgten, hatten tatsächlich die Gäste – allerdings nur dann, wenn es um die kürzeren Pässe geht. Bei Pässen für großen Raumgewinn, den sogenannten progressiven Pässen, hatten die Sechzger die Nase weit vorn.

In dieser Rubrik führen die Hausherren in der Partie TSV 1860 – Hallescher FC gegenüber den Gästen mit 80 : 65 Prozent.

Auch die Präzision im und ins letzte Drittel war beim TSV 1860 um einiges höher. Das spiegelt sich in der Rubrik Ballkontakte in der Box wider. Hatte Halle insgesamt zehn Ballkontakte in der gegnerischen Box, kommen die Sechzger mit 21 auf mehr als doppelt so viele.

Kommen wir zu den Defensivzweikämpfen und deren Quoten und was diese mit Blick auf das Spiel aussagen.

Defensive Zweikampfquote

Relativ gesehen ist hier Halle vier Prozentpunkte im Vorteil. Nehmen wir die nackten Zahlen, haben die Sechzger mit 75 Defensivduellen insgesamt mehr Zweikämpfe geführt als Halle und mit 43 auch mehr Zweikämpfe insgesamt gewonnen. Nur das relative Verhältnis sieht Halle hier vorn und könnte so zu der Annahme verleiten, Halle hätte insgesamt eine bessere Defensivleistung als die Löwen gezeigt. Dem ist nicht so.

Vor allem in den entscheidenden Zonen hatten die Hallenser bei den defensiven Zweikämpfen das Nachsehen. Die Sechzger spielten in vielen Situationen so zügig, dass die Spieler des HFC dem Geschehen bis ins eigene letzte Drittel nur hinterherlaufen konnten und gar nicht erst in die Zweikämpfe kamen. Hier kommt wieder die hohe Präzision im progressiven Passspiel auf den Plan. Diese hohe Präzision auf Seiten der Löwen und die dadurch verursachten Probleme für Halle gegen den Ball Räume wieder richtig zu besetzen führten im Endeffekt dazu, dass Halle nicht so oft in Zweikämpfe hineinkam.

Ganz anders die Sechzger. Die Spieler des TSV 1860 München standen meist richtig, antizipierten die Passwege des FC Halle gut und hatten kaum Probleme im Stellungsspiel. Wenn ein Defensivzweikampf verloren geht, dieser aber aufgrund von Nacharbeit im zweiten Versuch mithilfe eines Mitspielers durch Nachsetzen oder aufgrund des ausgeübten Drucks per abgefangenem Pass dennoch im Nachgang zu einer Balleroberung führt, ist der verlorene Zweikampf dann noch verloren? Statistisch sicher. Setzt man aber hier die Statistik in den richtigen Kontext, ändert sich das vermeintlich offensichtliche Resultat und verkehrt sich zum Gegenteil.

Kommen wir nun dazu, worum es beim Fußball wirklich geht. Die Torschüsse und deren Folgen.

Schüsse/aufs Tor

Die Statistik sagt hier beide Mannschaften haben zwölf Schüsse abgegeben. Die Sechzger bekamen die Hälfte ihrer Schüsse so auf den Kasten, dass Torhüter Gebhardt eingreifen musste. Halle hingegen hatte nur bei einem Drittel aller Schüsse die nötige Schussgenauigkeit an den Tag zu legen, um Hiller Arbeit zu verschaffen.

Die Hälfte aller Schüsse, die der TSV 1860 München aufs Tor brachte, schlugen in den Maschen ein. Ein Viertel bei Halle.

Das hat vor allem den Grund, dass die Spieler des TSV 1860 München in die Box kommen und dort abschließen und nicht wie die Gegner ihr Glück aus der zweiten Reihe suchen müssen. Bei diesen Schüssen ist das Verhältnis eklatant. 11:1 Schüsse aus der Box beim TSV 1860 stehen einem Verhältnis von 6:6 bei Halle gegenüber. Den Ball in den Strafraum bringen bedeutet Stress für den Gegner. Stress führt unweigerlich früher oder später zu Fehlern. Wer mehr Stress verursacht, sorgt für mehr Fehler beim Gegner und kommt so zu besseren Chancen.

Eigentlich ist es eine einfache Rechnung. Diese Rechnung kommt aber zum Schluss auch wieder auf den Nenner, dass die Präzision beim progressiven Passspiel der Schlüssel ist, um solche Situationen zu kreieren. Wenn man es nicht schaffen würde Spieler aus ihren Positionen zu ziehen, um Räume zu öffnen, gäbe es kaum Strafraumszenen und wenn wären es meist Zufallsprodukte.

Die Fähigkeit dieser Mannschaft Strafraumsituationen zu kreieren ist tatsächlich beeindruckend.

PPDA

Die gute Pressingintensität von 7,45 gegenüber 11,48 der Hallenser spiegelt sich auch in der oben schon erwähnten Statistik der in die gegnerische Spielfeldhälfte gebrachten eigenen Angriffe bzw. Ballbesitzphasen die in der gegnerischen Spielfeldhälfte endeten wider.

Die Pressingaufgaben wurden konsequent erledigt. Halle hatte möglicherweise seine Lehren aus den vorangegangenen Spielen des TSV gezogen, wo man sehen konnte, wie gut die Pressingfallen der Sechzger beim langen Ball funktionieren und deshalb vermehrt versucht sich durchs Mittelfeld zu kombinieren.

Diese Idee war sicherlich das richtige Rezept für Halle. Um im Küchenjargon zu bleiben muss man aber auch sagen, dass es für die Köche aus Sachsen-Anhalt ein zu kompliziertes Rezept war. Die Sechzger pressten vorne gut im Raum und ließen im Mittelfeld kaum mehr als zwei Ballkontakte nach der Spieleröffnung aus der Hallenser Abwehr heraus zu.

Interessant zu sehen ist, dass die Tore des TSV 1860 München immer in Phasen fielen in denen Halle versuchte beim Pressing Druck auszuüben und etwas forscher zu Werke zu gehen.

Man sieht daran unter anderem, dass das Aufbauspiel des TSV 1860 auch unter Druck gut funktioniert. Wenn der Gegner presst und man selbst die Linie gut überspielt ergeben sich Dysbalancen im Spielverhältnis der einzelnen Zonen. So entstehen auch ausnutzbare Räume. Womit wir wieder bei den präzisen Vorwärtspässen für großen Raumgewinn wären.

Die Tore

Die vier Tore sind hier noch einmal zu bewundern.

Näher eingehen möchte ich allerdings heute wieder nur auf ein Tor. Das Gegentor für die Sechzger durch Halle in der 74. Minute durch Bolyki. Dem Kopfballtreffer des an den langen Pfosten aus dem Hintergrund einlaufenden Bolyki ging eine Flanke von Gayret voraus, die eindeutig verhindert hätte werden können. Was war der Fehler?

Fabian Greilinger steht tief an der Grundlinie etwa zwei Meter von Gayret entfernt und wartet ab, was dieser vorhet. Lex, der hinzukommt, entscheidet sich in dieser Situation dafür den Winkel für einen Pass an die Strafraumkante zu verkürzen und Gayret diese Möglichkeit eines Abspiels zu nehmen. Möglicherweise wäre es hier klüger gewesen direkt zu attackieren. Als Lex die Position einnimmt, um den Pass an die Strafraumgrenze zu verhindern, hätte Greilinger sofort attackieren müssen, um Gayret unter Druck zu setzen. Den Moment hat er verpasst. So kann Gayret in die Mitte flanken und Bolyki vollenden.

Fehler ja, oder Nein?

Es war eine Entscheidung, die Greilinger innerhalb einer Zehntelsekunde hätte treffen und umsetzen müssen als Lex das Tempo herausnimmt. Hier einen Fehler zu sehen ist für mich tatsächlich schwer. Dass die Flanke dann auch noch Bolykis Kopf trifft ist ein weiterer Faktor, der nicht unerheblich ist.

Tatsache ist: mit der richtigen Aktion im richtigen Moment hätte die Flanke verhindert werden können. Schaut man genau auf die Situation und die Reaktion der Spieler könnte man von einem Missverständnis in der Defensivabstimmung ausgehen. Das wäre mir die allerliebste Variante, denn dass das nicht wieder vorkommt kann man durch zwei Sätze noch im Spiel klären.

Was fiel auf?

Traumtor von Kobylanski

Der Volleyschuss von Kobylanski aus etwa 13 m war ein Genuss inklusive der Vorarbeit nach einer missglückten Kopfballabwehr von Reddemann durch Stefan Lex, der Kobylanski den Ball per Außenristpass aufgelegt hat.

Traumpass Boyamba – Willenstor von Deichmann

Ein Traumpass anderer Fasson, diesmal offensichtlicher und nicht von Lex sondern von Joe Boyamba und nicht zurück sondern in den Lauf in die Schnittstelle durch die Beine des Gegenspielers hindurch war der Auftakt zum Tor des Willens von Yannick Deichmann. Dass Deichmanns erster Versuch beim Abschluss geblockt wurde und er den zweiten doch noch über die selbe “Bande”, die zuerst noch den Treffer verhindert hatte versenken konnte war kein Glück, das war Wille pur. Toll gemacht.

Hiller wieder überragend

Zwar nicht zu Null gespielt wie in den drei Spielen zuvor, aber trotzdem mit einem großartigen Spiel. Hiller zeigte gute Reaktionen, wenn der Gegner gefährlich vor dem Kasten war und einen Wahnsinnsreflex in der 91. Minute. Bolyki kam in der kleinen Box nach einer Flanke aus dem rechten Halbfeld abermals gefährlich zum Abschluss. Sechzigs Nummer eins parierte hervorragend. Beim Gegentor war er absolut chancenlos.

Nichts macht die Sechzger nervös

Egal ob Gegentreffer, gelbe Karten oder gar rote Karten – die Sechzger schmeißt nichts aus der Bahn. Die Selbstverständlichkeit, mit der diese Mannschaft ihr Spiel durchzieht und dabei noch attraktiven Fußball spielt, ist beeindruckend.

Fazit

Ein verdienter Sieg für die Löwen im Spiel TSV 1860 – Hallescher FC. Halle hat sich als Gegner präsentiert, der sich gegenüber seinen vorangegangenen Spielen um Längen verbessert hat.

Die seltsamen, teilweise nicht nachvollziehbaren Entscheidungen des Schiedsrichters überschatteten ein in dem Rahmen, den der Unparteiische zuließ, gutes Drittligaspiel. Es bestand nie ein Zweifel, wer Herr im Haus ist. Zumindest wenn man nur die Mannschaften betrachtet. Herr auf dem Platz war logischerweise der Schiedsrichter. Das zeigte dieser jedem ganz deutlich. Man muss ihm zu Gute halten, dass er seine seltsame Linie nicht eingleisig fuhr. Er benachteiligte beide Teams gleichermaßen.

Ich denke alle sind zufrieden mit dem, was die Sechzger am Freitagabend geboten haben. Wie ein Uhrwerk ziehen die Löwen ihr Offensivspiel auf. Gegen jeden Gegner bisher, egal ob der tief oder hoch steht, findet man Lösungen und diese sehen selten zufällig aus.

Datenquelle: wyscout

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Darock

Ich lese deine Analysen sehr gerne, hilft mir sehr mehr Verständnis für die Taktik zu bekommen. 🙂

Siggi

Und wieder einmal herzlichen Dank für die informative Taktiktafelanalyse!