Aaron Berzel wurde von den Fans des TSV 1860 nach dem Aufstieg 2018 buchstäblich auf den Händen vom Stadion zum Trainingsgelände getragen. Als 2019 eine weitere Saison bei den Löwen an den finanziellen Möglichkeiten des Vereines zu scheitern drohte, sprangen mehrere Gönner ein, um eine Weiterbeschäftigung zu ermöglichen.
2020 ist die Lage beim TSV 1860 nicht zuletzt durch Corona noch angespannter – dieses Mal endet die Spielzeit von Aaron Berzel beim TSV 1860: Er unterschreibt beim Münchner Aufsteiger TürkGücü und verabschiedet sich mit einem emotionalen Instagram Post.
sechzger.de traf sich mit Aaron Berzel zum Interview im Giesinger Garten – bei herrlichem Wetter unter schattigen Kastanien ging das Interview im Gegensatz zu einem Fußballspiel deutlich länger als 90 Minuten.
sechzger.de: Zäumen wir das Pferd doch von hinten auf: Wie war das am Saisonende bei euch in der Mannschaft? Das hat nach außen so gewirkt, als wäre da ein wahnsinniger Teamspirit gewesen.
Aaron Berzel: Ja, das ist richtig. Wir haben uns als Team super verstanden, das hat nicht zuletzt die Rückrunde gezeigt: Wir haben viele Punkte geholt, einige Rückstände aufgeholt. Im Team hat es gestimmt, es hat immer gestimmt. Ich finde es schade, dass diese Mannschaft auseinanderbricht.
Ich glaube auch, wenn Corona uns nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte, wäre es einfacher gewesen, den Lauf fortzusetzen.
sechzger.de: Lange Zeit war ja fraglich, ob überhaupt weiter gespielt wird – auch wir in der Redaktion hatten dazu unterschiedliche Meinungen. Wie war das bei euch?
Aaron Berzel: Ich muss ehrlicherweise sagen, dass es für mich zunächst nicht danach aussah, als würden wir wieder spielen. Ich finde, man konnte beide Seiten nachvollziehen – die, die spielen wollten ebenso wie diejenigen, die nicht spielen wollten.
Es war halt etwas komisch, dass genau die Vereine, die ganz oben oder ganz unten standen, abbrechen wollten. Wir haben uns mit Zoom-Workout fitgehalten, wobei das auf Dauer auch langweilig wird. Wir haben es aber alle durchgezogen und auf den Tag hingearbeitet, wo es dann zumindest in Kleingruppen wieder auf den Platz ging.
sechzger.de: Was war dann der Unterschied bei den Spielen? Wie fühlt es sich an, in einem großen, leeren Stadion zu spielen?
Aaron Berzel: Wir haben uns ja am Trainingsgelände umgezogen und sind dann zum Stadion gefahren. Wenn Zuschauer da sind, dann ist das was ganz anderes. Wenn du rausgehst, die Choreos siehst, da läuft es dir eiskalt den Rücken runter, das gibt dann noch einmal ein paar Prozente mehr Adrenalin.
sechzger.de: Glaubst Du, dass die Geisterspiele den TSV 1860 Punkte gekostet haben?
Aaron Berzel: Schwer zu sagen, weil sich auch vieles über die Saison ausgleicht. Ich bin allerdings der Überzeugung, dass mit Zuschauern mehr möglich gewesen wäre, nicht zuletzt, weil die Kulisse auch auf den Gegner wirkt.
sechzger.de: Ein paar Monate vor Corona gab es ja bei den Löwen einen Trainerwechsel und danach lief einiges besser. Was hat sich unter Köllner im Gegensatz zu Bierofka geändert?
Aaron Berzel: Grundsätzlich muss man sagen, dass das zwei ganz unterschiedliche Typen sind, die den Fußball total unterschiedlich sehen. Manchmal genügt es schon, an ganz kleinen Stellschrauben zu drehen, um wieder Erfolg zu haben. Das bedeutet nicht, dass Biero irgendwas schlecht gemacht hat. Es ist ja oft so, dass nach einem Trainerwechsel auf einmal Sachen wieder funktionieren.
Beide Trainer haben eine unterschiedliche Art, wie sie ins Spiel gehen oder trainieren. Ich kann über beide nur Positives sagen – ich bin bei beiden zu meinen Spielen gekommen.
sechzger.de: Aaron, Du wärst gerne bei Sechzig geblieben, das hast Du auch immer wieder betont. Wie lief das jetzt schlussendlich, dass Du bei TürkGücü gelandet bist?
Aaron Berzel: Es hatten sich schon während der Saison und vor Corona andere Vereine um mich bemüht. Das haben mein Berater und ich auch gegenüber Sechzig transparent kommuniziert, wir haben Sechzig aber auch gesagt, dass der Verein Ansprechpartner Nummer eins für uns bleibt.
Bei Sechzig war es ja so, wie es aktuell laut Medien auch noch ist: Kein Handlungsspielraum vorhanden. Dann kam der Moment, wo wir Sechzig gesagt haben, dass wir jetzt ein Angebot vorliegen haben, welches wir auch annehmen würden. Günther Gorenzel hatte aber kein Budget, zumindest nicht für den Defensivbereich. Es gab leider keine Perspektive.
Ich wäre vermutlich wieder „so blöd“ gewesen und hätte auch nur bei einem Fünkchen Hoffnung gewartet, um bei Sechzig bleiben zu können. Dabei wäre ich aber Gefahr gelaufen am Ende ganz ohne Vertrag dazustehen. Das wäre in meiner Situation, noch dazu mit einer schwangeren Frau nicht machbar gewesen. Ich befürchte ja, dass wir diesen Sommer so viele arbeitslose Fußballer wie noch nie haben werden. Da wollte ich nicht dazu gehören. Ich habe ja auch eine gewisse Verantwortung…
Teil II folgt um 13:00 Uhr, Teil III um 18:00 Uhr.
Update: Link zu Teil II