Ein ganz wichtiger Effekt des Bundesligaaufstiegs 1994 war für meine Löwenfan-Generation die Möglichkeit, nun endlich Bundesliga-Derbys gegen den großen Rivalen aus der Seitenstraße persönlich miterleben zu dürfen. Abgesehen von den Bayernligaspielen gegen deren Zweitvertretung auf Giesings Höhen hatte ich selbst nur ein Testspielderby („Freundschaftsspiel“ trifft es wohl kaum) 1991 im Olympiastadion live gesehen. Das letzte Pflichtspielderby 1981 lag noch vor meiner aktiven Stadionzeit. Bis zum ersten selbst miterlebten Derbysieg sollte es aber noch eine ganze Weile dauern.

Ab Herbst 1994 endlich wieder Derbys

Ab September 1994 pilgerten wir Löwenfans also zweimal jährlich zum Lokalderby ans Oberwiesenfeld – stets voller Hoffnung, dem legendären letzten Derbysieg aus dem Jahr 1977 (den wir natürlich nur aus den Geschichtsbüchern und von mit leuchtenden Augen vortragenden älteren Fans kannten) den nächsten hinzuzufügen.

Und auf dem Weg zu jenem historischen 27. November 1999 gab es durchaus bemerkenswerte Meilensteine, an die ich hier erinnern will:

Das erste Duell am 21. September 1994 einem Wiesn-Mittwochabend, in dem 1860 sich teuer verkaufte, aber beim 1:3 doch ziemlich chancenlos war.
Das erste „Auswärts“-Derby, bei dem wir – zumindest in der Wahrnehmung eines 20jährigen Löwenfans akustisch wieder klar die Oberhand hatten und das denkbar knapp und sehr unverdient mit 0:1 verloren ging, sodass sich Bayern-Trainer Trapattoni in der PK danach bei den Löwen für den Sieg entschuldigte. Sein „Scusi Sechzig“ klang ein bisschen wie „Scusi sexy“, was für Schmunzeln auf unserer Seite sorgte. Die Niederlage war natürlich dennoch unerträglich.
Weitere wichtige Erinnerungen: Der erste Punkt im Derby an Allerheiligen 1996, in dem Lothar Matthäus zwölf Minuten vor dem Abpfiff einen (natürlich unberechtigten) Elfmeter verschoss.
Das Rückspiel in derselben Saison, in dem wir erstmals in Führung gehen konnten – Dank Horst Held stand es nach 18 Minuten 2:0 für völlig entfesselt aufspielende Löwen – und am Ende doch mit einem Unentschieden zufrieden sein mussten, das sich wie eine Niederlage anfühlte, weil Jancker erst zwei Minuten vor dem Ende die zwischenzeitliche erneute Führung für 1860 noch zum 3:3 ausgeglichen hatte.

Zwei mal im Jahr zogen wir also erwartungs- und hoffnungsfroh, dass es diesmal so weit sein würde, in den Olympiapark. Und wieder nach Hause. Fünf lange Jahre lang. Voller Geduld und – speziell nach den Niederlagen – doch immer enttäuscht, dass der große Wurf wieder nicht gelungen war.

Pausiert vor dem Derbysieg

Ein Treppenwitz meiner ganz persönlichen Geschichte (und um die soll es ja hier gehen) zu jenem Triumph vom 27. November 1999 ist der, dass ich mit dem vorangegangenen Derby im April tatsächlich erstmals eines ausfallen ließ und auf den Stadionbesuch verzichtete. Als gerade frisch gebackener Papa war mir die Zeit mit meiner Tochter einfach wichtiger, als dem steten, nun schon fast fünf Jahre währenden vergeblichen Bemühen der Blauen beizuwohnen, den Roten endlich mal alle Punkte abzuluchsen. Das letzte Derby vor dem hier besprochenen, dem ich – wie gesagt – nicht beiwohnte, endete übrigens 1:1.

Zwischen Extase und purer Glückseligkeit

Natürlich bin ich heute sehr froh, dass ich dann, knapp sieben Monate später wieder „am Start“ war. Über den Tag selbst schreibt bei uns auf sechzger.de ja heute noch der eine oder andere Kollege seine Gedanken und Emotionen nieder, sodass ich selbst mich hier mehr auf die Vorgeschichte, auf die “Road to Derbysieg” konzentriert habe. In Erinnerung an den 27. November sind mir aber speziell die Unmengen taumelnder und heulender Löwenfans in der Nordkurve geblieben. Die Stimmung lag irgendwo zwischen Ekstase und purer Glückseligkeit! Und irgendwie auch Erleichterung, dass es nun, nach fünf Jahren der Bemühungen endlich soweit war. Und ich weiß dass ich abends, als ich meine inzwischen immerhin schon achteinhalb Monate alte Tochter zu Bett brachte, dachte (und vielleicht auch sagte): „Kind, seit Du geboren bist, haben wir kein Derby verloren – vielleicht beginnt gerade eine Serie.“ Bis zum Rückspiel ging diese Serie bekanntermaßen noch weiter.

Nach dem Sieg im April 2000 nur noch Pleiten

Dass wir in den dann noch folgenden acht Bundesligaderbys bis zum Abstieg 2004 keinen einzigen Punkt mehr holen konnten, muss hier leider auch erwähnt werden. Historisch betrachtet ist dies die längste Serie an ausgetragenen Spielen ohne auch nur einen einzigen Derbypunkt, die es in diesem ewig jungen Duell jemals gegeben hat.

Den Triumph vom 27. November 1999 kann uns aber keiner nehmen! Der bleibt für die Ewigkeit. Und ich bin sehr froh an diesem Tag dabei gewesen zu sein!

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Dennis M.

Das wäre eins der schönsten Gefühle, die ich nochmal miterleben möchte!

WilkinsMicawber

All eure Berichte über diesen glorreichen Tag sind großartig – dankeschön!

Deiner, Christian, gefiel mir besonders, wobei die anderen ja auch toll sind. Aber dieses 1:0 war ja nicht nur so bedeutsam, weil es dieses 1:0 war, sondern weil es diese Derbys davor gab. Das 3:3 damals war für mich einer der tiefsten Tiefpunkte. Es gab mal ein Derby, das ich bei einem gut befreundetem Bayernfan verfolgte – dümmste Idee meines Lebens. Immer wieder die riesige Hoffnung, die mit der bittersten Enttäuschung endete…

Ich habe das Spiel damals im Radio verfolgt, “Heute im Stadion”, wie wir es alle kannten. Ich erinnere mich an keinen Wortlaut und vielleicht trügt mich auch meine Erinnerung, aber dieses “Tor in München!” war dieser extreme Moment zwischen absolutem Glück und grenzenloser Enttäuschung. Im Stadion sieht man ja, wer gerade aufs Tor schießt – aber diese Sekunde am Radio, bis es aufgeklärt wird. Riesiger Jubelschrei, nicht mitbekommen, wer es geschossen hatte und dann bibbernd auf den Abpfiff gewartet…

Unvergesslich. Und werden wir irgendwann wieder erleben!

Grüße

Wilkins

BluePunisher

Klasse, ich habe früher auch regelmäßig Spiele über Radio verfolgt und kann mich da wunderbar hineinversetzen!

Das 3:3 hab ich während einer langen Autofahrt im Radio gehört. Da war alles dabei was die Gefühlswelt so hergibt. Freude, Ekstase, Nervosität, Verzweiflung, Wut, Enttäuschung.

Last edited 11 Tage zuvor by BluePunisher
heinzepreller

Den Sieg als Troll in der Südkurve miterlebt zu haben war schon was, und mir war sehr egal das ich beim Jubeln mit massig Schneebällen eingedeckt wurde.