Es gibt sie noch, diese unverhofften positiven Überraschungen beim Groundhopping! Ferienbedingt stand ein überragender Ausflug nach Gijon an, der sogar verschmerzen ließ, dass wir den 3:1-Sieg der Löwen in Giesing nicht live im Stadion verfolgen konnten.

Gijon statt Giesing

Den diesjährigen Sommerurlaub verbrachten mein Sohn und ich im Norden Spaniens am kantabrischen Meer. Unsere Homebase schlugen wir ca. 50 km westlich von Santander auf und neben einigen tollen Exkursionen in die Umgebung stand natürlich auch der Besuch von Fußballspielen auf unserem Plan. Am ersten Wochenende führte uns der Spielplan der Segunda Division ins El Molinon nach Gijon. Das El Molinon ist übrigens das älteste Stadion Spaniens.

Fußballhistorischer Ort

Gijon? Da klingelt es wahrscheinlich bei dem ein oder anderen älteren Semester und die Assoziation “Schande” liegt nicht weit. Sie bezieht auf das letzte Gruppenspiel der WM 1982, als sich Deutschland und Österreich gegenüberstanden und beiden Teams ein knapper deutscher Sieg zum Weiterkommen reichte. Und so schoben sich beide Teams nach dem 1:0 von Horst Hrubesch in der 11. Minute zum Leidwesen der Algerier 80 Minuten lang die Bälle zu. Ich erinnere mich an meinen Vater, der zeternd vor dem Fernseher saß.

Niedrige Erwartungshaltung

Ich studierte Ende der 90er Jahre in Madrid und bin natürlich viel herumgereist, um Fußballspiele zu sehen und das Land kennenzulernen. Außerdem habe ich den spanischen Fußball in mich aufgesogen und quasi jedes Spiel, das irgendwie ging, auch auf dem Fernseher konsumiert. Dabei habe ich an Spiele von Gijon keinerlei Erinnerung, obwohl diese damals sogar noch in der Primera Division gespielt haben. Das lag möglicherweise daran, dass sie die Saison 97/98 mit 13 Punkten als Bombenletzter abgeschlossen haben. Außerdem erinnere ich mich an Zweitligaspiele, die maximal vor halbgefüllten Stadien stattfanden. Entsprechend niedrig war die Erwartungshaltung.

Das Setting schon vor dem Spiel viel geiler als erwartet

Der Plan vom ruhigen Nachmittag geriet bereits an der Autobahnausfahrt ins Wanken, als wir in einen Stau von Fahrzeugen gerieten, die mit in weiß-rote Trikots gehüllten Insassen besetzt waren. Die letzten 500m samt Parkplatzsuche kosteten uns über eine halbe Stunde und wir mussten recht weit vom Stadion entfernt parken. Auf dem Weg ins ca. zwei Kilometer entfernte Stadion in einem Strom von Gijon-Fans beginnen erste Gedankenspiele, ob es nicht doch klüger gewesen wäre, vorher im Internet noch Karten zu besorgen. Zum Glück geht am Stadion (das von Außen schon ziemlich cool ausschaut) alles glatt, wir kriegen noch problemlos Karten. Es ist sogar noch Zeit, um bei einem der fliegenden Händler ein Bierchen zu erwerben und es in der wirklich angenehmen Atmosphäre auf dem gut gefüllten Stadionvorplatz vor dem Spiel zu genießen. In Spanien gibt es im Stadion keinen Alkohol.

Der gut gefüllte Vorplatz vor Sporting Gijon – FC Andorra

“Die Österreicher sind immer noch da”

Auf der Anreise setzte ich meinen Sohn über die Schande von Gijon in Kenntnis und erzählte ihm, dass wir damit also tatsächlich einen fußballhistorischen Ort besuchen würden. Als wir unsere erste Begeisterung über das Stadion, das von innen noch geiler als von außen ist, verdaut hatten, blickt mein Sohn in den Block der Heimfans und entdeckt dort rot-weiß-rote Fahnen. “Papa, schau mal! Die Österreicher sind immer noch da”, meint er.

Die Gijonudos mit ihren “Österreich-Fahnen”

Amüsiert setzen wir uns und kommen schnell mit unseren Sitznachbarn ins Gespräch. Diese erwarten einen knappen Sieg gegen den FC Andorra, der übrigens einem gewissen Gerard Pique gehört und von unseren Gesprächspartnern innerhalb der nächsten Jahre in der Primera Division gesehen wird.

Gijon gewinnt 4:1

Als die Mannschaften dann zu Musik aus der “Gaita”, der im keltisch geprägten Norden Spaniens verbreiteten Version des Dudelsacks, aufs Spielfeld kommen, herrscht ordentliche Lautstärke und die Fans singen die Vereinshymne inbrünstig. Das ist in Gijon fast wie in Giesing.

Spalier der Gaita-Spieler zum Einlauf der Mannschaften

In der ersten Hälfte tut sich Gijon noch schwer gegen den gut eingestellten Aufsteiger aus Andorra. Mit einem knappen 1:0 geht es in die Kabinen. Unsere besondere Aufmerksamkeit erregen einige Vögel, die sich konstant auf dem Spielfeld befinden und je nach Spielsituation in letzter Sekunde routiniert den Standort wechseln. Nach Auskunft unserer Sitznachbarn sind diese Vögel fester Bestandteil jedes Spiels. Für mich als latent ornitophoben Menschen durchaus ein interessanter Fakt.

Fester Bestandteil der Spiele in Gijon: Ein Gruppe Vögel

In der zweiten Hälfte spielt Gijon dann seine Überlegenheit besser aus und gewinnt 4:1. Bemerkenswert ist das 3:0, bei dem der Torwart aus dem Fürstentum den Ball nach einem weiten Schlag des Gijon-Torwarts unglaublich unterläuft und Djurdevic nur noch einschieben muss.

Stimmung und Support wirklich gut

Ich hatte – wie gesagt – wenig vom Support erwartet. Aber die etwa 20.000 anwesenden Gijon Fans (wir konnten einen Auswärtssupporter erkennen) machten gute Stimmung. Geschätzte 70% von ihnen trugen ein Gijon-Trikot. Mehrmals stand das gesamte Stadion und sang gemeinsam Lieder oder präsentierte Schals.

Das komplette Stadion feuerte sein Team an.

Dabei wurden die Lieder meist aus dem Block der “Gijonudos” (wohl deren Ultra-Gruppe) angestimmt und dann lautstark vom kompletten Stadion gesungen. Sehr beeindruckend! Genauso wie die die immer noch omnipräsenten Sonnenblumenkerne und dem doch einzigartigen “Look” des Fußbodens spanischer Stadien nach dem Abpfiff.

Typischer Anblick eines spanischen Stadions nach Abpfiff

Einzig etwas komisch fanden wir, dass die Mannschaft nach dem Spiel nur kurz gefeiert wird und gar nicht vor irgendeinen Block kommt und sich bei den Zuschauern bedankt bzw. die Zuschauer die Mannschaft nach dem Spiel noch etwas feiern.

Ausklang bei Filete und einem Bierchen

Nach dem Spiel ziehen wir mit den Fans Richtung Strand (den man aus dem Stadion sehen kann!) und Stadtzentrum. Dort suchen wir uns ein kleines Restaurant und mein Sohn bekommt sein heißgeliebtes Filete zum Abendessen. Für den Papa gibt’s ein Steak und ein Bierchen. Vater und Sohn philosophieren über das Erlebte und sind voll mit positiven Eindrücken von diesem wunderbaren Nachmittag. Auf dem Rückweg zum Auto sieht man immer noch haufenweise Menschen in Gijon-Trikots im Stadtbild. Gijon, 40 Jahre später ein Vergnügen und keine Schande!

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Tom

Super! Das mit den Sonnenblumenkernen ist interessant, muss ich auch mal probieren 🙂 Sicherlich um einiges gesünder als einen Glimmstengel nach dem anderen. Danke für den interessanten Beitrag!