Der TSV 1860 trat beim FSV Zwickau in der gewohnten Grundaufstellung 4-1-4-1 an, jedoch mit einer – gegenüber dem Heimspiel gegen Magdeburg – auf zwei Positionen veränderten Startaufstellung: Für Greilinger spielte Neuzugang Neudecker im linken Mittelfeld und Erdmann wurde für Wein auf die Position des Staubsaugers vor der Abwehr gestellt. Somit hatte Trainer Michael Köllner sich – wie gegen Frankfurt im Pokal vor drei Wochen – für die destruktivere Variante auf der Sechserposition entschieden. Der Fußballsportverein aus Westsachsen setzte – wie von mir am Freitag prognostiziert – ein 3-5-2-System, das als 3-4-1-2 flach interpretiert wurde, entgegen und ging gegenüber der Vorwoche ebenfalls mit einer auf zwei Positionen veränderten Elf aufs Feld. Wolfram spielte für Willms im Sturm und Reinhardt statt Hehne im defensiven Mittelfeld.

Eine der großen Schwächen, die Systeme mit Dreierkette mit sich bringen, wurde von den Löwen gleich in der ersten Minute aufgedeckt, als sich Lex und Tallig auf gleiche Höhe zu Mölders in den Sturm vorschoben und 1860 so mit drei Stürmern in der noch unsortierten Abwehrkette der Gastgeber auftauchte. Die drei Zwickauer Verteidiger waren ohne Unterstützung der äußeren Mittelfeldspieler chancenlos, als Stefan Lex den Ball – nach einem Zuspiel von Richard Neudecker – auf Sascha Mölders durchsteckte und dieser zum 1:0 vollstreckte. Man muss allerdings sagen: Wenn die Zwickauer die Passstafette von Moll über Neudecker auf Lex hätten unterbinden können, wäre wiederum sofort ein gefährliches Übergewicht für sie selbst im Mittelfeld  entstanden und die Sechzger wären den Schwänen möglicherweise ins offene Messer gelaufen. Risikospiel also auf beiden Seiten in der ersten Minute mit dem besseren Ende für den TSV 1860 München. Well played, Mr. Köllner! So stand es nach 37 Sekunden bereits 1:0 für die Elf aus München Giesing.

Der frühe Druck der Weiß-Blauen auf die Abwehrreihe ließ auch in den folgenden Minuten nicht nach, jedoch waren die Zwickauer nun etwas wacher und sortierter und auch die Mittelfeldaußenspieler kamen ihren Defensivaufgaben besser nach, sodass die auf den Flügeln auftauchenden Münchner ein ums andere Mal in Sackgassen liefen, ohne Möglichkeit, nach innen zu ziehen oder Flanken anzubringen. Dies geschah vor allem, wenn bei 1860 nicht schnell genug kombiniert wurde und dadurch das Zwickauer Mittelfeld genug Zeit zum Abkippen in die Defensive hatte.

Bei Ballbesitz verschoben sich – wie üblich – Willsch oder Steinhart, sobald die Löwen in Ballbesitz waren, aus der Viererkette nach vorne, womit sechs Münchner im Mittelfeld fünf Zwickauern gegenüberstanden. Gegen die – durch diese situationsbedingten Verschiebungen entstehende – Überzahl im Mittelfeld des TSV 1860, hat bislang nur Magdeburg mit seiner Mauertaktik in Halbzeit eins letzte Woche ein adäquates Mittel gefunden. Wer aber nicht nur Mauern, sondern auch Fußball spielen möchte, wird immer wieder mit dieser Mittelfeldüberzahl der Löwen konfrontiert werden. Die Schwäne waren gewillt, nach vorne zu spielen und versuchten – wie es sich im Fußball für die Hausherren geziemt – durchaus das Heft in die Hand zu nehmen, um das Spiel zu machen. Daraus entwickelten sich mehrere Chancen für den FSV durch König, den seine Mitspieler des Öfteren gefährlich in Szenen zu setzen wussten. Beispielsweise in Minute vier als Schröter den Zwickauer Oldie von halbrechts bediente und nur ein missglückter Abschluss des Mittelstürmers den Ausgleich verhinderte.

Weitere vier Minuten später fiel er dann doch, der Ausgleich. Durch ein von Drinkuth per Flanke von der halblinken Zwickauer Angriffsseite wenige Meter vor der Grundlinie vorbereitetes Kopfballtor Königs. Bei diesem Gegentor sieht auf den ersten Blick so aus, als läge hier ein Fehler der Löwenabwehr vor, als Erdmann – nach einem zur „Kerze“ abgefälschten Befreiungsschlag von Steinhart – die Flanke zu König nicht verhindern kann. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Die Entstehungsgeschichte des Treffers für Zwickau beginnt bereits in deren eigenem Strafraum, als Neudecker und Tallig sich nach Zuspiel von Mölders gegenseitig im Weg stehen und es darum nicht zum Torabschluss für den TSV 1860 durch einen der Beiden kommt, sondern zum Ballverlust. Die weit aufgerückten Sechzger mussten dem weiteren Geschehen auf dem Platz – bis zum Gegentor – hinterherlaufen. Natürlich darf sich Drinkuth auf der Position, auf der er sich befindet, nie so durchsetzen und zum Flanken kommen. Die Flanke hätte von Erdmann geblockt werden können und müssen. Überlässt jedoch schon vorher Neudecker Tallig den Ball im Sechzehner der Zwickauer, steht es womöglich 2:0 für die Löwen oder es gibt einen Abstoß für die Schwäne und die Szene zum Ausgleich entsteht gar nicht erst. Das exzellente Zuspiel von Steinhart auf Zielspieler Mölders durch einen langen Freistoß aus der eigenen Spielfeldhälfte in den Strafraum des FSV in dieser Szene und wie Mölders sich gegen zwei Gegner zu behaupten weiß, um dann den Pass auf Neudecker zu spielen, bedarf übrigens höchster Anerkennung.

Im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit ging es munter hin und her mit Chancen auf beiden Seiten, wobei 1860 zumindest optisch mehr Spielanteile hatte. Ob sich das auch in Zahlen ausdrückt, dazu kommen wir nun:

Ballbesitz 53% zu 47%, Schüsse 5:4, Schüsse aufs Tor 2:1 – alles knapp zugunsten des TSV 1860 München. Die Passgenauigkeit lag für die Giesinger bei exakt 80% (Steilpässe über 90%) die Zwickauer konnten hier gute 70% verbuchen. So weit so ausgeglichen. Nun aber ein paar Zahlen, die aufzeigen, dass es so ausgeglichen, wie es einem vielleicht vor dem Fernsehapparat vorkam, dann doch nicht war. Positionsangriffe: Sechzig 20 – Zwickau 13; Flanken: Sechzig 8 – Zwickau 14. Aber Flankengenauigkeit bei Sechzig 63% bei Zwickau 21%. Die Statistik der gewonnenen Kopfballduelle sieht Zwickau mit 23 zu 9 vorne. Und PPDA (zugelassenen Pässe pro Defensivaktion): 6,95 beim TSV 1860 und 45,67 beim FSV Zwickau. Das bedeutet, dass 1860, bis eine defensive Aktion gegen den Ball von Zwickau erfolgte, fast 46 Ballkontakte hatte, Zwickau hingegen gerade einmal knapp sieben. Die Löwen waren also weitaus bissiger unterwegs als die Schwäne. Die Schlussfolgerungen aus diesen Zahlen für Halbzeit eins sind deshalb relativ einfach: Ein schnelles, genaues Passspiel gepaart mit aktivem kampfbetontem Defensivverhalten, das beides durch gutes Stellungsspiel im Raum und weniger Laufintensivität des 4-1-4-1 begünstigt wird, ist dem 3-4-1-2, das sich Joe Enochs für Zwickau erdacht hat, absolut überlegen. Wenn man dazu noch Spieler hätte, die im eins gegen eins und im Torabschluss dominieren, würde es für den Gegner mit Dreierkette wohl im Debakel enden.

Zu Beginn der zweiten Halbzeit war Zwickau – wie schon die vier Löwengegner in den Pflichtspielen zuvor – zwar überlegen und hatte mehr Ballbesitz, aber die Schwäne kamen im Gegensatz zu Würzburg, Frankfurt, Meppen und Magdeburg nicht zu einem Torerfolg. Bei einer Szene im Strafraum der Sechzger muss man allerdings ehrlicherweise sagen, dass sich keiner hätte beschweren dürfen, wenn der Unparteiische auf den ominösen Punkt gezeigt hätte. Moll fiel in der 56. Minute in den – nach Zuspiel von Schröter – allein auf Hiller zulaufenden Wolfram hinein und vereitelte damit eine mögliche Torchance. Ob Wolfram Moll, um sich aus der Bewachung zu lösen, davor einen Rempler oder Schubser mitgegeben hat, ist leider ohne Kameraeinstellung von der gegenüberliegenden Seite nicht zu erkennen. Vertrauen wir mal dem Schiri der näher dranstand und es wohl genauso gesehen und interpretiert hat.

Die Zahlen der Viertelstunde nach Wiederanpfiff lesen sich zwar schlechter, als vor einer Woche, aber gegen eine Mannschaft die nicht nur vor dem eigenen Sechzehner mauert, sondern selbst nach vorne spielen will und muss, ist das nicht verwunderlich. Die entscheidenden Größen sind allerdings wieder besser geworden. Einerseits die PPDA: Die sank um 3,25 Punkte von 14,5 auf 11,25 und wenn man das noch mit dem Spiel in Meppen vergleicht sogar um 15,25 Punkte. Man konnte das schon fast obligatorische Gegentor vermeiden und die Zahl der geführten und der gewonnenen Zweikämpfe gegen den Ball signifikant steigern. Kam es gegen Meppen zu nur vier defensiven Zweikämpfen in dieser Zeitspanne, waren es gegen Magdeburg schon acht und nun gegen Zwickau bereits vierzehn. Zehn davon entschieden die Löwen für sich. Da ist eine absolut positive Entwicklung für die Viertelstunde nach der Pause zu erkennen.

Just zu Beginn der letzten halben Stunde, genauer in der 62. Minute traf 1860 dann durch Dressel zum 2:1. Die Vorbereitung dieses Treffers war ein „Gustostückerl“ aus dem Lehrbuch-Kapitel „Wie hebel‘ ich eine überbesetzte (zu starke) Abwehrseite aus?“. Nach einem Einwurf der Zwickauer auf deren rechter Seite ca. acht Meter von der Mittellinie entfernt, gewann Steinhart ein Kopfballduell worauf der Ball über die Zwischenstation an Dressels Kopf zu Mölders gelangte. Die drei Akteure in schwarz standen alle in der Nähe der Seitenlinie auf der rechten Abwehrseite der Zwickauer und zogen viele Gegenspieler dorthin ab. Mölders leitet den Ball gedankenschnell auf den sich 30 Meter vor dem Tor im Zentrum befindlichen Neudecker weiter. Ab diesem Moment lief Zwickau in dieser Szene nur noch hinterher. Neudecker bediente den aus der Tiefe des Raums diagonal in die linke Strafraumseite der Zwickauer eindringenden Willsch mit einem schön gechipten Pass. Willsch legt sich den Ball in vollem Lauf einmal vor, um dann zur Mitte zu passen. Der in den Torraum einlaufende Dressel konnte ins rechte untere Eck vollenden. Somit stand es 2:1 für den TSV 1860. Dennis Dressel verlor von seinem Kopfball zu Möders bis zum Torabschluss nie den Ball aus den Augen und war immer auf Höhe des Geschehens. Sowohl beim Abspiel von Mölders als auch beim Zuckerpass von Neudecker zu Willsch, sowie bei der Ablage von Willsch auf Dressel wirken die Laufwege aller Akteure einstudiert und die Hintermannschaft der Zwickauer konnte nur nebenher-, respektive hinterhertraben, da das Geschehen durch Mölders intelligenten Pass von der starken auf die schwache Seite verlagert wurde. Selbst ein in das finale Zuspiel auf Dressel hineingrätschender Abwehrspieler hätte den Torerfolg vermutlich nicht verhindern können – dann wäre wohl ein Eigentor entstanden. Was für ein genialer Spielzug der Löwen!

Im weiteren Verlauf der zweiten Spielhälfte war dann – zumindest optisch – Zwickau die spielbestimmendere Mannschaft. Der TSV 1860 geriet in mehreren Szenen in arge Bedrängnis und kann sich beim hervorragend aufgelegten Marco Hiller bedanken, der zweimal im eins gegen eins die Führung gegen König bzw. Willms rettete und auch in der Strafraumbeherrschung eine absolut souveräne Leistung bot. In einigen Momenten erinnerte er mich während der Videoaufarbeitung des Spiels an Torwartlegende Rainer Berg aus den frühen 1990ern. We erinnert sich noch an ihn?

Was sagen die Zahlen der Statistiker nun über die letzte halbe Stunde des Spiels aus? Kurz: Sie bestätigen den optischen Eindruck. Vom Ballbesitz über Schüsse bis hin zur Passquote: Überall hinken die Löwen hinterher. Das ist aber nicht weiter verwunderlich und schon gar kein Grund, sich aufzuregen. Der FSV Zwickau jagte einem Rückstand hinterher. Und auch die Spieler der Mannschaft aus Westsachsen können Fußball spielen. Die PPDA stieg bei 1860 wegen des Drucks von Zwickau auf 18.33. Dass ist aber nicht weiter tragisch, wenn man eine Abwehrschlacht führt.

Je länger das Spiel dauerte, desto mehr fiel aus meiner Sicht der wegen der hohen Laufintensität kraftraubende Spielstil des 3-4-1-2 der Gastgeber ins Gewicht. Ihre Überlegenheit auf dem Feld konnten sie wegen deutlich erkennbarer Konzentrationsdefizite, die einen zwangsläufig ereilen, wenn man sich leistungsmäßig im roten Bereich bewegt, nicht in zählbare Erfolge ummünzen. Die eingewechselten Spieler Starke und Willms versuchten zwar noch, ihr Möglichstes um dem FSV Zwickau von der Verliererstraße zu bringen, scheiterten aber entweder am gut standhaltenden Abwehrriegel des TSV 1860, der in der Schlussphase noch durch Defensivallrounder Wein, der für Lex in die Partie kam, verstärkt wurde, oder am – wie oben schon erwähnt – glänzend aufgelegten Marco Hiller. 81% Passquote und 56% Ballbesitz reichten den Schwänen nicht, um gegen aufopferungsvoll kämpfende Löwen den Ausgleich zu erzielen. Ganze vier mal schafften es die Zwickauer in der letzten halben Stunde aus ihrer Feldüberlegenheit einen Nutzen zu ziehen und einen Schuss abzugeben. 1,33 Schüsse pro zehn Minuten. Und das obwohl es sage und schreibe 41 Pässe vom FSV ins letzte Spielfelddrittel gab. Das bedeutet, dass lediglich bei jedem zehnten Angriffsversuch der Zwickauer auch versucht wurde, aufs Tor zu schießen. Bei zwei dieser Schüsse musste Hiller – wie oben beschrieben – eingreifen.

Was folgern wir daraus? Auch eine sogenannte Abwehrschlacht beherrschen die Spieler des TSV 1860 München. Und was ist aus den 44% Ballbesitz der Löwen in der letzten halben Stunde entstanden? Nun, 1860 brachte noch einen Schuss durch Talligs Freistoß – nach Foul an Willsch – in Minute 79 auf das Tor. Die Löwen griffen in der letzten halben Stunde insgesamt zehnmal an, und spielten dabei nur einen Konter. Sechzig kam also in etwa alle drei Minuten zu einem Entlastungsangriff.

Fazit zum gesamten Spiel: Taktisch gut eingestellte Münchner trafen auf laufstarke Zwickauer, denen in der zweiten Spielhälfte sicherlich ein zweites Tor gut zu Gesicht gestanden hätte. Gottseidank wussten die Löwen, wie man das verhindert. Wäre dieses Spiel mit 2:2 – wie im Februar – beendet worden, hätte sich niemand beschweren dürfen. Vielleicht sollte Joe Enochs seinen taktischen Ansatz mit dem 3-5-2 (bzw. 3-4-1-2) überdenken und eine weniger laufintensive Variante wählen, bei der seine Spieler auch gegen Ende einer Partie noch frisch genug sind, um konzentriert im Angriff zu agieren. Michael Köllners 4-1-4-1 Grundformation, aus der mit Ball ein 3-1-5-1 oder auch – wie beim Treffer zum 1:0 – ein 3-4-3 werden kann, ist weitaus ökonomischer, da die Defensivspieler nur situationsbedingt ins Mittelfeld aufrücken.

Datenquelle: http://www.wyscout.com/

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