Ein herzliches Grüß Gott zur Taktiktafel vor dem Auswärtsspiel des TSV 1860 bei Viktoria Berlin. Berlin, das in der Hinrunde durch attraktiven Offensivfußball im 3-4-3 oder einer seiner Varianten begeisterten, ist mittlerweile vom Überraschungsteam zum Kellerkind mutiert. Was wir taktisch und systematisch erwarten können, erfahrt ihr wie immer hier in der Taktiktafel.

FC Viktoria Berlin – TSV 1860 München ist das zweite Aufeinandertreffen der Altmeister überhaupt bei Punktspielen. Farat Toku, seit 03.März als Cheftrainer der Berliner im Amt, ist ein im Profifußball als Trainer unbeschriebenes Blatt. Zuletzt war er bei der SG Wattenscheid 09 bis Oktober 2019 in der Regionalliga West unter Vertrag. Der 43-Jährige legt den vorliegenden Daten nach Wert auf Offensivfußball und ist systematisch durchaus als flexibel einzuordnen. Im Spiel gegen den TSV Havelse hat er am System im Vergleich zu seinem Vorgänger Benedetto Muzzicato wenig verändert. Wie Muzzicato vor ihm hat auch er mit Dreier- respektive Fünferkette agieren lassen.

Taktisch fiel allerdings auf, dass Berlin gegen Havelse häufiger über die Außenpositionen und mit Flanken gearbeitet hat als im Schnitt zuvor. Die Anfälligkeit des TSV Havelse auf den Außenpositionen in der Defensive hatte aber auch schon Muzzicato im Hinspiel erkannt und ausgenutzt. Ob sich deshalb Rückschlüsse darauf ziehen lassen, wie Berlin am heutigen Freitag gegen den TSV 1860 spielen wird, wird man erst im Spiel sehen.

Der Abgang von Tolcay Cigerci im Winter ist jedenfalls eine Personalie, die der Viktoria immens wehtut. Sein Fehlen als Motor in der Offensive und als Top-Torschütze kann Berlin nicht ersetzen.

Die wichtigsten Statistiken von Viktoria Berlin

  • Ballbesitz 50%
  • Passgenauigkeit 78%
  • defensive Zweikampfquote 59%
  • Flankengenauigkeit 33%
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion) 9,15

Wie spielt Berlin?

Generell kann man sagen, dass die Berliner gern im Zentrum agieren und den Weg in die Box eher mit Steilpässen durch die Abwehrkette oder über eins gegen eins Situationen von den Halbpositionen suchen als mit Flanken vom Flügel. Nur zwei Mannschaften flanken seltener in die Box als die Viktoria. Ob und wie sich das ändern wird ist natürlich schwer vorherzusagen, da Toku erstmals an der Seitenlinie der Viktoria stand und das ausgerechnet gegen einen Verein, der bei Flügelspiel in der Abwehr anfällig ist.

Bedenkt man die defensive Kopfballstärke des TSV 1860 München ist es aber eher wahrscheinlich, dass Berlin mit seinen technisch versierten Spielern den Weg durchs Zentrum in die Box suchen wird.

Auch systematisch wird sich die Viktoria im Vergleich zum Vorgänger wahrscheinlich nicht arg verändern. Ich jedenfalls würde bei dem System mit Fünferkette gegen den Ball bleiben. Offensiv hat man nun in Berlin im Vergleich zu dem, was Muzzicato spielen ließ aber durchaus Möglichkeiten das System mit Verschiebungen und leichten taktischen Veränderungen so anzupassen, dass es wieder erfolgreich wird. Nachdem ich (wie alle anderen auch) Berlin erst einmal unter dem neuen Trainer gesehen habe und er auswärts gegen Havelse, wie auch sein Vorgänger es meist getan hat, offensiv auf ein 3-4-2-1 setzte, darf man auch im Heimspiel gegen die Sechzger davon ausgehen, dass dies das System der Wahl für Toku sein dürfte.

Gegen den Ball rechne ich mit Verschiebung auf 5-4-1. Berlin wird vermutlich den großen Bus vor dem eigenen Sechzehner parken.

Wie kann der TSV 1860 den FC Viktoria Berlin knacken?

Um gegen die abstiegsbedrohten Berliner Tore zu erzielen wird es vermutlich wichtig werden in erster Linie geduldig zu sein. Sollten die Spieler der Viktoria gegen den Ball so agieren wie ich es vermute, besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass das Spiel für die Löwenoffensive um den Berliner Strafraum herum wirkt wie bei einem Handballspiel. Dass der TSV 1860 München das kann, haben wir gegen den 1. FC Kaiserslautern gesehen. Wenn wir dann ähnliches Glück bei den zweiten Bällen haben, bekommt die Defensive der Berliner starken dauerhaften Druck, dem sie schwerlich standhalten werden.

Eine zweite Möglichkeit gegen Mannschaften, die mit vielen Spielern gegen den Ball tief stehen, besteht darin über die Außenpositionen mit Flanken zu agieren. Falls Lewald und Gunte – beide 1,94 Meter groß – in der Innenverteidigung spielen, ist aber die flache Flanke in die kleine Box wohl eher das Mittel der Wahl als der hohe Ball. Es sei denn die hohen Flanken kommen scharf und platziert dahin, wo der Stürmer des TSV 1860 einläuft, damit die Türme von Viktoria Berlin sich nicht stellen können.

Gegen den Ball gilt nach wie vor egal ob wir mit Vierer- oder Fünferkette agieren werden, dass Konzentration im Stellungsspiel, Einsatzwille bei den Zweikämpfen und Lauffreudigkeit bei den Spielern, die Pressingaufgaben zugeteilt bekommen und bei denen, die auf dem Weg zurück nach Ballverlusten ihre Positionen wieder einnehmen müssen, das A und O sein werden um die Berliner, wie alle anderen Mannschaften auch, in Zaum zu halten.

Stärken und Schwächen des 3-4-2-1

Im Prinzip ist das 3-4-2-1 eine Form des 3-4-3. Deshalb sind die Stärken und Schwächen dieser Systeme fast deckungsgleich.

Stärken

Das 3-4-2-1 bietet wie auch das 3-4-3 aufgrund seiner sehr guten Tiefenstaffelung im Positionsspiel sehr variantenreiche Spielzüge im Aufbau, wenn taktisch diszipliniert gespielt wird. Gerade für spielstarke Teams ist dieses System daher eine unfassbar effektive Waffe. Angiffspressing und Gegenpressing können mit der Überzahl an Offensivspielern gut umgesetzt werden. Diese Überzahl verhilft der Mannschaft auch im letzten Drittel zu hoher Variabilität. Das 3-4-2-1 ist verglichen mit dem 3-4-3 allerdings offensiv etwas stärker auf das im Zentrum ausgerichtet.

Schwächen

Die Dreierabwehrkette muss aus dem Mittelfeld heraus verstärkt werden, wenn der Gegner sich aus dem Pressing befreien kann. Das 3-4-2-1 stellt hohe Anforderungen an die individuelle Stärke der Spieler sowohl mit als auch gegen den Ball. Wenn die Spieler ihre Rollen im taktischen Konzept nicht akribisch einhalten, kann das Spiel im 3-4-2-1 leicht zum Debakel werden. Außerdem ist es sehr konteranfällig. Je nachdem wie schnell die Spieler auf den Außenpositionen sich gegen den Ball wieder in die Abwehrkette eingliedern können und wie schnell der Rest des Teams defensiv verschiebt, entstehen entweder in den tiefen Zonen auf den Außenbahnen oder vor dem Sechzehner im Halbfeld Räume, die der Gegner ausnutzen kann, wenn er schnell und präzise nach vorne spielt.

Schlüsselspieler

Defensive

Der Torwart Julian Krahl (#13) kam im Sommer vom 1. FC Köln. Dort hielt er in der vergangenen Saison acht Mal den Kasten sauber. Diese Saison gelang ihm das immerhin schon fünf Mal. Der mit 22 Jahren noch etwas unerfahrene 1,94 Meter große Keeper ist ein großes Talent zwischen den Pfosten. Er macht – in dem Alter auch nicht verwunderlich – natürlich noch Fehler, allerdings wenige. Drei Gegentore in 23 Spielen muss er sich selbst ankreiden. Zuletzt passierte das erst gegen Havelse vor dem 1:1 Ausgleichstreffer als er einen eklatanten Fehlpass spielte. Seine Stärken überwiegen jedoch deutlich. Topreflexe und eine starke Strafraumbeherrschung sind seine größten Trümpfe. Auch im eins gegen eins schneidet er in dieser Saison bisher recht gut ab. Seine größte Schwäche ist die Abwehr vor ihm.

Patrick Wolfgang Kapp (#16) in der Innenverteidigung, seit 2018 im Verein, ist ligaweit einer der Abwehrspieler mit den meisten abgefangenen gegnerischen Pässen. In den Zeiten als noch mit Libero gespielt wurde, wäre er der Prototyp für diese Rolle gewesen. Ihn flankieren mit Tobias Gunte (#19) und Jakob Lehwald (#4) zwei Türme von 1,94 Meter Größe. Wirkliche Schlüsselspieler in der Kette sehe ich keinen. Aber eine Dreierkette mit zwei solchen Riesen und einem flinken Flitzer hat grundsätzlich starke Möglichkeiten zentral gegen den Ball gut zu arbeiten.

Mittelfeld

Ob der defensive Mittelfeldspieler und Kapitän Christoph Menz (#39) in der Startaufstellung stehen wird, bleibt abzuwarten. Nach einer pandemiebedingten Pause von zwei Spieltagen durfte er am Montag gegen Havelse in der Schlussphase wieder eingreifen. Seine größten Stärken hat er im Spielaufbau sowohl beim Passspiel nach vorn als auch im eins gegen eins. Dort ist er überdurchschnittlich erfolgreich für einen Spieler auf seiner Position. Findet er keine Anspielstation, hat er keine Hemmungen seinen Gegenspieler im eins gegen eins zu überspielen und so einerseits für Raumgewinn und in der Folge auch für freie Räume für mindestens einen seiner Mitspieler zu sorgen. Sollte er nicht spielen stehen mit Jopek, Hahn oder Gambos genügend Spieler zu Verfügung, denen die Sechser-Position nicht fremd ist.

Björn Jopek (#25), das Hirn des Berliner Mittelfelds, gehört zu den besten zentralen Mittelfeldspielern in der 3.Liga. In den für seine Position wichtigen Offensivattributen hat er im Prinzip keine Schwächen aufzuweisen. Auch gegen den Ball arbeitet Jopek sehr erfolgreich.

Enes Küc (#10) ist ein typischer Zehner und somit das Herz des Berliner Mittelfelds. Dribbelstark und passsicher mit gutem Auge für den freien Mann. Er kann eine Partie an sich reißen und im Zusammenspiel mit Jopek für Gefahr sorgen. Ihn nicht zur Entfaltung kommen zu lassen wird ein wichtiges Kriterium für die Defensive des TSV 1860 München sein.

Sturm

Lucas Falcão (#11) ist Brasilianer und seit dem Abgang von Cigerci zu Samsunspor in die Türkei mit sechs Treffern und zwei Vorlagen in 27 Spielen Topscorer beim FC Viktoria Berlin. Seine Schussgenauigkeit ist mit 42% relativ gut, problematisch leider nur, dass er selten genug Druck hinter den Ball bringt, um den gegnerischen Torhüter zu überwinden. Er legt im Schnitt pro Spiel etwa einen Torschuss für einen Mannschaftskameraden auf. Allerdings verwandeln seine Kollegen ihre Chancen noch seltener als er selbst.

Fazit

Die Löwen fahren nach Berlin um dort drei Punkte einzufahren. Mit den in der Englischen Woche gezeigten Tugenden sollte das auch funktionieren. Egal wie das Spiel ausgeht: wenn die Mannschaft kämpft, konzentriert spielt und sich “neihaut” wird keiner, über welches Ergebnis auch immer wir nach dem Spiel sprechen müssen, meckern. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die Mannschaft des TSV 1860 München in Berlin in der Erfolgsspur bleiben kann. Großspurige Töne von Berlins neuem Trainer der gegen den TSV 1860 München mit Viktoria Berlin den Punkt aus Havelse vergolden will, sind schon oft nach hinten losgegangen.

Unsere Mannschaft kann ihm von daher gleich mal etwas Demut beibringen, indem sie der Viktoria zeigt, wo ihre Grenzen liegen. Ich bin – solange die Einstellung, Kampfeswille, Konzentration und Laufbereitschaft beim TSV 1860 stimmen – fest davon überzeugt, dass es möglich sein wird heute Abend den Dreier einzufahren.

So könnte der FC Viktoria Berlin beginnen

Datenquelle: wyscout

5 1 vote
Artikelbewertung
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments