Nachdem uns in der Vergangenheit meist unser Leser Stefan von seinen Fußballreisen in mehr oder weniger Destinationen berichtet hatte, bekamen wir kürzlich Post von Holger, der ebenfalls unterwegs war und einiges zu erzählen hat. Viel Spaß mit Groundhopping Frankreich bei Red Star.

Groundhopping Frankreich

Vereinsmotto „Notre coeur – notre force“ = „Unser Herz – unsere Stärke“ – Ein in so einigen Aspekten ähnlich wie unser TSV tickender, sehr emotionaler Verein!

Auf sechzger.de wurde ja schon mal darauf hingewiesen, dass es in Paris mehr gibt als das schnöselige PSG und wir dort sogar schon mal ein Turnier gewonnen haben!

Was den Besuch und Support von Red Star aber wirklich lohnenswert macht, ist sein Stadion (mit Umgebung) und seine sehr geile Ultra-Kultur. Das erste Mal dort war ich vor fünf Jahren. Damals mitgenommen von einem Freund und angezogen von einem alten, heruntergekommenen Stadion mitten im alles andere als schicken Arbeiterviertel St. Ouen – knapp außerhalb der offiziellen Stadtgrenze.

Gefühlt 100% Migrationshintergrund

Zum Stadion läuft man durch ein Viertel mit gefühlt 100% Migrationshintergrund, dazu überall kleine Geschäfte und Stände mit vermutlich jeder Menge gefälschter Markenprodukte, und alle paar Meter strecken mir Hände Zigaretten, Handys, Parfüm oder geröstete Erdnüsse zum Kauf entgegen.

Im Stadion kann man Bier oder belegtes Baguette kaufen, dann geht es auf die alte, rostige Tribüne direkt am Spielfeld. Nix mit VIP-Logen o.ä.; rechts grenzt direkt ein Wohnblock ans Stadion, gegenüber auf einem kleinen Eck der größtenteils gesperrten Steintribüne die Gästefans.

Red Star, wie man vielleicht aufgrund des Namens erahnen kann, hat traditionell eher links eingestellte Fans und da an diesem Tag Red Star Grenoble zu Gast ist – quasi ein Bruderverein – stehen sich Heim- und Gästefans friedlich gegenüber und es wird ein sehr stimmungsvoller Nachmittag mit tollem Support. Ich schwor mir, wiederzukommen!

Ein ungeliebter Investor bei Red Star

Dann war ein paar Jahre Corona oder es klappte terminlich nicht. Inzwischen hatte die allseits unbeliebte Heuschrecke 777Partners (Ihr kennt sie als „Investor“ u.a. bei der Hertha) Red Star gekauft – selbstverständlich gegen den massiven aber letztlich erfolglosen Protest der Ultras. Meinem Freund und mir schwante Übles.

Nun hatte ich das Glück, ihn am ersten Dezember-Wochenende zu besuchen, denn genau an diesem Samstag würde das letzte Spiel vor der schönen alten rostigen Tribüne stattfinden. Wie befürchtet war 777Partners auf dem Weg, Red Star zu einem “profitablen Investment” zu machen. Das Stadion würde nach und nach komplett neu gebaut werden.

Gelungener Umbau des Stadions?

Dazu ein kleiner Exkurs: Wie beschrieben, ist gewiss der große Teil der Anhänger überaus kritisch gegenüber 777Partners eingestellt. Sie befürchten, dass der Club seine (kommerzkritische) Seele verliert und in einem schicken Stadion zum Abklatsch von PSG wird (auch hier hat der Löwen-Fan sein Déjà-vu!). Nach dem, was ich bisher sehe, bin ich nicht ganz so pessimistisch, wobei ich natürlich nur einen sehr oberflächlichen Einblick von außen habe. Doch jedenfalls das Stadion scheint nach dem Um-/Neubau ein immer noch sehr cooler Ground zu werden – zumindest nach allem, was jetzt schon und auf den Projektionen zu sehen ist.

Drei steile Tribünen rechteckig und sehr nahe am Spielfeld, ohne Zäune, und nur auf der rechten Seite ist ein kleiner VIP-Bereich angebaut, der jedoch weiter von dem Wohnblock überragt wird. Für meinen Eindruck scheint 777Partners durchaus sensibel mit der Kultur des Stadions mitten im Stadtteil umzugehen. Ich bin gespannt auf die Atmosphäre nach der Fertigstellung. Vielleicht wird es ja mal ein positives Beispiel dafür, wie ein Investor ein Stadion profitabel umbauen kann, ohne dass dieses seine Seele verliert. Letztlich etwas, was wir uns ja auch alle irgendwann für unser geliebtes 60er-Stadion wünschen…

Schwierige Kartensituation

Zurück zum Spiel: Das nur behutsam verstärkte Team liegt dank eines bisher sehr erfolgreichen Trainers (den Olympique Lyon erfolglos versuchte abzuwerben) souverän an der Tabellenspitze der Ligue 3. Aufgrund des Umbaus und des letzten Spiels auf der legendären Tribüne war es extrem schwer an Karten zu kommen, deshalb mischten wir uns bereits 1,5 h vor Spielbeginn unter die Fans rund ums Stadion, wo mit jeder Menge Bier angestoßen wurde und uns trotz Polizeipräsenz hier und da verdächtig würzige Duftwölckchen in die Nase stiegen.

Doch mit etwas Glück (und einer Stunde Leute belabern, bis uns Nicolas kurz vor Spielbeginn eine zweite Karte abtreten konnte) kamen wir beide rein. Schaut euch die Fotos und hört euch den Support auf den Filmchen an – ich denke da kann ich mir jegliche Beschreibung mit Worten sparen.

Souveräner Heimsieg bei super Stimmung

Es war ein total geiles Erlebnis: Großartige Pyro, durchgehend lauter Support, perfekter Blick nahe am Spielfeld, ein gutes Spiel, drei Tore (Red Star gewann souverän 3:0), ein ausgiebiges Feiern von Spielern und Fans nach Spielende… Ich habe jede Minute genossen – trotz Saukälte. Einzig die Gästefans taten mir ein wenig leid – die waren in einer Art Käfig zwischen Baustelle und Spielfeldecke mit sicherlich ganz schlechter Sicht eingesperrt. Na ja, wird vermutlich besser, wenns mal fertig ist.

Mit Nicolas hatten wir uns mittlerweile bei ein paar Bier angefreundet. Er nahm uns mit in eine Fankneipe neben dem Stadion, wo wir mit den netten Fans bis spätnachts noch ordentlich becherten.

Wann immer es mich wieder nach Paris verschlagen sollte – als eines der ersten Dinge werde ich vorab den Spielplan von Red Star checken! Groundhopping in Frankreich sollte dieses Highlight nicht aussparen.

Groundhopping auf sechzger.de

In den letzten Monaten erschienen bereits einige Groundhopping-Artikel auf sechzger.de. Hier eine kurze Ãœbersicht:

Groundhopping Rumänien
Groundhopping Mazedonien bzw. Nordmazedonien
Groundhopping Armenien
Groundhopping Thailand
Groundhopping Ukraine
Groundhopping Kuba
Groundhopping Montenegro
Groundhopping Indien
Groundhopping Kirgisistan
Groundhopping Saudi-Arabien
Groundhopping Antarktis (Südgeorgien)
Groundhopping Kolumbien
Groundhopping Indonesien
Groundhopping Laos
Groundhopping Georgien
Groundhopping Sansibar
Groundhopping Moldawien/Transnistrien
Groundhopping Nordkorea
Groundhopping Bulgarien
Groundhopping Senegal
Groundhopping Gambia
Groundhopping Guinea-Bissau

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Joerg

Es gibt keinen Club Red Star Grenoble, trotzdem schöne Geschichte der 3:0 Sieg war gegen Avanches
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Kraiburger

Danke für die Eindrücke. Leider mag ich Paris viel zu wenig, sodass das nicht auf meine Liste kommt.